Der Theaterverleger Emile Lansman im Gespräch mit Frank Weigand Im Dienste der Frankophonie

Szene aus dem Stück «Catharsis» des französisch-togoischen Autors Gustave Akakpo, Inszenierung von Ewlyne Guillaume / Cie KS & CO. (Foto: Ronan Lietar)

Der Belgier Emile Lansman ist einer der wichtigsten Theaterverleger im französischen Sprachraum. Mit über 3000 veröffentlichten Theatertexten seit 1989 steht Lansman Editeur vor allem auch für die Diversität des frankophonen Theaterschaffens auf drei Kontinenten. Mit Frank Weigand sprach er im vergangenen Herbst über seinen Werdegang, die besondere Situation von Theaterverlagen, seine Haltung zur postkolonialen Diskussion und zur französischen Kulturpolitik, und nicht zuletzt auch über Autorinnen und Autoren, die ihm ganz besonders am Herzen liegen.

 

 

Frank Weigand: Lieber Emile, wie bist du dazu gekommen, Theatertexte zu verlegen?

Emile Lansman: Eigentlich war es nie mein Traum, Theaterverleger zu werden. Als Grundschullehrer und später als Erziehungspsychologe war ich lange als Vermittler und Ausbilder in Rahmen der Entwicklung einer neuen Jugendliteratur und eines neuen Jugendtheaters tätig, die nach dem Mai 68 entstanden sind. Durch Zufall wurde ich Leiter des belgischen Vereins «théâtre-éducation», mit dem wir Jugendliche innerhalb und außerhalb des schulischen Rahmens dazu einluden, «Theater zu machen». Wir besuchten Aufführungen, die auf Texten aus dem klassischen Repertoire basierten: Molière, Shakespeare, Anouilh, manchmal Tardieu. Und jedes Mal haben wir uns gefragt: Warum werden keine Texte von heutigen Autoren aufgeführt, die den Jugendlichen von heute etwas über die Welt von heute erzählen? Dumme Frage: Es gab diese Texte einfach nicht, wie ich schnell feststellte. Also starteten wir einen Aufruf in Belgien. In einem Land, in dem es hieß, es gäbe keine Dramatiker mehr, erhielten wir innerhalb von drei Monaten rund 100 Stücke, die noch nie aufgeführt, noch nie öffentlich gelesen oder auch nur von der Branche wahrgenommen worden waren. Keines davon entsprach dem von den Theaterworkshops formulierten Wunsch nach einer großen Besetzung. Aber ich hatte die verborgene Vitalität all dieser belgischen Autoren entdeckt. So beschlossen meine Frau und ich, einen Verlag zu gründen, der jedes Jahr zwei Texte von wenig oder gar nicht bekannten belgischen Autoren veröffentlichen sollte, wohl wissend, dass wir danach viel Energie aufwenden müssten, um sie bekannt zu machen.

Aus Gründen, die an dieser Stelle zu weit führen würden, hieß der erste Autor, den wir veröffentlichten … Sony Labou Tansi. Er war weder Belgier noch unbekannt, denn sein Name wurde als einer der möglichen kommenden Literaturnobelpreisträger gehandelt. Damit war die Maschine in Gang gesetzt. Aus zwei Büchern pro Jahr wurden innerhalb von fünf Jahren hundert. Das Projekt nahm rasch Fahrt auf und machte Lansman Editeur zu einem Haus, das frankophonem Schreiben aus aller Welt offenstand. Darunter war auch ein chinesischer Autor, Gao Xingjian, der 1992 zum ersten Mal im Westen veröffentlicht wurde und im Jahr 2000 den Nobelpreis erhielt.

Der kongolesische Romancier und Dramatiker Sony Labou Tansi (Foto: Ulf Andersen)

 

Auch heute noch ist Lansman Editeur einer der Verlage, der die meisten so genannten «frankophonen» dramatischen Werke veröffentlicht. Wie kam es dazu und wie hat sich diese Tätigkeit im Laufe der Jahre entwickelt?

Ich interessiere mich seit meiner Jugend für Québec. Als Mitglied der belgischen Sektion einer Vereinigung für aktive Erziehung (CEMÉA) habe ich auch schnell viele Kontakte zu französischen Kollegen geknüpft. Ich hatte also eine recht gute Kenntnis der Literatur und des Theaters dieser beiden Pole der Frankophonie. Aber wie viele andere wusste ich fast nichts darüber, was in Afrika auf diesen beiden Ebenen passierte. Dank des Festivals Francophonies en Limousin (dessen Bedeutung für die Entstehung einer echten künstlerischen frankophonen Kultur gar nicht hoch genug einzuschätzen ist) wurde ich mir meiner bodenlosen Unwissenheit bewusst und begann ab 1985, so viel wie möglich «nachzuholen». Die Tatsache, dass ich ab 1989 Sony veröffentlichte, brachte mir schnell den Ruf eines «belgischen Verlegers, der afrikanische Autoren herausgibt» ein, und bald häuften sich die Projekte. Hinzu kam, dass es, wenn ich ein Stück eines Autors von diesem Kontinent ablehnte, weil es mich nicht ansprach oder nicht berührte, leider lange nur sehr wenige alternative Veröffentlichungsmöglichkeiten gab. Was für eine Verantwortung!

Szene aus dem Stück «Nœuds papillon» der Quebecer Dramatikerin Marie-Ève Huot, Inszenierung der Autorin / Théâtre Ebouriffé (Foto: Marc-Antoine Zouéki)

Ich stand voll und ganz zu dieser «multikulturellen Farbe», weil ich lieber die Texte von Männern und Frauen verbreitete, die an die Dringlichkeit des Theaters glaubten, um über die Welt, in der sie lebten, zu sprechen, als die mancher Europäer, die auf den eigenen Bauchnabel schauten und sich fragten, ob er wirklich das Zentrum der Welt sei. Vor allem die afrikanischen «comédies dramatiques» (die übrigens heute überall Schule gemacht haben) waren einer der Hauptgründe dafür, meine Verlagstätigkeit auch nach dem Tod meiner Frau und Komplizin im Jahr 2005 fortzusetzen. Ich erinnere mich besonders an Misère von Thierry Nlandu, ein Stück, das von der Compagnie Théâtre des Intrigants aufgeführt wurde. Drei obdachlose Clowns wollen beweisen, dass das Leben in Afrika gar nicht so schwer ist: Man muss nur die Regeln und vor allem die Schwächen der Gesellschaft (Korruption, Tradition, Illusion) gut kennen, um das zu erreichen, wofür man auf anderen Kontinenten hart arbeiten muss.

Szene aus dem Stück «Misère» des kongolesischen Dramatikers Thierry Nlandu Mayaba Mbuya, in der Inszenierung des Autors für das Théâtre des Intrigants (Foto: Isabelle Meister)

In Deutschland werden Theatertexte nur sehr selten veröffentlicht und sind vor allem als pdf-Manuskripte im Umlauf – es gibt keine (oder nur noch wenige) auf Theater spezialisierte Verlage. Im französischsprachigen Raum ist die Situation anders. Ist das Verlegen von Theatertexten eine lukrative Tätigkeit oder bleibt es ein prekärer Beruf?

Ich finde, man muss den Beitrag der 1985 von Michel Vinaver begonnenen Untersuchung hervorheben, deren Ergebnisse in Paris und Avignon (ich war damals dabei) vorgestellt und 1987 von Actes Sud unter dem Titel «Le compte-rendu d’Avignon. Des mille maux dont souffre l’édition théâtrale et des trente-sept remèdes pour l’en soulager» («Der Bericht von Avignon. Von den tausend Übeln, unter denen die Theaterverlagsbranche leidet, und den siebenunddreißig Heilmitteln zu ihrer Linderung») veröffentlicht wurde. Das war ein entscheidender Wendepunkt.

Der französische Dramatiker Michel Vinaver (Foto: Ted Paczula)

Ausgehend von zwei extremen Standpunkten – «Theater ist nur dazu da, gesehen zu werden» (Molière) und «Sehen ist nicht Lesen, und nur das gedruckte Wort zählt» (Montherlant) – betont Michel Vinaver die Komplementarität und gegenseitige Abhängigkeit der beiden Pole Bühne und Buch. Er prangert insbesondere die Vernachlässigung des zeitgenössischen Theaters im französischen Literaturunterricht an und nimmt dabei vor allem die Standardwerke von Lagarde et Michard ins Visier. Außerdem stellt er das Desinteresse der wichtigsten Verleger und Kritiker an der Erneuerung des dramatischen Schreibens fest, was sich vor allem im Fehlen von echten Fachabteilungen in Bibliotheken und Buchhandlungen niederschlägt. Kurzum ist für ihn die Tatsache, dass das Theater «zwischen allen Stühlen sitzt», eines der Hauptübel, das es konsequent und gemeinsam zu beheben gilt. Hilfe muss vor allem von der öffentlichen Hand kommen, die mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Sie muss darauf abzielen, Strategien gleichermaßen für Schreibanreize, die Förderung und Begleitung neuer Autoren (insbesondere im Rahmen von Residenzen) wie für die Verbreitung der Werke durch Lesungen, Radioaufführungen, Bühnenproduktionen, spezialisierte Literaturpreise usw. zu entwickeln. Nicht zu vergessen natürlich die Einrichtung einer Kommission für Theatertexte innerhalb des Centre National du Livre und andere Formen der Unterstützung der wenigen spezialisierten Verlage.

Buchcover des Textes «La Mastication des morts» von Patrick Kerman, erschienen 1999 bei Lansman Editeur

Und tatsächlich ermöglicht die Umsetzung all dieser Empfehlungen in den darauffolgenden Jahren die Entstehung neuer Texte und damit die Sichtbarkeit neuer Autoren, indem Projekte entwickelt werden, die neue Stücke in den Mittelpunkt stellen. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass es heute vor allem in Frankreich und Belgien eine Vielzahl von Theaterautoren gibt, die einzigartige Arbeitsbedingungen, vielfältige Unterstützung während des Schreibprozesses und später dann Möglichkeiten erhalten, ihre Werke durch öffentliche Lesungen, Preise, Übersetzungen usw. bekannt zu machen. So werden diese Autoren exponentiell mediatisiert … und behalten gleichzeitig etwas «virtuelles». Nur wenige ihrer Texte werden von Compagnien inszeniert, mit denen sie aus verschiedenen Gründen wenig zu tun haben, und noch weniger Texte werden später von anderen Compagnien nachgespielt.

Buchcover des Textes «La Ligne de partage des eaux» von Alex Lorette, erschienen 2021 bei Lansman Editeur

In diesem Sinne hat das Verlagswesen an Bedeutung gewonnen, da die Werke, die nicht auf der Bühne zu sehen sind, dennoch als zeitgenössische dramatische Literatur im Umlauf sind, vor allem im schulischen Bereich, insbesondere in Frankreich. Dies kommt den Verlegern zugute, da – abgesehen von den Verkäufen im Zusammenhang mit den Aufführungen – die meisten Verkäufe im Rahmen der «Anordnung » dieser Werke durch Lehrer und anderes pädagogisches Personal auf allen Ebenen des Bildungswesens erfolgen.

Trotz allem: Nein, das Verlagswesen ist keine lukrative Tätigkeit. Es hängt weiterhin «am Tropf», ist insbesondere von öffentlichen Zuschüssen oder Partnerschaften mit Kulturinstitutionen oder Theatercompagnien abhängig.

Szene aus dem Stück «Bureau national des allogènes» des belgischen Dramatikers Stanislas Cotton, inszeniert von Christine Delmotte (Foto: Lou Herion)

Derzeit gibt es große politische Unruhe, weil der französische Staat Künstler*innen aus Niger, Mali und Burkina Faso nicht mehr unterstützen will, da die diplomatischen Beziehungen zu den Militärregimes dieser Länder abgebrochen wurden. Wie ist deine Position zu diesem Thema?

Das ist natürlich kompliziert. Aber das war es auch schon vorher. Ich bin jedes Mal empört, wenn Projekte abgesagt werden, Tourneen gefährdet sind, weil bestimmten Künstlern die Visa verweigert werden. In Europa, aber zum Beispiel auch in Kanada. Die sogenannte «exception culturelle» («kulturelle Ausnahme»), die es vor allem Kulturschaffenden ermöglichen soll, Grenzen jeglicher Art zu überschreiten, steht heute nicht mehr wirklich auf der Tagesordnung.

Sagen wir, dass wir es hier mit einer besonderen diplomatischen Krise zu tun haben, die zeigt, wie sehr «Frankreich» (ein weit gefasster Begriff, der eigentlich einer Definition bedarf) heute von einer Reihe neuer afrikanischer «Mächte» angefeindet wird. Dahinter verbergen sich geopolitische und wirtschaftliche Fragen, über die wir uns nicht vollständig im Klaren sind. Natürlich habe ich einen offenen Brief unterzeichnet, um die Situation anzuprangern und die Rücknahme der Entscheidungen zu fordern, die die Erteilung von Visa an Staatsangehörige der drei betroffenen Länder konkret verhindern. Aber in Wirklichkeit müssen wir hinter dieser Situation ein Warnsignal wahrnehmen, das weit über diesen Rahmen hinausgeht. In einer Welt, in der die elementarsten Rechte nicht mehr geachtet werden, besteht die Gefahr, dass die Zukunft für Kunst und Kultur alles andere als rosig aussieht. Vor allem auf der Ebene der Bewegungsfreiheit von Künstlern und Kunstwerken. Aber auch auf der Ebene der Zensur und, schlimmer noch, der Selbstzensur.

 

Der kamerunische Dramatiker Edouard Elvis Bvouma (Foto: d.r.)

Der Begriff «Frankophonie» ist insgesamt problematisch, weil er eine Fortschreibung der früheren Kolonialherrschaften darstellt. Belgien hat in der Tat eine schwere koloniale Vergangenheit, vor allem im Kongo. Wie positioniert man sich als Theaterverlag zu solchen Verhältnissen – und auch zu der Tatsache, dass das Geld für die Förderung dieser Künstler*innen fast immer aus den reichen Ländern des Nordens kommt?

Meine Sicht auf das Wort «Frankophonie» ist weniger restriktiv. Die Verbreitung der französischen Sprache ist zwar absolut gesehen eine bedauerliche Folge des Kolonialismus, aber in Afrika zum Beispiel hat sie auch als Vermittler gewirkt, als Bindeglied zwischen Sprechern, deren Muttersprache eine andere war. Dasselbe kann man heute übrigens über andere Sprachen im großen Konzert der wirtschaftlichen Kolonisierung sagen. Der Fall des Englischen ist besonders deutlich: Mit 500 Wörtern in dieser Sprache und einigen Grundregeln kann man sich nahezu in den meisten Ländern der Welt verständigen. Das ist praktisch gesehen sehr positiv, reduziert aber auch das Denken auf diese 500 Wörter!

Belgien ist in dieser Hinsicht ein Sonderfall, denn im Gegensatz zu Frankreich fand der Unterricht in den Grundschulen bevorzugt in den Lokalsprachen statt, anstatt das Französische durchzusetzen. Außerdem waren Lehrer unter den Missionaren größtenteils Ordensleute … Flamen, die kaum dazu in der Lage waren, Französisch zu unterrichten.

Emile Lansman bei einer Diskussionsveranstaltung (Foto: d.r.)

Ich muss gestehen, dass mich die Geschichte zwar interessiert, ich mich aber wenig in diese Debatte einbezogen fühle. Ich bin frankophon. Die französische Sprache hat mir einen echten, oft menschlichen und intellektuell tiefgründigen Austausch mit Männern und Frauen aus Benin, Kamerun, den beiden Kongos, Burkina Faso, Togo, Zentralafrika, Dschibuti, dem Tschad usw. ermöglicht. So war ich in der Lage, die Besonderheit ihrer Erfahrungen, den Reichtum ihrer Kreativität, ihre Hoffnungen und ihre Verzweiflung zu ermessen. Wie hätte ich das tun können, wenn wir jedes Mal auf einen mehr oder weniger begabten Dolmetscher angewiesen wären? Ich stehe also voll und ganz dazu, ein europäischer Verleger zu sein, ein belgischer noch dazu. Ich wollte nie den afrikanischen Verleger spielen oder besondere Kriterien für den Umgang mit den Autoren dieses Kontinents erfinden. Ich habe mit ihnen genauso gearbeitet, mit demselben Wohlwollen, aber auch mit denselben Ansprüchen wie mit allen anderen Autoren, die wir veröffentlicht haben. Und vor allem mit derselben bewussten Subjektivität innerhalb unseres Teams.

Die französische Dramatikerin Azilys Tanneau (Foto: Max of Pics)

Welche aktuellen Entwicklungen siehst du im dramatischen Schreiben im Allgemeinen – und welche Autorinnen und Autoren findest du derzeit besonders interessant?

Die unterschiedlichen Arten dramatischen Schreibens im frankophonen Raum haben sich in den letzten zwanzig Jahren in Bezug auf Anzahl, Vielfalt und Qualität stark entwickelt. Die Einrichtung von Studiengängen für szenisches Schreiben an den Theaterhochschulen und die Vervielfachung von Anreizen und Unterstützungen aller Art haben wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen, allerdings mit der unvermeidlichen Kehrseite, dass Texte, die mehr Zeit und die Auseinandersetzung mit Lesern einerseits und Zuhörern/Zuschauern andererseits verdient hätten, zu schnell hochgejubelt werden. Und dass eine Form von «Starsystem» entstanden ist, das ebenso modeabhängig wie kurzlebig ist.

Denn es besteht die Gefahr, immer neue «Kleenex-Generationen» hervorzubringen. Das heißt, Autoren, deren Erstlingswerke gefeiert, ausgezeichnet, öffentlich gelesen, veröffentlicht und manchmal bis zum Exzess hochgejubelt werden, bevor sie im Korb des Vergessens landen, weil neue Namen auftauchen, die den gleichen Weg gehen. Aus diesem Korb wieder herauszukommen, kostet manchmal viel Zeit und Mühe. Für diejenigen, die es schaffen, ist es eine Garantie für eine gewisse Nachhaltigkeit ihres Schreibens, für die anderen ist es die bittere Enttäuschung des allzu schnell vergessenen Wunderkindes. Vor allem unter dem Deckmantel des Neuheitskults um jeden Preis, der in den Künsten und insbesondere im Theater herrscht.

Szene aus dem Stück «Cargo» des Dramatikers Paul Francesconi aus La Réunion, inszeniert vom Autor (Foto: Thierry Laporte)

Man müsste auch über Modeerscheinungen sprechen, über die Suche nach einer eigenen Sprache (das eine schließt das andere nicht aus), über die Verankerung der behandelten Themen im Herzen der Funktionsstörungen einer zunehmend orientierungslosen Gesellschaft, von der Familie bis zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Dabei könnte man auch die Entwicklung eines geschickt inszenierten Dokumentartheaters ansprechen. Aber das Thema wäre zu umfangreich und würde allzu viele konkrete Bezüge erfordern, um es hier zu behandeln.

Was Namen betrifft, fällt es mir sehr schwer, aus unserer großen «Familie» diejenigen auszuwählen, die mir am begabtesten und originellsten erscheinen, kurz, die mir am liebsten sind. Aber ich will der Frage nicht ganz ausweichen. Sagen wir es so: Unter den Autoren, die in letzter Zeit in Erscheinung getreten sind, halte ich vor allem Paul Francesconi (La Réunion), Emmelyne Octavie (Guyana), Pamela Ghislain und Florian Pâque (Belgien), Edouard Elvis Bvouma (Kamerun), Azilys Tanneau und Faustine Noguès (Frankreich) und andere, die ich hier nicht alle nennen kann, für entdeckenswert.

Die belgische Dramatikerin und Schauspielerin Paméla Ghislain (Foto: Marie-Valentine Gillard)

Was sind deine nächsten Projekte?

Vor einiger Zeit haben wir die bewusste Entscheidung getroffen, uns in erster Linie an den LESER zu wenden. Unsere Werke sind (von Ausnahmen abgesehen) weder «Leitfäden» für Regisseure noch Partituren für Schauspieler. Diese Haltung setzt eine eingehende Diskussion mit den Autoren und vor allem einen hohen Anspruch bei der Erarbeitung der Buchfassung voraus. So ist die Reihe Lansman Poche entstanden, die einer allgemeinliterarischen Reihe ähnelt, und eine Reihe mit «Mini-Bilderbüchern» zum Vorlesen für die Kleinsten. Diese ständige Suche nach Orientierung in den in Arbeit befindlichen Werken und der Dialog mit den Autoren gehören zu den Motivationen, die mich trotz der Last der Jahre weitermachen lassen. Vor allem, weil sich die Regisseure und Schauspieler, anders als man annehmen könnte, keineswegs von diesem Prozess ausgeschlossen fühlen. Wenn sie sich an den Leser wenden, können sie besser einschätzen, was sie selbst zu dem Werk beitragen, wenn sie sich irgendwann dazu entschließen, es auf die Bühne zu bringen.

Wenig bekannt ist, dass ich seit der Gründung des Verlags im Jahr 1989 ehrenamtlich für ihn tätig bin. Das bedeutet, dass ich meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger kein Gehalt anbieten kann. Und das ist ein echtes Problem, denn das großartige kleine Team (Angestellte und Freiwillige), das mich seit langem begleitet und den Verein leitet, reicht kaum aus, um die Verpflichtungen eines solchen Unternehmens zu erfüllen. Erfolg hat oft seinen Preis, und das trifft ein bisschen auf uns zu. Aber gut… wie immer bin ich optimistisch: Wir werden eine Lösung finden.

 

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Wichtiger Hinweis: Auf Wunsch von Emile Lansman haben wir alle von ihm im Interview verwendeten generischen Maskulina beibehalten. Mit «Autor» ist aus seiner Perspektive jede Person gemeint, die etwas Schriftliches produziert, unabhängig von Alter, Geschlecht, Genre oder Herkunft. Dies gilt auch für Verleger, Lehrer, Schauspieler, Regisseure usw.

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Der Pädagoge, Journalist und Herausgeber Emile Lansman (Foto: d.r.)

Als ausgebildeter Erziehungspsychologie hat Emile Lansman (geb. 1947) im Laufe der Zeit in fünf unterschiedlichen Bereichen gearbeitet: als Lehrer, Journalist, Programmgestalter, Ausbilder und Verleger, was ihn seit 1968 zu einem aktiven Zeugen der Entwicklung des frankophonen Theaters (insbesondere für die Jugend) macht. Seine doppelte Ausbildung (pädagogisch und kulturell) qualifizierte ihn zu Tätigkeiten auf verschiedenen Ebenen in der gesamten Frankophonie . Unter anderem leitete er 27 Jahre lang den belgischen Verband für Theater und Bildung, war an der Gründung der International Drama and Education Association (IDEA) beteiligt und fungierte zwischen 1999 und 2017 als künstlerischer Berater, dann als Präsident und schließlich als Koordinator der Internationalen Kommission für das frankophone Theater (CITF). Seit 1989 entwickelt er parallel dazu eine umfangreiche verlegerische Arbeit: Bis heute hat er 1400 Bände mit rund 3000 Stücken veröffentlicht, darunter mehrere hundert von Autor*innen aus Afrika und Übersee. Heute stellt er seine Erfahrung als «Passeur» weiterhin in den Dienst von Projekten, die auf Anfrage von Partnern durchgeführt werden.

Er wurde unter anderem mit dem Rang eines Officier dans l’Ordre des Arts et Lettres in Frankreich ausgezeichnet und mit dem Orden der Francophones d’Amérique.

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