Frank Weigand: Lieber Emile, wie bist du dazu gekommen, Theatertexte zu verlegen?
Emile Lansman: Eigentlich war es nie mein Traum, Theaterverleger zu werden. Als Grundschullehrer und später als Erziehungspsychologe war ich lange als Vermittler und Ausbilder in Rahmen der Entwicklung einer neuen Jugendliteratur und eines neuen Jugendtheaters tätig, die nach dem Mai 68 entstanden sind. Durch Zufall wurde ich Leiter des belgischen Vereins «théâtre-éducation», mit dem wir Jugendliche innerhalb und außerhalb des schulischen Rahmens dazu einluden, «Theater zu machen». Wir besuchten Aufführungen, die auf Texten aus dem klassischen Repertoire basierten: Molière, Shakespeare, Anouilh, manchmal Tardieu. Und jedes Mal haben wir uns gefragt: Warum werden keine Texte von heutigen Autoren aufgeführt, die den Jugendlichen von heute etwas über die Welt von heute erzählen? Dumme Frage: Es gab diese Texte einfach nicht, wie ich schnell feststellte. Also starteten wir einen Aufruf in Belgien. In einem Land, in dem es hieß, es gäbe keine Dramatiker mehr, erhielten wir innerhalb von drei Monaten rund 100 Stücke, die noch nie aufgeführt, noch nie öffentlich gelesen oder auch nur von der Branche wahrgenommen worden waren. Keines davon entsprach dem von den Theaterworkshops formulierten Wunsch nach einer großen Besetzung. Aber ich hatte die verborgene Vitalität all dieser belgischen Autoren entdeckt. So beschlossen meine Frau und ich, einen Verlag zu gründen, der jedes Jahr zwei Texte von wenig oder gar nicht bekannten belgischen Autoren veröffentlichen sollte, wohl wissend, dass wir danach viel Energie aufwenden müssten, um sie bekannt zu machen.
Aus Gründen, die an dieser Stelle zu weit führen würden, hieß der erste Autor, den wir veröffentlichten … Sony Labou Tansi. Er war weder Belgier noch unbekannt, denn sein Name wurde als einer der möglichen kommenden Literaturnobelpreisträger gehandelt. Damit war die Maschine in Gang gesetzt. Aus zwei Büchern pro Jahr wurden innerhalb von fünf Jahren hundert. Das Projekt nahm rasch Fahrt auf und machte Lansman Editeur zu einem Haus, das frankophonem Schreiben aus aller Welt offenstand. Darunter war auch ein chinesischer Autor, Gao Xingjian, der 1992 zum ersten Mal im Westen veröffentlicht wurde und im Jahr 2000 den Nobelpreis erhielt.
Noch keine Kommentare / Diskutieren Sie mit!
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare. Da wir die Diskussionen moderieren, kann es sein, dass Kommentare nicht sofort erscheinen. Mehr zu den Diskussionsregeln erfahren Sie hier.