Ich erinnere mich, wie du bei einer Übersetzung, die ich mitverfolgt habe, mit der Perspektive des Texts gehadert hast. Darin beschreibt eine weiße lesbische Figur ihr Begehren für eine weiße US-Soldatin, die im Gefangenenlager Abu Ghraib einen arabischen Gefangenen quält. Ist die Frage nach Privilegien und dem «weißen Blick» immer noch eine Frage, die dich auch in der übersetzerischen Arbeit beschäftigt? Die große Frage, die sich hier stellt, ist: Nimmst du dir die Freiheit, dein Widerstreben in der Übersetzung zu zeigen, zensierst du – oder stellst du dich ganz in den Dienst des Textes?
Ja, das beschäftigt mich sehr. Ich muss oft daran arbeiten, nicht handlungsunfähig zu werden, weil Zweifel und eigene Grenzen, aber auch die Grenzen dessen, was ein einzelner Text leisten kann, für mich immer wieder sehr präsent sind. Im Falle dieses Texts hat mich vor allem umgetrieben, dass der gefolterte arabische Mann darin nicht als politisches Subjekt erscheint, sondern nur als diffuses Opfer im Hintergrund bleibt. Damit bleibt das System erhalten, das die Existenz von Abu Ghraib überhaupt ermöglicht hat. Das ist unsere Realität, sie zeigt sich aktuell mehr denn je. Die Autorin nutzt das berühmte Bild des Folterskandals, um einen anderen Blick auf die Täterin, als Frau, als Objekt lesbischen Begehrens zu entwickeln. Dadurch wählt sie letztlich einen radikal subjektiven, persönlichen Standpunkt, bei dem es um das «Ich» selbst und auch ihre Beziehung zu ihrer Mutter geht, was natürlich auch politische Implikationen hat. Für mich liegt die Stärke des Texts vor allem in seiner Verknüpfung von Schmerz und Lust, er entfacht einen Bann, dem ich mich auch beim Übersetzen nicht entziehen konnte.
Ich stelle meine Arbeit als Übersetzerin schon sehr in den Dienst des Texts. Wobei das natürlich immer nur in dem Rahmen möglich ist, wie ich selbst diesen Text verstehe. Darin eröffnen sich mit jeder zu treffenden Übersetzungsentscheidung Spielräume, die ermöglichen, in die eine oder andere Richtung zu tendieren. Ich entscheide mich dann innerhalb dessen für die Variante, die meiner Auffassung nach weniger Diskriminierung und mehr Empowerment ermöglicht.
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