Ein Gespräch mit der Übersetzerin, Dramaturgin und Doktorandin Yasmine Salimi «Ich weiß gar nicht, ob es eine Tätigkeit geben kann, die nicht politisch ist.»

«OUT OF ORDER», Performance von manufaktor, Schaubude Berlin (2023) (Foto: Schaubude Berlin)

Als Kuratorin, freie Dramaturgin, Doktorandin und Übersetzerin kennt Yasmine Salimi den Theaterbetrieb aus den unterschiedlichsten Perspektiven – und zwar aus einer «postmigrantischen, französisch-iranischen Position in Deutschland», wie sie ihre Mehrfachzugehörigkeit beschreibt. Darüber, ob sich ihre unterschiedlichen Funktionen gegenseitig bereichern, und inwieweit Übersetzung stets auch politische Fragen nach Machtverhältnissen und Repräsentation stellt, spricht sie im Interview mit Frank Weigand.

 

 

Frank Weigand: Du bist Dramaturgin, Doktorandin und Kuratorin. Wie bist du zum Theaterübersetzen gekommen?

Yasmine Salimi: Über dich! Dieser lang gehegte Wunsch, meine zwei Berufszweige, Übersetzung und Theater, miteinander zu verbinden, wurde 2018 durch die Übersetzungswerkstatt von «Theater-Transfer» in Saarbrücken Realität, die du gemeinsam mit Laurent Muhleisen und Leyla-Claire Rabih angeleitet hast. Durch das Mentoring im Anschluss konnte ich in der Zusammenarbeit mit dir weiter dazulernen.

 

Im Blog zu deiner Take-Heart-Residenz 2022 steht Folgendes über dich: «Yasmine Salimi forscht an der Schnittstelle von Theorie und Praxis, Theater und Text, Deutsch und Französisch.» Siehst du einen Zusammenhang zwischen deinen unterschiedlichen Tätigkeiten, oder sind das für dich tatsächlich voneinander getrennte Bereiche?

Sie hängen alle irgendwie zusammen und profitieren voneinander. Allen meinen Tätigkeiten ist gemeinsam, dass es um reflexive und kreative Prozesse geht, die mit Theater, Texten und Gesellschaft zu tun haben. Und der Umgang mit Mehrsprachigkeit auf und hinter der Bühne ist oft auch Teil meiner Arbeit als Dramaturgin. Aber die Rahmenbedingungen unterscheiden sich sehr stark, was die Legitimität, Finanzierung und den Raum zum Existieren für diese Tätigkeiten angeht. Auch sind die Arbeitsweisen sehr unterschiedlich und stehen sich zum Teil im Weg. Was am anspruchsvollsten ist und am meisten leidet, ist definitiv die wissenschaftliche Arbeit. Was meine freiberuflichen Tätigkeiten angeht, würde ich unterscheiden zwischen der freien Szene, wo ich mich als Dramaturgin verorte, und der literarischen Textarbeit an Übersetzungen, die eher im Stadttheater vorkommen.

«Bambi / Kaleidoskop», nach dem Roman von Felix Salten, R: Sophie Bartels & Katy Deville, Hochschulkooperation der HfS Ernst Busch Berlin & ESNAM Charleville-Mézières (2023), Foto: Neïtah Janzing

 

Wie sind deine Erfahrungen als Übersetzerin mit dem deutschen Stadttheatersystem, in dem Texte und besonders Übersetzungen oft hauptsächlich als Material behandelt werden und hierarchische Strukturen oft keinen Platz für einen Dialog mit Autor*innen und Übersetzer*innen lassen? Was ließe sich hier verbessern, bzw. welche anderen Arbeitsmodelle wären vorstellbar?

Ich habe persönlich mittlerweile nur durch das Übersetzen Berührungspunkte mit dem Stadttheater. Und auch hier kann ich konkret nur von einem Fall berichten, weil ich vergleichsweise noch nicht so viel übersetzt habe und das meiste davon in die Covid-Zeit fiel, als die Texte nicht gespielt wurden. Meine Übersetzung von George Sands «Gabriel» wurde am Badischen Staatstheater Karlsruhe inszeniert – das ist ein Thema für sich, über das ich hier auf Plateforme schon geschrieben habe. Ich hätte es zwar großartig gefunden, mehr in die Proben eingebunden zu werden, bin mir aber auch bewusst, dass das ein Luxus gewesen wäre, der allein schon wegen der Entfernung zwischen Karlsruhe und Berlin nicht drin war. Ich war schon glücklich, dass ich bei der Premiere dabei sein konnte. Es ist nur eben für mich als Theatermacherin aus der freien Szene, wo der Prozess sehr stark im Vordergrund steht, sehr ungewohnt, die Textproduktion getrennt vom Inszenierungsprozess zu erleben.

«Gabriel», George Sand, R: Sláva Daubnerová, Badisches Staatstheater Karlsruhe (2022), Foto: Felix Grünschloß

Texte zu übersetzen, bedeutet ja auch Stimmen hörbar zu machen, die es sonst in unserem Kontext hier nicht sind. Ist das für dich eine politische Tätigkeit?

Natürlich, auf jeden Fall. Ich weiß gar nicht, ob es eine Tätigkeit geben kann, die nicht politisch ist. Aber das Hörbarmachen und das Lesbarmachen von Stimmen ist ja im Falle des Übersetzens, noch dazu von Theater, wortwörtlich gemeint. Die Entscheidung, wer oder was übersetzt wird, liegt oft gar nicht bei mir als Übersetzerin, trotzdem kann ich mich dazu verhalten, mich für oder gegen etwas entscheiden, mich für eine Übersetzung starkmachen oder theoretisch, wenn ich es mir leisten kann, einfach von mir aus machen. Das geht dann auch mit einer gewissen Verantwortung dafür einher, auf welche Weise welche Stimmen wahrnehmbar gemacht werden, zumindest auf der Ebene des Texts, der Übersetzung.

 

Szenische Lesung: «Die große Bärin» von Penda Diouf, R: Lara-Sophie Milagro, Lettrétage, im Rahmen von „Afropäerinnen“ (2020) (Foto: Leona Goldstein)

 

Du bist unter anderem auch Übersetzerin einer Schwarzen französischen Theaterautorin, die sehr politische Stücke schreibt und bei einer Diskussionsrunde darauf hinwies, dass es ihr wichtig ist, von einer rassifizierten Person ins Deutsche übersetzt zu werden. Wie stehst du selbst zu einer solchen Aussage?

Das ist eine sehr weitläufige Diskussion. Wenn ich bei mir bleibe, dann ist die Frage, ob ich mich überhaupt als «personne racisée», als rassifiziert bzw. POC (Person of Color) verstehe, sehr kontextabhängig. Ich erfahre definitiv nicht denselben Rassismus wie eine Schwarze Person. Ich denke aber, es kommt vor, dass ich auf subtile Weise als von der weißen Norm abweichend markiert werde bzw. auch anders behandelt werde, gerade in Deutschland. Noch öfter profitiere ich wahrscheinlich davon, dass ich auch als weiß gelesen werden kann.

Vor dem Hintergrund meiner eigenen postmigrantischen, französisch-iranischen Position in Deutschland sind manche Erfahrungen für mich vielleicht anschlussfähiger, wenn es um kulturelle Pluralität und die Empfindung des Andersseins geht, aber auch um Berührungspunkte mit antirassistischen Anliegen, u. a. im Kontext von Sprache und Theater. Und innerhalb der deutschen Übersetzer*innenlandschaft bin ich daher im Vergleich zur Mehrheit wahrscheinlich näher dran an der Erfahrung, die eine rassifizierte Person in Frankreich macht. Aber das kann sich auch wieder ändern, was ja das Wünschenswerte wäre, dass es in unserem Berufszweig mehr Menschen mit größerer Expertise und Legitimität in dieser Hinsicht gäbe. Für meine Arbeit mit der Autorin, von der du sprichst, ist die Beziehung und der Austausch zwischen uns zentral, das ließe sich auch nicht einfach auf jedes andere Verhältnis zwischen Autor*in und Übersetzer*in übertragen.

Szenische Lesung: «Die große Bärin» von Penda Diouf, R: Lara-Sophie Milagro, Lettrétage, im Rahmen von „Afropäerinnen“ (2020) (Foto: Leona Goldstein)

 

Aktuell erleben wir  – nicht zuletzt auch in der deutschen Gesellschaft – eine Verhärtung der Diskurse. Es wird – egal in welchem Lager – ganz krass zwischen gut und böse, zwischen richtig und falsch unterschieden. Übersetzung ist im Gegensatz dazu ein Nachspüren, ein Ausloten von Zwischentönen. Meinst du, die Gesellschaft könnte etwas von unserem Beruf lernen?

Übersetzen setzt vor allem Zweisprachigkeit voraus, was auch das Erspüren von Nuancen beinhaltet. Ich frage mich, ob es nicht wichtiger ist, verschiedene Kulturen zu kennen, die sich möglichst radikal unterscheiden, um Dinge sichtbar und spürbar zu machen, die sich beispielsweise zwischen der französischen und deutschen Gesellschaft gar nicht so unterschiedlich darstellen. Wenn das Verständnis für Machtverhältnisse, für gewachsene Hegemonien und Kontexte fehlt, dann kann das Wissen, wie sich sprachliche Bedeutungen und Argumente relativieren lassen, auch eine Gefahr sein. Ein differenziertes Verständnis von Realität ist wichtig. Nur muss es auch da ankommen, wo es wirksam ist. Und wenn gerade mit holzschnittartigen Argumenten tödliche Politik gemacht wird und im Kulturbetrieb diejenigen zensiert werden, die daran Kritik üben, dann ist das extrem besorgniserregend. Vielleicht hat das auch etwas mit einem kulturzentristischen Blick zu tun, auf jeden Fall aber mit einer anmaßenden Überheblichkeit, ohne Rücksicht auf Verluste über das Richtig und Falsch zu entscheiden.

«1/0/1 robots – hacking the binary code», Online-Performance von manufaktor, Schaubude Berlin (2021) (Foto: Kathleen Kunath & manufaktor)

Ich erinnere mich, wie du bei einer Übersetzung, die ich mitverfolgt habe, mit der Perspektive des Texts gehadert hast. Darin beschreibt eine weiße lesbische Figur ihr Begehren für eine weiße US-Soldatin, die im Gefangenenlager Abu Ghraib einen arabischen Gefangenen quält. Ist die Frage nach Privilegien und dem «weißen Blick» immer noch eine Frage, die dich auch in der übersetzerischen Arbeit beschäftigt? Die große Frage, die sich hier stellt, ist: Nimmst du dir die Freiheit, dein Widerstreben in der Übersetzung zu zeigen, zensierst du – oder stellst du dich ganz in den Dienst des Textes?

Ja, das beschäftigt mich sehr. Ich muss oft daran arbeiten, nicht handlungsunfähig zu werden, weil Zweifel und eigene Grenzen, aber auch die Grenzen dessen, was ein einzelner Text leisten kann, für mich immer wieder sehr präsent sind. Im Falle dieses Texts hat mich vor allem umgetrieben, dass der gefolterte arabische Mann darin nicht als politisches Subjekt erscheint, sondern nur als diffuses Opfer im Hintergrund bleibt. Damit bleibt das System erhalten, das die Existenz von Abu Ghraib überhaupt ermöglicht hat. Das ist unsere Realität, sie zeigt sich aktuell mehr denn je. Die Autorin nutzt das berühmte Bild des Folterskandals, um einen anderen Blick auf die Täterin, als Frau, als Objekt lesbischen Begehrens zu entwickeln. Dadurch wählt sie letztlich einen radikal subjektiven, persönlichen Standpunkt, bei dem es um das «Ich» selbst und auch ihre Beziehung zu ihrer Mutter geht, was natürlich auch politische Implikationen hat. Für mich liegt die Stärke des Texts vor allem in seiner Verknüpfung von Schmerz und Lust, er entfacht einen Bann, dem ich mich auch beim Übersetzen nicht entziehen konnte.

Ich stelle meine Arbeit als Übersetzerin schon sehr in den Dienst des Texts. Wobei das natürlich immer nur in dem Rahmen möglich ist, wie ich selbst diesen Text verstehe. Darin eröffnen sich mit jeder zu treffenden Übersetzungsentscheidung Spielräume, die ermöglichen, in die eine oder andere Richtung zu tendieren. Ich entscheide mich dann innerhalb dessen für die Variante, die meiner Auffassung nach weniger Diskriminierung und mehr Empowerment ermöglicht.

«Gabriel», George Sand, R: Sláva Daubnerová, Badisches Staatstheater Karlsruhe (2022) (Foto: Felix Grünschloß)

 

Gibt es einen Text, den du aktuell unbedingt übersetzen möchtest? Und wenn ja, welchen und warum?

Ich würde ehrlich gesagt vor allem gern die Übersetzung von George Sands «Gabriel» in ihrer Gesamtheit abschließen. Nach der Übersetzung der Spielvorlage für das Badische Staatstheater Karlsruhe habe ich an der Gesamtfassung weitergearbeitet, bin da aber aufgrund von allgemeinen Ermüdungserscheinungen, gemischt mit eigenem Perfektionismus und dem Respekt vor der Vielzahl bereits vorhandener Übersetzungen irgendwann kurz vor Schluss stecken geblieben und nicht mehr weitergekommen.

 

Was sind deine Projekte für die nähere Zukunft?

Meine Dissertation abschließen!

 

 


Die Produktion «Out of Order» des Kollektivs «manufaktor», bei der Yasmine Salimi für Text, Dramaturgie und Übersetzung verantwortlich war, wird am 11. April im T-Werk Potsdam gezeigt. Weitere Informationen und Reservierung hier.


 

Die Doktorandin, Dramaturgin und Übersetzerin Yasmine Salimi (Foto: manufaktor)

Yasmine Salimi, geboren 1986 in Köln, ist Übersetzerin, Dramaturgin und Doktorandin.
Sie hat verschiedene Theaterstücke aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Sie ist in unterschiedlichen Kontexten als freie Dramaturgin tätig und Teil des Berliner Figurentheaterkollektivs manufaktor. Zuletzt war sie auch für das internationale Festival Theater der Dinge an der Schaubude Berlin tätig. Sie hat zuvor u. a. als Co-Projektleitung des ersten Jahrgangs der Akademie Kunst und Begegnungen vom Bündnis internationaler Produktionshäuser gearbeitet, war Teil des migrantischen Berliner Kollektivs gastkollektiv und war mehrere Jahre lang am Ballhaus Naunynstraße Berlin in der Dramaturgie tätig. Außerdem promoviert sie über Theatertribunale. Zuvor absolvierte sie den B.A. «Deutsch-Französische Studien» an den Universitäten Bonn und Paris-Sorbonne und schloss ihr Magistrastudium in Germanistik, Französisch und Philosophie an der Universität zu Köln ab. Aktuell lebt sie in Berlin.

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