Bezeichnenderweise war unsere erste gemeinsame Übersetzung im Rahmen unserer frischen Herausgeberschaft (2011) ein Projekt, von dem uns vielfach abgeraten worden war. «La vie de marchandise«, ein spröder Text des französischen Dramatikers William Pellier, der vom missglückten gemeinsamen Selbstmord eines eher unsympathischen Rentnerpaares erzählte, war nicht nur bereits einige Jahre alt, sondern schien in seiner beinahe autistischen Selbstbeschränkung auch viel zu wenig spektakulär für einen erfolgreichen Export auf deutschsprachige Theaterbühnen.
Im Umgang mit der nur scheinbar realistischen Sprache Pelliers, die vollkommen ohne Interpunktion auskam und gleichzeitig spürbar an die französische Literaturtradition eines Perec oder Vinaver angelehnt war, entwickelten wir eine gemeinsame Arbeitsmethode, die wir bis heute perfektionieren und ständig neu justieren: Um einen Eindruck der Fremdheit des Originals zu bewahren und außerdem unseren übersetzerischen Zugriff weniger autoritär zu gestalten, entschieden wir, dass Leyla als französische Muttersprachlerin den ersten Übersetzungsentwurf ins Deutsche durchführen sollte, den wir dann gemeinsam im ständigen Dialog weiterbearbeiten würden.
Dies führte dazu, dass wir einige von Pelliers eigenwilligen Satzkonstruktionen, die sich stark an französischer Oralität orientierten, strukturell ins Deutsche übernahmen, ohne sie zu glätten und dabei vor allem an der Rhythmisierung des Textes arbeiteten. Gleichzeitig galt es Kontextfragen zu lösen: Als das Rentnerpaar den Lärm der migrantischen Nachbarn mit dem Stadtteil Bab-el-Oued von Algier verglich – ein eindeutiger Verweis auf die französische Kolonialvergangenheit, der längst in die (rassistische) Alltagssprache Eingang gefunden hat -, entschieden wir uns im Deutschen für die nicht minder rassistische exotisierende Beleidigung «Kameltreiber».
Diese gleichzeitige Behandlung von Sprache als Material, das Spuren von «Fremdheit» trägt und Reflexion über gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen kennzeichnet unsere Arbeitsweise bis heute. Fasziniert begriffen wir, dass für uns die eigentliche Herausforderung von Theaterübersetzung darin liegt, welches Publikum angesprochen wird – und damit, welcher Gesellschaftsentwurf dem jeweiligen Text zu Grunde liegt. Im Falle von «La vie de marchandise», das in unserer Übertragung den Titel «wir waren» trug, schien diese Rechnung aufgegangen zu sein. Der Text wurde von mehreren Theatern im deutschen Sprachraum inszeniert und bildete die Grundlage einer Hörspielproduktion, die bis heute regelmäßig ausgestrahlt wird.
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