africologne (13): Marie Yans Abschlussbericht «Eingesperrt in alten Visionen»

Kagayi Ngobi in seiner Performance «For my negativity» (Foto: Jackson)

von Marie Yan

 

Vor zwei Tagen ist africologne zu Ende gegangen und ich habe inzwischen den Ort und den Schreibtisch gewechselt. Was bleibt von zehn Festivaltagen, von zwei bis drei Veranstaltungen pro Tag, von Spaziergängen durch Köln, von Gesprächen mit Künstler*innen, Veranstalter*innen und Zuschauer*innen?

Noch lange werde ich mich an den geistig aufrüttelnden Auftritt des ugandischen Dichters Kagayi Ngobi in For my negativity erinnern. Ich danke ihm und seinem Team dafür, dass sie einen Mann mit einer wahnsinnigen und wütenden Sprache, aber einem klarem Blick auf die Bühne gebracht haben, der mit blutender Stirn Wahrheiten über das gespaltene postkoloniale Ich, über einen ruhelosen Zeugen von Verbrechen und Korruption erzählt. Der uns dies mit dem Getöse seines Auf- und Abgehens, seines Kicherns, seiner Puppen und Streichholzschachtelgeschenke entgegenschleuderte. Die Refrains seines Stücks gaben mir die Art von Nahrung, wie sie nur die Poesie geben kann, eine, auf der wir immer wieder kauen, weil ihr Geschmack die Form unseres Kiefers verändert.

Kaum klingen die Emotionen der großartigen Aufführungen, die ich gesehen habe, ab, werde ich leider wieder von der Müdigkeit des ersten Tages erfasst [1]. In meinen Ohren hinterließ das Festival viel zu sehr den Eindruck, als sehnte es sich nicht ausreichend nach dieser Zeit von neuen Metaphern und Archetypen, die die Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor in ihrer Eröffnungsrede forderte. In den unhinterfragten kuratorischen Zwischenräumen der ansonsten aufrichtigen langjährigen Beziehungen zwischen dem Festival und seinen künstlerischen Gästen spürte ich noch immer einen Universalismus, der seine Unschuld durch das Verbrechen der Kolonisierung verloren hat. Einen Universalismus, der zu schnell «Wir sind alle gleich» sagt, wie um sich peinlich berührt einer Diskussion zu entziehen, die vor den Tribunalen der Geschichte gerade erst begonnen hat.

Dies spiegelte sich in der Eröffnung des Kölner African Futures-All Around-Programms wider, bei der viele – weiße – Würdenträger*innen von Dialog und Austausch sprachen und die folgende dringende Frage aufwarfen: Was sind die Bedingungen für besagten Dialog und besagten Austausch, wenn nach Angaben der Organisator*innen der Europäischen Konferenz für Afrikastudien fünfzehn Gaststudent*innen und -professor*innen ein Visum für Deutschland verweigert wurde? So auch beim africologneFESTIVAL, wo drei Teilnehmer fehlten: Hyppolite Ntigurirwa (Künstler, Aktivist, Gründer von Be the Peace; England/Ruanda) vom Panel «Dialogforum: Recognise, restitute and repair» und die Musiker Collin Serunjogi und Mudhasi Jaffer (Uganda) vom Team von For my negativity. Ihre Abwesenheitreißt ein bodenloses Loch in die Zukunftsvisionen, die während der Veranstaltungen vorgestellt wurden.

Dieser abschließende Artikel könnte ein Aufruf zur Veränderung sein, ist es jedoch nicht, denn es steht nicht mir zu, einen solchen Aufruf auszusprechen. Vielmehr richtet er sich an alle, die aus der Ferne oder aus der Nähe an dem Festival beteiligt sind. Doch wenn einen Wandel geben soll, hier eine Anmerkung:

In For my negativity feiert eine Stimme die Unabhängigkeit Ugandas und sagt: «Lasst uns das Beste der britischen Verwaltung behalten». 1922 verabschiedet in einer anderen britischen Kolonie, in Hongkong, die Verwaltung die Emergency Regulations Ordinance: Was immer sie an Vorschriften durchsetzen will, kann nun im Handumdrehen durchgedrückt werden. Äußerst praktisch, um in einer Zeit Freiheiten zu unterdrücken, wo die Häfen der Stadt bestreikt werden. Der Erlass bleibt im Gesetz. Bei den Protesten gegen die Rede- und Versammlungsfreiheit von 1967 wird er erneut angewendet. Dann ziehen die Briten ab, aber das Gesetz bleibt bestehen. Im Jahr 2019 wird es ein weiteres Mal angewandt, diesmal gegen pro-demokratische Proteste.

Was bedeutet es, das Beste vom Schlechtesten zu behalten? Was bedeutet es, das Messer zum Kochen zu verwenden, das einst zugestochen hat? Wer entscheidet, was das Beste ist? Wer hat ein Interesse daran, aus einer früheren Zeit übernommene Interpretationen dessen aufrechtzuerhalten, was für eine kollektive Gruppe gut ist oder nicht? Das Beste, wie auch die Negativität, sind nichts Absolutes, sondern Beziehungen. Außerdem liegen in guten Absichten die Keime der Macht, die schnell wachsen, wenn Entscheidungen eine wankende gemeinsame Realität formen.

Während des Festivals habe ich einige der Künstler*innen und Teilnehmer*innen nach ihrer Sicht auf die Zukunft gefragt. Eine Antwort habe ich bereits in einem früheren Artikel [2] niedergeschrieben, zwei andere gehen mir noch immer durch den Kopf. Eine wurde mir mit ernster Miene mitgeteilt. «Wie sehen Sie die Zukunft?» fragte ich Mireille Fanon Mendès-France. «Düster. Auf dem Weg ins Chaos. Wenn wir nichts tun.» Eine andere Antwort hwurde als Frage formuliert. Sie bezog sich auf den Namen des von der Stadt Köln ins Leben gerufenen Programms, «African futures-All around«: «Steht es Deutschland zu, über Zukunftsvisionen für Afrika  zu entscheiden?» Können Zukunftsvisionen für Afrika überhaupt in Deutschland entschieden werden?

Ich möchte mit einem weiteren Zitat von Kagayi Ngobi schließen:
«Sorry
Wenn ich die Sterne
in den Himmeln unseres Optimismus durcheinanderbringe
mit unangenehmen Gefühlen»

Zu africologne, das mich gut aufgenommen hat, sage ich meinerseits: Sorry für meine Negativität, aber allzu viel von der Zukunft stirbt durch «unbenannte Absichten / eingesperrt in alte Visionen». [3]

 

[1] Eröffnung https://plateforme.de/magazin/africologne-5-marie-yan-writes-about-the-first-festival-day/
[2] Eyeland: Die Zukunft sucht nach uns. https://plateforme.de/magazin/africologne-8-mary-yans-critical-gaze-on-day-4-of-the-festival/
[3] For my negativity, Kagayi Ngobi, Kitara Nation, 2019.

 

Aus dem Englischen von Frank Weigand

Marie Yan (Foto: Yan Ho)

Marie Yan ist eine mehrsprachige Autorin und Dramaturgin. Sie schreibt auf Französisch und Englisch, spricht Deutsch, lernt Kantonesisch. Die Welten, die sie entwirft, stützen sich auf dokumentarisches Material und spekulative Fiktion. Sie hat über Grenzen (Ich muss rüber, Auftrag des Theaters Eskişehir, 2019), Verschwörungstheorien (La Théorie, Festival Impatience, Paris, 2021), die drohende Klima-Katastrophe und das Anwachsen des Autoritarismus (A Tidal Home, Hong-Kong, 2021) geschrieben. Ihr laufendes Projekt Minotaurus oder das Kind im Labyrinth, nach Dürrenmatt, beschäftigt sich mit der Inhaftierung von Minderjährigen in Frankreich in Zusammenarbeit mit Theatergruppe Lou Pantail. Für ihr erstes Stück The Fog wurde sie mit dem Mary Leishman Preis ausgezeichnet, für ihren demnächst erscheinenden Essay Hong Kong: Struggling home erhielt sie ein Grenzgänger-Stipendium. Sie arbeitet zwischen Frankreich und Deutschland.

www.marieyan.com

@_marie_yan (IG)

 

Der vorliegende Text entstand im Rahmen des Diskursprogramms «Gewalt und Widerstand» des africologneFESTIVAL 2023. Gefördert durch den Deutschen Übersetzerfonds im Rahmen des Programms Neustart Kultur der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Kunststiftung NRW.

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