africologne (8): Marie Yans kritischer Blick auf Tag 4 EYE LAND: THE FUTURE IS LOOKING FOR US

Die Autorin Josephine Papke (rechts) im Gespräch mit Moderatorin Sara Youssef (Foto: Kerstin Ortmeier)

«Die Zukunft sucht uns, ihren wunderbaren anderen Traum¹.» Yvonne Adhiambo Owuor

Der vierte Tag des Festivals steht ganz im Zeichen des Blicks, des inneren Blicks, der Augen, die Zeugnis ablegen, des Blicks, der verändert und in die Zukunft projiziert, was er iim Geiste gesehen hat.

Es beginnt mit der Vorführung von Baamum Nafi (Nafis Vater) des aufstrebenden senegalesischen Filmemachers und ehemaligen Journalisten Mamadou Dia. Die Filmpalette, wo der Film gezeigt wird, ist ein kleines Programmkino und hat vielleicht um die hundert Plätze. Eine Leinwand mit einem störenden toten Pixel in der rechten oberen Ecke. Baamum Nafi beginnt mit einer langen Großaufnahme des nackten Rückens von Tierno (Alassane Sy), der während einer ärztlichen Untersuchung tief einatmet. Die Aufmerksamkeit, die in diesem Augenblick erzeugt wird, in dem wir, wie der Arzt, versuchen, den Gesundheitszustand der Figur zu beurteilen, spiegelt die gesamte Geschichte wieder, die sich gleich entfalten wird. Eine, in der der Protagonist, der seine Sinne für die unmerklichen, besorgniserregenden Veränderungen in seinem Dorf zu schärfen versucht, bereits das Schlimmste befürchtet. Die Kamera dreht sich, und wir sehen Tierno, einen Mann Mitte 30, dessen gutaussehendes Gesicht jedoch von zwei erschöpften Augen geprägt wird.

Die Geschichte von Baamum Nafi ist zugleich eine Geschichte hingebungsvoller Liebe, die der Imam Tierno für sein Dorf Yonti und seine Tochter Nafi empfindet, wie auch eine warnende Erzählung darüber, wie religiöser Extremismus, gepaart mit der Rache eines Bruders, eine friedliche Lebensweise zerstören kann. Als Nafi (Aicha Talla) verkündet, dass sie ihren Cousin Tokara (Alassane Ndoye), den Sohn von Tiernos älterem, zerstrittenem Bruder Ousmane (Saikou Lô) heiraten will, gerät Tierno in eine Zwickmühle. Ousmane, der nach jahrelanger Abwesenheit zurückkehrt, ist entschlossen, die Herrschaft über das Dorf zu übernehmen und dafür seine Verbindungen zu wohlhabenden und bewaffneten religiösen Extremisten zu nutzen. Die Heirat ist von Anfang an ein Mittel, um die Autorität zu untergraben, die sein engagierter Bruder als Imam des Dorfes besitzt. Die einfühlsame Analyse der verstrickten Machtverhältnisse auf allen Ebenen, von Familienangelegenheiten bis hin zu lokalen politischen Fehden, lenkt die Aufmerksamkeit am Ende auf eine Zukunft, die es zu vermeiden gilt: «Senegal hat starke Institutionen und ist ein äußerst tolerantes Land, was die Religion angeht. (…) Aber ich wollte die Debatte anregen. Religiöser Extremismus sollte in jedem Land der Welt ein Thema sein.»²

Die Schönheit und Stärke des Films liegt in seinem ruhigen Rhythmus, der den dörflichen Alltag widerspiegelt. Lange, aufmerksame Einstellungen betrachten das voranschreitende Drama beinahe wie aus der Ferne. Ich bin zu einem ständigen Innehalten aufgefordert, um voll und ganz zu begreifen, was in jeder Szene auf dem Spiel steht. Hin und wieder scheint ein Spiel mit Formalismen auf – die Nahaufnahmen von Händen, die Geld entweder ablehnen oder annehmen, das Ousmane anbietet, um die Gemeinschaft vor sich zu gewinnen, erinnert mich einen Augenblick lang an die Hände in Robert Bressons Pickpocket. Und immer wieder Tiernos Augen, deren melancholischer, schmerzvoller Ausdruck sich den ganzen Film hindurch kaum verändert, und in krassem Gegensatz zu der Energie steht, die er aufwendet, um das Unvermeidliche abzuwenden.  Eine Lektion über das Verhältnis zwischen dem, was wir sehen und was wir in Bewegung setzen, die ich mitnehme, als das Festival weitergeht, um nach Perspektiven für die Zukunft zu suchen. Tiernos Blick folgt mir, als ich den Raum betrete, in dem die Lesung von Josephine Papkes  Vom Begehren, begehrt zu werden stattfindet.

Dort, in der kellerartigen Spielstätte des Stadtgartens, lauscht ein kleines Publikum Mayas (Sophia Hankings-Evans) Ringen mit Begehren und Angst in den Anfängen ihrer Beziehung zu Akuya (Sabrina Ceesay). Shari Asha Crossons Einrichtung holt soviel Ausdruck und Rhythmus aus der Strichfassung des Stückes heraus, wie es nur möglich ist. Mit intelligentem Witz und Energie greift sie ein heikles Thema für BIPOC und queere Menschen auf: «Wie viel Gewalt verinnerliche ich?» Stück für Stück, Moment um Moment, nimmt der Text in einer mitfühlenden doch beinahe chirurgischen Art und Weise all die Augenblicke auseinander, in denen die Schwarze, queere Maya ins Wanken gerät. Wie sie sich ihrem eigenen Begehren und ihrer Zuneigung zu Akuya immer mehr annähert, und dabei all die heimtückischen Mechanismen aufdeckt, die sie daran hindern, sie selbst zu sein, da sie vom weißen Blick geprägt ist und sich seinen täglichen Aggressionen stellen muss. Und die sie auch daran hindern, mit jemandem zusammen zu sein. «Ich bin ein bisschen nervös, du bist so schön.»

Dem Stück zuzuhören bedeutet, Maya bei einem Drahtseilakt zuzusehen, die einerseits die Verheißungen einer erfüllenden Liebe sieht, andererseits von einer Spannung zurückgehalten wird, die jeden Fehltritt verbietet: «Wo gibt es Raum für Leichtigkeit?», fragt sie. Vielleicht in einer zaghaft tastenden Liebeserklärung: «Ich glaube, ich fühle es.»

Zurück in der Realität der africologne-Veranstaltung fällt die Antwort auf ihre Frage jedoch bitter aus. Während des Nachgesprächs zweifelt eine weiße Zuschauerin laut die Einzigartigkeit der Erfahrung einer Schwarzen queeren femme an. Geduldig wird sie von einer Zuschauerin, der Moderatorin Sarah Youssef und der Autorin selbst zurechtgewiesen. Diese rüde und rassistische Unterbrechung wirft die Frage auf: Hat sich das Festival ausreichend für die Schaffung sicherer Räume für Schwarze Künstler*innen eingesetzt, in denen sie sich ausdrücken können? Dies könnte ein Zeichen für die Organisator*innen sein, in sich zu gehen und damit zu beginnen, engere Verbindungen zu den Schwarzen und afro-deutschen Communities in Köln und ihren Bedürfnissen aufzubauen. Den kuratorischen Rahmen des Festivals – Name ändern! – gründlich zu überdenken, denn: Wie passt die Einladung einer Schwarzen, afrodeutschen Autorin zu dem vom afroTopia Verein e.V. selbst formulierten Bestreben, «zeitgenössische Kunst aus Afrika zu exportieren» ? Mit dem unhinterfragten Rassismus, der hinter der Entscheidung aufscheint, afrikanische Erfahrungen mit denen von in Deutschland geborenen und aufgewachsenen afrodiasporischen Stimmen gleichzusetzen, und dabei alle Fragen nach den Dynamiken von race zu vermeiden, wurde ein äußerst gefährlicher Weg eingeschlagen. Und dies zu einem Zeitpunkt, an dem das Festival durch die von Kulturstaatsministerin Claudia Roth angekündigte Aufstockung der Mittel durch den Bund größere Aufmerksamkeit erhalten soll.

Als ich Josephine Papke frage, wie die Zukunft aussieht, antwortet sie: «Sehr queer. Queere Menschen bringen vieles durcheinander, was selbstverständlich ist, und schaffen Räume und Möglichkeiten für alle. (…) Was wir hier machen, ist wichtig.» Also, africologne, «die Zukunft sucht euch»: Unterstützt diese wichtige Vision, schafft Raum für ein scharfsinniges Autorinnen-Regisseurinnen-Duo in euren Programm- und Budget-Gremien, um eure Haltung klarer herauszuarbeiten. Oder setzt euch für die Schaffung eines separaten, unabhängigen Geschwisterfestivals für den gegenseitigen Austausch ein. Macht aus Vom Begehren, begehrt zu werden eine vollwertige Produktion. Fragt euch, was die Communities, die ihr zu dieser Lesung eingeladen habt, wollen und brauchen, und unterstützt sie mit der gleichen Entschlossenheit, mit der ihr Künstler*innen auf dem afrikanischen Kontinent unterstützt.

Die belgisch-kongolesische Sängerin und Tänzerin Reinel Bakole (Foto: Zoe-Que)

Dieser Artikel wäre nicht vollständig ohne die Erklärung, warum sein Titel «Eye Land» lautet: Ein Song von Reinel Bakole, mit deren Konzert der Tag endete: «Eye should be keeping faith / I don’t wanna reminisce / Eye don’t wanna blame». Ein Appell an die Sanftheit des Blicks, die jede*r für sich selbst verdient, getragen von einer nur scheinbar einfachen Melodie, die die belgisch-kongolesische Singer-Songwriterin und Tänzerin mit Musikern in Kinshasa komponiert hat. Sie zeigt, wohin sich ihre eigenen Augen wenden, und verweist auf die historische Grammatik ihrer Kunst³. Der Abend klingt mit der flüchtigen Musik aus.

 

 

1 Eröffnungsrede des Programms African Futures All Around, 1. Juni 2023, Schauspielhaus Depot, Köln.

2 «Filmmaker profile: Mamadou Dia», Daan Schneider, International Film Festival Rotterdam Website, 23rd July 2019.  https://iffr.com/en/blog/filmmaker-profile-mamadou-dia

3 Was sie in einem Facebook-Post am 21. Juni 2023 weiter ausführt: «Es ist eine unbeschreibliche Ehre, dass ich ausgewählt wurde, um die Zeremonie der Rückführung des ehrenwerten Patrice Emery Lumumba abzuschließen. Das ist etwas für die Geschichts. Deshalb mache ich Kunst, deshalb bringe ich euch allen meine Vision näher. Um gemeinsam zu graben und die Wahrheiten zu finden, die uns alle von den Scheußlichkeiten befreien, die wir inszenieren können, wenn wir weit weg von uns selbst und anderen sind.»

 

Aus dem Englischen von Frank Weigand

Marie Yan (c) Yan Ho

Marie Yan ist eine mehrsprachige Autorin und Dramaturgin. Sie schreibt auf Französisch und Englisch, spricht Deutsch, lernt Kantonesisch. Die Welten, die sie entwirft, stützen sich auf dokumentarisches Material und spekulative Fiktion. Sie hat über Grenzen (Ich muss rüber, Auftrag des Theaters Eskişehir, 2019), Verschwörungstheorien (La Théorie, Festival Impatience, Paris, 2021), die drohende Klima-Katastrophe und das Anwachsen des Autoritarismus (A Tidal Home, Hong-Kong, 2021) geschrieben. Ihr laufendes Projekt Minotaurus oder das Kind im Labyrinth, nach Dürrenmatt, beschäftigt sich mit der Inhaftierung von Minderjährigen in Frankreich in Zusammenarbeit mit Theatergruppe Lou Pantail. Sie hat den Mary Leishman Preis für ihr erstes Stück The Fog und das Grenzgänger-Stipendium für ihren demnächst erscheinenden Essay Hong Kong: Struggling home bekommen. Sie arbeitet zwischen Frankreich und Deutschland.

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