Es ist bereits 21:30 Uhr, als eine neue Diskussion zum selben Thema wie die erste dieses Tages beginnt, diesmal mit den eingeladenen Künstler*innen des Festivals: Valentine Cohen, Kagayi Ngobi, Odile Sankara und Aristide Tarnagda. In einer zweisprachigen Gesprächsanordnung zwischen Französisch und Englisch, begleitet von der Übersetzerin Annette Bühler-Dietrich, folgen die Beiträge aufeinander, und jede*r Teilnehmer*in beantwortet die Fragen des Moderators Frank Weigand zu ihrer*seiner künstlerischen Ethik im Umgang mit Gewalt.
Aristide Tarnagda berichtet, wie wichtig es für ihn war, einen Text zu finden, der bereits eine Distanz zum plötzlichen Gewaltausbruch in Burkina Faso hatte, die ihm selbst nicht möglich war. Anknüpfend an einen der Monologe in Terre Ceinte, in dem die Unberechenbarkeit des Volkes thematisiert wird, beantwortet er die Frage nach dem tatsächlichen Einfluss des Theaters auf die Möglichkeiten von Widerstand wie folgt: «Es ist die ganze Komplexität einer Kunst, die das Geschehen um sich herum aufsaugt. Wenn die Revolution zwanzig Jahre später kommt, wissen wir nicht, was in den Herzen, in den Seelen der Menschen passiert, die einen Theatermoment mit uns geteilt haben.»
Odile Sankara beschreibt im Anschluss daran, wie vielfältig Gewalt ist und wie die Kunst weniger offensichtliche Erscheinungsformen zum Ausdruck bringen kann: «Die Gewalt, die in Terre Ceinte angesprochen wird, ist das, was wir derzeit erleben. Es ist die Radikalität, die diese terroristische Gewalt hervorbringt. Aber ich glaube, dass es andere Formen der Gewalt gibt, die im Gedächtnis der Menschheit nicht sichtbar sind und die besonders Frauen erleben. […] Frauen sind viel häufiger Überlebende. Sie fliehen mit den Kindern und stehen am Ende mit nichts da. Jedes Mal, wenn ich die Bühne betrete, erinnere ich mich daran, dass sie da draußen in der Stille sind und leiden. Ich trage die Summe von Millionen von Frauen in mir und genau das gibt mir diese Energie».
Der ugandische Dichter und Performer Kagayi Ngobi, der unter der ständigen Gefahr arbeitet, inhaftiert zu werden: «Die Geschichte ist wichtiger als der Geschichtenerzähler. Meine Sicherheit ist nicht so wichtig wie meine Stimme. […] Ich denke, die schlimmste Gewalt, die ein Geschichtenerzähler seiner Gesellschaft zufügen kann, besteht darin, seine eigene Geschichte zu verschweigen.»
Ein Gedanke, den die französische Regisseurin Valentine Cohen aufgreift, als sie ihrerseits bekräftigt: «Meine Verantwortung ist viel größer als ich.»
«Gewalt und Widerstand». Von der Erfahrung des ersten Begriffes zum zweiten scheint dieser Tag zu dem Schluss zu kommen, dass die Wege uneben und voller Hindernisse sind. Dass es keine Helden oder Heldinnen gibt, sondern lediglich Entscheidungen, die in den Winkeln des Gewissens getroffen werden, manchmal Zufallsbegegnungen, paradoxe Veränderungen, schwieriges, aber lebenswichtiges Teilen. Was die Gewalt betrifft, so haben wir gesehen, dass sie den Raum verbrennt, in dem sie erzählt wird, und der Raum, der sie aufnimmt, trägt die große Verantwortung, ihr weder zu dienen noch sie zu verbergen.
Aus dem Französischen von Frank Weigand
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