Mit Nora Haakh, die über Übertragungen aus dem Arabischen ins Deutsche im Kontext von zeitgenössischem Theater promoviert hat und Christopher-Fares Köhler, der neben seiner Tätigkeit als Dramaturg aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt, war das erste Gespräch zugleich auch eine Expert*innenrunde über postmigrantische Theaterprojekte und arabische Kontexte. Eine Sprache, die, obgleich eine der meistgesprochenen der Welt, nach wie vor im deutschsprachigen Raum als «kleine» Sprache gilt, da immer noch wenig aus ihr übersetzt wird (paradoxerweise in einer Zeit, in der sich Berlin zu einem Zentrum arabischer Literaturproduktion entwickelt). Haakh gibt an, sie selbst könne erst nach ca. 15 Jahren intensiver Beschäftigung mit der Sprache beurteilen, ob eine Übersetzung aus dem Arabischen gelungen sei oder nicht, geschweige denn selbst solche Übersetzungen anfertigen – und spricht damit einen wichtigen Punkt an: für die kulturelle Transferleistung des Übersetzens braucht es als Akteur*innen nicht nur die Übersetzenden selbst, sondern auch eine Infrastruktur, zu der Lektor*innen, Herausgeber*innen, Verlage, Theater, kurz: Institutionen mit hinreichend kultureller Kompetenz für Ausgangssprache und -kultur gehören. Haakh lenkt den Blick darauf, dass Texte immer auch Teil von Geflechten sind, dass ein Kanon anderer Texte sie umgibt, zu dem sie sich positionieren, in einem Verhältnis stehen – und dass ein Wissen über den ursprünglichen Kanon, in dem ein Text, ein Theaterstück, in seiner Ausgangssprache steht, unabdingbar ist, um Bedeutungen über Sprachen hinweg in Beziehung setzen zu können. Insbesondere für das Arabische gebe es in Deutschland diesbezüglich «noch viel Luft nach oben». Das, sei als Ergänzung hinzugefügt, hat nach wie vor auch mit der Besetzung von Dramaturgien an Stadttheatern zu tun, über die zwar seit mindestens einem Jahrzehnt rege debattiert wird, die aber trotz allem häufig nach wie vor in erster Linie weiß, bildungsbürgerlich und überwiegend deutsch aufgestellt sind. Diese und andere Gatekeeper-Funktionen, die Dramaturg*innen und Übersetzer*innen im Betrieb einnehmen, kommen im Laufe des Gesprächs immer wieder zur Sprache, verbunden mit dem Appell, sich diese Funktion bewusst zu machen, die eigene Macht, die eigenen Möglichkeiten, die eigenen Privilegien zu reflektieren, um sie bewusst einsetzen zu können – auch und gerade für am Theater unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen.
Doch zunächst dreht sich das Gespräch um die im Titel der Veranstaltung angesprochenen Schnittstellen: Dass Dramaturgie eine Form des Übersetzens ist (und umgekehrt), darüber sind sich schnell alle Gesprächsteilnehmenden einig: die strukturellen Ähnlichkeiten der unzähligen Vermittlungsaufgaben, die Dramaturg*innen im Theateralltag erfüllen – sei es intern, also zwischen Ensemble, Regie und Intendanz, oder extern, zum Publikum hin – fallen sofort ins Auge. Dramaturg*innen übersetzen künstlerische Visionen im Hinblick auf unterschiedliche Rezeptionshorizonte; sie sind an zahllosen künstlerischen Entscheidungsprozessen beteiligt, die dem Wesen nach denen entsprechen, die auch das Alltagsgeschäft der Übersetzenden prägen.
Nora Haakh bringt dazu eine interessante Beobachtung mit ins Spiel: Sie vergleicht dramaturgische und übersetzerische Tätigkeiten mit sogenannter Care-Arbeit: tragen, nähren, schützen, pflegen, anderen zuarbeiten, für andere da sein, Puffer sein, Konflikte entschärfen, Streit schlichten, immer zwischen allen Stühlen sitzen, Sorge tragen – eben «sich kümmern». Ein Vergleich, der zunächst verblüfft, aber dann sofort einleuchtet: Sowohl übersetzerische als auch dramaturgische Tätigkeiten bleiben oft unsichtbar, (obgleich sie große Kompetenzen auf vielen Gebieten voraussetzen und einen hohen mental load [Belastung durch das Organisieren von Alltagsaufgaben, Anm. d. Red.] mit sich bringen) – und werden daher, gerade im Vorfeld, auch gerne mal schnell übersehen, z. B. bei der Planung von Produktionsprozessen. Beide Tätigkeiten sind häufig unter- oder gar unbezahlt und erfahren nur wenig Wertschätzung. Überdurchschnittlich finden sich, im Vergleich zu anderen Theaterberufen etwa oder zur Anzahl von männlichen Autoren, Frauen in diesen Berufen. Ausgehend von diesem Vergleich zieht sich das Stichwort «Care» von nun an beinahe wie ein roter Faden durch beide Gespräche, bis hin zu den Breakout-Sessions, schnell geht es auch um Self-Care, um Ausbeutung, Arbeitsverhältnisse, die Notwendigkeit, Grenzen zu ziehen.
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