Wie wirkte die sprachliche Setzung des Stücks im ersten Leseerlebnis auf die Spieler:innen?
Etheridge: Für die Spieler:innen war der Text eine Herausforderung, dem man sich erst mal annähern musste. Durch seine ständigen Wiederholungen und Schlaufen ist es weder ein leicht zu lernender noch leicht zu spielender Text, mit dem man auch sehr genau umgehen musste. Denn der Autor spielt mit kleinsten Verschiebungen und Variationen der Worte, die jedoch klar und bedachtet gesetzt sind.
Egloff: Beim ersten gemeinsamen Lesen waren meiner Erinnerung nach einige Fragezeichen im Raum, zum einen bezüglich des Umgangs mit den zahlreichen Wiederholungen, zum anderen, wie wir uns den beschriebenen Gewalttaten nähern können. Ich würde sagen, der Text hat für faszinierte Überforderung gesorgt.
Hatten Sie während der Arbeit am Text Kontakt zu Hakim Bah?
Etheridge: Ich habe mich mit Hakim Bah schriftlich per E-Mail ausgetauscht und so auch ein Interview mit ihm für das Programmheft gemacht. Darin erklärt er seine Beweggründe, die in veranlasst haben, das Stück zu schreiben und auch, dass er wie wir der Meinung ist, dass wir es mit einem weltweiten strukturellen Problem zu tun haben, das aus Jahrhunderten der männlichen Dominanz stammt und das nicht auf Guinea zu beschränken ist.
In der Kritik von Jens Fischer wurden die Figuren als «Menschenpuppen mit popanzigen Anwandlungen» umschrieben – trifft das den Kern Ihres gesetzten inhaltlichen Schwerpunkts?
Etheridge: Es beschreibt die äußere Form des Stückes und der Inszenierung. Hakim Bah hat sich entschieden, eine absurde Horrorgeschichte im Stil des französischen Grand Guignol zu verfassen. Grand Guignol bedeutet im französischen «großes Kasperle» und ist eine Gattungsbezeichnung für grotesk-triviale Grusel- und Horrorstücke, die im 18. Jahrhundert entstanden. «Guignol» ist dabei das Gegenstück zu unserer Kasperlefigur. Diese Form hat er gewählt, um den Schrecken abzuwehren und ihn uns so näherzubringen. Aber auch wenn er seine Figuren karikiert, bricht er immer wieder damit und das Ausmaß der Gewalt wird deutlich.
Egloff: Nein. Es geht um (spiel-)ästhetische Überhöhung, damit die universelle Wucht, das beängstigende Ausmaß der Grenzüberschreitungen spürbar werden können. Und zwar in ihrer Grundsätzlichkeit. Es war mir sehr schnell klar, dass ich auf den Text und die inhaltlichen Gewichte, die verhandelt werden, mit Überdrehung und Abstraktion antworten möchte. Nur so ist der schräge Humor, der sich im Stück ja auch noch wiederfindet, und der bedrohlich nah neben den menschlichen Abgründen steht, überhaupt auszuhalten.
Wie diskutierten Sie die Problematik des Stücks, dass ein männlicher Autor sexualisierte Gewalt an Frauen explizit beschreibt, und diese Texte dann auch von einem nichtweiblichen Übersetzer ins Deutsche übertragen und schließlich von einem nichtweiblichen Regisseur auf die Bühne gebracht wurden?
Etheridge: Aus dieser Perspektive wird dem Autor, dem Übersetzer und dem Regisseur die alleinige Entscheidungsgewalt zugeschrieben. Damit wird die Präsenz des restlichen Teams innerhalb der künstlerischen Arbeit, die der Ausstatterin, der Regieassistentin, der Spielerinnen und mir der Dramaturgin nicht wahrgenommen. Tatsächlich aber waren am Produktionsprozess neun Frauen und zwei Männer beteiligt.
Egloff: Ich denke, es lohnt ein genauerer Blick auf das Stück. Es erzählt vor allem über toxische Männlichkeit, über Macht-Exzesse, die sich in sexualisierter Gewalt gegen Frauen entladen, also über Mechanismen, die jahrhundertelang eingeübt wurden und die es strukturell zu überwinden gilt. An dieser Aufgabe sollten sich alle beteiligen! Wir haben diese Frage gleich zu Beginn des Probenprozesses offensiv zum Thema gemacht. Ich habe mich das ganz zu Beginn der Arbeit schon gefragt: Kann ich dazu etwas sagen? Darf ich dazu etwas sagen? Wenn Menschen es kategorisch ablehnen, dass sich Männer mit diesen Themenkomplexen künstlerisch beschäftigen, ist die Frage bereits beantwortet. Dann muss man das akzeptieren, aber dann wird die Diskussion auch schmaler geführt – wie gesagt, ich denke, es sollten sich alle beteiligen können, die Verhältnisse zu verbessern, Missstände aufzuzeigen, neue Entwürfe zu suchen. Dies muss so oder so mit großer Sensibilität passieren. Wir waren in unserem Team neun Frauen und zwei Männer und haben uns viel Raum für Gespräche und unsere Positionen gegeben. So konnte Vertrauen untereinander und in unser Vorhaben entstehen, das Allerwichtigste.
Noch keine Kommentare / Diskutieren Sie mit!
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare. Da wir die Diskussionen moderieren, kann es sein, dass Kommentare nicht sofort erscheinen. Mehr zu den Diskussionsregeln erfahren Sie hier.