Stefanie Gerhold im Interview «Ein guter Theatertext soll herausfordern»

Die Übersetzerin Stefanie Gerhold (Foto: Michaela Krause)

Normalerweise liegt unser Schwerpunkt bei PLATEFORME auf dem deutsch- und französischsprachigen Kontext. Aus aktuellem Anlass machen wir zwei Ausnahmen. Vom 17. bis 19. November präsentiert das Mannheimer Theaterhaus G7 im Rahmen des Festivals «Stück für Stück» in Kooperation mit dem Theaterübersetzungsnetzwerk EURODRAM auch zwei Übersetzungen der Spanisch-Übersetzerinnen Franziska Muche und Stefanie Gerhold. Beim DramatikerInnenfestival im Juni in Graz gaben die beiden im Gespräch mit ihrer Kollegin Lorena Pircher interessante Einblicke in ihre spezifische Praxis. In Absprache mit den Kolleg*innen von EURODRAM präsentieren wir heute das Interview mit Stefanie Gerhold über Schlüsselerlebnisse bei der Berufswahl, die spezifische Offenheit von Theatertexten, unterschiedliche Arbeitsphasen und die Notwendigkeit, die eigene Muttersprache wirklich zu beherrschen – und nicht zuletzt auch über ihre Übertragung von «Himmelweg» von Juan Mayorga.

 

 

 

Lorena: Liebe Stefanie, ich bedanke mich sehr bei dir für deine Zeit und dass wir dieses Interview führen können! Gerne wollte ich fragen, ob du mir ein bisschen von deiner künstlerischen Laufbahn erzählen möchtest und wie du zum Übersetzen von Theaterstücken gekommen bist?

 

Ja, gerne. Ich habe romanische Philologie studiert und im Anschluss einige Jahre große Prosawerke übersetzt. In Berlin, wo ich lebe, gibt es sehr gute Fortbildungsveranstaltungen für Literaturübersetzer:innen wie beispielsweise die Berliner Übersetzerwerkstatt. Dort finden jedes Jahr Übersetzende aus unterschiedlichen Sprachen zusammen, und man bekommt Mentorinnen und Mentoren zugewiesen, um ein Projekt zu erarbeiten. Auch ich habe daran teilgenommen, und in meinem Fall hat ein Kollege aus dem Englischen ein Theaterstück von Oscar Wilde übersetzt und er hatte als Mentor Frank Günther, der leider vor Kurzem verstorben ist. Ich werde nie vergessen, wie dieser großartige Shakespeare-Übersetzer zu uns in die Übersetzer-Werkstatt kam. Er hat den ganzen Raum bespielt mit seinem Vortrag über das Theater-Übersetzen. Und in seiner Leidenschaft, seiner fast körperlichen Art, den Text zu durchleben, da dachte ich nur: Das will ich auch machen. Das war wirklich ein Schlüsselmoment. Ich hatte dann recht bald das Glück, dass ich ein Stück übersetzt habe, das auf den deutschsprachigen Bühnen sehr erfolgreich war, Die Grönholm-Methode von Jordi Galceran, einem katalanischen Dramatiker, der aber auch auf Spanisch schreibt.

Es gab an die 50 Inszenierungen, also ein richtiger Erfolg, genau das, wovon Übersetzende immer träumen. Und ich habe dabei sehr viel gelernt, denn ich habe mir unterschiedliche Übersetzungs-Inszenierungen angeschaut, bei Weitem nicht alle, aber trotzdem habe ich ein Gespür dafür bekommen, wie unterschiedlich der Umgang, die Inszenierung mit einem dramatischen Text sein können.

 

Dieses Offene, also das, wie viel Spielraum ein Text lässt für die Inszenierung bzw. das, was einen guten Theatertext ausmacht, dass er eben Spielraum lässt, das führt mich zu einer nächsten Frage: Welche Besonderheiten bringen dramatische Texte mit sich, eben auch in der Übersetzung und eben dann auch in diesem offenen Raum für die Umsetzung?

 

Das ist eine gute Frage. Denn diese spezifische Offenheit macht meiner Meinung nach den Theatertext erst aus. Es ist ja so: Im Vergleich zu einem Prosatext, wie einem Roman oder einem Essay, stellt er noch nicht das endgültige Kunstwerk dar, denn das entsteht erst, sobald der Text auf einer Bühne von Schauspielerinnen und Schauspielerin zum Leben erweckt wird. Auch wenn dieser Unterschied erst mal rein praktischer Natur ist, wirkt sich das auch sehr aus auf die Art, wie der Text überhaupt gemacht oder gestaltet ist. Das gilt für den Originaltext und aber eben in der Konsequenz auch für die Übersetzung. Theatertexte stellen letztlich Angebote dar. Sie sollen anregen, Fragen zu stellen, ein guter Theatertext soll herausfordern, insbesondere diejenigen, die sie umsetzen und sich selbst einbringen.

Den Theatertexten liegt also eine ihnen eigene spezifische Offenheit inne, würde ich sagen, und die Herausforderung und aber auch das Spannende, wenn man Theatertexte übersetzt, also in eine andere Sprachwelt überträgt, besteht darin, dass man ihre Offenheit bewahrt, dass man die Texte nicht enger macht, als sie im Original sind. Und das klingt einfacher als es ist, glaube ich.

 

Genau, weil Sprachen unterschiedlich funktionieren, sie gehorchen nicht denselben Gesetzen.

 

So ist es, man kann sie nicht eins zu eins übertragen. Es gibt selten so ein direktes Äquivalent und hinzukommt, dass das jeweilige kulturelle Umfeld auch anders ist. Das heißt, die Art und Weise, wie Redewendungen verstanden werden, vor welchem kulturellen und sprachlichen Hintergrund sie verstanden werden, auch das unterscheidet sich, also nicht nur die Textoberfläche, sondern wie Menschen sprechen und was mit den jeweiligen Sprachbildern zum Beispiel an kultureller Identität transportiert wird.

 

Sehr interessant! Gehst du so vor, dass du diese Sprachbilder und Assoziationen festhältst, während du übersetzt? Gehst du auch von dem Gefühl aus, das dir der Text vermittelt, bzw. wie würdest du deine Stufen der Übersetzung oder deine Vorgehensweise beschreiben?

 

Es ist tatsächlich so, dass, wenn ich ein Stück zum ersten Mal lese, bevor ich es übersetze, dass ich mir sofort Notizen mache, dass ich mit dem Bleistift lese und mir Notizen mache, denn es gibt so etwas wie das, was du gerade ansprichst, es gibt so spontane Eingebungen und Assoziationen, die einem einfallen, wenn man noch völlig unverstellt auf den Text blickt, also noch nicht über ihn aktiv nachgedacht und reflektiert hat.

Diese frischen Ideen, die notiere ich mir mit Bleistift ins Original und ich bin oftmals, wenn ich dann später beim richtigen Übersetzen an der Stelle angelangt bin, sehr glücklich darüber, denn oft sind diese ersten Eingebungen so richtige Treffer, nicht  immer natürlich und es ist auch nicht so, dass ich diese Ideen kontinuierlich habe. Es sind vielleicht aber genau an so Schlüsselstellen irgendwelche passenden Ideen, wenn z.B. ein Witz vorkommt, der in den beiden Sprachen anders funktioniert oder ein Sprachbild, das nicht ganz rund ist, oder eben sowas Doppelbödiges, also, das ist etwas was mich in Theatertexten ja überhaupt sehr interessiert, Worte, Formulierungen, die diese Doppelkodierungen mit sich bringen, wenn die Dinge flirren und man sie so oder so wenden oder verstehen kann. Also, die Komplexität der Kommunikation, die im Gespräch, wie wir reden, immer da ist, aber eben auch schon in der Sprache angelegt ist.

 

Wenn du übersetzt, stellst du oft Rückfragen oder arbeitest du eher selbstständig bis zum Ende?

 

Ich arbeite tatsächlich erstmal selbstständig, weil ich mir sage, dem Publikum des Originaltextes hilft auch kein Mensch. Der Text muss sich selbst erklären, und ich finde alle Antworten auf meine Fragen im Text. Da bin ich vielleicht ein bisschen radikal, was aber nicht heißt, dass ich nicht dennoch mit den Autoren oder Autorinnen in Verbindung stehe und ihnen Fragen stelle, wenn ich mir in meinem eigenen Sprachgefühl unsicher bin, wenn ich mir einfach selbst nicht traue, weil eben Spanisch nicht meine Muttersprache ist. Es kommt schon vor, dass man große Dinge vermutet, wenn man was nicht so richtig versteht, und irgendwo ein extravagantes Sprachbild sieht, und in Wahrheit ist es ganz einfach und man kennt nur eine in der anderen Sprache gängige Metapher oder Wortkombination nicht.

Da bin ich dann schon auch froh und dankbar, wenn die Autor:innen auskunftsfreudig sind, sind sie eigentlich immer, und helfen können, aber ich bleibe dennoch dabei, dass ich es sehr wichtig finde, diesen Zweikampf mit dem Text erst einmal allein zu führen, und zwar, weil man besser nachdenkt, als wenn man einfach schnelle Abhilfe sucht. Und ich mache auch die Erfahrung, dass die eigentliche Herausforderung doch in der Durchdringung der Möglichkeiten der eigenen Sprache, der Muttersprache, also der Zielsprache einer Übersetzung, liegt. Das, würde ich immer sagen, ist das Schwierigere, und die große Kunst guter literarischer Übersetzungen besteht darin, das auszukosten, was die eigene Sprache kann. Dazu gehört auch, dass man sich traut, sich manchmal ein bisschen zu entfernen. Wir sprachen ja über die verschiedenen Schritte. Es gibt in meinem Fall eine Zwischenphase, in der ich mich mitunter recht weit vom Original entferne, wenn ich wirklich versuche zu überlegen, wie würde ich als Autorin das in meiner Sprache ausdrücken. Welche Sätze, welche Worte würde ich dafür finden können?

Und dann kommt aber ein dritter Arbeitsschritt, der, in dem ich mir das Original wieder heranziehe, das ich dann zwischenzeitlich auch manchmal weglege und nur den Zieltext wirken lasse und ihn reicher mache …

 

 … Dimensionen gebe.

 

Genau. Und dann gehe ich nochmal zurück zum Original, und oft passieren dann noch mal erstaunliche Dinge, manchmal gehe ich dann wieder ganz nah ans Original, und denke mir, das ist es schon.

Also oft traut man sich zuerst noch nicht, eine Formulierung so zu lassen, und irgendwie brauche ich dann diesen Zwischenschritt, um dann zu sagen, ja, so wie ich es ursprünglich schreiben wollte, so passt es.

Auch, wenn eine Stelle ein bisschen komisch klingt oder auf den ersten Blick nicht gefällig oder ein bisschen undeutlich oder ein bisschen sperrig, ich erkenne dann, das verträgt der Text und das traue ich mich und das mache ich.

So habe ich auch bei Himmelweg von Juan Mayorga gearbeitet, einem Text, der mich sehr berührt hat. Bei der Übersetzung war sehr viel Feingefühl, sehr viel Empathie gefragt. Dieser Text hat sehr lange nachgehallt, er ist sehr tief gegangen. An diesem Stück habe ich sehr viel gearbeitet, und es war eine ganz besondere Arbeit, denn dieser Text spricht in seinem spanischsprachigen Original über deutsche Geschichte, über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust und benutzt dabei Vokabular, das eigentlich vom Deutschen ins Spanische übersetzt worden ist. Es ist eine Terminologie, die es erst seit dem Zweiten Weltkrieg gibt, und ich führe diese Worte, die aus dem Deutschen stammen und für die spanische Entsprechungen gefunden wurden, wieder ins Deutsche «zurück». Daher war das eine besonders interessante, herausfordernde und berührende Arbeit.

Das Interview führte Lorena Pircher, Deutschsprachiges Komitee Eurodram, in Graz am 24. Juni 2023 anlässlich der Vorstellung der Stücke der Auswahl 2023 im Rahmen des DramatikerInnenfestivals.

 

Die szenische Lesung von Juan Mayorgas «Himmelweg» in Stefanie Gerholds Übersetzung findet am 19.11. um 15 Uhr im Theaterhaus G7 in Mannheim statt.

Informationen über das gesamte Festival «Stück für Stück» hier.

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Die Übersetzerin Stefanie Gerhold (Foto: Michaela Krause)

Stefanie Gerhold, geboren 1967, ist Schriftstellerin und Literaturübersetzerin. Sie hat in München romanische Philologie studiert und übersetzte zunächst Prosawerke, unter anderem von Max Aub und Elsa Osorio, bevor sie sich dem Übersetzen von dramatischen Texten widmete. 2023 bekam sie für ihre Übertragung des Stücks Himmelweg von Juan Mayorga den Eurodram-Preis. Sie schreibt Essays zu interkulturellen Themen, und im Februar 2024 erscheint im Verlag Galiani ihr Roman Das Lächeln der Königin. Sie lebt in Berlin.

Lorena Pircher
* 1994 in Südtirol, Italien. Studierte Vergleichende Literaturwissenschaften, Englisch und Französisch in Wien und Frankreich, Ausbildung zur Buchhändlerin. Veröffentlichung eines Gedichtbandes, mehrerer Erzählungen und einiger Gedichte in Literaturzeitschriften und Anthologien. Sie übersetzt aus dem Italienischen und Französischen und schreibt Lyrik und Kurzprosa.

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