Wie überlebe ich dann?
Mit der Zeit, mit etwas Geschick und mit Beziehungen findet man heraus, wo es Übersetzungsförderungen gibt, Stipendien, Preise. Das hilft und bringt neben der finanziellen Unterstützung auch das gute Gefühl, dass die eigene Arbeit wichtig ist und von Interesse. Förderungswürdig. Ich lebe aber auf dem Land. Ab vom Schuss. Nicht im Getümmel der Bundes-, nicht einmal in der Landeshauptstadt. Das macht das mit den Beziehungen schwierig. Das Dranbleiben. Das Im-Gespräch-Bleiben. Das Netzwerken.
Stücke zu übersetzen ist nicht mein Hauptberuf. In meiner E-Mail-Signatur steht «Dramaturgie – Lektorat – Übersetzung – Presse». Das mache ich alles. Als Tanzdramaturgin arbeite ich seit über zwanzig Jahren für die editta braun company. Als Schauspieldramaturgin habe ich Stückefestivals für das Münchener Teamtheater organisiert: Lesungen neuer Stücke aus Québec, Brasilien, China, Indien in deutscher Übersetzung. Sie hatten immer auch die Übersetzer*innen im Blick und führten nicht selten zu Begegnungen zwischen den Autor*innen und ihren Übersetzer*innen. Jahrelang hatte ich mit großer Freude einen Lehrauftrag an der LMU, Studiengang literarisches Übersetzen: «Übersetzen von Dialogen – französisch». Ich lektoriere Stücke und korrigiere Programmhefte. Ich habe Untertitel für französische Dokumentarfilme übersetzt. Freie Pressearbeit mache ich seit der Schulzeit schon immer, nebenbei, immer wieder.
Freiberufliche Arbeit ist großartig, man arbeitet selbstbestimmt und selbstständig, also selbst und ständig. Haha. Es ist reizvoll, aber auch sehr mühsam, so viele Kugeln gleichermaßen am Laufen zu halten, mit so vielen Tellern gleichzeitig zu jonglieren. Manchmal fällt einer herunter und geht zu Bruch. Ausgerechnet, als Corona kam, bot man mir eine feste Stelle an. Pressearbeit, halbtags. Ich habe sie angenommen. Das Übersetzen habe ich nicht aufgegeben, aber den Lehrauftrag.
Jetzt habe ich ein festes Einkommen, aber wenn ich zu einer Premiere fahren will oder an einer Übersetzungswerkstatt teilnehmen, muss ich Urlaub nehmen. Ich kann mich in eine neue Übersetzung verbeißen, aber ich kann nicht dranbleiben: Morgens gehe ich ins Büro, jeden Tag, ganz gleich, ob am Vorabend eine Frage offen geblieben ist. Die muss warten.
Ich bin ein bisschen verbittert, das gebe ich zu. Ich übersetze sehr gerne und ich weiß, dass ich gut übersetze. Aber das Übersetzen von Theaterstücken wird für mich ein Luxus bleiben. Von den Tantiemen allein kann ich nicht leben, und die Entwicklung verläuft nicht zu meinen Gunsten: Hat das Theater überhaupt eine Zukunft? Wie viele Theater spielen noch zeitgenössische Stücke? Wie viele Theaterverlage werden sich noch halten? Wie lange?
Evelynes Stücke und die von Rébecca Déraspe, die ebenfalls aus Québec kommt und die für den deutschsprachigen Raum entdeckt zu haben ich mich rühmen darf, werde ich weiterhin übersetzen. Weil sie es verdienen, gelesen, gehört, gesehen zu werden. Weil ich immer wieder das Gefühl habe, die Anliegen der Autorinnen sind auch meine eigenen. Ich bin glücklich über jede deutschsprachige Produktion ihrer Texte. Im November erlebt «Keimzellen» von Rébecca Déraspe seine Deutschsprachige Erstaufführung in Bielefeld. Ich freue mich drauf. Und habe Urlaub genommen.
PS: Die nächsten Kapitel würden heißen: Warum tue ich es immer wieder? Worauf kommt es an? Und: (Wie) Kann man literarisches Übersetzen lehren? Vielleicht schreibe ich sie noch…
Die deutschsprachige Erstaufführung von Rébecca Déraspes «Keimzellen» findet am 10. Novemver 2022 um 20 Uhr am Theater Bielefeld statt.
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