Fanny Bouquet und Dorothea Arnold über ihre gemeinsame Übertragung von Marie Dilassers «Penthésilé·e·s» „Es werden keine anderen Lösungen da sein als wir“

Die Dramatikerin Marie Dilasser (Foto: Collectif Exit)

 

Über die Schwierigkeiten der Übertragung eines Textes, der traditionelle Geschlechterrollen auch sprachlich aushebelt, schreiben Fanny Bouquet und Dorothea Arnold im dritten Teil unserer Reihe über kollektives Übersetzen. Marie Dilassers Kleist-Überschreibung «Penthésilé·e·s» stellte die beiden vor kulturelle, ethische und politische Herausforderungen.

 

von Fanny Bouquet und Dorothea Arnold

 

«ES WERDEN KEINE ANDEREN LÖSUNGEN DA SEIN ALS WIR», schreibt Marie Dilasser in ihrem Stück Penthésilé·e·s (Amazonomachie). Dilassers Text greift den Mythos der Penthesilea, der Königin der Amazonen, auf und stellt gleichzeitig eine Art Manifest für eine inklusivere Gesellschaft dar. Um den Bogen von literarischer, poetischer Sprache bis hin zur Umgangssprache und die damit verbundenen kulturellen Assoziationen in ihren jeweiligen Zeiträumen zu erfassen und zu übersetzen, erschien es uns wichtig, unsere Kräfte in einem französisch-deutschen Dialog zu vereinen und unsere Übersetzung auf der Idee eines WIR aufzubauen. Wir, das sind Fanny Bouquet, Übersetzerin und Dorothea Arnold, Schauspielerin. Um die Vorteile des Co-Übersetzens deutlich zu machen, wollen wir unsere Arbeitsmethode, den kreativen Aspekt der Zusammenarbeit und die Schwierigkeiten dieser Übersetzung erläutern.

Diese erste Zusammenarbeit war für uns beide auch unsere erste professionelle Theaterübersetzung. Es war zunächst wichtig, eine gemeinsame Methode zu entwickeln, vor allem, weil wir hauptsächlich aus der Entfernung zusammengearbeitet haben. Um in Etappen zu arbeiten, haben wir das Stück in vier Abschnitte eingeteilt. Nachdem jede eine erste Version entworfen hatte, haben wir daraus eine gemeinsame Version erarbeitet. Wir haben uns in Deutschland getroffen, um das Stück komplett zu überarbeiten und unsere Übersetzung laut zu lesen, um sie auf Bühnentauglichkeit zu testen, denn der Text soll gespielt und inszeniert werden. Zu Beginn des Projekts hatten wir uns mit der Autorin über das Stück und über andere Autorinnen und Texte ausgetauscht, welche Dilasser inspiriert haben. Die Texte von Monique Wittig insbesondere Les Guerillères (Die Kriegerinnen) oder auch die Arbeiten von Adrienne Mayor über die Amazonen haben uns Zugang zu Hintergründen und Feinheiten von Dilassers Text ermöglicht und einige Übersetzungsfragen beantwortet.

Wir haben fehlende Satzzeichen übernommen, die den poetischen Charakter des Textes unterstreichen und das Zerbröckeln der Sprache visualisieren, das sich sowohl formal als auch inhaltlich durch das gesamte Stück zieht.Diesen Eindruck haben wir in der Übersetzung zu bewahren versucht. Die Haupthandlung vollzieht sich in den ersten Zeilen des Textes: Penthesilé·e·s stürzt sich in Achil·le·s Speer. Danach beginnen beide Figuren einen Dialog, der Penthesilé·e·s viel Raum für ihre Erzählung vom Kampf der Amazonen eröffnet. In der zweiten Hälfte des Stückes ergreift Achil·le·s das Wort und Individuen und Geschlechter lösen sich auf, um einem «WIR» Platz zu machen. Da Penthésilé·e·s ein Stück mit wenig Handlung ist, wird eine griffige, direkte Bühnensprache um so wichtiger. In der Übersetzung bleiben wir deshalb dort, wo die Vergangenheitsform zu umständlich klingen würde im Präsens und übersetzen z.B.: »Tu crois que j’allais te laisser m’empoigner par les cheveux« mit: »Glaubst du, ich lasse mich von dir an den Haaren packen?«.

Das Stück erscheint wie ein Manifest für eine diversere, weniger heteronormative Gesellschaft. Dieser Aspekt zeigt sich in der Solidarität und der Liebe zwischen den Amazonen oder Achil·le·s und Patrocl·e·s. Er zeigt sich aber auch in der Sprache der Autorin selbst, die von Beginn des Stückes an Wörter feminisiert und so den herkömmlichen Sprachgebrauch bestimmter Formulierungen verschiebt. Entsprechend ist das Schlachtfeld mit »Totinnen« übersät und Penthesilé·e·s und die Amazonen tragen mit »Greifinnen« verzierte Gürtel. Für Substantive, die im Deutschen nicht das gleiche Genus haben wie im Französischen, haben wir wenn möglich weibliche Substantive verwendet oder wenn nötig ein männliche Substantive feminisiert. Für die Übersetzung von »les mortes« haben wir an das Wort »die Toten« die feminine Pluralendung »innen« angefügt, um die bewusste Feminisierung dieses Wortes aus dem Kriegsvokabular umzusetzen. Im Deutschen stellte sich die Frage beim Übersetzen bestimmter Pronomen, da Wörter wie »on« oder »certaines« gern mit »man« oder »manche« übersetzt werden und in beiden Fällen das männliche Nomen »Mann« hörbar ist. Hinzu kommt, dass Femininum oder Maskulinum in dem Wort »manche« unmöglich zu unterscheiden sind, die feminine Endung in »certaines« jedoch hörbar ist.

Wichtig ist außerdem, dass Feminisierung und inklusive Schreibweise nicht das Gleiche sind. Im Französischen kann letztere in unterschiedlichen Formen auftreten: z.B. durch geschlechtsneutrale Wörter oder das Verwenden des Mittelpunkts. Im letzten Drittel des Stückes verwendet Dilasser den Mittelpunkt insbesondere bei allen Namen, Adjektiven, Partizipien, die sich auf ein inklusives, nicht binäres Kollektiv beziehen, für welches Penthesilé·e·s spricht. Um uns ein Bild von den verschiedenen Möglichkeiten der inklusiven Schreibweise im Deutschen zu machen, haben wir Texte von Lann Hornscheidt gelesen. Die deutsche Sprache hat mehrere Möglichkeiten, Substantive genderinklusiv zu schreiben. An Doppelpunkt, Sternchen, Unterstrich oder Schrägstrich wird an einer bestimmten Stelle im Substantiv eine feminine Endung angefügt. Schwieriger verhält es sich bei Adjektiven und Partizipien. Ein Satz wie »VOUS N’ÊTES PAS ORGANISÉ·E·S« kann nicht eins zu eins übertragen werden. Um die inklusive Schreibweise in der deutschen Übersetzung nicht auszublenden, müssen wir andere Wörter auswählen, auf die wir sie anwenden können. Der Logik des Textes folgend, wenden wir die inklusive Schreibweise auf positiv besetzte Substantive an, die sich im letzten Drittel des Stückes auf ein non-binäres Kollektiv der Amazonen beziehen oder auf jene, die sich ihrem Kampf anschließen wollen.

Darüber hinaus stellt die Frage der Hörbarkeit und der Aussprache der inklusiven Sprache ein Problem dar, wenn es darum geht, in der deutschen Version des Stückes ein kohärentes System  anzuwenden. Im Gegensatz zur inklusiven Schreibweise im Deutschen ist diese im Französischen zwar sicht- aber nicht immer hörbar. Dieser Aspekt betrifft auch Fragen der Inszenierung und der schauspielerischen Umsetzung. Auch auf die Namen der Figuren hat Marie Dilasser die inklusive Schreibweise im Plural angewendet: Penthesilé·e·s, Achil·le·s, Patrocl·e·s, Ajax·e·s. Zu diesen Übersetzungsproblemen kam der Aspekt eines stark klangbezogenen, musikalisch geschriebenen Textes hinzu. Ein repräsentatives Beispiel für Dilassers Schreiben nach Gehör und ihr spielerischer Umgang mit der inklusiven Schreibweise ist:  « Toussons / Toussons tous et toutes / Toussons tou·te·s ». Es war hier nicht möglich, inhaltlich zu übersetzen, ohne das Spiel mit dem Klang zu opfern.

Für diese Übersetzung war eine wirklich schöpferische Arbeit erforderlich. Auch dafür war es von Vorteil, im Tandem zu arbeiten, besonders angesichts der Fülle von Wortschöpfungen und Bildern im Stück. Zunächst haben wir versucht, das System, das wir im Original erkennen konnten, zu übernehmen. Um »notre façon de SOIGNÈRES« zu übersetzen, haben wir an den Wortstamm des Verbs »pflegen« die feminine Pluralendung »innen« angefügt: »unsere Art zu PFLEGINNEN«. Die Anspielung auf das Thema Care-Arbeit und feminisierte Berufe ist in den deutschen Kontext übertragbar. Schwieriger sieht dies bei Bezeichnungen wie »panier à salade« aus, was umgangssprachlich den »Polizeiwagen« bezeichnet. Das Wort »salade« bezieht sich auf Demonstrantinnen, die belächelt und als harmlos abgetan werden. Wir haben uns für eine akustisch interessante Variante entschieden und «salades» mit «Nullen» übersetzt, weil es inhaltlich nah am Original ist und sich auf «Bullen» reimt. Außerdem war es wichtig, den Humor dieses Bildes zu übertragen. Anders ging es uns beim Wort »cyprine«, das sich auf die weibliche Ejakulation bezieht und für das es im Deutschen keine Entsprechung gibt. Ausgehend vom französischen Wort cyprine haben wir das Wort »Zyprisflut« kreiert. Da das Wort »Zypris« eine Erfindung ist, haben wir es in Anlehnung an das Bild des Fließens durch »Flut« zu »Zyprisflut« ergänzt, um es im Kontext des Stückes schneller verständlich zu machen. Es unterstützt auch die fordernde, exaltierte Haltung der Figur.

Die Übersetzung führte auch zu ethischen Fragen. Um das Wort «excision» zu übersetzen, suchten wir nach einem anderen Wort für »Beschneidung« im Deutschen, welches das Problem der weiblichen Genitalverstümmelung nicht bagatellisiert. Wir haben uns entschieden, das Fremdwort »Exzision« beizubehalten, da die Anspielung auf die Praxis der Genitalverstümmelung nicht zu übersehen ist. Dilassers bewusste Wortwahl verurteilt eine zweifache Gewalt: die Praxis der Verstümmelung und die Verschleierung derselben durch ungenaue, verallgemeinernde Bezeichnungen. Bei der Übersetzung des Ausdrucks «peaux tatouées» war es wichtig, zu beachten, dass das Wort «Haut» auf deutsch im Plural zwar existiert, aber Leder, oder Tierhäute bezeichnet, die nicht mehr lebendig sind. Im Zusammenhang mit dem Wort Tätowierungen kann es Assoziationen aus dem Kontext der deutschen Vergangenheit aufrufen, die von Dilasser keinesfalls intendiert sind. Deshalb und um den Plural zu erhalten, der an dieser Stelle wichtig ist, haben wir »peaux tatouées« mit »tätowierte Körper« übersetzt.

Wir fragten uns auch, wie bestimmte Verweise auf im französischen Kontext signifikante Konzepte wie Intersektionalität und die Konvergenz sozialer Kämpfe in den deutschen Kontext übertragbar sind. Über das Thema Inklusion hinaus bezieht sich der Text auf eine dekoloniale und ökofeministische Perspektive. Obwohl sich die meisten Bezüge problemlos übertragen ließen, war es dennoch schwierig, eine Entsprechung für »mutant·e·s«zu finden. Das französische »mutant·e·s« verweist auf französische queerfeministische Bewegungen. »Mutante« im Deutschen bezeichnet aber nur die genetische Mutation. Wir wählen mit »Mutant:innen« die Option, die uns so nah wie möglich am Französischen erscheint, auch wenn sie im Deutschen vielleicht überraschend wirkt. Dies geschieht im Sinne von Dilassers Stück, das sich nicht damit begnügt, den Mythos der Amazonen nachzuerzählen. Mit einer Mischung aus unterschiedlichen Sprachebenen, mal lyrisch, mal derb, öffnet es schließlich innerhalb der antiquisierenden Erzählung den Raum für hochaktuelle Phänomene.

Dank dieser Übersetzung wissen wir nun, wie wertvoll es ist, in einem zweisprachigen Tandem zu arbeiten. Durch unsere Werdegänge, unsere kulturellen Prägungen sowie einige Jahre Altersunterschied betrachten wir den Text und die Aspekte der feministischen Kämpfe aus unterschiedlichen Perspektiven. Der Blick der anderen fordert stets dazu auf, den eigenen Geist wach zu halten, erste Übersetzungsvorschläge zu hinterfragen, um gemeinsam zu einer Übersetzung zu finden, die dem Original gerecht wird. Im Gegensatz zu unserer bisherigen Praxis ist diese erste Zusammenarbeit für uns auch die Möglichkeit, nicht allein zu übersetzen. Wir bedanken uns bei Marie Dilasser für ihr Vertrauen, bei Leyla Rabih, Laurent Muhleisen und ganz besonders Frank Weigand für ihre wertvolle Unterstützung. Wir denken auch gern an die gesamte Arbeitsgruppe des Workshops Theater-Transfer im November 2022, mit der wir das Glück hatten, Auszüge aus Penthesilé·e·s zu übersetzen. Außerdem danken wir besonders dem Deutschen Übersetzerfonds, ohne dessen Initiativstipendium (2023) wir uns diesem Projekt nicht hätten widmen können. Wir hoffen sehr, dieses Theaterstück, dessen Ideenreichtum und extrem besondere Sprache wir hoffentlich erfolgreich ins Deutsche übertragen konnten, bald auf deutschsprachigen Bühnen zu sehen.

 

Bibliographie

Lann Hornscheidt, Ja’n Sammla, Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich gendergerecht? Ein Praxis-Handbuch zu Gender und Sprache, w_orten & meer, Berlin, 2021.

Lann Hornscheidt, Lio Oppenländer, Exit Gender. Gender loslassen und strukturelle Gewalt benennen: eigene Wahrnehmung und soziale Realität verändern, w_orten & meer, Berlin, 2019.

Adrienne Mayor, Les Amazones, quand les femmes étaient les égales des hommes (VIIIe siècle av. J.-C. – Ier siècle apr. J.-C.), Paris, Editions La Découverte, 2017.

Monique Wittig, Les Guerrillères, Paris, Editions de Minuit, 1969.

 

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Fanny Bouquet studierte Geschichts-und-Sozialwissenschaften und ist seit 2017 als Übersetzerin, Kulturwissenschaftlerin und Kulturmanagerin tätig. Sie arbeitet für Theater, Museen und Dokumentarfilme.

Dorothea Arnold (Foto: Stefan Klüter)

Dorothea Arnold machte 1997 ihr Baccalauréat in Dijon und studierte von 1999 – 2003 an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst-Busch in Berlin. Sie arbeitet als Schauspielerin in festen und freien Theaterengagements und für Film und Fernsehen. 2021 absolvierte sie den Master für Übersetzungswissenschaften FR-D am IALT in Leipzig. Sie ist Mutter eines Kindes und lebt in Leipzig.

Marie Dilasser (Foto: Collectif Exit)

1980 in Brest geboren. 2006 schloss sie ihr Studium an der ENSATT
(École Nationale Supérieure des Arts et Techniques du Théâtre) in Lyon ab, wo sie unter der Leitung des Dramatikers Enzo Corman Szenisches Schreiben studierte. Ihre Stücke wurden von unterschiedlichen Regisseur*innen wie Michel Raskine, Hélè Souillé oder Luciue Bérélovich inszeniert. Zur Zeit lebt sie in Plouguernével in der Bretagne.

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  • Hallo ihr Lieben! Ich habe den Kontakt zu dieser Seite von Juliette erhalten, mit der ich einen Puppenspiel Workshop absolviert habe. Da ich selbst Schauspielerin bin und mich seit Jahren das Stück und die Figur Penthesilea begleiten, bin ich sehr neugierig und interessiert an euer Version/ Interpretation dieses Stoffes. Aktuell arbeite ich an der Umsetzung von Penthesilea als Puppen/Schauspiel und hoffe damit 2026 Bühnenfertig zu sein. Daher inspiriert und fasziniert gerade sehr der Austausch mit anderen Künstler*innen, die die gleiche Faszination für die komplexe Persönlichkeit Penthesilea haben. Ich würde mich freuen, wenn wir uns austauschen würden. Hier meine Homepage, damit ihr wisst, wer euch da überhaupt schreibt:)
    http://Www.sophie-goebel.de

    Ganz herzliche Grüße und ich freue mich auf Nachricht!

    Sophie

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