Natürlich habe ich gelegentlich auch in anderen Sprachen geschrieben. Auf Luxemburgisch fühle ich mich trotz der Tatsache, oder sollte ich sagen, gerade weil es meine Muttersprache ist, verletzlicher, hilfloser. Mit dem Italienischen ist es noch schlimmer. Ich beherrsche die Grammatik und den Wortschatz nicht gut genug, um es zu einer wirklichen Schreibsprache zu machen. Nichtsdestotrotz halten sich diese Sprachen in meinem Französisch versteckt.
Natürlich bin ich nicht der erste, der versucht, diese Schreibpraktiken und die doppelte Zugehörigkeit oder die nomadische Haltung von Schriftsteller*innen, die sich in einem Bi- oder Trikulturalismus entfalten und in mehreren Welten zu Hause sind, theoretisch zu erfassen. Nico Helminger, eine der wichtigsten Figuren der luxemburgischen Literaturszene, der Texte auf Deutsch und Luxemburgisch verfasst, schreibt, dass es ihm wichtig ist
[D]ie doppelte Nichtzugehörigkeit zu nutzen, auszuprobieren, was aus diesem Zwischenzustand literarisch herauszuholen ist, Zusammenfließen und Auseinanderdriften der Sprachen zu erkunden, mich auf die Reise zwischen den Sprachen zu begeben und mir auf diese Weise mein eigenes Idiom als Schriftsteller zu erarbeiten.⁷
Er erklärt, dass er in einer Sprache schreibt, «in der sich andere Sprachen überschneiden», «in der andere Sprachen mitschwingen» oder sogar «mitschreiben»⁸.
Jean Portante, ein französischsprachiger luxemburgischer Schriftsteller mit italienischen Wurzeln (wie ich), verwendet zur Beschreibung seiner Schreibsprache den Begriff der «fremden Sprache» oder die Metapher der Lunge des Wals – jenes Säugetiers, das noch eine Spur seiner Existenz an Land in sich trägt -, was bedeutet, dass andere Sprachen (Italienisch, Luxemburgisch) innerhalb seines geschriebenen Französisch atmen. Die «fremde Sprache» ist hier jene literarische Sprache, die sich der Muttersprache entzieht. In diesem Sinne entspricht Jean Portantes Französisch dem Verlust der Muttersprache und wird so zu einer Identitätssuche.
Dieses Konzept, d. h. die Tatsache, dass die Schreibsprache von anderen Sprachen unterwandert wird, haben zahlreiche Schriftsteller*innen, die im Exil leben, eine Migrationsgeschichte haben oder in einem mehrsprachigen soziolinguistischen Kontext aufgewachsen sind, mehr oder weniger metaphorisch beschrieben. Die Forscherin Jeanne E. Glesener von der Universität Luxemburg verwendet dafür den Ausdruck «sprachinterne Mehrsprachigkeit»⁹.
Luxemburgische Schriftsteller*innen schreiben also aus einer schwer einordbaren Position heraus. Die Luxemburgische Literatur kann zwar als «kleine Literatur» bezeichnet werden, jedoch nicht als Minderheitenliteratur: Weder wird sie von einer sprachlichen Minderheit produziert (keine der drei luxemburgischen Sprachen kann im Vergleich zu den anderen beiden als minoritär betrachtet werden), noch von einer ethnischen Minderheit, noch wird sie – im Falle von Schriftsteller*innen mit luxemburgischer Staatsangehörigkeit, die in einem anderen Land als Luxemburg leben (insbesondere Deutschland und Frankreich) – von Schriftsteller*innen einer Diasporagemeinschaft produziert.
Soziologen und Historiker verabschieden sich heutzutage immer mehr von der landläufigen Vorstellung einer homogenen Kultur. Die Normalität ist nicht mehr die Kultur, sondern die Transkultur. In diesem Sinne praktizieren luxemburgische Autor*innen eine Aufhebung der sprachlichen und kulturellen Lokalisierung und arbeiten in einer Art europäischem Ideenlabor. Aufgrund ihrer Sonderstellung und der Interkulturalität ihrer Arbeit an der Schnittstelle mehrerer Sprachen und literarischer Felder sind luxemburgische Schriftsteller*innen ständig mit der Problematik der Schreibsprache konfrontiert, sowie mit ihrer Verortung im globalisierten Literatursystem oder der internationalen Literaturszene, zwischen dem Zentrum (wo sie nicht unbedingt hinwollen) und der Peripherie (der sie manchmal zu entfliehen versuchen).
Einerseits werden sie von der Literaturszene, deren Schreibsprache sie übernommen haben, assimiliert, andererseits bestehen sie darauf, ihrer Sprache ausreichend Fremdheit zu verleihen, um durch ihre Hybridität ihre sprachliche Differenz zu betonen.
Und doch – und hier liegt eines der großen Paradoxa der gesamten Angelegenheit – werden die literarischen Werke bekannter Autor*innen aus Luxemburg, vielleicht weil man fälschlicherweise annimmt, dass die gesamte Bevölkerung, darunter 47,1% ansässige Ausländer aus 170 Nationen, die drei offiziellen Landessprachen lesen kann, nicht systematisch in alle Landessprachen übersetzt. Was wirklich schade ist.
¹ Das Land hat drei Amtssprachen: Luxemburgisch, das seit 1984 als Amtssprache anerkannt ist, Französisch (Verwaltungssprache, Sprache von Regierungsdokumenten, offiziellen Briefen, Rechtsanwälten, Straßenschildern, oft auch von Speisekarten in Restaurants) und Deutsch (zweite Verwaltungssprache).
² Das erste Phänomen wird als «textinterne Mehrsprachigkeit» bezeichnet, das zweite als «textübergreifende Mehrsprachigkeit». Siehe Georg Kremnitz, Mehrsprachigkeit in der Literatur. Wie Autoren ihre Sprache wählen, Wien, Praesens Edition, 2004
³ Allerdings ist dieser Topos der Verspätung der Literaturen der Peripherie nicht unproblematisch. Pascale Casanova schreibt, dass «ästhetische Distanz auch in zeitlichen Begriffen gemessen wird: Der Ursprungsmeridian instituiert die Gegenwart, d. h., in der Ordnung des literarischen Schaffens, die Moderne. Man kann […] die Entfernung eines Werks oder eines Korpus von Werken vom Zentrum anhand ihrer zeitlichen Abweichung von den Kanons messen, die zum genauen Zeitpunkt der Bewertung die Gegenwart der Literatur definieren.» Pascale Casanova, La République mondiale des Lettres, Paris: Seuil, Coll. »Essais«, 1999, S. 127. Allerdings sind diese Beziehungen zwischen den Literaturen des Zentrums und der Peripherie nicht notwendigerweise synchron und ihr Austausch nicht notwendigerweise symmetrisch.
⁴ Bourdieu, Pierre, »Existe-t-il une littérature belge ? Limites d’un champ et frontières politiques«, in: Études de lettres 207, 4, 1985, S. 3.
⁵ Siehe Claude D. Conter, »Guy Helminger – Autorschaft² im deutsch-luxemburgischen Literaturbetrieb. Eine Einführung in das literarische Werk«, in: Guy Helminger. Ein Sprachanatom bei der Arbeit, Heidelberg: Synchron, 2014, S. 71-89.
⁶ Ich übernehme diesen Ausdruck von Lise Gauvin, Langagement. L’écrivain et la langue au Québec. Montréal: Boréal, 2000, S. 8.
⁷ Nico Helminger, »Wahl & Wal«, Zeitschrift für interkulturelle Germanistik, 5, 2014, Heft 1, S. 166.
⁸ Nico Helminger, »Wahl & Wal«, art. cit., S. 161, S. 165 und S. 167.
⁹ Jeanne E. Glesener, »Zum Konzept der étrange langue bei Jean Portante. Überlegungen zur sprachinternen Mehrsprachigkeit«, in: Philologie und Mehrsprachigkeit. Heidelberg: Winter Verlag, 2014, S. 325.
Aus dem Französischen von Frank Weigand
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Ich operiere sicherlich auf einem anderen Level und in einem anderen Genre als Sie, bin aber überrascht, wie Sie die Luxemburger «Szene» sehen. Ich habe sie anders erfahren: Von Minderwertigkeitskomplexen keine Spur. Eher elitär, abschätzig und mit Vorurteilen übergossen. Hätte ich mich darauf eingelassen, würde ich heute nicht mehr schreiben. Da wird man, aller Schwierigkeiten zum Trotz, doch anders im Ausland (D) wahrgenommen. Herkunft interessiert zuerst einmal niemanden, was produziert wird, zählt. Dann kommt alles andere, wenn es denn erfolgreich läuft. Luxemburger Literatur könnte international viel mehr bieten und auffallen, vor allem hinsichtlich Diversität, mit der wir gut vertraut sind. Aber leider wird das in diesem doch recht konservativen Milieu erstickt. Sehr schade, wie ich finde.
As-tu déjà essayé d’écrire dans toutes ces langues en même temps ?
Ne trouves tu pas qu’une langue t’emmène ailleurs qu’une autre ?
C’est super intéressant tout ça ..peu de personnes ont la chance d’être polyglotte comme nous ..