Inka Neubert, Regisseurin und Ko-Leiterin des Theaterhaus G7, im Gespräch mit Frank Weigand „Wir machen nur Texte, die uns interessieren“

Irina Maier in Inka Neuberts Inszenierung von Marina Skalovas «Der Sturz der Kometen und der Kosmonauten» (Foto: Elisa Berdica)

Frank Weigand: Liebe Inka, als Regisseurin hast du in den letzten Jahren drei Stücke an eurem Haus inszeniert, an deren Übersetzungen ich beteiligt war. Das ist ein total interessanter Zufall, weil ich ja als Übersetzer selten Einfluss darauf habe, was eigentlich mit «meinen» Texten passiert. Daher habe ich mir die Frage gestellt, wie sucht ihr am Theaterhaus G7, oder wie suchst du selbst generell Stücke aus, die ihr präsentiert? Ist es nochmal eine besondere Entscheidung, ein Stück aus dem Ausland zu produzieren?

Inka Neubert: Dieser Entscheidungsprozess ist ein sehr persönlicher Prozess. Für mich ist es immer so, dass ich persönlich darauf reagieren muss, also der Text muss mich interessieren und auch berühren durch seine Form. Ich habe eine Vorliebe für Theatertexte, die nicht so konventionell gebaut sind, und andererseits mag ich einfach Texte, die poetische Anklänge oder einen poetischen Stil haben. Unsere Position hier an diesem kleinen Haus ist sehr luxuriös. Man kann also wirklich Texte auswählen, wie man möchte. Das heißt, natürlich müssen wir auch immer mal überlegen «Lass uns mal jetzt vielleicht lieber was machen, was leichter ist, dann können wir uns nächstes Mal was Schwierigeres leisten» oder mal eine größere Besetzung, mal eine kleinere Besetzung, das sind so Koordinaten, die da mit reinspielen. Aber im Prinzip machen wir wirklich nur Texte, die uns interessieren. In 90 Prozent der Fälle mache ich meinem Ko-Leiter Pascal Wieandt und unserem Dramaturgen Phillipp Bode Vorschläge, da ich ja schon durch meine Mitgliedschaft im deutschen Komitee von Eurodram viel mehr lese. Pascal und ich haben einen ähnlichen Geschmack und es ist uns wichtig, dass es sich um Texte handelt, die hier und heute eine politische Aussage, einen politischen Hintergrund haben. So kann man das bei «deinen» drei Stücken – «Final Cut» von Myriam Saduis, «Der Sturz der Kometen und der Kosmonauten» von Marina Skalova und «Der Reservist» von Thomas Depryck – grob umreißen: Es geht immer um die Auswirkungen der politischen Verhältnisse auf das Individuum. Und da ist es völlig egal, ob das ein deutscher Text oder ein ausländischer Text ist. Wobei, wenn ich jetzt überlege, sind die übersetzten Texte, die wir in letzter Zeit gespielt haben, alle sehr viel konkret politischer als die deutschen.

Fadhel Boubaker und Fiona Metscher in Inka Neuberts Inszenierung von Miriam Saduis› «Final Cut»

«Final Cut» ist ein interessantes Beispiel. Das ist wirklich kein einfacher Text. Als meine Kollegin Leyla-Claire Rabih und ich ihn damals für die Anthologie SCÈNE ausgewählt haben, haben wir ihn hauptsächlich genommen, weil er große Weltgeschichte (die Unabhängigkeit Tunesiens nach der Kolonisierung durch Frankreich) anhand einer persönlichen Familiengeschichte erzählt. Aber wir haben nicht wirklich damit gerechnet, dass ihn tatsächlich jemand in Deutschland inszenieren will, eben weil er so an der Position der Autorin, Regisseurin und Performerin in einer Person hängt. Kam da zuerst die Idee, dass du diese Geschichte erzählen willst, oder die Inszenierungsidee? Denn ich finde, ihr habt inszenatorisch eine sehr interessante Umsetzung gefunden.

Als ich den Text gelesen habe, hat er mich so berührt, dass ich gedacht habe, das möchte ich unbedingt machen. Das war der erste Impuls. Und dann, als ich über die Besetzung nachgedacht habe, war mir wichtig, dass die Performerin, die das macht, nicht gleichgesetzt wird mit der Autorin. Es besteht bei diesem Text eine große Gefahr, dass man das verwechselt. Deswegen habe ich zwei Schauspielerinnen engagiert: die deutsche Schauspielerin, Fiona Metscher und die Halbfranzösin Aurélie Youlia. Im nächsten Schritt habe ich jemanden für die Musik gesucht und als ich Fadhel Boubaker kennengelernt habe, der tunesische Wurzeln hat, habe ich gedacht, toll wäre es, wenn der live auf der Bühne Musik machen könnte. Das ist immer ein großes Risiko, weil Musiker oft einen sehr vollen Kalender haben, deshalb ist es kompliziert, einen Musiker live mit auf die Bühne zu nehmen, der sogar kleinere Textpassagen übernehmen soll. Es gab dann zwar schon szenische Grundideen, aber viele Dinge sind einfach im Zusammenspiel der drei entstanden.

 

Und durch diese Art der Inszenierung erzählt ihr sozusagen den deutschen Blick auf diese franko-tunesische Geschichte gleich mit.

Das stimmt, und dieser Blick unterscheidet unsere Arbeit sehr von der eigenen Inszenierung von Myriam Saduis. Ich sehe das Stück demnächst in Paris und bin ich mal sehr gespannt darauf, wie sie das macht, weil sie ja wirklich ihre eigene Geschichte erzählt und ich vermute mal, dass auch emotional noch einmal ganz anders gebaut ist.

 

Das Stück funktioniert in diesem französischen Kontext natürlich viel direkter. Deshalb haben Leyla und ich uns ja auch gefragt: Versteht das überhaupt jemand Deutschland, weil es natürlich weit weg ist. Wir haben eben nicht dieselbe Kolonialgeschichte.

Nein, das stimmt. Mir war die Kolonialgeschichte von Tunesien auch nicht präsent.

Irina Maier und Matthias Hecht in «Der Sturz der Kometen und der Kosmonauten», inszeniert von Inka Neubert (Foto: Elisa Berdica)

Einen Text zu übersetzen, bedeutet ja auch, ihn in einen anderen Kontext zu überführen. «Final Cut» ist ein schönes Beispiel dafür. Ein anderes Beispiel ist auch das letzte Stück, das du auf die Bühne gebracht hast, «Der Sturz der Kometen und der Kosmonauten» von der französisch-russisch-deutschen Autorin Marina Skalova, das die Reise eines verlorenen Vater-Tochter-Paars durch den Zerfall der Sowjetunion inszeniert. Vor zwei Jahren hätte man das vermutlich ganz anders gelesen als jetzt, mitten in diesem Krieg. Habt ihr in der aktuellen Situation gezögert, ob ihr das wirklich machen solltet?

Natürlich haben wir darüber nachgedacht, denn ganz am Anfang unserer Arbeit an dem Stück brach der Krieg aus, und selbst Marina meinte, vielleicht sollten wir eher ein Stück von einer ukrainischen Autorin spielen. Sie selbst hat ja auch einen russischen Pass. Und wir haben uns auch als Haus die Frage gestellt. Eigentlich ist es selbstverständlich, dass man sich auf die Seite des Angegriffenen stellt. Aber darauf sofort künstlerisch zu reagieren, ist wahnsinnig schwer, weil die Abläufe in einem so kleinen Haus dann doch einen relativ langen Vorlauf brauchen. Und auf der anderen Seite hatte ich zwei Jahre lang darum gekämpft, den Text machen zu können. Und irgendwie dachte ich, es ist eigentlich genau richtig, gerade angesichts der Tatsache, dass man jetzt russische oder russischstämmige Künstler einfach ausweist oder die nicht mehr hier arbeiten lassen will. Gerade in diesem Zusammenhang ist es wichtig, eine Geschichte zu erzählen, die versucht, die Hintergründe zu beleuchten und zu gucken, was sind das denn für Menschen? Was haben Sie hinter sich? Worunter leiden die denn? Was ist denn deren Problem? Es ist für mich sehr schwer, jetzt alle Russen so pauschal abzuurteilen. Ich glaube, dass da jeder sein eigenes Päckchen trägt. Deswegen finde ich es genau richtig, das jetzt zu machen. Ein Vorteil von diesem Stück ist, dass es wirklich die Geschichte von zwei Menschen und diesem ganzen politischen Hintergrund erzählt und auch Sachen aufdröselt, die bei uns nicht so geläufig sind. Auch ich habe mich in dem Zusammenhang nochmal mit der russischen Geschichte beschäftigen müssen.

Hanna Gandor, Vincenzo Tatti und und Jo Schmitt in «Der Reservist» von Thomas Depryck, in der Inszenierung von Inka Neubert (Foto: Thomas Tröster)

Wenn du einen ausländischen, also einen übersetzten Text inszenierst, gehst du das dann anders an? Abgesehen davon, dass vielleicht die Neugier eine andere ist, wenn ein Text aus einem «fremden» Kontext kommt…

Nein, grundsätzlich gehe ich nicht anders heran. Natürlich kann es bei einer Übersetzung schon mal sein, dass ich mir manchmal den Originaltext anschaue. Aber das passiert mir eher bei Übersetzungen, wo ich das Gefühl habe, ich verstehe etwas nicht und vielleicht ist da irgendwas im Original, was ich nochmal nachschauen sollte. Aber ein anderer Umgang ist das nicht. Es ist manchmal eine andere Vorbereitung, weil man sich einfach mit anderen Dingen beschäftigen muss. Vielleicht sind deutsche Texte etwas selbstverständlicher, weil man selbstverständlicher damit umgeht. Aber in der konkreten Arbeit mit den Schauspielern gibt es eigentlich keine Unterschiede.

 

Weißt du, wer euer Publikum ist, oder denkst du darüber nach, wen du gerne als Publikum hättest?

Ich habe letztens bei einem Interview gesagt, dass ich nicht an Zielgruppen glaube. Ich glaube eher daran, dass Texte, die interessant sind und gut geschrieben sind und möglichst gut umgesetzt sind, Menschen fürs Theater begeistern. Daran glaube ich. Unser direktes Zielpublikum ist für mich jeder Mensch, der sich für Theater interessiert. Und wer sich für Theater interessiert, müsste sich meiner Meinung nach auch für solche Texte interessieren, die einen starken Bezug zu unserer Realität haben. Aber ich habe keine Vorstellung von einem Zielpublikum. Ich denke immer, wenn ich davorsitze und ich das mag, dann kann das möglicherweise auch einem Publikum gefallen. Ich kann letztendlich immer nur von mir selbst ausgehen, weil ich ja immer die erste Zuschauerin bin.

 

Noch eine letzte Frage zum Thema Übersetzung: Es ist ja mehr oder weniger zufällig passiert, dass du drei Stücke gemacht hast, an deren Übersetzung ich beteiligt war. Aber du hast mir tatsächlich nie eine Übersetzungsfrage gestellt. Warum denn eigentlich nicht? Wir machen das ja hier auf Plateforme öfter, dass wir Übersetzer*innen und Inszenierungsteams zusammenbringen. Und oft stellen Dramaturg*innen und Regisseur*innen dann fest, dass sich die Leute, die übersetzt haben, richtig gut mit dem Text auskennen, und dass man die bei einigen Entscheidungen hätte fragen können…

Ja, das stimmt, das ist wirklich etwas, was ich tatsächlich so nicht auf dem Schirm hatte. Das ist wirklich komisch, denn wir versuchen natürlich immer, mit den Autoren nochmal direkt Kontakt aufzunehmen. Theoretisch sind die Übersetzer*innen ja auch mit involviert, und eigentlich wäre es ein total schöner Gedanke, das noch mehr zu nutzen. Man müsste sich mal überlegen, wie das aussehen könnte. Ob man die dann einfach zur ersten Textprobe dazu holt, wo es wirklich um Textverständnis geht. Da wäre es sehr sinnvoll, noch jemanden von außen dazu zu holen. Denn jemand, der sich «nur» als Dramaturg damit beschäftigt, hat nie diese Möglichkeit, sich so tief reinzuarbeiten, wie jemand, der den Text übersetzt hat. Also finde ich, da gibt es noch viel ungenutztes Potenzial.

Die Regisseurin und Ko-Theaterleiterin Inka Neubert (Foto: Miriam Stanke)

Inka Neubert arbeitet seit 1997 als freie Regisseurin und Produzentin. Sie gründete 2000 zusammen mit dem Maler und Ausstatter Alireza Varzandeh in Köln das INTEATA, ein Freies Theater, dessen künstlerische Leiterin sie bis 2009 war. 12010-2015 war sie Künstlerische Leiterin des Theaterhauses TiG7 in Mannheim. Sie arbeitete weiterhin als Regisseurin und Produzentin Freier Theaterprojekte und inszenierte 2013 «Dingos» (Brodowsky) als Freies Theaterprojekt bei zeitraumexit Mannheim. 2015 inszenierte sie die Uraufführung von «In meinen Armen. Ein Stück Seele»  von Carsten Brandau am Theater Felina-Areal Mannheim. 2014 und 2016 war sie beim Festival «Schwindelfrei» in Mannheim mit jeweils einer Performance vertreten. Im Januar 2016 gründete sie mit Bernd Mand die Inititative «wortbruch».
Seit der Spielzeit 2016/17 hat Inka Neubert zusammen mit Bernd Mand die Künstlerische Leitung und Geschäftsführung für das Theaterhaus G7 in Mannheim übernommen. 2021 wurde das Theaterhaus G7 unter der Leitung von Inka Neubert und Pascal Wieandt mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet.

http://tig7.de/

 

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