Die Autorin und Theaterübersetzerin Elise Wilk über Silvester in Rumänien, Marius von Mayenburgs puzzleartige Stücke und warum Übersetzen Erholung ist Je komplizierter, desto attraktiver

von Elise Wilk

 

Betreff: Frage
Von: Lora Nenkovska
An: Elise Wilk
Liebe Elise, was bedeutet «să facem revul»?

 

Lora Nenkovska, die meine Theaterstücke aus dem Rumänischen ins Bulgarische übersetzt, schickt mir immer eine E-Mail, wenn es während ihrer Arbeit Unklarheiten gibt. In diesem Fall ist es schwer zu erklären, weil der Ausdruck «să facem revul» nicht zu 100% in eine andere Sprache übersetzbar ist. Er bedeutet etwa: Silvester feiern. Doch es ist mehr als nur Silvester feiern.

Der 31. Dezember wird in Rumänien großgeschrieben. Schon im Sommer beginnt man zu fragen: was machst du zu Silvester? Und falls man im September noch keine Pläne für die Nacht zwischen den Jahren hat, ist das ungefähr so, wie es früher war, mit 25 noch unverheiratet zu sein. Einsame Menschen suchen verzweifelt eine Party, auf die sie eingeladen werden, Familien mieten sündhaft teure Berghütten oder zahlen ein halbes Monatsgehalt für ein sechsgängiges Festessen im Restaurant, man zieht seine besten Kleider an und geht zum Frisör, denn: wie es einem in der Silvesternacht geht, so wird es ihm das ganze Jahr hindurch gehen, glauben die Rumänen. Ob das auf eine andere Kultur übertragbar ist? Bulgarien ist zwar unser Nachbarland und dort feiert man zwar auch Silvester, aber nicht mit der rumänischen Intensität.

Immerhin- ich freue mich jedes Mal, wenn ein:e Übersetzer:in mir schreibt. Das tut auch Vangelis Doukoutselis, mein griechischer Übersetzer, das tut auch Roberto Merlo, mein italienischer Übersetzer, das tun auch Maria Albert (ungarisch), Alexandra Lazarescou und Mirella Patureau (französisch). Mit meinem Französisch geht es noch, von Griechisch und Bulgarisch verstehe ich kein Wort. Doch wenn ich im Ausland in einem Stück von mir sitze, merke ich schon am Rhythmus der Sprache und an den Emotionen, die vermittelt werden, dass die Übersetzung gut ist.

Bei meinen deutschen Übersetzern Frank Weigand und Ciprian Marinescu ist es anders, da habe ich das Privileg, Korrekturen an der Übersetzung und Vorschläge machen zu können. Meine eigenen Stücke würde ich niemals selbst ins Deutsche übersetzen. Erstens, weil ich in Rumänien lebe und meine Alltagssprache Rumänisch ist, zweitens, weil während der Übersetzung ein komplett anderes Stück entstehen würde. Auf jeden Fall bin ich den Übersetzern dankbar, dass sie meine Stücke entdeckt und an sie geglaubt haben. Viele meiner Inszenierungen im Ausland wären ohne ihr Engagement nicht zustande gekommen. Interessant ist, dass keiner von ihnen selbst Dramatiker ist.

Es war 2013 bei einem Festival in Rom, als ich auf die Idee kam, dass ich Theater aus dem Deutschen übersetzen könnte. Ich hatte eine rumänische Übersetzung eines deutschen Theaterstücks gelesen und mir dabei gedacht: «ich hätte das anders gemacht». «Märtyrer» von Marius von Mayenburg war das erste Stück, dass ich übersetzt habe, danach folgten etwa 20 andere. Inzwischen glaube ich, dass Dramatiker mit die besten Übersetzer von Theaterstücken sind. Der Rhythmus muss stimmen, die Dialoge müssen authentisch klingen- und das kennt jemand, der selbst für die Bühne schreibt, sehr gut. Je komplizierter ein Text ist, desto attraktiver ist er für mich. Marius von Mayenburg, den Autor, von dem ich bisher die meisten Texte übersetzt habe, traf ich vor ein paar Jahren in Bukarest. Ich erzählte ihm stolz, dass ich demnächst sein Stück «Peng» übersetzen werde. «Du Arme», war seine Antwort darauf. Dann habe ich den Text gelesen und verstand, was er meinte. Ganze Passagen im Stück sind ellenlange Sätze, in denen alle Worte denselben Anfangsbuchstaben haben. Es war so, als würde ich vor einem Puzzle mit 1000 Teilen stehen -und es hat mir riesigen Spaß gemacht. «Peng» ist vorläufig meine Lieblings-Übersetzung. Ich bin zweisprachig (rumänisch-deutsch) aufgewachsen und habe beide Sprachen gleichzeitig gelernt. Auf dem deutschsprachigen Gymnasium in Kronstadt, Siebenbürgen, das ich besucht habe, gab es (und gibt es noch immer) eine Sprache, die «Honterusdeutsch» genannt wird. Es ist ein Deutsch, in dem viele rumänische Worte eingebaut werden. Während der Schuljahre dachte ich, Übersetzer:in sei der langweiligste Job überhaupt. Ich habe mich geirrt, Übersetzen ist total spannend. Zum Schreiben habe ich, wie viele Schriftsteller:innen, eine komplizierte Beziehung. Manchmal macht es Spaß, manchmal habe ich Angst davor, manchmal ist es eine Qual. Wie jemand sagte: «I hate writing, I love having written». Beim Übersetzen ist es anders. Ich finde, es ist keine Arbeit, sondern eine Art Erholung. Es macht immer Spaß, ich habe immer Lust darauf und prokrastiniere kaum. Also: «I love translating».

Dabei geht es immer um mehr als nur übersetzen. Theaterübersetzer:innen sind nicht nur Vermittler:innen von Welten, sondern auch Entdecker:innen. Sie identifizieren Trends in der ausländischen Dramatik, importieren sie in ihr eigenes Land und tragen enorm zur Diversität der heutigen Spielpläne bei.

In diesem Jahr habe ich zusammen mit Ciprian Marinescu mehrere deutschsprachige Klassenzimmerstücke aus dem Deutschen ins Rumänische übersetzt. Sie wurden in Zusammenarbeit mit fünf rumänischen Theatern in verschiedenen Schulen aufgeführt. Unser Wunsch ist, das Konzept der Klassenzimmerstücke in Rumänien umzusetzen und durch das Übersetzen von Stücken zu mutigen Themen (in rumänischen Kindertheatern werden fast ausschließlich Märchen-Inszenierungen gezeigt) etwas Schwung in die Theaterlandschaft für junges Publikum zu bringen.

Idealerweise werden irgendwann auch rumänische Dramatiker mehr Stücke für das junge Publikum schreiben. Manchmal gelingt es Übersetzer:innen, etwas zu ändern.

 

 

Die Theaterübersetzerin und Autorin Elise Wilk (Foto: A. Bordeianu)

Elise Wilk ist Theaterautorin, Journalistin und Übersetzerin. Sie wuchs zweisprachig (deutsch und rumänisch) als Tochter eines Siebenbürger Sachsen und einer Rumänin in Kronstadt/Brașov auf. Ihre Theaterstücke wurden sowohl in Rumänien als auch im Ausland inszeniert und bisher in 13 Sprachen übersetzt. Sie selbst übersetzt Theaterstücke aus dem Deutschen ins Rumänische und ist Mitglied des deutschsprachigen Komitees des Theaternetzwerks Eurodram. Seit 2021 unterrichtet sie beim Masterstudiengang «Szenisches Schreiben» der Kunstuniversität Târgu-Mureș, unter anderem auch einen Kurs fürs Theaterübersetzen.

 

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