Laura Tirandaz über ihre Arbeit als Übersetzerin Forough Farrokhzâd übersetzen

Die iranische Dichterin Forough Farrokhzâd (Fotograf unbekannt)

In unserer nächsten thematischen Reihe soll es um den intimen, manchmal auch existenziellen Aspekt von Übersetzung und Mehrsprachigkeit gehen. Wir haben mehrere Künstler*innen, die in und zwischen mehreren Sprachen leben und arbeiten, nach ihrem Verhältnis zu unterschiedlichen Bedeutungs- und Ausdrucksformen befragt. Den Anfang macht heute die Dramatikerin und Lyrikerin Laura Tirandaz, die gemeinsam mit ihrem Vater zwei Gedichtbände der iranischen Dichterin Forough Farrokhzâd ins Französische übertrug. Ein Text über die Freude an der Unsichtbarkeit, das Übersetzen als Nachdichtung und die literarische Annäherung an das Land ihrer Familie.

 

von Laura Tirandaz

 

« Hör nicht auf, zu empfinden, wie sich der Sinn entzieht. Der Text kann entziffert werden, aber der Sinn ist unklar.»
Eloi Recoing

 

Forough Farrokhzâd (1935-1967) hat das filmische Gedicht Das Haus ist schwarz und fünf Gedichtbände hinterlassen. Wir, Ardeschir Tirandaz und ich, haben ihre beiden letzten Bände, Wiedergeburt und Lasst uns an den Beginn der kalten Jahreszeit glauben, ins Französische übersetzt. Der letzte Band war veröffentlicht worden, nachdem sie im Alter von 32 Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Bevor wir mit den Übersetzungen begannen, hatten wir versucht, andere iranische Dichter des 20. Jahrhunderts zu übertragen, die genau wie sie den Kanon der klassischen persischen Dichtung in Frage gestellt hatten. Heute ist Forough eine der bekanntesten Dichterinnen jener Zeit und ihr Werk findet im Iran und über seine Grenzen hinweg Widerhall. Von dieser skandalumwitterten Frau sind zahlreiche Porträts erhalten. Sie verheimlichte weder ihre Liebhaber noch ihre Feindschaften und ärgerte sich darüber, dass man ihr lediglich den beschränkten Rang einer Künstlerin einräumte, die als Frau schrieb, ausgehend von einer schmerzerfüllten und sinnlichen Weiblichkeit.

Forough zu übersetzen ist eine Möglichkeit, mein Schreiben im Kontakt mit einem anderen Schreiben zu praktizieren, mit allen zufälligen Ähnlichkeiten und Diskrepanzen. Eine Gelegenheit, die Werkstatt einer Künstlerin zu besuchen, mit ihren verworfenen Versuchen, dem stammelnden Ringen um Formulierungen und ihren kompromisslosen Obsessionen (Akazienduft, Verletzungen aus der Kindheit, erträumte Beziehungen). Und ich muss sagen, wie viel Freude es mir bereitet hat, unsichtbar (oder kleingeschrieben) in jedem einzelnen Wort zu existieren. Vielleicht handelt es sich um dieselbe Freude wie beim Gebrauch von Masken oder Heteronymen. Über den Weg der Übersetzung ist viel diskutiert worden: von sich selbst zum anderen und/oder vom anderen zu sich selbst, bis hin zur vollständigen Absorption des Gedichts des anderen, einer « Ausweidung »[1], wie es die Dichterin und Übersetzerin Antonella Anedda nennt.

 

Jene Tage sind vergangen
Jene Tage sind verwelkt
Wie von der Sonne ausgetrocknete Grashalme
Jene Straßen, schwindelig geworden vom Akazienduft
Verlieren sich im Getöse der Sackgassen

 

Umschlag des Gedichtbands «Croyons à l’aube de la saison froide» von Forough Farrokhzâd, übersetzt von Ardeschir und Laura Tirandaz (Éditions Héros-Limite)

Persisch ist eine Sprache ohne grammatikalisches Geschlecht, es gibt keine bestimmten Artikel. Durch die Ezāfe, ein grammatikalisches Zeichen, können Wörter mithilfe des Lautes « e » miteinander verbunden werden. Die Bilder ziehen schnell vorbei, die Worte fließen bis zum Verb, das den Abschluss bildet. Ja, die Handlung findet am Ende des Satzes statt. Im Französischen galt es, statt übermäßig gedehnten Versen, die pompös oder allzu feierlich wirken könnten, einen straffen Rhythmus mit Brüchen und Asymmetrien zu finden. Forough Farrokhzâd betont in ihrem Werk die Modernität, da sie im Iran, der damals unter amerikanischem Einfluss stand, bedeutende Veränderungen miterlebte. Es ging darum, das Ruckartige, Abgehackte in ihrer Dichtung – die sie mit einem Zickzackkurs vergleicht – im Französischen wiederzugeben. Einer seismografischen Poesie, die aufmerksam und ohne Angst vor Hässlichkeit auf Gefühlsschwankungen, auf das Auftauchen von Bildern reagiert:   «Urin», «Explosion», «Sumpf».  «Nicht alle Gedichte müssen unbedingt gut riechen», erklärte sie in einem Land, in dem die klassische Poesie gerne Rosen (Gol) auf Nachtigallen (Bolbol) reimt. Wie geht man mit einem solchen Erbe, einer solchen Last um? Wie schreibt man nach Khayyâm, Hâfez, Saadi oder Attâr?

Ich hatte Borges` wunderbaren Text über Khayyâm und den Dichter Fitzgerald [2], seinen englischen Übersetzer aus dem viktorianischen Zeitalter, gelesen. Borges führt uns durch den Traum von einer Literatur, die von Epoche zu Epoche wandert, von Vögeln zu Gärten, von Büchern zu Erinnerungen, bis Fitzgerald Khayyâm zum «persischsten aller englischen Dichter» macht. Fitzgerald übersetzt, schreibt um, fragmentiert und fügt neu zusammen. Seine Übersetzung ist eine wunderbare Neuformulierung, die den astronomischen Dichter und den Dichter, der sein Werk sieben Jahrhunderte später wieder aufgreift, durch Bilder von Rosen und Lehm und durch einen ausgeprägten Sinn für Vergänglichkeit zusammenbringt. Der Übersetzer « (…) schreibt das Gedicht eines anderen »[3] fasst Pierre Vinclair zusammen … Und außerdem träumt der andere sich selbst, mittels dessen, was sich der Bedeutung widersetzt, was sich allen Leser*innen entzieht, unabhängig von der Sprache, die sie sprechen.

Umschlag des Gedichtbands «Une autre naissance» von Forough Farrokhzâd, übersetzt von Ardeschir und Laura Tirandaz (Éditions Héros-Limite)

Forough zu übersetzen, bedeutet für mich auch, das Werk einer Frau zu übersetzen, die im selben Jahr geboren wurde wie meine Großmutter Zibâ, die noch heute in Teheran lebt. In gewisser Weise war es eine Rückkehr in das – inzwischen verschwundene – Land, das einige Mitglieder meiner Familie verlassen hatten, um nach Europa oder in die USA zu gehen. Eine Rückkehr, ohne nostalgisch auf die Zeit zwischen Savak[4] und der hastigen Hinwendung zum Kapitalismus zurückzublicken. Diese beiden Bände mit meinem Vater zu übersetzen, war eine Möglichkeit, mich einem Land anzunähern, das sich aufgrund der politischen und diplomatischen Spannungen nur noch über die Literatur oder das Kino entdecken lässt. Zumindest im Moment.

Persisch ist nicht meine Muttersprache. Ich spreche es mit Mühe und großer Vorsicht, schäme mich für meinen Akzent und meine syntaktischen Ungenauigkeiten. Eine Phantomsprache, wie es auch Phantomglieder gibt. Amputiert existieren sie noch, pulsierend und schimmernd in der Abwesenheit.

 

Ich denke an jenes traurige Erwachen, an jene Fassungslosigkeit
Als unsere Spiele und die Straße endeten
Und an jene große Leere, hinterlassen vom Akazienduft

 

Übersetzen … Eine Identität, die sich verliert oder erweitert, empfänglich für die geringste Metamorphose. Ich habe nie den Duft blühender Akazien geatmet.

 

[1] «Das Gedicht, das man übersetzt, ist keine Abstraktion, sondern ein konkreter Körper. Beim Übersetzen habe ich das Gefühl, den Text auszuweiden, aber jedes ausgeweidete Wort ruft Leben hervor». Antonella Anedda, zitiert von Jean-Baptiste Para in La conférence de Lausanne.
[2] Jorge Luis Borges, Das Rätsel Edward Fitzgerald in Eine neue Widerlegung der Zeit, Die Andere Bibliothek.
[3] Pierre Vinclair, Fidèles Infidèles, la traduction poétique par les poètes, in Idées arrachées, Essais et entretiens, Editions Lurlure
[4] Von 1957 bis 1979 Bezeichnung des iranischen Geheimdienstes.

 

Aus dem Französischen von Frank Weigand

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Die iranische Dichterin Forough Farrokhzâd (Fotograf unbekannt)

Forough Farrokhzâd, geboren 1935 in Teheran, war die erste moderne iranische Dichterin, aber auch Filmregisseurin und Schauspielerin. In ihren Werken versuchte sie, die Stereotypen von Mann und Frau zu überwinden, um die Wahrheit dahinter zu «enthüllen». Sie gilt heute als eine der talentiertesten und bedeutendsten Dichterinnen in der Geschichte der persischen Literatur. Im Laufe ihres Lebens veröffentlichte sie mehrere Gedichtbände, von denen der letzte erst posthum veröffentlicht wurde. 1967 starb sie im Alter von 32 Jahren bei einem Autounfall.

Die Dramatikerin, Lyrikerin und Übersetzerin Laura Tirandaz (Foto: d.r.)

Laura Tirandaz wurde in Lyon als Tochter eines Iraners und einer Französin geboren. Sie schreibt Theaterstücke und Lyrik. Einige ihrer Theatertexte wurden veröffentlicht, von France Culture für den Rundfunk adaptiert und in mehrere Sprachen übersetzt. Parallel dazu sind ihre Gedichtbände Sillons und Signer les souvenirs bei Æncrages & Co. erschienen. Außerdem hat Laura Tirandaz Hörspiele und Dokumentarfilme für Arte Radio, RTBF und France Culture produziert. Regelmäßig trägt sie ihre Texte öffentlich vor, begleitet von selbst produzierten Hörgedichten. Seit einigen Jahren übersetzt sie gemeinsam mit ihrem Vater Ardeschir Tirandaz das Werk der iranischen Dichterin Forough Farrokhzâd. Zwei Bände sind bei Héros-Limite erschienen: Une autre naissance und Croyons à l’aube de la saison froide.

http://shabesiaa.blogspot.com/

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