Frank Weigand: Olivier, wie sind denn deine bisherigen Erfahrungen mit Produktionen deiner Stücke, sowohl in deinem eigenen Québecer Kontext, als auch im Ausland?
Olivier Sylvestre: Es ist jedes Mal anders. Es kommt darauf an, wie wir arbeiten. Als 2020 die Premiere von diesem Text in Quebec produziert wurde, war ich sehr nah an der Produktion, also sehr nah an der Bühne und dem Probenraum. Und wir haben damals viel diskutiert und den Text auf den Proben weiterentwickelt. Es war also eine kollektive Arbeit, aber natürlich gab es auch Konflikt, weil waren wir uns nicht einig, was wir auf der Bühne darstellen wollten oder konnten, und was nicht. Zum Beispiel wenn es zwei Ebenen im Text gibt, also die Narration und die Aktion und man überlegen muss, ob man gezeigt, was gesagt wird, oder nicht, oder ob man eine andere Lösung findet.
Aber hier in Deutschland bleibt mir gar nichts anderes übrig als Vertrauen zu haben, und ich kenne Justus und Sonja, also bin ich sehr, sehr beruhigt, dass alles gut gehen wird. Und ich bin sehr enttäuscht, dass ich nicht bei der Premiere dabei sein kann. Im Grunde geht es bei jeder Produktion darum, dass ich die Kontrolle aufgeben muss, natürlich ist das mein Stück, das ich geschrieben habe, und es ist auch meine Geschichte, das, was ich erzählen wollte, und meine Sicht auf die Welt. Aber dann bleibt mir nichts übrig, als zu hoffen und zu glauben, dass das respektiert wird. Besonders wichtig ist mir der Dialog zwischen dem Stück und dem Publikum, und wie wir uns um das Publikum kümmern. Das Publikum an unterschiedlichen Orten braucht unterschiedliche Entscheidungen. Und alles an dieser Leipziger Adaption gefällt mir sehr, weil das wirklich das ist, was diese Geschichte braucht. Wie Sonja gesagt hat, es ist nicht wichtig, dass die Jugendlichen in Leipzig wissen, wie es 1999 in Québec war. Es geht mehr um Gefühle, und das, was in unserem Inneren passiert.
Magz Barrawasser: Ich glaube, letzten Endes arbeiten wir quasi immer alle in Positionen, in denen wir uns was selbst zu eigen machen und dann abgeben müssen. Also, ich ja auch, an die Spieler*innen und die dann auch wieder ans Publikum. Ich habe aber das Gefühl, so ein bisschen auf der Metaebene gedacht, wir kriegen das in der Kommunikation, die wir im Vorfeld hatten, total gut hin, eben auch auf die beruflichen Expertisen der jeweils anderen zu vertrauen. Ich vertraue total darauf, dass Oliver ein gutes Stück geschrieben hat, ich vertraue total darauf, dass Sonja die richtigen deutschen Worte gefunden hat, vertraue darauf, dass Justus mir ehrliche Rückmeldungen gibt zu dem, was wir auf der Probe machen. Das finde ich super wertvoll, um diese Augenhöhe herzustellen. Es funktioniert nur, wenn die verschiedenen beruflichen Perspektiven ineinander klicken.
Sonja Finck: Ja, und ich denke es hilft, dass wir uns alle einig sind, was das eigentlich bedeutet, Grenzen zu respektieren, sei es inhaltlich im Stück oder bei der beruflichen Zusammenarbeit. Wenn da jetzt jemand in der Kette eine ganz andere Auffassung davon gehabt hätte, wäre es, glaube ich, schwierig geworden. Die Kommunikation funktioniert so gut, weil wir eine ähnliche Sicht darauf haben, was das Stück will und wie man damit gut umgeht.
Frank Weigand: Das ist doch ein sehr schönes Schlusswort. Vielen Dank euch allen und toi toi toi für die Premiere!
Magz Barrawassers Inszenierung von «Sexualkunde für das nächste Jahrtausend» (Premiere 16.9. 2023) läuft in diesem Herbst regelmäßig im Theater der Jungen Welt, Leipzig.
Termine und Karten
Trailer zur Produktion + Interview mit Regisseurin Magz Barrawasser
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