Zum Abschluss, auch wenn ich zu keiner Schlussfolgerung komme, möchte ich ergänzen, dass die Lesart, die mir am meisten Freude bereitete, von einem Kölner Blogger stammte, der einen langen illustrierten Artikel zur Inszenierung schrieb, mit dem Titel: «Tiefgehende Rollenauseinandersetzung, die eben nicht nur schön ist»[30]. Es ist wichtig, das Spiel der Rollen zu verstehen, die man uns zuteilt. Vor allem in Modellen der Organisation im künstlerischen Bereich, in dem einige wenige das Monopol der Wahl und Entscheidungsmacht anstelle anderer innehaben[31]. Wie kann man ein künstlerisches Werk lesen, indem man die durch die Legitimationsprozesse von Ungleichheiten vorgegebenen Lesekriterien ausschaltet? Das verstehe ich unter Lesen mit allen Hoffnungen, die mir erlaubt sind!
Aus dem Französischen von Corinna Popp
[1] Der Film (in Farbe und Schwarz/Weiß) ist ein Auftragswerk der Schweizer Landesausstellung 2002. Er ist inspiriert von dem Roman Aimé Pache, peintre vaudois von Charles-Ferdinand Ramuz. Der Film ist 22 Minuten lang und in 9 Kapitel unterteilt. Produktion: Périphéria Film.
[2] Dieses Dialogfragment aus dem Film Liberté et Patrie [9:44′- 10:05′] wird oft ausschließlich Jean-Luc Godard zugeschrieben, ohne namentliche Erwähnung seiner Ko-Autorin Anne-Marie Miéville. So zum Beispiel im Falle von Éric Méchoulan, Professor für Französische Literatur an der Universität von Montreal, der in die Praxis umzusetzen vergaß, was der schöne Titel seines Buches empfiehlt, nämlich mit Sorgfalt zu lesen: LIRE AVEC SOIN. Amitié, justice et médias (ENS Éditions, 2017), als er das Zitat seiner Einleitung voranstellt (Seite 9) und dabei Anne-Marie Miévilles Urheberrechte an dem Dialog unterschlägt, der Ko-Autorin des Films. Wir haben es hier mit dem im akademischen Milieu und in den Medien sehr verbreiteten Symptom des Unsichtbarmachens von Künstlerinnen zu tun.
[3] Sophokles, Antigone. Übersetzung und Nachwort von Wilhelm Kuchenmüller. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998.
[4] Félix Morisseau-Leroy, Antigòn an Kreyòl, Pétion-Ville (Haïti), Éd. Culture, 1953.
[5] Judith Butler, Antigone’s Claim: Kinship between Life & Death, New York, Columbia UP, 2000. Deutsche Übersetzung von Reiner Ansén, Antigones Verlangen: Verwandtschaft zwischen Leben und Tod, edition suhrkamp, Frankfurt am Main 2001.
[6] G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hrsg v. Clairmont, Heinrich und Wessels, Hans Friedrich Meiner, Philosophische Bibliothek 414, Hamburg 1988.
[7] George Steiner, Die Antigonen. Geschichte und Gegenwart eines Mythos, Deutsch von Martin Pfeiffer, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Frankfurt am Main, 2014.
[8] Ibid., S.3.
[9] Carla Lonzi, «Auf Hegel pfeifen» (S.5-34) in: «Die Lust Frau zu sein. Internationale Marxistische Diskussion 55.» Übersetzt von Sigrid Vagt, Merve Verlag, Berlin 1975.
[10] Jean-Baptiste Vuillerod, «Hegel féministe. Les aventures d’Antigone», Vrin, coll. « Matière étrangère », 2020, p.15 ; deutsche Übersetzung für diesen Essay von Corinna Popp.
[11] Carla Lonzi, 1975.
[12] Sünde Erfolg (2013) ist eine Koproduktion von Meriam Bousselmi (Tunis) mit der International Platform for dance & theatre GLOBALIZE:COLOGNE, A.TONAL.THEATER (Köln), «Theaterlandschaft Neues Arabien» des Theater an der Ruhr (Mülheim) und des Festival International de Théâtre de Bejaia (Algerien), mit Unterstützung der Akademie der Künste der Welt (Köln). In diesem Stück versammelte Meriam Bousselmi sechs Schauspielerinnen und einen Musiker aus vier arabischen Ländern – Algerien, Marokko, Syrien und Ägypten – für eine Bestandsaufnahme der rechtlichen Situation der Frauen und der Schwierigkeiten, die ihnen bei der Ausübung ihrer künstlerischen Karrieren in einem patriarchalen Kontext begegnen. Text und Inszenierung: Meriam Bousselmi. Es spielten: Amal Omran (Syrien), Amal Ayouch (Marokko), Fatiha Ouarad (Algerien), Ayet Magdy (Ägypten), Djohra Dreghela (Algerien), Mouni Bouallam (Algerien); Musik: Younes Kati (Algerien). Teaser der Inszenierung: https://vimeo.com/79784852 [Zugriff: 25.01.2024] Der Text wird auf Deutsch vertreten von Hartmann & Stauffacher GmbH Verlag für Bühne, Film, Funk und Fernsehen in der Übersetzung von Andreas Bünger.Weitere Informationen: https://www.hsverlag.com/werke/detail/t3875 [Zugriff: 25.01.2024] Auf Englisch ist der Text beziehbar bei International Performing Rights Ltd in der Übersetzung von Salma Riahi. Weitere Informationen: The Sin of Success, https://iprltd.co.uk/?q=plays-musicals/the-sin-of-success [Zugriff: 25.01.2024]
[13] Weitere Informationen über die Arbeit von Amal Ayouch siehe ihren Wikipedia-Eintrag, https://fr.wikipedia.org/wiki/Amal_Ayouch#:~:text=la%20com%C3%A9die%20fran%C3%A7aise)-,Carri%C3%A8re%20en%20tant%20qu’actrice,de%20multiples%20facettes%20du%20Maroc [Zugriff: 25.01.2024]
[14] Immanuel Kant, «Kritik der Urteilskraft und Schriften zur Naturphilosophie», Insel Verlag, Wiesbaden 1957, S. 405-407.
[15] Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten. Erster Teil §22-23in: Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie», Insel Verlag Wiesbaden 1957.
[16] Kant, 1957, S. 405.
[17] Ibid., S. 408.
[18] Ibid., S. 409.
[19] Ibid., S. 413.
[20] Sarah Kofman, Le respect des femmes : Kant et Rousseau, Paris, Éd. Galilée, 1982 [keine deutsche Übersetzung vorhanden, a.d.Ü.].
[21] Für weitere Informationen zur Arbeit von Roberto Ciulli siehe Website des Theaters an der Ruhr, https://www.theater-an-der-ruhr.de/de/menschen/738-roberto-ciulli [Zugriff: 25.01.2024]
[22] Für weitere Informationen zur Arbeit von Taoufik Jebali siehe seinen Wikipedia-Eintrag, https://fr.wikipedia.org/wiki/Taoufik_Jebali[Zugriff: 25.01.2024]
[23] Für weitere Informationen über das El Teatro siehe Website, https://elteatrotunis.com/fr/home [Zugriff: 25.01.2024]
[24]»Zapping sous contrôle«, Text und Regie: Meriam Bousselmi, Produktion: Web Arts Tunis, Preis der Produktion kultureller Ressourcen («Al Mawred Al Thaqafy») 2007. Weitere Informationen: MEKKI, Thameur, Tunisie Big Brother ne zappe jamais !, Tekiano.com, 19.11.2009,https://www.tekiano.com/2009/11/14/tunisie-big-brother-ne-zappe-jamais/ [Zugriff: 25.01.2024] Teaser der Inszenierung, https://www.youtube.com/watch?v=CAjx53RpYQ0 [Zugriff: 25.01.2024]
[25] Für weitere Informationen zur Arbeit von Mohamed Driss siehe seinen Wikipedia-Eintrag, https://fr.wikipedia.org/wiki/Mohamed_Driss [Zugriff: 25.01.2024]
[26] Mémoire en Retraite, eine Produktion des Théâtre National Tunisien (2011), Text und Inszenierung: Meriam Bousselmi mit Sleh Msadek und Kabyl Sayari. Das Stück gewann den Cheikh Sultan Bin Mohamed Al-Qasimi-Preis für die beste arabische Theaterinszenierung 2011. Mémoire en Retraite bringt den ewigen Konflikt zwischen einem Vater (einem Winkeladvokaten) und seinem Sohn (einem marginalisierten Dichter) auf die Bühne und situiert das Ganze in einer offen politischen Symbolik des Totalitarismus. Teaser der Inszenierung: https://www.youtube.com/watch?v=JY2mvBdrylA [Zugriff: 25.01.2024] Der Text wird auf Deutsch vertreten von Hartmann & Stauffacher GmbH Verlag für Bühne, Film, Funk und Fernsehen in der Übersetzung von Leila Chammaa und Youssef Hijazi. Weitere Informationen: https://www.hsverlag.com/werke/detail/t3815?rechte_autor=Tardieu%2C%20Jean&rechte_titel=SIE%20ALLEIN%20WISSEN%20ES [Zugriff: 25.01.2024] Die Aufnahme der von Kevin Rittberger eingerichteten Lesung auf Deutsch im Rahmen der Veranstaltung «Familienclans und andere Dramen – Dokumentation des tunesisch-deutschen Theaterdialogs» am 3. März 2012 in der Akademie der Künste Berlin mit Moritz Grove und Christian Grashof ist online abrufbar: https://medien.adk.de/sektionen/darstellende_kunst/2012/adk120303_Tunesische_Dramatik_Lesung%201_Memoire.mp3 [Zugriff: 25.01.2024]
[27] Weitere Informationen über die Arbeit von Mouni Bouallem siehe ihren Wikipedia-Eintrag: https://fr.wikipedia.org/wiki/Mouni_Bouallam#:~:text=Mouni%20Bouallam%20est%20une%20actrice%20de%20th%C3%A9%C3%A2tre%20et%20de%20cin%C3%A9ma%20alg%C3%A9rienne[Zugriff : 25.01.2024]
[28] Meriam Bousselmi erhielt 2012 das Residenz- und Arbeitsstipendium der Jungen Akademie der Künste in Berlin in der Sektion Theater. Weitere Informationen: https://www.adk.de/de/news/?we_objectID=32104 [Zugriff : 25.01.2024]
[29] Stefan Keim, «Kreischen und Brüllen für die Emanzipation. Die tunesische Theatermacherin Meriam Bousselmi zeigt mit «Sünde Erfolg» Leiden und Kampf der arabischen Künstlerinnen. Flapsig könnte man sagen: Hier trifft Alice Schwarzer auf René Pollesch.», veröffentlicht am 20.11.2013 auf Deutschlandfunk Kultur: https://www.deutschlandfunkkultur.de/arabisches-theater-kreischen-und-bruellen-fuer-die-100.html [Zugriff : 25.01.2024]
[30] Namkoartist, «Tiefgehende Rollenauseinandersetzung die eben nicht nur schön ist«, veröffentlicht am 24.11.2013, https://namkoartist.wordpress.com/2013/11/24/theater-auf-dem-theater-mit-visionarer-weitsicht-und-poesie/ [Zugriff: 25.01.2024]
[31] Reine Prat, Exploser le plafond. Précis de féminisme à l’usage du monde de la culture, Éditions Rue de l’échiquier, Collection Les Incisives, 2021 [keine deutsche Übersetzung vorhanden, A.d.Ü.].
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