Miléna Kartowski-Aïach über ihr Verhältnis zum Hebräischen Erschütterungen einer jüdischen Existenz

Die Kantorin, Sängerin, Regisseurin und Autorin Miléna Kartowski-Aïach im Wald von Ein-Kerem, Jerusalem (Foto: d.r.)

Im vergangenen Sommer wollten wir eine thematische Reihe über den intimen, manchmal auch existenziellen Aspekt von Übersetzung und Mehrsprachigkeit beginnen. Den Anfang sollte Miléna Kartowski-Aïach machen, französisch-israelische Kantorin, Sängerin, Regisseurin und Dramatikerin, die vor über zwei Jahren aus Paris nach Jerusalem gezogen war und sich im Hebräischen noch nicht vollkommen zu Hause fühlte. Im Juli 2023 schickte sie uns einen poetischen Text über die Sehnsucht nach sprachlicher und spiritueller Zugehörigkeit. Die Veröffentlichung war für Mitte Oktober geplant. Wenige Tage vor dem geplanten Erscheinungstermin, am 7. Oktober, ereignete sich der terroristische Überfall der Hamas auf Israel, wenige Tage später begann der Krieg in Gaza. Unter diesen Umständen war es unmöglich geworden, den Text unkommentiert in seiner ursprünglichen Form zu veröffentlichen. Im Februar 2024 thematisierte Miléna Kartowski-Aïach, inzwischen nach Paris zurückgekehrt, ihre Situation als Exilantin in einem theatralischen Dialog mit ihrer «Heimatsprache». Heute veröffentlichen wir  beide Texte gemeinsam, ergänzt durch ein kontextualisierendes «Zwischenspiel» der Autorin.

 

Heimatsprache, wann kommst du mich bewohnen?

29. Juli 2023, Ein Kerem – Jerusalem

 

In der vom Rennen erschöpften
Lendenbeuge
Suche ich dich
Am Saum des sonnenverbrannten
Nackens
Suche ich dich
An den nunmehr gegen Schmerz unempfindlichen
Fingerkuppen
Suche ich dich
In den Spitzen der
Aus einem Übermaß an Reinheit
Vernachlässigten Brüste
Suche ich dich
In den Tälern des
Vom Feuer der Existenz aufgewühlten Bauchs
Suche ich dich
In der Furche der Lippen
An den heiligen, durstigen Ufern
Suche ich dich
Im ausgebleichten Durcheinander
Der ungezähmten Haare
Suche ich dich

Ich suche dich
Im Beben
Der vibrierenden Tage
Die jede Stunde erklingen lassen
Wie die letzte

Ich suche dich
Um Stimme zu finden
Und Welt
Um Boden zu finden
Und Wurzeln

Ich suche dich
Wesentliche Sprache
Die gebrochen dringt
Aus einem Jerusalemer Leib
Erschüttert
Von zu viel Gewalt

Ich suche dich
Ur-Idiom
Im Atem der Pijutim¹
In der Ewigkeit
Der religiösen Gesänge
Wo du deine größten Flügel
Ausbreitest

Ich suche dich
Bei jedem Wort
Bei jedem Zeichen
Bei jedem Schritt
Verzweifelt Liebende
Im Angesicht des Geliebten
Das sich unaufhörlich
Entzieht

Ich suche dich
Im Fleisch
Eines gegenwärtigen Israel
Das dich ausgewrungen
Zermalmt
Und zur Strecke gebracht hat
Um
Umgangssprache
Eines ultraliberalisierten
Militärstaats zu werden
Der sich von Krieg
Zu Start-Up
Selbst
Atomisiert hat

Tsere
Chirek
Cholam
Kamats
Segol

Atemvokale
Abgenutzt wie alte Schuhe
Nicht mehr berufen
Die Zunge zum Atmen zu bringen

Geworden
Lediglich
Ja lediglich
Zu armseligen
Stummen Zeichen
Die einzig
Diejenigen
Die noch
Im heiligen Text
Zu lesen verstehen
Behutsam
Zu vokalisieren vermögen

Ich weiß, dass auf der ewigen Erde
Auf der ich gestrandet bin
Die Eingeweidesprache
Heute
Nur noch aus Fetzen besteht
Und dass wir mit
Emporgereckten Gesängen
Versuchen
Den Riss
Zu stopfen

Ich strecke die Hand aus
Und auf einmal
Legt er sich nieder
In die Höhlung
Einer Handfläche
Tal – der Tau
Wo jeder Tropfen
Ein unberührtes Gebet ist
Das dem Tag noch
Eine kleine Hoffnung gibt
Zu blühen und zu erklingen

Mein Hebräisch
Mein Makom
Mein Bewohntes
Lass
Aus dir heraus in mir
Einen klaren Fluss entspringen
Einen Uferstrom
Der nie mehr
Den Durst
Des ewig Umherirrenden
Kennt

Nimm den Kontinent
In Besitz
In meinem dargebotenen Körper
Um einzupflanzen
Wieder und wieder
Die ursprünglichen Samen
Die aus dir
Und aus dir in mir
Meine letzte Sprache machen
Meine Muttersprache
Meine Heimatsprache

 

¹ Unter Pijutim (hebräisch: פיוט) versteht man für den liturgischen Gebrauch bestimmte Gedichte, die im jüdischen Gottesdienst gesungen bzw. vorgetragen werden.

__________________________________________________________________________________________________

Am 5. November 2023 demonstrieren Miléna Kartowski-Aïach und eine Gruppe israelischer Frauen am Alten Hafen von Montreal für die Freilassung der Kinder, die sich seit dem 7. Oktober als Geiseln in den Händen der Hamas befinden (Foto: d.r.)

Zwischenspiel in Zeiten des Krieges

Zwischen diesen beiden Texten liegen beinahe sechs Monate. Der erste entstand am 28. Juli 2023 in meinem Zuhause in Ein Kerem-Jerusalem, der zweite am 11. Februar 2024 in Paris, in der Wohnung meiner Eltern. Drei Kontinente und drei Länder liegen dazwischen. Sommer 2023: In der schwülen Hitze Jerusalems schreibe ich, bevor ich Israel einen Monat später verlassen werde. Ich suche nach dem Hebräischen, meinem Hebräisch, meinem Land. Ich suche nach einem Platz in diesem Land, in dem ich es noch nicht geschafft habe, mein Zuhause zu finden. Die Proteste gegen die Justizreform erschüttern Israel und jede Woche gehe ich vor dem Haus des Präsidenten demonstrieren. Nach meiner Auswanderung und zwei Jahren in Jerusalem bin ich nicht in der Lage, von meiner Kunst zu leben und muss für mindestens ein Jahr nach Kanada gehen. Dort werde ich mit einem Stipendium an der Concordia University in Montreal eine Doktorarbeit im Bereich künstlerische Forschung beginnen. Am 29. August verlasse ich Israel mit gebrochenem Herzen und verspreche, so bald wie möglich zurückzukehren. Am 7. Oktober 2023 ändert sich auf einen Schlag alles. Die Schockwelle erreicht die ganze Welt und überall explodiert antisemitische Gewalt. Am 10. Oktober bittet mich das Team von Plateforme, den ersten Text zu veröffentlichen. Ich antworte, dass es unmöglich ist, dass es nicht der richtige Zeitpunkt ist, dass etwas zerbrochen ist, etwas Tiefgreifendes, dass ich trauere, dass ich einfach nicht kann. Ich antworte, dass wir höchstwahrscheinlich einen zweiten Text brauchen werden, einen Text über die Welt nach dem 7. Oktober. Die Wellen des Antisemitismus erreichen die Universitäten in Nordamerika, darunter auch meine und ich begebe mich in den aktiven Widerstand. In Montreal werden die Angriffe auf die jüdische Bevölkerung immer zahlreicher und brutaler. Ich beschließe, nach Israel zurückzukehren, um meinem Land zu helfen. Aber mein Vater wird ins Krankenhaus eingeliefert und sein Gesundheitszustand verschlechtert sich. Ich packe meine Koffer und fliege von Montreal nach Paris, um bei ihm zu sein. Der Krieg in Gaza geht weiter und der Zustand meines Vaters verbessert sich nicht. Ich finde mich bei meinen Eltern wieder, in der Wohnung, in der ich geboren wurde, in einem halben Exil, hin- und hergerissen zwischen meinem Vater und Israel, das mir so fern erscheint und das ich so sehr vermisse. In dieser Situation, in der mir das Schreiben seit dem 7. Oktober schwerfällt, verfasse ich den zweiten Text für Plateforme.

Miléna Kartowski-Aïach singt am 9. Februar 2024 auf der Place de Trocadéro in Paris für die Freilassung der Geiseln, zusammen mit einem Überlebenden der Angriffe des 7. Oktobers (Foto: d.r.).

Dialog für eine Rückkehr

11. Februar 2024, Paris, 20. Arrondissement.

 

DIE JÜDIN IM EXIL- Auf deinem verwundeten Leib halte ich Andacht.

DIE HEIMATSPRACHE- Hauche mich.

DIE JÜDIN IM EXIL- Auf deinen ausgeweideten Riffen bete ich.

DIE HEIMATSPRACHE- Sprich mich.

DIE JÜDIN IM EXIL- Auf deinen ausgetrockneten Mund gieße ich.

DIE HEIMATSPRACHE- Beschwöre mich.

DIE JÜDIN IM EXIL- Auf dein zerbrechliches Dasein hoffe ich.

DIE HEIMATSPRACHE- Lass mich nicht im Stich.

DIE JÜDIN IM EXIL- Ich hebe dich auf, verwundeter Vogel und lege dich an meine Brust. Saug, saug tüchtig. Trinke von der Quelle meines Lehms. Stille deinen Durst in der Farbe meiner Erde. Gewinne deine Stimme zurück. Gewinne deinen Raum zurück. Gewinne dein Leben zurück. Nackt kletterst du meine Haut empor, bis an mein Gesicht. Sei unbesorgt, niemand hört uns. Draußen wollen sie uns beiden ans Leben. Sie heulen, die Wölfe, die den Kopf verloren haben. Komm näher. Nimm meinen Mund, meinen Gaumen, meine Zunge. Berühre mein Gaumenzäpfchen, kitzle meinen Kehlkopf. Komm zurück, komm zurück und wohne wieder in mir. Du wirst dich dort wohlfühlen. Ich spüre, wie du langsam zu mir zurückkehrst, wie deine Farbe mich durchströmt. Du trägst mich dorthin, wo wir eins sind. Ganz nah an die offene Wunde, die stetig tiefer wird. Du trägst mich in das verlassene Land, in das die Nacht eingedrungen ist.

DIE HEIMATSPRACHE- Dich zu durchströmen, bedeutet, das Leben wiederzufinden. Einen Boden wiederzufinden. Die einzigen Gebiete, nach denen ich mich sehne, sind die, wo ich in einer möglichen Sanftheit wieder Körper werden kann. Ich sehe deine Lippen, lebendig, fleischig. Mir dargeboten. Ich gebe mich hin, und du schenkst mir mit deinem Atem das Leben. Ich erklinge in dir, durch dich und über dich hinaus. Ich bin dein erobertes, unter Tränen wiedergefundenes, immer wieder aufs Neue zusammengesetztes Idiom.

DIE JÜDIN IM EXIL- Ich habe dich nicht vergessen, auch wenn die Monate, der Krieg und die Verbannungen mich deiner beraubt haben. Du zögerst und manchmal stößt du dich am fest zusammengepressten Kiefer. Es geht ums Überleben, das weißt du, und draußen auf den Straßen darfst du mich nicht mehr begleiten. Nur wenn ich auf den Stufen des Trocadéro singe, um die Freilassung unserer Geiseln zu fordern, darfst du noch im öffentlichen Raum erklingen. Nur in dir singe ich, nur mit dir. Nur in dir bete ich, nur mit dir.

DIE HEIMATSPRACHE- Du bist mein Resonanzkörper. Mein fleischgewordenes Bollwerk des Widerstands. Du bist die Sprüche der Väter und das Hohelied. Du bist der Mond, der nicht nur jeden einzelnen Monat geheiligt wird. Du bist der Boden, mein Boden. Der, den ich festhalte, damit er nicht fortweht.

DIE JÜDIN IM EXIL- Wenn ich könnte, würde ich dich jeden Tag, jede Stunde anstimmen. Ich würde dich in ein Tuch an meinem Herzen wickeln und du könntest mir meine Worte diktieren. Jeder einzelne deiner Buchstaben bringt mich der Erde näher. Jedes Gespräch mit dir bringt Erde hervor. So fern und deiner Stimmen beraubt, weiß ich doch, dass deine Quelle mir lebenswichtig ist. Fern von dir verwelke ich und mein Puls rast, sobald ein Schimmer des Wiedersehens erstrahlt.

DIE HEIMATSPRACHE- Bleib, wo du bist. Such mich nicht in den Ruinen. Hab Geduld. Wachse an der Verbindung mit mir. Zähme mich weiterhin. Begreife meine Wendungen und spiele mit ihnen, bis du sie vergisst.

DIE JÜDIN IM EXIL- Mit dir reden, dich aussprechen, fern von unserer Erde? Wie kannst du mich dazu auffordern?

DIE HEIMATSPRACHE- Deine Vorfahren haben das über zweitausend Jahre lang getan. Sie waren so geduldig und haben die Hoffnung nie aufgegeben, einmal zu sehen, wie die Erde zur Nation wird. Denk an sie. Respektiere die Zeit und die Geschichte.

DIE JÜDIN IM EXIL- Sie waren zu geduldig und ihre Heimatsprache bliebt auf die Heiligen Bücher beschränkt. Ich wünsche und fordere ein Land, in dem ich dich endlich tragen kann. Du hast es nicht verdient, lediglich das Idiom unserer Verstecke und Geheimnisse zu sein.

DIE HEIMATSPRACHE- Ich dringe durch Mauern bis an die Ohren der Feinde. Ich bin der Atem, der sich windet und Wache hält, besonders wenn man mich ächtet.

DIE JÜDIN IM EXIL- Ich dachte, ich würde mich dir hingeben und so unserem Gelobten Land näherkommen. Jedes Wort in der Zeit eingraviert, wie ein uralter Code, der den Weg der Rückkehr vorzeichnet. Sag mir, wird es so sein? Werden wir wieder gemeinsam im heiligen Wald erklingen? Vor den schützenden Mauern? In die Zweige der tausendjährigen Olivenbäume geschmiegt? Versprich es mir! Wenn dies nicht meine nahe Zukunft ist, kann ich nicht durchhalten. Die Zeit des Ghettos ist vorbei. Wir kehren nicht dorthin zurück, nie wieder. Du bist aus dem Buch herausgetreten und Muttersprache so vieler der Unsrigen geworden. Ich weigere mich, umzukehren!

DIE HEIMATSPRACHE- Das Land wurde uns nicht geschenkt. Es wurde uns zugestanden und wir haben es nicht beschützt. Jedes Wort von mir ist ein potenzieller Samen, aber alles hängt davon ab, welche Absicht man ihm verleiht. Es kann keimen und eine mit roten Anemonen übersäte Graslandschaft werden, auf der die Herzen neue Kraft schöpfen. Es kann keimen und eine aggressive Pflanze werden, die den ihr zugewiesenen Lebensraum kolonisiert und verbrennt. Jedes einzelne Wort von mir hat die Kraft des Lebens und der Zerstörung. Jeder einzelne Satz von mir vermag alles, von der Geburt eines Kindes bis zur kriminellen Brandstiftung. Wäge deine Worte. Arbeite an dem Atem, der sie trägt. Schenke deine Stimme nur dem, was das Leben wählt. Dem, was dem Leben geweiht ist. Bearbeite mich, vermische mich, knete mich zu einem fruchtbaren Schlamm. Noch ist Zeit. Nun ist es an der Zeit, mich erklingen zu lassen, und nur so.

DIE JÜDIN IM EXIL- Kann man noch vernünftig denken, wenn man fern der Heimat nicht mehr erklingt? Was bewahrt mich noch vor dem Wahnsinn? Soll ich die Stille wiederfinden und zu meinem Nest machen?

DIE HEIMATSPRACHE- Lass mich in dir erklingen, nur für dich. Ich bin deine Kraft und dein Geheimnis. Ich bin die Erde deiner Eingeweide und der Widerhall der Vorfahren. Suche nicht nach mehr. Verlange nicht nach mehr. Die Erde verschlingt diejenigen, die sie nicht mehr will, und spuckt sie wieder aus. Sie ist kannibalisch und unberechenbar. Löse mich vom Land und mache mich zu Erde in dir. Um mich zu retten und zu bewahren. Um weiterhin mit mir zu sprechen, mir zuzuflüstern und mir den Krieg zu ersparen, der mich mit Leichen und Vermissten übersät.

DIE JÜDIN IM EXIL- Mach mit mir, was du willst. Erobere diesen Körper ganz und nimm ihn in Besitz. Errichte in ihm dein Bollwerk und halte Zwiesprache, mit wem du willst, in der zurückgezogenen Höhle. Aber wisse, dass dieser Körper, der deine Festung geworden ist, ohne einen Boden nach und nach zusammenbrechen wird. Langsam wird er sterben, wird verblassen. Du hast nicht den Mut, den ich dir zugetraut hatte. Du wünschst dir nur, zu existieren, sogar ohne Wurzeln, sogar ohne Erde. Auch du wirst verlöschen, wenn du glaubst, dass die Heimsuchung unserer verbannten Körper die Erde ersetzen kann. Du bist klein in diesem Augenblick, verlierst deinen edlen Stolz. Komm zu mir zurück, stärker, mutiger, klangvoller. Komm zurück mit neuen Versprechen und Hoffnungen. Lass nicht zu, dass die Verbannung dich gefangen nimmt, wie sie uns festgesetzt hat. Sei unsere Brücke, führe uns an und lass uns dort einander wiedertreffen, wo Sprache und Land erneut zusammenwachsen können. Sei die, auf die ich zugehe und die mich in ihrem Erklingen trägt wie seit Anbeginn der Zeit. Ich folge dir mit allem, was ich bin, aber nur unter dieser Bedingung. Gib nicht auf und verlange nicht, dass ich dir entsage. Gemeinsam werden wir ein Gebiet sein, ein Körper gewordenes Gebiet, das Gebiet, in dem wir Wurzeln schlagen. Trage mich, so wie ich dich in meiner Brust trage. Mögen meine Worte diesen gemeinsamen Schwur mit ihrem Gebet besiegeln.

 

(aus dem Französischen von Frank Weigand)

——————————————————————————————————————————————————————–

Die Kantorin, Sängerin, Regisseurin und Autorin Miléna Kartowski-Aïach (Foto: d.r.)

Miléna Kartowski-Aïach ist Kantorin, Sängerin, Regisseurin, Lyrikerin und Anthropologin. Sie wurde in Paris in eine algerisch-polnisch-jüdische Familie aus Shoa-Überlebenden und nordafrikanischen Exilant*innen hineingeboren. 2011 gründete sie die Compagnie Les Haïm und entwickelt seit über einem Jahrzehnt ein anthropologisches Theater, das ihren ethnografische Background mit den politischen Herausforderungen unserer Zeit verbindet. Ausgebildet wurde sie am Grotowski-Institut in Polen, am Odin Teatret in Dänemark, am Stage Director Lab des Lincoln Center in NYC sowie am Théâtre du Mouvement in Paris. Gemeinsam mit jungen, aus der chassidischen Gemeinde ausgestoßen Künstler*innen gründete sie ein Theaterlabor in New York. Mit den Einwohnern von Bohain-en-Vermandois arbeitete sie in einer Textilbrache und entwickelte außerdem kulturelle Vermittlungsprojekte mit jungen Israelis, Palästinenser*innen und Jugendlichen aus den Pariser Vorstädten. Seit mehreren Jahren führt sie Kunstprojekte in den Vorstädten von Seine-Saint-Denis durch, bei denen es um traditionellen Gesang, die Gründung von generationsübergreifenden Bürgerchören und die Weitergabe des mündlichen Repertoires geht. Als Artist in Residence der Ateliers Médicis kreiert sie 2019 in Clichy-Sous-Bois die Opéra des Possibles mit einem Chor aus Kindern und Einwohner*innen. 2016 reist sie auf die griechische Insel Leros und engagiert sich für geflüchtete irakische Jesid*innen, die den vom IS verübten Genozid überlebt haben. Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich entwickelt sie dazu die chorische Theatertrilogie LEROS, ein Projekt, das mit dem Stipendium Déclics Jeunes der Fondation de France ausgezeichnet wurde: Acte I Un Exil Insulaire chez les Damnés (Uraufführung 2017, TGP de Saint-Denis); Acte II Justice en enfer (Uraufführung 2018, Théâtre du Soleil); Acte III la Polyphonie des Possibles (Uraufführung 2019, Centquatre-Paris). Der Text LEROS – Un Exil Insulaire chez les Damnés wird im Januar 2020 im Verlag Sicania veröffentlicht. Im Juli 2021 verlässt Miléna Kartowski-Aïach Europa und zieht nach Jerusalem, wo sie als Kantorin arbeitet und sich mit unterschiedlichen Gebetsformen beschäftigt.

Noch keine Kommentare / Diskutieren Sie mit!

Wir freuen uns auf Ihre Kommentare. Da wir die Diskussionen moderieren, kann es sein, dass Kommentare nicht sofort erscheinen. Mehr zu den Diskussionsregeln erfahren Sie hier.

Kommentar erstellen

Bitte geben Sie Ihren Namen und Ihre E-Mail-Adresse an, um einen Kommentar zu verfassen.