Paula Perschke Übersetzungsprozess und Transkulturalität – Der 2. Tag des Online-Symposiums zur Theaterübersetzung Primeurs PLUS

Schattenspiel (c) Erik Heit

Was bedeutet eigentlich Transkulturalität in Bezug auf zeitgenössische frankophone Dramatik und was passiert durch den Transfer eines Stückes auf die Bühne? Welche Rolle spielen Diversity, Gendergerechtigkeit und diskriminierungssensible Sprache für Theaterübersetzer:innen heute? Was im Theater erst seit wenigen Jahren, dafür umso drängender, diskutiert wird, ist die Frage WER produziert WELCHE Stücke für WEN? Oder, um bei der Sprache zu bleiben: Wer übersetzt (für) wen?

Gäste aus verschiedenen Bereichen des Theaters, der Übersetzung und der Wissenschaft, wurden zum heutigen Podium geladen, mit dem Ziel, auch die angrenzenden Bereiche der Übersetzung miteinzubeziehen und deren Verschränkung lebhaft zu diskutieren. Durch den Tag führte Romana Weiershausen, Professorin für frankophone Germanistik an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken.

Sprechblasenknoten (c) Eric Heit

Kulturelle und sprachliche Unterschiede aufspüren

Einen direkten Einstieg in die Thematik gab Annette Bühler-Dietrich, die nicht nur als Übersetzerin, sondern auch als außerplanmäßige Professorin für Neuere Deutsche Literatur und Theaterwissenschaft an der Universität Stuttgart tätig ist. In einer Keynote widmete sich dem Thema: «Kulturell sensibilisieren: Übersetzungsprozess und Transkulturalität».

Mit ihrem Forschungs- und Übersetzungsschwerpunkt zu Lebenswelten in Burkina Faso geht es Bühler-Dietrich vor allem um die sprachlichen Eigenheiten des Französischen in den westafrikanischen Ländern. Wie also können Texte von Autor:innen aus dem globalen Süden den Weg ins deutschsprachige Europa und somit ins Theater finden? Französisch ist und bleibt eine Sprache der Kolonisierung Afrikas. Wie gehen Autor:innen und Übersetzer:innen damit um?

Wichtig ist zu bedenken, merkte Bühler-Dietrich an, dass «die Struktur des dramatischen Textes durch die Übersetzenden erfasst werden muss, nicht der einzelne Satz.» In Arbeiten des Dramatikers Aristide Tarnagda (Burkina Faso), dessen Stück «Rote Erde» («Terre Rouge») in der Übersetzung von Bühler-Dietrich in diesen Tagen auf dem Festival Primeurs zu sehen ist, werden Sprachen miteinander verbunden. So arbeitet er immer wieder auch Mòoré, die zweite Nationalsprache Burkina Fasos, in sein Werk hinein. Bühler-Dietrich erwähnte, dass sich die Aussprache des Französischen in Burkina langsamer als im europäischen Französisch vollzieht. Für die Übersetzung ist Sprachgeschwindigkeit natürlich ein relevanter Punkt. In afrikanischen Texten werden zudem oft Sprichwörter verwendet, Grußformeln und Verabschiedungen.

Um dies zu verdeutlichen las Bühler-Dietrich Textauszüge aus «Dass unsere Kinder Riesen sind» (Arbeitstitel) des Beniner Dramatikers Sèdjro Giovanni Houansou. Eine erste Fassung des Textes wurde 2021 beim Festival africologne präsentiert.
Eine weitere Dramatikerin, die Bühler-Dietrich übersetzt und durch ihren Vortrag vorstellte, ist die französische Autorin Penda Diouf, deren «schmerzhafte Texte den Schmerz dem Text belassen.» In dem von Bühler-Dietrich übersetzten Stück «Pistes» geht es um Autorin Diouf selbst, die mit 29 Jahren allein von Paris nach Namibia aufbricht, um das ihr unbekannte Land kennenzulernen. Im zweiten Teil der sehr dichten Ausführung ging es vor allem um konzeptionelle Fragen von Übersetzung. Bühler-Dietrich plädiert dafür, Übersetzungen als eigenständige Textsorte zu betrachten und betonte stets, das Verhältnis von Aussage und Ausgesagten im Blick zu behalten.

Sie beschrieb das Spannungsverhältnis zwischen dem Prozess des Übersetzens, der in seinem Verlauf auf Transkulturalität trifft. Vorab sei die Annahme getrennter Kulturen nötig. Eine interessante These, wenn wir uns vor Augen führen, was Transkulturalität überhaupt bedeutet: Transkulturalität geht im Gegensatz zu Multikulturalität oder Interkulturalität davon aus, dass Kulturen nicht (mehr) voneinander abgrenzbar sind, da sie infolge von Globalisierung miteinander verbunden werden. Ein zukunftsgerichtetes Konzept. Für die Übersetzung wäre der Begriff also obsolet, da Übersetzer:innen schließlich ohnehin das Ziel haben, jegliche Aspekte kultureller und sprachlicher Eigenheiten eines Textes aufzuspüren und entsprechend behutsam zu behandeln. Dieser Anspruch setzt aber Kenntnis und lange Beschäftigung mit dem Material voraus. Und genau dieses Wissen sollte auch an künftige Regisseur:innen weitergegeben werden. Damit kommen wir wieder auf das Ergebnis des gestrigen Tages: Es braucht einen kontinuierlichen Dialog. Nicht nur zwischen Übersetzer:innen sondern auch mit Regie, Dramaturgie und Schauspiel.

Selbstbestimmung (c) Erik Heit

Machtpositionen umdrehen

Als Stimme aus der Theater- und Filmpraxis wurde die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Lara-Sophie Milagro eingeladen, um eine performative oder eher persönliche Keynote zu halten. Sie stieg mit einer Erzählung über ihre fünfjährige Tochter ein, die in der Schule folgende Aufgabe erhielt: «Bring something that represents your cultural heritage». Milagros Tochter allerdings hat mehrere kulturelle Identitäten – muss sie sich also für eine entscheiden? Für wen? Und überhaupt, ist kulturelle Identität wirklich die richtige Übersetzung für «heritage»? Wäre eine bessere Formulierung der Aufgabenstellung nicht gewesen: «Bring something that represents yourself»? «Nationalität» und «ethnisch» werden schnell zu Synonymen für «kulturell», dabei haben «die Begriffe eine völlig unterschiedliche Bedeutung! Die Frage ist auch immer: Auf wen werden sie angewendet?», fragte Milagro.

In der Theaterkunst kommen beim Thema Identitäten noch weitere Ebenen hinzu: Vom Bühnenbild über Maske und Kostüm bis hin zur Entscheidung, wer welche Rolle spielen darf. Eine Schwarze Person spielt im deutschsprachigen Theater in den seltensten Fällen eine Rolle, in der sie sich in einer Alltagssituation befindet. Sie ist entweder auf der Flucht oder eine übertrieben dankbare Nebenrolle, ihr wird Gewalt angetan, ihre Diskriminierungsgeschichte erzählt, oder sie stirbt am Ende. Die Liste ist endlos. Milagro nannte drei Bereiche, die in ihrem Berufsleben stets eine entscheidende Rolle spielen: Sprache, Besetzungspolitiken sowie die Darstellung von Diskriminierung.

«Im deutschen Theater und Film gibt es eine lange Tradition, Rassismus durch Reinszenierung auf der Bühne sichtbar zu machen. Allerdings ist auch das eine Form der Reproduktion, auch wenn es eine fiktive Welt ist, die da gezeigt werden soll. So ist es eine Wiederholung verletzender Bilder, in denen (meist in bester Absicht) Stereotype gefestigt werden», konstatierte Milagro. Das Ganze geht oft mit einer Genderdimension einher, «indem die geschundene Frau nur reagieren kann, während der weiße Mann agiert, indem er komplexe Situationen durchläuft und sich gerne auch zum white savior («weißen Retter») entwickelt.» Dadurch wird Intersektionalität (Mehrfachdiskriminierung) auf fatale Weise zu etwas Selbstverständlichen gemacht.

Dass Themen wie Rassismus im Theater auch anders erzählt werden können, beschrieb Milagro eindrucksvoll anhand ihres aktuellen Projekts «Emmett, tief in meinem Herzen» von Clare Coss (Premiere am 24.01.2022 im HAU Berlin), an dem sie als Produzentin, Schauspielerin und Regisseurin beteiligt ist. Der rassistische Lynchmord an dem 14-jährigen Emmett Till (1955) spielte eine zentrale Rolle für das Entstehen der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Das Team entschied gemeinsam, alle Rollen mit Schwarzen Schauspieler:innen zu besetzen – selbst die weißen Figuren. Somit wird das Publikum mit den Kernfragen von Rassismus konfrontiert, ohne rassistische Gewalt reproduziert zu sehen. Durch eine rein Schwarze Besetzung und dem damit einhergehenden Perspektivwechsel wird zum einen die Selbstermächtigung der Schwarzen Schauspieler:innen ermöglicht, für die Rassismus auch abseits der Theaterbühne zur Lebensrealität gehört, und zum anderen werden Machtpositionen umgedreht, in dem das «weiß-Sein aus einer Schwarzen Perspektive heraus übersetzt wird», so Milagro. Ein zweiter wichtiger Aspekt des Projekts, das ein Hybrid aus Theater und Film werden soll, ist, dass alle Schlüsselpositionen, wie Text und Regie von Schwarzen Frauen besetzt wurden. Das Konzept zu «Emmett, tief in meinem Herzen» ist ein künstlerisch interessanter, kluger Kniff, der zu der Frage führt, wer sollte über wen sprechen und welche Perspektiven fehlen? Diese Frage klang auch im dritten Teil der Tagung an und wurde anhand der hitzigen Debatte um die Übersetzung von Amanda Gormans Gedicht «The Hill We Climb», welches die junge Lyrikerin bei der Amtseinführung Joe Bidens Anfang des Jahres vortrug, beispielhaft in Erinnerung gerufen.

Sprache Hand (c) Erik Heit

Aktiv hinschauen

Zum Thema «Verantwortung einer Herausgeber:innenschaft» sprach Christoph Vatter (Professor für Interkulturelle Wirtschaftskommunikation mit Schwerpunkt Kulturtheorie und Kommunikationsforschung an der Friedrich Schiller-Universität Jena) mit Frank Weigand (Übersetzer, Journalist und Initiator von PLATEFORME) und Lisa Wegener (Übersetzerin, Herausgeberin und Kuratorin).

Wie wird darüber entschieden, ob ein Text in eine Anthologie aufgenommen wird oder nicht? Welche Stimmen letztendlich Gehör finden, da war sich das Podium einig, ist eine Form von Macht. Die Frage ist auch, wie mit dieser umgegangen wird. Lisa Wegener und Frank Weigand berichteten über ihre Herangehensweisen und Erfahrung als Herausgeber:innen. Wegener hat im April dieses Jahres gemeinsam mit Charlotte Bomy den Band «Afropäerinnen – Theatertexte aus Frankreich und Belgien von Laetitia Ajanohun, Rébecca Chaillon, Penda Diouf und Éva Doumbia» im Neofelis Verlag herausgegeben. Im Februar 2022 erscheint «Surf durch undefiniertes Gelände – Internationale queere Dramatik», ebenfalls im Neofelis Verlag. Die Anthologie versammelt Theatertexte, die neue Narrative von Geschlecht und Identität wagen.

Für «Afropäerinnen» haben Wegener und Bomy haben mit dem afrodeutschen Künstler:innenkollektiv Label Noir zusammengearbeitet, welche die szenischen Lesungen der Stücke inszeniert haben. Für Wegener ist es wichtig, keinesfalls Stereotypen zu vermitteln. Dazu gehört die Offenheit, ja Verantwortung, sich beraten zu lassen und genau hinzuhören, was die Autorin sagen will. Ebenso gehört ein gewisses Maß an Selbstreflexion dazu, vor allem wenn es darum geht, die eigene privilegierte Position als weiße:r Übersetzer:in zu verstehen. Gleichzeitig ist es wichtig, den Universalismus der beschrieben Figuren zu zeigen, wie etwa in dem Text «Die große Bärin» von Penda Diouf, in dem es um den Alltag einer Familie geht. Ein anderer Punkt ist das aktive Hinschauen und das Erkennen politischer Aspekte, wie etwa der «Afrofeminismus», der bei der Performancekünstlerin Rébecca Chaillon zu finden ist.

Gleiches gilt auch für den Bereich der queeren Dramatik, ein recht neues und sensibles Feld der Literatur. Queerness wird in jedem Sprach- und Kulturkreis dieser Erde anders verstanden, behandelt und gelebt. Interesse am Thema scheint es schon mal zu geben: Um die 130 Einsendungen bekamen Wegner und Bomy auf ihre Ausschreibung hin. «Bei queerer Dramatik geht es vor allem darum, queere Figuren als handelnde Figuren und nicht als Feigenblatt oder Diversitätsjoker einzusetzen», so Wegener. Kontextualisierung ist enorm wichtig, so verwenden Wegner und Bomy etwa Trigger-Warnungen zu Beginn eines Textes oder Fußnoten, die bestimmte Eigenschreibweisen erklären und verständlich machen sollen. Dadurch bekommen die Übersetzungen eine andere Dimension, denn sie werden durch ihr Framing auch Teil aktueller gesellschaftskritischer Debatten um diskriminierungssensible Sprache und Deutungshoheit.

 

Sprechblasenzopf (c) Eric Heit

Dass Herausgeber:innnenschaft ein Lernprozess ist, weiß auch Frank Weigand, der mit seiner Kollegin Leyla-Claire Rabih bereits seit über zehn Jahren die Anthologie «Scène – Neue französischsprachige Theaterstücke» herausgibt. Ein wesentlicher Ausgangspunkt für diese Arbeit war laut Weigand, dass die «französische Sprache und der frankophone Sprachraum überhaupt als Folge der Kolonialisierung ein seltsames heterogenes Gebilde darstellt.» Dieses gilt es kontinuierlich zu untersuchen. Ähnlich, wie es auch Annette Bühler-Dietrich beschreibt, ist diese Aufgabe ein langwieriger Prozess. Auch seien die Herausgeber:innen, die in ihrer Tätigkeit als Übersetzer:innen oft unsichtbar sind, plötzlich Vermittler:innen, ja, eine Art Gatekeeper für Autor:innen. Gleichzeitig sind auch sie von Förderstrukturen abhängig, in denen die Zuwender:innen oft schon konkrete Vorstellungen haben, was und wen sie abgedruckt sehen wollen. Ein schwieriges Verhältnis also. Wer sitzt also wirklich am Entscheidungshebel? Auch Weigand und Rabih kommen nicht umhin, sich mit strukturellen Fragen auseinanderzusetzen. Immerhin gibt es auch seitens der Dramaturgie im deutschsprachigen Theaterraum Ansprüche an Theaterübersetzungen, oft geht es um banale Anforderungen wie die sogenannte «Spielbarkeit». Eine Patentlösung für dieses Spannungsverhältnis gibt es nicht, aber es ist wichtig, sich damit zu befassen und das eigene Vorgehen weiterzuentwickeln. Das lange Bestehen von «Scène» macht deutlich, dass es den Willen und die Bereitschaft dazu gibt, an Themen wie Sprache, (Post-)kolonialismus und aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten zu dranzubleiben, auch wenn die Bedingungen dafür oft alles andere als einfach sind. Die «Scène»-Reihe macht als eine Art Chronik deutlich, wie Übersetzungen frankophoner Stücke sich entwickeln und im Laufe der Zeit verändern. Ein Beitrag, der nicht zu unterschätzen ist!

Es lässt sich auch an diesem zweiten Tag festhalten, dass es ohne Dialog und Vernetzung fast nicht möglich ist, Theaterübersetzung weiterzuentwickeln – vor allem in Hinblick auf neuere Debatten um Sprache und Darstellungen im Theaterbetrieb. Ein gegenseitiges Miteinbeziehen und eine Auseinandersetzung mit strukturellen Fragen gehören ebenso dazu. Ganz im Sinne des Konzeptes der Transkulturalität: Getrennt Geglaubtes verbinden und zu einem neuen Kosmos formieren. Klingt doch nach Zukunft oder?

 

Paula J. Perschke beschäftigt sich aus systemkritischer und queerfeministischer Perspektive mit Theater, Literatur und Musik. Sie schreibt als freie Autorin u. a. für Theater der Zeit, Missy Magazine, L.MAG und das Berliner Stadtmagazin Siegessäule.

 

Eric Heit ist Comic-Zeichner und Illustrator aus Saarbrücken und studiert im letzten Semester Kommunikationsdesign an der HBK. Seine künstlerischen Interessen sind sehr breit gefächert, doch als er den Comic-Schwerpunkt an der HBK entdeckte, war klar, dass er sich darauf konzentrieren wollte. Dass dies die richtige Entscheidung war, wurde ihm seither durch diverse Preise und Stipendien bestätigt, darunter der Max und Moritz-Preis 2019 für die beste studentische Publikation und das Deutschlandstipendium 2020.

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