Solange Arber „Wer spricht hier vom Breisgau!“ Elmar Tophovens „Warten auf Godot“

Als Theaterübersetzer gehört Elmar Tophoven zu den wenigen, deren Namen nicht nur bekannt, sondern auch mit einem Standardwerk untrennbar verbunden sind. Die deutsche Fassung von «En attendant Godot» wurde vor fast 70 Jahren in seiner Übersetzung erstaufgeführt und heute wird Tophovens «Warten auf Godot» noch immer auf den deutschsprachigen Bühnen gespielt. Der Übersetzer sah den Text mit Samuel Beckett im Laufe ihrer über dreißig Jahre langen Zusammenarbeit mehrmals durch. Als er 1989 kurz vor dem Dichter starb, gedachten die Nachrufe im Feuilleton der deutschen Stimme Becketts:

«Hören wir die Bibel sprechen, dann hören wir Luther. Hören wir Shakespeare, hören wir Schlegel. Es ist keine Blasphemie, daß uns so erhabene Vergleiche einfallen, wenn uns die Nachricht vom Tode des großen Übersetzers Elmar Tophoven erreicht. Denn wenn wir Becketts Stimme zu hören meinten (auf dem Theater oder in unserem Leserkopf), hörten wir in Wahrheit auch seine.»
(Die Zeit, 28.04.1989)
 
«Wer in den vergangenen Jahrzehnten dem großen Beckett zum Beispiel auf der deutschen Bühne zuschaute und zuhörte, wer Claude Simon oder Nathalie Sarraute las, der kommunizierte und plauderte immer auch im Geiste, ohne sich das vielleicht bewußt zu halten, mit dem Übersetzer Elmar Tophoven, in dessen Sprache und Sprachkleidern den Deutschen viele der großen Franzosen der Nachkriegszeit erstmals und dann immer wieder entgegentraten. Elmar Tophoven, der Mann hinter der Literatur, ist nun gestorben, nur sechsundsechzig Jahre alt, vielleicht ein Hinweis darauf, wieviel Streß und wie wenig Anerkennung (auch materielle) das berufsmäßige Übersetzen heute immer noch einträgt.»
(W.I., Stuttgarter Zeitung, 26.04.1989)

Diese Huldigungen bringen die Unsichtbarkeit des Theaterübersetzers zum Ausdruck, dessen Arbeit vom Publikum oft nicht einmal wahrgenommen wird, wobei sie ihn eigentlich sichtbarer denn je machen. Der Grund für Elmar Tophovens Ruhm liegt aber nicht nur an seinen großen Übersetzungen der zeitgenössischen französischsprachigen Literatur: Er hat sich für die Anerkennung der Literaturübersetzung selbst tatkräftig eingesetzt, indem er im Verband deutschsprachiger Übersetzer mitwirkte und das Europäische Übersetzerkollegium in Straelen gründete. In Straelen wurde Elmar Tophoven 1923 geboren und eben dort befindet sich das reichhaltige Tophoven-Archiv, das von seiner Frau, der Übersetzerin und Schriftstellerin Erika Tophoven, verwaltet wird.[1]

Zurück zu «Warten auf Godot»: In seiner ersten Übersetzung für die Bühne (zuvor hatte er für den Rundfunk gearbeitet) ist in der Tat auch Tophovens Stimme zu hören. Diese tritt in folgendem humorvollen und derben Dialog des ersten Akts besonders klar zu Tage:

 

Wladimir: Du wirst doch nicht behaupten, daß es hier (Geste) so aussieht wie im Breisgau! Da ist doch wohl ein großer Unterschied.
Estragon: Breisgau! Wer spricht hier vom Breisgau!
Wladimir: Du bist doch im Breisgau gewesen?
Estragon: Nein, ich bin nie im Breisgau gewesen! Ich habe meine ganze Lebenslust hier ausgepinkelt, sag ich dir. Hier, im Scheißgau.
Wladimir: Wir waren aber zusammen im Breisgau. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer. Wir haben bei der Weinlese mitgemacht. Bei einem… wie hieß er noch… Guttmann in Dürkweiler.
Estragon, ruhiger: Möglich. Ist mir nicht aufgefallen.
Wladimir: Da leuchtet doch alles so rot.
Estragon, gereizt: Ist mir nicht aufgefallen, sag ich dir![2]

 

Elmar Tophoven gibt hier einen französischen Ortsnamen durch einen deutschen wieder, um die deutschsprachigen Zuschauerinnen und Zuschauer auf ähnliche Weise wie das Original mit einem Wortspiel und einem Schimpfwort zu unterhalten. Dabei verwischt er die Spuren der Autorenbiografie im Text, da Samuel Beckett im Ausgangstext auf seine Zeit in Vaucluse während des Krieges anspielt:

 

Vladimir : Tout de même, tu ne vas pas me dire que ça geste ressemble au Vaucluse ! Il y a quand même une grosse différence.
Estragon : Le Vaucluse ! Qui te parle du Vaucluse ?
Vladimir : Mais tu as bien été dans le Vaucluse !
Estragon : Mais non, je n’ai jamais été dans le Vaucluse ! J’ai coulé toute ma chaude-pisse d’existence ici, je te dis ! Ici ! Dans la Merdecluse !
Vladimir : Pourtant nous avons été ensemble dans le Vaucluse, j’en mettrais ma main au feu. Nous avons fait les vendanges, tiens, chez un nommé Bonnelly, à Roussillon.
Estragon, plus calme : C’est possible. Je n’ai rien remarqué.
Vladimir : Mais là-bas tout est rouge !
Estragon, excédé : Je n’ai rien remarqué je te dis !

 

Der Übersetzer wiederum hinterlässt seine eigenen Spuren: Der Breisgau wurde nämlich nicht nur aufgrund seiner klanglichen Assoziationsmöglichkeiten als Äquivalent gewählt, sondern auch weil Elmar Tophoven dort selbst «bei der Weinlese mitgeholfen [hatte][3]».

Eine solche Entscheidung mag natürlich umstritten sein und wurde auch in aller Ausführlichkeit diskutiert.[4] Aber schieben wir die Diskussionen, die sich unermüdlich um den Komplex der Treue und Untreue einer Übersetzung, sowie der Frage der verfremdenden oder einbürgernden Geste im übersetzerischen Akt kreisen, doch einmal beiseite. Tophoven eignet sich an dieser Stelle einerseits das Werk an und schafft darüber hinaus einen zweckmäßigen Zieltext für das deutschsprachige Publikum. Somit tritt er als Autor der Übersetzung ans Licht, und Beckett selbst stimmte dieser Übertragung zu.

Einer althergebrachten Meinung zufolge ist die Unsichtbarkeit der Übersetzer und Übersetzerinnen die Garantie einer «guten» Übersetzung. Wäre es nicht richtiger und fairer, wenn wir davon ausgingen, dass eine Übersetzung ihren Ursprung als Hybrid nicht zu verstecken bräuchte? Denn das haben Übersetzung und Theater gemein: dass mehrere Stimmen zugleich zu hören sind, ob sie miteinander in Einklang kommen oder einander kontrapunktieren.

 

[1] http://www.tophoven-archiv.com/
[2] Samuel Beckett, Warten auf Godot. En attendant Godot. Waiting for Godot, übers. Elmar Tophoven, Frankfurt am Main, Suhrkamp, « suhrkamp-taschenbücher », 1971, S.152-155.
[3] Elmar Tophoven an Hans Mülhäuser, 1. Dezember 1969. Siegfried Unseld Archiv, Deutsches Literaturarchiv Marbach.
[4] Thomas Laux, « Godot ist ein Schleuser », Neue Zürcher Zeitung, 9. August 2008, https://www.nzz.ch/godot_ist_ein_schleuser-1.802076.

 

Solange Arber ist eine französische Germanistin und Übersetzungswissenschaftlerin. Sie promovierte an der Sorbonne und der Universität Lausanne zu Elmar Tophovens «Traduction transparente» und forschte im und zum Tophoven-Archiv. Seit 2021 ist sie Dozentin an der Université de Picardie Jules Verne. 2021 erhielt sie für ihre Dissertation den Preis der Société Académique Vaudoise.

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