Julie Tirard: Elfriede Jelinek hat mittlerweile mindestens zehn Übersetzer*innen ins Französische. Viele haben im Duo gearbeitet, zum Beispiel Patrick Démerin und Dieter Hornig, oder Yasmin Hoffmann und Maryvonne Litaize. Sie beide, Mathilde Sobottke und Magali Jourdan, bilden ebenfalls ein Duo, was eher die Regel als die Ausnahme zu sein scheint. Und Sophie Andrée Fusek, Sie haben auch einmal gemeinsam mit Olivier Le Lay übersetzt. Ist es die Dichte in Jelineks Texten, die eine mehrhändige Übersetzung erforderlich macht?
Sophie Andrée Fusek: Ich denke, es ist nicht grundlegend anders, im Duo oder allein zu übersetzen, abgesehen davon, dass so Kompromisse notwendig werden. Wenn es die Einsamkeit der Übersetzerin überhaupt gibt, ist sie aus meiner Sicht etwas völlig Relatives: Beim Übersetzen befindet man sich im Dialog mit dem Text und einer Vielzahl anderer Texte, erst recht bei Elfriede Jelinek, wo die Substanz in der engen Verknüpfung von Intertextualität und Mehrstimmigkeit liegt. Es können noch so viele Übersetzer*innen daran arbeiten, der Text wird dem Vorgang des Übersetzens nicht weniger Widerstand leisten. Das hat mit seinem Reichtum zu tun, aber auch – in beinah ethischer Hinsicht – mit der Herausforderung des Übersetzens selbst, also dem Risiko der Enttäuschung, das man akzeptieren muss. Die Texte von Elfriede Jelinek erinnern uns als Leser*innen und Übersetzer*innen daran, dass es illusorisch ist, einen Text, eine Sprache «beherrschen» zu wollen. Wenn ich den Text analysiert und auseinandergenommen habe und dann einiges an Sekundärliteratur gelesen habe, gehe ich immer denselben Weg wieder zurück zu meinem ersten Eindruck, der unmittelbarer war und etwas Körperliches hatte. Es geht darum, den Sinn nicht festzunageln, sondern das Klaffende des Textes, seine Beweglichkeit, seinen Fluss in der Übersetzung aufzugreifen: die Schrift, die weiterläuft, ausläuft, überläuft, davonläuft – eine poetische und poietische Stilfigur, die Jelinek ja gerne benutzt.
Magali Jourdan: Elfriede Jelineks Texte stellen zunächst einmal gar keine Anforderungen, nur, dass man sich ihrer Herausforderung stellen muss. Damit meine ich, dass es keine Verpflichtung gibt, zu mehreren daran zu arbeiten, aber vier Hände und zwei Stimmen bringen den Vorteil, den Text auf mehreren Ebenen erfassen zu können (Zitate, Wortspiele, Sprachregister …) und verschiedene Blickwinkel gleichzeitig einzunehmen. Jelinek allein zu übersetzen kommt mir so vor, als hätte man die Gabe, überall gleichzeitig zu sein. (Lachen) In meinem Fall war es notwendig, zu zweit zu arbeiten, da ich kein Wort Deutsch konnte, als ich zu übersetzen anfing. Ich war auf Mathilde angewiesen. Ich habe mich lange nicht getraut, diese Besonderheit unseres Duos hervorzuheben: Eine Autorin von diesem Rang zu übersetzen, ohne Deutsch zu sprechen – ich fühlte mich, als hätte ich dazu kein Recht. Inzwischen habe ich die Sprache gelernt und kann beim Sinn auch ein Wörtchen mitreden. Aber anfangs habe ich ausschließlich intuitiv gearbeitet. Erst mit dem französischen Text, den Mathilde mir geliefert hat (dreimal so lang wie das Original, mit mehreren Varianten), dann hat Mathilde mir den deutschen Text vorgelesen, und ich habe nach Gehör gearbeitet, auf rhythmischer, klanglicher und musikalischer Ebene. Das Besondere an unserer Arbeitsweise ist der permanente Dialog darüber, was wir vom Text, von den Wörtern, verstehen, was wir hören und fühlen.
Mathilde Sobottke: Selbst wenn ich sofort beim ersten Lesen ein umfassendes Verständnis des Textes habe, hat dies jedoch keine Autorität. Es sind gemeinsam getroffene Entscheidungen. Bevor ich anfing, mit Magali zu arbeiten, habe ich allein übersetzt. Was mir an unserem Duo gefiel, war, dass wir uns von einer festgefahrenen, akademischen Praxis mit genauem Regelwerk lösen konnten. So zu arbeiten, gab uns mehr Leichtigkeit, befreite uns von Einschränkungen und brachte etwas völlig Neues mit sich. Magali hat wie eine Ameise alle Wiederholungen im Text aufgespürt – und bei Jelinek gibt es viele Wiederholungen, Schleifen und bis ins Unendliche aneinandergereihte Metaphern. Außerdem verändert sich auch das Verständnis, das man von einem Jelinek-Text haben kann: Da Musikalität bei ihr eine große Rolle spielt, gibt es viele Bedeutungsverschiebungen, die wellenartig durch die Texte laufen, und es kann passieren, dass sich mir plötzlich ein ganz neuer Sinn erschließt. Es ist wichtig, häufig die Perspektive zu wechseln, auch dafür finde ich es hilfreich, zu zweit zu sein.
Noch keine Kommentare / Diskutieren Sie mit!
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare. Da wir die Diskussionen moderieren, kann es sein, dass Kommentare nicht sofort erscheinen. Mehr zu den Diskussionsregeln erfahren Sie hier.