Schatten und Lippen

Die als Erzählerin auftretende Protagonistin reist nach Vietnam, um dort die LGBTIQ*-Bewegung zu dokumentieren. Sie nimmt auch die Asche der kurz zuvor verstorbenen Großmutter mit, um sie in deren Geburtsland zu bringen. Die Erzählerin trifft auf unterschiedliche Konzepte von Gender und Identität, beobachtet familiäre Konflikte und das Schweigen, begleitet trans Personen in ihren marginalisierten Lebensweisen. Im Verlauf dieser von traumhaften Fantasiegestalten und metaphorischen Begegnungen unterbrochenen Reise wird der Beobachterin immer deutlicher, wie sehr auch postkoloniale Aspekte bei der Betrachtung der vietnamesischen Realität eine Rolle spielen. LGBTIQ*-Aspekte können nicht von der Rolle der Einflussnahme aus dem Westen getrennt werden. In einer Szene taucht etwa ein Vertreter der Harvey Milk Foundation auf, der einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Wohlstand und LGBTIQ*-Rechten konstruiert. Die strikte Definition von Gender-Rollen geht ursprünglich auf die französische Kolonisation zurück, und die sich aus diesem Rollenverständnis ergebenden Konflikte sollen nun wieder mit im Westen gefundenen Konzepten gelöst werden. Obwohl sich die Erzählerin meist neutral verhält, werden in dem Stück die verwobenen Problematiken von geschlechtlichem Ausdruck und neokolonialer Diskursmacht offengelegt.

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