Die Dramaturgin und Übersetzerin Franziska Baur im Gespräch «Ich finde Übersetzen oft so einsam»
Franziska Baur ist Dramaturgin und Übersetzerin. Für die Anfang November erscheinende Anthologie SCÈNE hat sie den Text «Arlette» der Westschweizer Dramatikerin Antoinette Rychner übersetzt. Im Gespräch mit Frank Weigand erklärt sie, wie sie über Theater und Philosophie zum Übersetzen kam, welches die Herausforderungen von Antoinette Rychners Text waren – und warum sie heimlich vom vierhändigen Übersetzen träumt. Außerdem erzählt sie von ihrer Doppelfunktion als übersetzende Dramaturgin in David Martons Operproduktion «Melancholie des Widerstands» an der Berliner Staatsoper Unter den Linden im vergangenen Sommer.
Frank Weigand: Liebe Franziska, wie bist du denn ursprünglich zum Theaterübersetzen gekommen?
Franziska Baur: Ich habe mich immer schon für Sprachen interessiert, dadurch, dass ich meine Jugend in Kenia verbracht habe und vom Englischen und Swahili umgeben war. Mit 20 bin ich dann nach Frankreich gezogen. Die französische Sprache ist sehr schnell eine intime Sprache für mich geworden. Aber zum Übersetzen bin ich tatsächlich erst über das Theater gekommen, also durch die Arbeit als Dramaturgin. Ich habe am Schauspiel Stuttgart gearbeitet und dort intensiv begonnen, Stücke in unterschiedlichen Übersetzungen zu lesen. Ich glaube, dass ich über das Theater und dieses vergleichende Lesen eine Sensibilität für das Übersetzen bekommen habe.
Der zweite große Faktor war mein Philosophiestudium an der Universität Paris 8. Damals habe ich begonnen, auch im akademischen Kontext vergleichend zu lesen. Paris 8 ist eine sehr besondere Uni mit Menschen, die von überall herkommen. Natürlich sind mir viele deutsche Philosophen begegnet, die ich immer auf Deutsch und in den französischen Übersetzungen gelesen habe. Das Übersetzen von Konzepten ist eine Welt für sich, darüber haben wir unter Kommiliton*innen viel gesprochen. Ich würde also sagen, mein Interesse am Übersetzen kommt von beidem: einerseits vom Theater und andererseits aus dem akademischen Kontext.
Heute arbeitest du manchmal als Dramaturgin, manchmal als Übersetzerin. Wenn dich jemand fragen würde, was dein «richtiger» Beruf ist, was würdest du dann antworten?
Ich würde sagen, ich bin Dramaturgin und Übersetzerin, und am liebsten ist es mir, wenn sich die beiden in der Arbeit treffen. Ich finde es immer sehr besonders, im Theater übersetzerisch und dramaturgisch zu arbeiten. Weil diese beiden Aspekte viel miteinander zu tun haben. Wenn man einen Text übersetzt, dann liest man ihn ja intensiv, kommt ihm sehr nahe. Man dringt beim Übersetzen unglaublich tief in die Materie der Wörter und der Syntax ein, in die Form und die Sinnlichkeit und die Stimmung eines Textes. Vielleicht kommt man ihm manchmal auch so nahe, dass man die Distanz verliert. Und da sind dann wiederum Lektor*innen extrem wichtig.
Bei der Dramaturgie ist das ähnlich. Es ist ein schwer zu beschreibender Beruf, weil es immer darauf ankommt, mit wem, mit welchem Regieteam und an was man zusammenarbeitet. Aber es ist immer eine Arbeit im Dialog mit einem Anderen, mit einem Text, mit einem Regisseur oder einer Regisseurin, mit einem künstlerischen Team. Der dramaturgische Blick versucht den Text oder Erzählstränge nicht aus den Augen zu verlieren, inhaltliche Bögen zu schlagen, narrativ und inszenatorisch auf das Erzählerische zu schauen.
Du hast ja nicht nur Theater übersetzt, sondern auch andere Genres wie Lyrik. Ist das ein anderes Übersetzen als zum Beispiel das Übersetzen eines dramatischen Textes?
Ich würde sagen, es ist sehr anders. Die Übersetzung von Lyrik ist etwas, was mich ungemein interessiert. Aber ich finde es eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Dadurch, dass ein Gedicht meist so stark verdichtet auf Bedeutungsebene, sprachlicher, bildhafter und rhythmischer Ebene ein kleines Universum entstehen lässt, muss man beim Übersetzen große Entscheidungen treffen. Dieses Abwägen oder Verhandeln fasziniert mich sehr, am liebsten mache ich es aber zu zweit. Ich finde es bereichernd, Gedichte gemeinsam mit französischen Muttersprachler*innen zu übersetzen. Wenn ich aus dem Deutschen übersetze, kann ich das Gedicht vielleicht nicht in seiner Gänze, aber in seiner Existenz begreifen und zu analysieren versuchen. Und dann können wir das zu zweit in den französischen Sprachraum transportieren und gemeinsam hinter den Entscheidungen stehen, die wir treffen.
Theater zu übersetzen ist anders, weil man mit der Vielstimmigkeit von Figuren konfrontiert ist. Ich habe beim Theaterübersetzen immer das Gefühl, dass ich mit dem situativen Kontext einer Theatersituation zu tun habe. Ich versuche mir dabei immer die Situation vorzustellen, damit es möglichst konkret bleibt. Und dann hat man bei einem Theatertext immer mit Figuren zu tun, mit ihrer Art, sich auszudrücken, ihrer Form von Sprache. Und diese muss ich sowohl musikalisch als auch rhythmisch, als auch von ihrem sprachlichen Hintergrund, von ihrer sozialen Schicht oder politischen Position her begreifen. Das dann in die andere Sprache zu übertragen, ist eine ganz andere Arbeit als bei der Lyrikübersetzung.
Doch was die beiden vielleicht gemein haben, ist das «laute Übersetzen». Wenn ich Theater übersetze, spreche ich mir den Text der Figuren auf Französisch laut vor und stelle mir dann die Frage, wie sie im Deutschen klingen könnten. Bei der Lyrik ist das vielleicht ähnlich. Man versucht, einen Klang und einen Rhythmus entstehen zu lassen.
Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, hast du in Berlin eine Opernproduktion an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin als Dramaturgin betreut, «Melancholie des Widerstands», nach dem Roman von László Krasznahorkai, und auch das Libretto übersetzt. Das war ja eigentlich gar nicht so vorgesehen. Ursprünglich solltest du nur übersetzen, oder?
Genau, ich bin über das Übersetzen in die Opernproduktion gekommen. Der Regisseur David Marton suchte jemanden, der das französische Libretto ins Deutsche bringen konnte. Ich habe dann den Roman gelesen und das Libretto, das Guillaume Métayer in Zusammenarbeit mit David erarbeitet hat. Wir haben ausführlich darüber gesprochen, nach einer ersten Lektüre wurden nochmals Änderungen vorgenommen und so stieg ich als Dramaturgin mit ein.
Dieses Libretto zu übersetzen, war eine sehr schöne Aufgabe. Guillaume und David haben diesem besonderen Roman in einer verdichteten und poetischen Form einen neuen Textmantel gegeben. Guillaume selbst ist Lyriker und Übersetzer aus dem Ungarischen, Slowenischen und Deutschen. Dieses Libretto ist eine Art kinematographisches Gedicht geworden – die Prosa Krasznahorkais existiert in wunderbaren Regieanweisungen weiter, die Stimmen der Figuren drücken sich in Versen aus. Unsere Aufgabe als Regieteam war es dann, diesen Stoff und die Komposition von Marc-André Dalbavie in Form einer filmischen Oper auf die Bühne zu bringen.
Interessanterweise wurden die Texte von Menschen gesungen, die teilweise eigentlich gar kein Französisch konnten, sondern die Texte phonetisch gelernt haben, was dann noch mal einen ganz anderen, merkwürdigen Klang erzeugt hat.
Stimmt, auch das war Teil meiner Arbeit. Mit Sängerinnen und Sängern zu arbeiten, die das Französische nicht perfekt beherrschen, obwohl sie es in ihren Ausbildungen natürlich gelernt haben. Vor allem an Bedeutungsebenen zu feilen, für die Aussprache sind ja Sprachcoachs da. Bei der Arbeit mit den Sängerinnen und Sängern war die Frage eher, welche Bilder, welche Elemente sind an dieser Stelle wichtig und auf welche Eigenheiten innerhalb des gesungen oder gesprochen Textes können Akzente gesetzt werden.
Die Zeitlichkeit der Opernbühne ist ja eine sehr andere als die im Theater. Denn die Musik gibt in den meisten Fällen den temporären Rahmen einer Szene vor. Im Theater kann man ja einfach sagen: Eine Figur geht 30 Minuten lang über die Bühne und schaut zum Himmel, oder aber es dauert halt nur 30 Sekunden. In der Oper gibt es diese zeitlich-musikalische Struktur als Vorgabe. Das heißt, man denkt szenisch ganz anders, man denkt über Bilder anders nach und über narrative Elemente, die für die Erzählung wichtig sind. Da ist die «Arbeit am Text» mit Sängerinnen und Sängern trotz allem sehr wichtig, obwohl am Ende die Musik natürlich überhandnimmt.
Zurück zum Theater, zu unserer Anthologie SCÈNE, für die du einen Text übersetzt hast. Vor vielen Jahren hast du dich für unseren Workshop Transfer Theatral beworben und in deiner Bewerbung geschrieben, dass du dich für den «female gaze» in der Literatur und in der Dramatik interessierst. Ist das noch so? Für unsere Anthologie haben wir ja ausschließlich Texte ausgewählt, die nach einem weniger männlich normierten Blick in der Kunst suchen, bzw. bestimmte Blicke und Machtverhältnisse dekonstruieren.
Ich würde heute eher strukturell antworten. Ich bin der festen Überzeugung, dass es notwendig ist, die Stücke zu übersetzen und neu zu übersetzen, die unterschiedlichste Blicke verkörpern und Blickwinkel einnehmen.
Würdest du sagen, der Text «Arlette» der Schweizer Dramatikerin Antoinette Rychner, den du übersetzt hast, arbeitet mit einem spezifisch weiblichen Blick?
Das würde ich so nicht sagen, da müsste die Autorin für ihren eigenen Text sprechen. Ich kann dennoch sagen, beim Übersetzen eines Texts kommt man ihm sehr nahe, und bei der Arbeit an diesem Stück, habe ich mich oft an meine eigenen Erfahrungen als werdende Frau und als Jugendliche erinnert gefühlt. «Arlette» erzählt die Geschichte einer Figur, die durch unterschiedliche Bewusstseinsströme in ihrer Vergangenheit herumwandelt. Und bei diesem Herumwandeln auf verschiedenste Realitäten ihrer selbst trifft, die sich oft auch widersprechen. Auf dieser Reise in die Vergangenheit sprechen die Figuren Dinge laut aus, die ich gut nachvollziehen kann.
Was war herausfordernd an dieser Übersetzung?
Ein wichtiger Aspekt war die Dialektfrage. Im französischen Original ist der Text in einer Sprache geschrieben, die sich dem Dialekt anlehnt, der in der Schweizer Region Neuchâtel gesprochen wird. Es war das erste Mal, dass ich mit diesem Dialekt zu tun hatte, und ich war erstaunt darüber, wie verständlich mir der Text war, bis auf wenige kleine Ausdrücke, die ich mit der Autorin besprechen musste.
Wir haben uns gemeinsam, also mit Leyla und mit Dir als Herausgebern, sehr schnell dafür entschieden, dass wir keine Verlagerung in irgendeinen deutschen Dialekt wollten. Wir waren uns einig, dass wir diesen Dialekt in eine starke Mündlichkeit übertragen wollten. Diese Mündlichkeit hatte noch eine andere Ebene, eine andere Schicht, die dem Stück innewohnt, nämlich die Jugendsprache. Jugendsprache ist ein interessantes Phänomen, weil sie so schnell altert. In diesem Fall geht es um eine Westschweizer Jugendsprache um die Jahrtausendwende, das war interessant.
Gibt es ein Projekt, das du schon lange einmal realisieren wolltest, zu dem du aber niemals gekommen bist – ein echtes Herzensprojekt?
Dadurch, dass ich in Paris lebe und viel Französisch in meinem Alltag spreche, versuche ich viel auf Deutsch zu lesen. Dann habe ich oft Lust, diese Bücher ins Französische zu übersetzen. Deshalb würde ich mir sehr wünschen, in der Zukunft mehr in die andere Richtung zu übersetzen, und zwar zu zweit. Ohne zu zögern, kommen mir da die Bücher von Ulrike Edschmid in den Sinn. Ihre Texte sind mir sehr wichtig. Sie ist eine besondere Autorin, eine Geschichtensucherin, die den Text als Textur verwebt und viele Lebensgeschichten von Frauen des 20. Jahrhunderts aufgeschrieben hat. Einige dieser Porträts würde ich gerne übersetzen.
Du sagst, dass du gerne zu zweit übersetzen würdest. Ist das die Suche nach der Teamarbeit, die du aus der Theaterpraxis kennst?
Ich finde Übersetzen oft so einsam. Und ich bin eine sehr zweifelnde Übersetzerin und mache immer 5000 unterschiedliche Versionen, da ich mich ständig frage, was wäre noch möglich, wie könnte es noch lauten, weil man immer das Gefühl hat, man möchte dem Text doch irgendwie gerecht werden. Wenn man zu zweit übersetzt, kann man sich so schön gemeinsam den Kopf darüber zerbrechen, und man trifft die Entscheidungen zu zweit. In den meisten Fällen ist es ein Geschenk, mit jemanden zu arbeiten. Es muss natürlich die richtige Person sein, jemand, mit dem man sich streiten kann, mit dem man sich versteht, mit dem man vielleicht sogar eine gewisse Sensibilität was den Text betrifft, teilt. Ich glaube, das ist keine Selbstverständlichkeit. Aber es ist eine Art des Übersetzens, die ich inspirierend finde.
Franziska Baur ist Dramaturgin und Übersetzerin. Sie verbindet eine enge Zusammenarbeit mit dem Collectif Aubervilliers und dem Regisseur Alain Françon. Im späten Frühjahr dieses Jahres hat sie an der Staatsoper Unter den Linden die Uraufführung der Oper «Melancholie des Widerstands» von Marc-André Dalbavie in der Regie von David Marton dramaturgisch begleitet. Gemeinsam mit Luc Bénazet, übersetzte sie zuletzt einige Briefe von Else Lasker-Schüler und Gedichte von Senna Hoy. Für die Anthologie SCÈNE, hat sie Antoinette Rychners Stück «Arlette» übersetzt. Sie lebt in Paris.
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