Fanny Bouquet über ihren langen Weg zum literarischen Übersetzen «Sachen übersetzen»

Die Chartreuse les Avignon – Centre National des écritures du spectacle, Schauplatz des Workshops Transfert Théâtral im Oktober 2022 (Foto: Fanny Bouquet)

In der Anthologie SCÈNE erschien im vergangenen Jahr Fanny Bouquets Ko-Übersetzung des queerfeministischen Theatertextes «Penthesile:a:s» von Mardi (Marie Dilasser), in Zusammenarbeit mit Dorothea Arnold. Am 17. April feiert das Stück seine deutsche Erstaufführung am Neuen Theater Halle – in der Regie von Sandra Hüller und Tom Schneider. Als Kulturmanagerin und Dokumentarfilmübersetzerin beschäftigt sich Fanny Bouquet schon lange mit der Übertragbarkeit von Sprache und Kultur(en), doch dauerte es einige Jahre, bis sie sich offiziell zum Beruf der Übersetzerin bekannte. In einem sehr persönlichen Text zeichnet sie ihren Weg vom unglücklichen Erasmus-Jahr in Berlin bis heute nach.

 

 

(von Fanny Bouquet)

 

 

Außerhalb des Rahmens von Schule und Sprachunterricht ist das Übersetzen während meines ersten Masterjahres in mein Leben getreten, das ich als Erasmus-Studentin an der Humboldt-Universität zu Berlin verbrachte.

Nach einer literarischen Vorbereitungsklasse hatte ich das starke Bedürfnis, in irgendeiner Form mit der deutschen Sprache in Kontakt zu bleiben. Ich beschloss, meine historischen Forschungen einer Zeitschrift für moderne Kunst zu widmen, die in den 1920er Jahren in Deutschland erschien. Zwar hatte ich während meiner Schulzeit das Glück gehabt, mit großartigen Deutschlehrerinnen die unterschiedlichsten Texte zu studieren, doch waren diese Leseerfahrungen von den Anforderungen der Aufnahmeprüfungen für die Grandes Écoles geprägt gewesen.

Als ich mein Masterstudium begann, sah ich mich zum ersten Mal mit einer beträchtlichen Menge Archivmaterial in deutscher Sprache konfrontiert, das es auszuwerten galt. Außerdem musste ich die Inhalte meiner Betreuerin zugänglich machen, die zwar Spezialistin für Kulturgeschichte aber keine Germanistin war. So habe ich sehr unstrukturiert und ungeordnet begonnen, Zitate, Auszüge aus Artikeln, Kunstkritiken und Kurzgeschichten zu übersetzen, die ich aus der Zeitschrift herauspickte, um ihre Vielfalt, die Themen, die sie behandelte und den ironischen Tonfall, der sie auszeichnete, wiederzugeben.

Fanny Bouquet und die anderen Teilnehmer*innen des Programms Archipelagos bei den Assises de la traduction littéraire in Arles im November 2024 (Foto: privat)

Allerdings waren die ersten Monate Masterstudium  eine einsame Erfahrung, die mich verunsicherte. Ich war 21 Jahre alt und hatte gerade erst ein gemütliches Klassenzimmer verlassen, in dem ich die letzten fünf Jahre meines Lebens mit bekannten Gesichtern verbracht hatte, und noch dazu in einem französischen Schulsystem, in dem das geschriebene Wort Vorrang vor dem gesprochenen hat. Meinen deutschsprachigen Kommiliton*innen, die außerdem häufig ein paar Jahre älter waren, fiel es leichter, sich im Seminar zu äußern.

Eine äußerst eigenartige Entdeckung war der Club Maté, den sie während der Kurse in sich hineinschütteten und dessen erste Schlucke mich ehrlich gesagt durch ihren leicht rauchigen Geschmack überraschten. Zu zurückhaltend, um meine Kommiliton*innen anzusprechen und in einer äußerst französischen Vorstellung davon befangen, wie eine Vorlesung auszusehen hat, ist es mir in diesem Erasmusjahr nicht gelungen, echte Freundschaften zu schließen. Oder auch nur zu sprechen.

Ich erinnere mich an eine besonders schmerzhafte Begebenheit: An einem Nachmittag im Oktober hatte ich mich in einem Straßencafé niedergelassen, um trotz des aufkommenden eiskalten Windes die letzten Sonnenstrahlen zu genießen. Ich wartete auf eine heiße Schokolade, die mich vor dem Erfrieren retten sollte, als ich die Bedienung mit einem riesigen, mit Schlagsahne bedeckten und vor Schokoladensauce triefenden  Eisbecher auf mich zukommen sah. Diese eindrückliche Lektion über das stimmhafte «h», mit dessen Aussprache ich mir bis heute schwertue, hat mich damals 12 Euro gekostet. Heiße Schokolade!

Der Jahrgang 2024 der ETL beim Festival Vo-Vf in Gif-sur-Yvette im Oktober 2024 (Foto: privat)

Anstatt meiner Schüchternheit zu trotzen, ein Gespräch zu beginnen, und meinen Mitmenschen womöglich Übersetzungsfragen zu stellen, war ich wie gelähmt bei dem Gedanken, das falsche Wort, das falsche Genus oder den falschen Kasus zu verwenden.

Mein einziger direkter Gesprächspartner war lange Zeit leo.org, der getreue digitale Begleiter meiner Recherchen und meiner ersten Übersetzungsversuche. Im Gegensatz zu mir war leo zweisprachig und in der Lage, mir mitzuteilen, dass dieser oder jener Ausdruck schon lange nicht mehr verwendet wurde, ein anderer sehr vulgär war, und ein dritter eher in den Schweizer Alpen als im Graefekiez vorkam.  Die übersetzungstechnischen Herausforderungen, die die Arbeit an der Kunstzeitschrift mit sich brachte, habe ich in einem kurzen methodologischen Teil recht schnell abgehandelt.

Dennoch hatten es mir die Erfahrung in Berlin und die Masterarbeit ermöglicht, eine tägliche Verbindung zur deutschen Sprache aufrechtzuerhalten. Sie trugen dazu bei, dass ich bald darauf mit spannenden historischen Recherchen und Übersetzungen für mehrere Dokumentarfilme betraut wurde. Auch dies war eine sehr einsame Aufgabe, wenn auch diesmal eingebettet in einen Produktionsprozess und in das kollektive Abenteuer einer Filmproduktion. Aber ich hätte es nie gewagt, mich als Übersetzerin zu bezeichnen: Anderen Leuten gegenüber sagte ich bestenfalls, dass ich « Sachen für Filme übersetze ».

Die Chartreuse les Avignon – Centre National des écritures du spectacle, Schauplatz des Workshops Transfert Théâtral im Oktober 2022 (Foto. Frank Weigand)

Heute sehe ich die Dinge anders, und das verdanke ich all denjenigen, die es mir ermöglicht haben, an meinen Wunsch zu glauben, zu übersetzen und diesen Weg weiterzugehen.

Als ich im Juli 2022 von der Ausschreibung für Transfert théâtral erfuhr, war ich froh, einen deutsch-französischen Workshop zu entdecken, der meine Leidenschaft für das Theater und meine Leidenschaft für das Übersetzen miteinander verband. Ich hatte die Hoffnung, dabei, deutschsprachige Kolleg*innen mit ähnlichen Interessen kennenzulernen. Ich hatte zuvor noch nie daran gedacht, dramatische Texte zu übersetzen, also zögerte ich nicht lange und bewarb mich kurzerhand.

In den wenigen Tagen des Workshops habe ich nicht nur viel über die Herausforderungen des Theaterübersetzens gelernt.  Sie haben es mir auch ermöglicht, Menschen kennenzulernen, die heute sehr wertvoll für mich sind, Kolleg*innen und Freundinnen, von denen ich weiß, dass sie mir ihr Empfinden zu diesem oder jenem Wort erklären können, genau da, wo Wörterbücher nicht im Stande sind, mir bestimmte Nuancen verständlich zu machen.

Die Chartreuse les Avignon – Centre National des écritures du spectacle, Schauplatz des Workshops Transfert Théâtral im Oktober 2022 (Foto: Fanny Bouquet)

Sie haben mir auch den notwendigen Anstoß gegeben, um ein Jahr später, Ende 2023, an die Tür der Ecole de traduction littéraire zu klopfen. Im Gepäck hatte ich ein paar Übersetzungen aus dem Filmbereich und eine gemeinsame Theaterübersetzung. Und vor allem den klar formulierten Wunsch, dem Übersetzen einen Platz in meiner beruflichen Tätigkeit  einzuräumen.

Die Vorträge an der ETL, von Akteur*innen aus der Buchbranche, von Autor*innen und Übersetzer*innen, die mehrsprachigen Workshops und die engen Beziehungen, die wir Teilnehmer*innen des Jahrgangs 2024 untereinander geknüpft haben, haben zahlreiche vorgefasste Meinungen dekonstruiert, die ich vom Übersetzen hatte. Ich nehme davon die Erkenntnis mit, dass es vermutlich ebensoviele mögliche Werdegänge und Beziehungen zu unseren Arbeitssprachen gibt wie Übersetzer*innen, dass man nicht unbedingt vollkommen zweisprachig sein muss, um zu übersetzen, dass man nicht unbedingt familiäre Bindungen, eine Ausbildung als Linguist*in oder eine gymnasiale Lehrbefähigung besitzen muss, um ein ganz persönliches Echo in einer Sprache zu finden.

Abschließend muss ich mich ganz herzlich bei dem Team von ATLAS für das Projekt Archipelagos bedanken, das mir im September 2024 einen Aufenthalt in Deutschland ermöglicht hat. Zwei intensive Wochen lang konnte ich mich literarischen Erkundungen und der Suche nach Titeln zum Übersetzen widmen. Fast zehn Jahre nach meinem Erasmusjahr, das rückblickend wie ein missglücktes Rendez-vous mit Berlin wirkte, hatte ich ein unglaubliches Vergnügen daran, diese Stadt wiederzufinden, die mir so ans Herz gewachsen ist, und deren Ressourcen ich noch lange nicht ausgeschöpft habe.

Vor einer Buchhandlung im Berliner Graefekiez (Foto: Fanny Bouquet)

Der Luxus, wieder dort spazieren zu gehen, von Buchhandlungen zu Lesungen und zu Theateraufführungen, diesmal mit einer ganz anderen Sicht auf die Stadt und das, was sie mir zu bieten hatte, war ein notwendiger und unglaublich kostbarer Schritt in meinem Werdegang als junge Übersetzerin. Er hat es mir außerdem ermöglicht, die zeitgenössische Literaturszene besser kennenzulernen.

Letztendlich habe ich also ein bisschen Zeit gebraucht, und vor allem zahlreiche Begegnungen durch Workshops, Weiterbildungen und Stipendien, um zu einer doppelten Schlussfolgerung zu gelangen, die im Grunde sehr einfach ist: Vielleicht wird man genau dadurch Übersetzerin, dass man « Sachen übersetzt » – und auf diesem Weg zählen Freundschaften und der Austausch mit Kolleg*innen, egal ob deutschsprachig oder Übersetzer*innen aus anderen Sprachen ins Französische, mindestens genauso viel wie Wörterbücher.

 

(aus dem Französischen von Frank Weigand)


 

PENTHESILE:A:S von Mardi (Marie Dilasser)

aus dem Französischen von Dorothea Arnold und Fanny Bouquet

Premiere am 17.4.2025, 19 Uhr 30

Regie: Sandra Hüller und Tom Schneider

Dramaturgie: Uwe Gössel

Reservierungen und weitere Informationen hier.

 


 

Die Kulturmanagerin und Übersetzerin Fanny Bouquet (Foto: privat)

Nach einer literarischen Vorbereitungsklasse (Khâgne B/L) am Lycée Henri IV in Paris studierte Fanny Bouquet Geschichte und Sozialwissenschaften an der Ecole Normale Supérieure de Cachan, der Sorbonne und der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Kulturmanagement an der ESCP. Seit 2017 arbeitet sie als Übersetzerin, Rechercheurin und Kulturmanagerin, für audiovisuelle Medien, darstellende Kunst und Museen. 2024 besucht sie die Ecole de Traduction Littéraire (CNL / Asfored) und erhält ein Archipelagos-Stipendium für literarische Recherchen, in dessen Rahmen sie sich in Berlin und in Arles am CITL aufhält. 2025 nimmt sie am Georges-Arthur-Goldschmidt-Programm teil.

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