von Marie Yan
Unsicher, wo wir hinschauen sollen, stehen wir Zuschauer*innen draußen vor der betongrauen brutalistischen Architektur der Kölner Universität. Ein großer Baum erhebt sich über uns. An den Zäunen dahinter hängen Banner, die das Programm von Africa All Around ankündigen. Immer wieder ertönt das Klingeln von Fahrrädern, die an uns vorbeifahren.
Als Zora Snake erscheint, tut er dies mit langsamen Schritten, die, obwohl wir alle regungslos dastehen, mit unserer aufgeregten Erwartungshaltung kontrastieren. Er trägt ein weites, braunes, aus dickem Stoff ausgeschnittenes Gewand und hält einen Stab mit einer Feder in der Hand, den er in die Luft reckt und schüttelt. Er bleibt vor einem Zuschauer stehen, streicht ihm mit der Feder über den Kopf und blickt ihm dabei tief in die Augen. Worauf der unsichere Zuschauer mit einem raschen Neigen des Kopfes antwortet.
Zufällig ist der Mann der künstlerische Leiter des Kulturprogramms des Berliner Humboldt Forums. Einer Institution, die eine große Menge geraubter oder unter Kolonialherrschaft erworbener Kunstwerke besitzt und gegen die mehrfach zum Boykott aufgerufen wurde. Das Thema der dialogFORUM-Diskussion an diesem Nachmittag, die mit dieser Performance eröffnet wird, lautet: «Recognise, restitute, repair» («Anerkennen, Restituieren, Reparieren»), was diesen Moment mit Zora Snake, einem Schwarzen Performancekünstler und Choreografen aus Kamerun, der sich seit Jahren mit den Verheerungen der Kolonialisierung auseinandersetzt, und Jan Linders, dem weißen deutschen Vertreter einer neokolonialen Institution, für mich als Person, die für diese Institution gearbeitet und sie von innen erlebt hat, zu einer ganz besonderen Szene macht. Die Performance legt auf geniale Art und Weise die Machtspiele offen, die zwei Individuen durchziehen, und das, wie ich später erfahre, zu einem Zeitpunkt, als sie sich tatsächlich gerade kennengelernt hatten und über den Auftrag für ein neues Stück diskutierten.
Zora Snake kniet sich auf einer Matte hin und stellt eine Holzstatuette vor sich, die eine schwangere Gestalt mit erhobenen Armen darstellt. Nachdem er sie mit Wasser übergossen hat, zieht er sein Gewand aus, unter dem ein schwarzer Büroanzug zum Vorschein kommt. Dann taucht er seine Hand in eine Schale voller Ton, mit dem er sich Gesicht und Mund bestreicht, seine Gesichtszüge überzeichnet und ein groteskes Doppelkinn formt. Als er fertig ist, zuckt sein Körper, als wolle er etwas ausstoßen. Ein leises «Oh» dringt heraus, das sich nach und nach in ein Wort verwandelt: «Kapitalismus».
Damit ist der Ton für das gleich beginnende Panel gesetzt. Wir werden uns damit beschäftigen, was Herrschaftsmechanismen im Bereich der Empfindungen anrichten und wie wir sie mit Klarheit betrachten können, in der Hoffnung, dass auch wir Mittel und Wege finden, sie aus unseren Körpern zu vertreiben.
Zora Snake fährt fort, sein Gesicht mit Klebeband und Schnur in ein anderes zu verwandeln, befestigt Zweige und Federn daran und wird zu einer Kreatur, die uns in die Eingangshalle der Universität führt und dann verschwindet. Wir betreten nun alleine einen Vorlesungssaal, in dem gerade die Redner*innen Platz nehmen. Dr. Ndongo Samba Sylla, Leiter des africologneDIALOGFORUMs, stellt die einzelnen Teilnehmer*innen vor. Dann beginnen ein Panel und eine Diskussionsrunde, die so intensiv und vollgepackt sind, dass wir mindestens um eine Stunde überziehen, und deren Energie ich nun zu beschreiben versuchen werde.
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