Wie bist du dazu gekommen, an «Und alles» zu arbeiten?
Gwendoline: 2016 bin ich daran verzweifelt, dass in den Nachrichten nur Informationen liefen, die ich deprimierend fand: die Anschläge in Frankreich, die Wahl von Donald Trump, die Migrationskrise, die Erderwärmung … Ich war sehr traurig, aber auch wütend. Und es fiel mir schwer, mir eine schöne Zukunft vorzustellen. Meine Verzweiflung war groß und ich dachte an die Kinder: Wie nahmen sie diese Informationen wahr? Hatten all diese schlimmen Nachrichten einen Einfluss darauf, wie sie sich die Zukunft vorstellten? Am liebsten wollte ich ihnen diese Fragen direkt stellen. Also bin ich im Frühjahr 2017 zu einer Schreibresidenz an das Theater Am Stram Gram in Genf gegangen, um Nachforschungen anzustellen, aus denen letztendlich diese Geschichte entstanden ist.
Corinna: Ich habe «Pig Boy 1986-2358», ein anderes Stück von Gwendoline, 2018 in einem 3er-Team übersetzt, im Auftrag von Bettina Schuster-Gäb vom Festival Primeurs. Ich fand «Pig Boy» ein total geniales Stück. Kurz darauf habe ich am Saarländischen Staatstheater einen deutsch-französischen Jugendclub geleitet, der Teil des Programms «echt absolut» war und dafür ein noch nicht übersetztes Kinder- und Jugendstück gesucht und habe Gwendoline gefragt, ob sie was hat. Und sie hat mir «Tout ça Tout ça» geschickt. Mit meinem Jugendclub habe ich dann eine szenische Lesung auf Deutsch erarbeitet, in gekürzter Fassung. Dann sollte das Stück in dem Band «Scène 22» erscheinen, dafür habe ich es fertig übersetzt.
Philipp: «Und alles» ist meine erste Arbeit am Theater Konstanz. Eines Tages rief mich Romana, die Leiterin des Jungen Theaters, an und sagte, sie würde mir gerne die Regie für ein wunderbares Stück anbieten. Ein lebensbejahendes, hoffnungsvolles Stück für Kinder und Jugendliche. Es war gerade die Zeit des drohenden Ukrainekriegs, der Coronakrise und der ohnehin allumfassenden Klimakrise, sodass ich dachte: Ja, genau. Ein solches Stück möchte ich machen. Nachdem ich es dann gelesen hatte, habe ich sofort begeistert zugesagt.
Was war für dich die größte Herausforderung bei diesem Stück?
Gwendoline: Die größte Herausforderung bestand darin, meinen ersten zeitgenössischen Text für junges Publikum zu schreiben! Ich hatte schon immer den Wunsch gehabt, aber bis jetzt hatte ich es nie wirklich hingekriegt, das in Angriff zu nehmen. Und dann haben sich mir alle Herausforderungen/Fragen gestellt, die man beim Schreiben für junges Publikum so durchmacht: Wie stellt man Kindheit dar, ohne sie zu karikieren? Wie spricht man über aktuelle Themen und passt sie für Jugendliche an, ohne sie zu vereinfachen? Wie findet man den richtigen Ton für die Sprechweise von Kindern? Welchen Blickwinkel soll ihnen meine Geschichte bieten?
Corinna: Wie die Hauptfigur spricht, Chalipa. Sie ist 8, die zweitjüngste der Gruppe, aber sie ist die Revolutionsführerin, sie ist so tough, und gleichzeitig so lustig und auf berührende Weise naiv.
Philipp: Eine große Stärke des Stückes ist, dass es die Perspektive von Kindern und Jugendlichen einnimmt und ernst nimmt. Die Held*innen sind vier, acht, dreizehn und vierzehn Jahre alt. Dies war aber zugleich die größte Herausforderung. Wie können wir als ein Team von Erwachsenen dieser Perspektive gerecht werden? Wie spielt man einen vierjährigen Jungen? Wir haben uns, inspiriert von Gwendolin, die ja das Stück aus Interviews mit Kindern und Jugendlichen entwickelt hat, im Probenprozess mit jungen Expert*innen im Alter der Figuren getroffen und haben sie nach ihren Bedürfnissen gefragt, wir haben eine Schulkasse zu Proben eingeladen, sodass wir immer Kontakt und Austausch mit denjenigen hatten, denen die Spieler*innen auf der Bühne ihre Stimme leihen.
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