Berit Schuck im Gespräch mit der Regisseurin Monika Gintersdorfer Von neuen Sprachen und den Grenzen des europäischen Theatersystems

Berit Schuck: Monika, du bist Theaterregisseurin, Performerin, Mitbegründerin der freien Gruppen Rekolonisation (mit Jochen Dehn), Gintersdorfer/Klaßen (mit Knut Klaßen) und La Fleur (mit Franck Edmond Yao). Seitdem ich dich kenne, nehme ich dich aber auch als Übersetzerin wahr. Du entwirfst Arbeiten, in denen verschiedene Performer*innen aus den unterschiedlichsten Kontexten miteinander tanzen, sprechen und gleichzeitig Übersetzungen der eigenen Bewegungen, Sprachen Systeme initiieren oder auch selbst übernehmen. Seit wann arbeitest du auf diese Weise?

Monika Gintersdorfer: Ich habe nach dem Studium in Hamburg gelebt und als Theaterregisseurin gearbeitet, ich habe lange Zeit erst mal Stücke mit den Ensembles des deutschsprachigen Theaterraums inszeniert. Schließlich habe ich Aboulaye Kone alias «Bobwear» kennengelernt, einen ivorischen Fashiondesigner, der mich in einen Hamburger Club mitnahm, in dem ein Couper-Decaler-Abend lief, ein Abend mit diesem ivorischen Tanz- und Musikstil, den es seit 2002 gibt. Zu Couper Decaler (frz. Coupé Décalé) gehört eine Philosophie, Animations- und Tanzcodes, aber auch eine bestimmte Art sich zu kleiden. Die Künstler*innen, die in den Club eingeladen wurden, kamen vor ihren Auftritten zu Bob’s Atelier (wo ich meine Bürosachen erledigt habe), um sich einzukleiden.
Ich hatte zu der Zeit bereits angefangen, mit der Gruppe Rekolonisation Performances im öffentlichen Raum zu machen, und das hat sich dann einfach überlappt. An den Performances von Rekolonisation haben von Anfang an nicht nur Freund*innen und Nachbar*innen von Jochen und mir, sondern eben auch Leute teilgenommen, die ich durch Bob kannte, Leute von der Côte d‘Ivoire, aus Niger und Ghana.

 

Du hast damals neben Straßenperformances auch Deutschunterricht gegeben und sogar einen Film über diesen Unterricht gedreht, zusammen mit Knut Klaßen. Dennoch hat Sprache damals noch keine Rolle als Material gespielt. Wann hat sich das geändert?

Irgendwann kam Solo Béton, Originalmitglied der heute legendären ivorischen Band La Jet-Set, über Paris nach Hamburg und brachte zwei Tänzer mit. Der eine war Franck Edmond Yao alias «Gadoukou La Star», der andere Petit Alain. Und die beiden kamen dann auch wie anderen Gäste vor ihnen in Bobs Atelier, um sich einzukleiden. Tupac le Champagnard, ein ivorischer Freund von Bob, hatte mich damals damit beauftragt, die Abende im Club zu filmen. Ich filmte also, wie Franck und Petit Alain Kleidung für den Abend anprobierten, gleich damit tanzten, und gleichzeitig habe ich Fragen gestellt. Franck hat sie beantwortet, aber sich auch weiterbewegt und mir dabei Bobs Atelier gezeigt. Ich würde sagen, so ist diese Form entstanden, die wir später häufig verwendet haben. Sie besteht im Wesentlichen daraus, Dinge gleichzeitig zu verkörpern und zu erklären, Bewegung und Sprache miteinander zu kombinieren und vielleicht auch noch eine Referenz zu dem Ort einzubinden, an dem man sich gerade aufhält.

 

Gab es irgendeine Verabredung zwischen dir und Franck, habt ihr ein Bewegungssystem oder eine Sprache für die Aufnahmen festgelegt?

Franck und ich kannten uns bis zu der Begegnung in Hamburg gar nicht, wir haben uns im Atelier auch nicht groß vorgestellt, aber dass unsere Art der Kommunikation, zwischen Bewegung und Sprache funktioniert, war sofort klar. Ich habe Franck dann gefragt, ob er sich vorstellen könne, noch einmal nach Hamburg zu kommen, und er ist wenig später einfach wieder gekommen. Wir haben dann etwas im Kontext einer Modenschau von Bobwear gemacht. Das war für eine Fashionshow ein bisschen überambitioniert – ich habe die Show praktisch durchinszeniert, doch es war ein Beginn. Danach haben wir angefangen, gemeinsam mit Knut an verschiedenen Orten in Hamburg, die für uns wichtig waren, eine ganze Reihe von Performances zu machen.

 

Welche Sprachen habt ihr dabei gesprochen und in welche Sprachen habt ihr übersetzt?

Die Sprachsysteme entsprachen immer genau den Personen, die an den Performances teilgenommen haben – und das ist heute noch so. Franck spricht zum Beispiel Französisch, aber es gab auch Leute aus Ghana, die Englisch sprachen, manche auch ein bisschen Deutsch, und Leute aus dem Niger, die wie Franck Französisch sprachen. Wir haben eigentlich immer alles übersetzt, jeweils aus und in die Sprachen, die gerade da waren. Auch das ist damals entstanden und wir machen das noch heute so. Übrigens ist das auch ein Grund dafür, dass Übertiteln für uns nie wirklich eine Option war. Titeln würde die Freiheit der Performer*innen, etwas noch einmal anders zu sagen, es umzuformulieren oder auch Kontakt zum Publikum zu suchen, einfach zu sehr einschränken. Das heißt, eigentlich versuchen wir immer Situationen zu schaffen, in denen jede*r der/die Spielpartner*innen sich mit dem auseinandersetzen muss, was der/die jeweils andere gerade sagt. Wir ziehen es vor, dass alle erst einmal verstehen müssen, worum es geht, und erst dann die passenden Worte für eine Reaktion suchen. Wenn sich dabei herausstellt, dass ein bestimmter Ausdruck sich gar nicht übersetzen lässt, (was häufiger passiert als man denkt) schadet das nicht. Im Gegenteil, meine Erfahrung ist, dass das die Beziehung der Spielpartner*innen zueinander sogar intensiviert. Natürlich gibt es auch Missverständnisse oder Fehler. Manchmal ruft dann jemand aus dem Publikum etwas herein, manchmal merken die Spielpartner*innen plötzlich, dass etwas keinen Sinn macht, und korrigieren sich dann selbst. Diese Auseinandersetzungen waren uns eigentlich immer wichtig. Ohne sie wären unsere Aufführungen nicht so lebendig.

 

Monika Gintersdorfer mit Franck Edmond Yao alias Gadoukou La Star. Foto: Knut Klaßen

Wie würdest du «Trio (For The Beauty Of It)» beschreiben? Was unterscheidet die Performance von anderen Projekten eurer Gruppe?

Über die Jahre ist uns klar geworden, dass bestimmte Personen, egal unter welchem Label wir auftreten, immer übersetzen und andere übersetzt werden. Auch wenn wir mit allen in verschiedenen Ländern auftreten und sich die Rollen mal verkehren, gelingt es einfach nicht, diese Rollenverteilung auszubalancieren. Das heißt, einige bilden jedesmal das Sprachzentrum der Gruppe. Sie sind es dann auch, die nach der Aufführung mit dem Veranstalter*innen oder den Gästen sprechen, während sich die anderen jedes Mal jemanden suchen müssen, damit die Kommunikation durch Übersetzung fließen kann. Um das anders zu gestalten habe ich daher irgendwann gesagt, dass es gut wäre, wenn sowohl die, die einsprachig sind, als auch die, die als zweite Sprache eine afrikanische Sprache sprechen – die hilft ihnen in den europäischen Ländern, in denen wir überwiegend auftreten, ja nicht weiter – noch eine zweite Sprache sprächen. Und dass es noch besser wäre, da wir eine sehr tanzaffine Gruppe sind, wenn sie die neue Sprache mit einem Bewegungssystem kombinieren könnten, wenn wir praktisch gemeinsam eine Bewegungssprache erfinden könnten. Wir haben also damit angefangen, unseren Worten jeweils Bewegungen zuzuordnen. Wir haben begonnen, Übungen zu machen, bei denen jemand etwas tanzt und der/die andere das dann in sein Bewegungssystem und gleichzeitig entweder in die eigene Sprache oder in die Sprache übersetzt, die er gerne lernen möchte. Oder auch Übungen, bei denen jemand etwas sagt und der/die andere es dann tanzt usw. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, die Bewegungen und Sprachen, die da sind, zu kombinieren. Man kann das System auf sehr unterschiedlichem Niveau tanzen. Wir integrieren ja schon lange Sprachen in unsere Performances, aber bisher haben wir das nicht getan, um eine neue Sprache zu erlernen, sondern als Kontrast, manchmal auch begleitend, und manchmal auch nur, weil aufmerksamer hingeguckt wird, wenn jemand spricht. Und jetzt versuchen wir das erste Mal, Sprache, Bewegung und Erinnerung zu verkoppeln, um den Spracherwerb für diejenigen zu erleichtern, die eine weitere Sprache lernen wollen. Neue Sprachsysteme prägen sich leichter ein, wenn sie an Bewegungssysteme gekoppelt sind.

 

Führt das nicht langfristig zu Ausschlüssen? Wie reagiert ihr zum Beispiel auf Performer*innen, die von Außen dazukommen und die Grundlagen eures Systems daher nicht kennen oder auch eine völlig neue Sprache mitbringen? Können neue Performer*innen oder Gäste bei euch mittanzen, ohne dass eine babylonische Sprachverwirrung ausbricht?

Nein, genau dafür sind die Systeme ja da, dass man sich ohne Vorwissen verbinden kann. Allerdings hängt die Gewichtung, welche Sprachen vorwiegend gesprochen werden, häufig von den Mehrheitsverhältnissen im Raum ab. Da kann es schon mal sein, dass nicht ausgewogen übersetzt wird. Zusammenarbeiten können schnell entstehen, einmal probten wir gerade in Aubervilliers, und DJ Meko, einer der Performer, brachte unangekündigt zwei neue Tänzer mit. Den einen, Ordinateur, kannte ich schon von der Elfenbeinkünste, weil er ein sehr bekannter Tänzer ist, den anderen, Alaingo, habe ich erst in dem Moment kennengelernt. Weil er auch ein sehr guter Tänzer ist, haben wir sofort mit ihm zusammengearbeitet. Da gab es keinen formalen Vorgang. Meko hat die beiden einfach mitgebracht, und es war einfach klar, dass sie sich beteiligen wollten. Es hat sofort Spaß gemacht.

 

Und so soll es für euch und mit dem System weitergehen?

Ja, wir müssen einfach Projekte und Stücke machen, damit die Leute sich immer wieder treffen können. Es gibt freie Gruppen, die seit 15-20 Jahren existieren und bewiesen haben, dass sie wirklich zusammenbleiben und langfristig an etwas arbeiten. Leider ist es so, dass wir wenig direkten Zugang zu Ressourcen haben, die uns das ermöglichen. Ich finde, das Maß an Verantwortung, das wir füreinander und für unsere Arbeit tragen, auch dafür, wie es den Gruppenmitgliedern geht und wie wir zusammenkommen können – das Maß an Verantwortung, das wir tragen, ist im Verhältnis zu dem, was wir entscheiden können, oder wie viel direkten Zugang wir zu Ressourcen haben nicht ausgeglichen. Wir haben zum Beispiel keinen direkten Zugang zu Probenräumen. Wir können nicht selbst bestimmen, wann wir spielen, außer es sind freie Förderungen, aber auch die sind häufig an Spielstättenbescheinigungen gekoppelt. Dass die Stadttheater ein Intendant*innensystem haben, das weiß jede*r, aber die freien Produktionsstätten haben das auch. Auch in der freien Szene entscheidet heute die Intendanz und die Dramaturgie, was wann gezeigt wird, wie lange eine Gruppe sich am Haus aufhalten kann usw. Ich würde mir wünschen, dass die Autonomie der freien Gruppen gestärkt wird! Wir leisten fast alles, aber haben keinen direkten Zugang zu Bühnen, Probenräumen oder in eine Gästewohnungen. Wenn wir zumindest teilweise über diese Ressourcen verfügen würden, könnten wir sinnvoller und günstiger arbeiten , es müssten nicht ständig Hotels bezahlt werden, die Gruppenmitglieder aus den verschiedenen Kontinenten müssten sich weniger oft trennen, sie hätten eine viel stärkere Verbindung zueinander und zu den Orten, an denen sie arbeiten.

 

Weitere Aufführungen von »Trio (For the Beauty Of It)«:
04. November 2022 Dampfzentrale Bern
8. + 9. November 2022 Théâtre 140 Brüssel

Die Regisseurin Monika Gintersdorfer ist stets in Bewegung (Foto: Knut Klaßen)

Monika Gintersdorfer, geboren in Lima, Peru, studierte Germanistik und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Köln und Regie in Hamburg, 2000–2004 Inszenierungen in Hamburg, München, Salzburg. 2004-2005 Rekolonisation mit Jochen Dehn. Seit 2005 Zusammenarbeit mit Knut Klaßen, 2017 Gründung La Fleur mit Franck Edmond Yao.

Berit Schuck, geboren in Bremen, Deutschland, studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Theaterwissenschaft und Französisch in Berlin, Paris und den USA, 2005-2012 Projekte am Thalia Theater Halle und für die Bundeskulturstiftung. 2012-2020 Programme in Alexandria, Beirut, Kairo, Marrakech. Seit 2022 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am tomas schmit archiv, Berlin.

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