von Suzanne Émond
Wir befinden uns in Berlin vor vier Jahren. Der Autor, den ich inszeniere, Thomas Depryck, ist nicht nur französischsprachig, sondern auch Belgier wie ich. Wir gehören derselben Generation an. Ich verstehe seine Anspielungen, begreife, was ihn bewegt. Wir proben in einem Bühnenbild, das nicht unser eigenes ist, in einem der zahlreichen Proberäume des Deutschen Theaters.
So beginnt meine Theatergeschichte in Berlin. Indem ich mir inmitten von gewaltigen Bühnenbildern, vielleicht vier oder fünf verschiedenen, allesamt für die große Bühne dieses Theaters bestimmt, alle repräsentativ für das, was man von einem deutschen Staatstheater erwarten kann, einen kleinen Freiraum schaffe. Das klingt wie eine Anekdote, doch liegt darin die Essenz des Feuers, das in mir brennt, während wir an Le Réserviste arbeiten.
In jenem Augenblick verspüre ich das Bedürfnis, nicht nur einen belgischen französischsprachigen Text, sondern vor allem eine theatralische Geste, ein Fundament, etwas Unsagbares, das mich ausmacht, in diese germanische Welt zu bringen, die seit einigen Jahren auf seltsame Art und Weise zu meiner eigenen geworden ist, und mehr noch auf eine etwas unverschämte, aber harmlose Weise in die Mauern dieses Tempels des institutionellen deutschen Theaters, die das Deutsche Theater symbolisiert.
Als Kind habe ich oft einen Spagat zwischen meinem Geburtsland Belgien und meiner zweiten Heimat, der Tschechoslowakei (Slowakei), gemacht. Ich wuchs in einer etwas seltsamen Form der Zweisprachigkeit auf, bei der ich pro Land nur eine einzige Sprache praktizierte. Da ich mit meiner slowakischen Familie in der Slowakei oft allein war, gab es dort niemanden, der mit mir Französisch sprach. Manchmal war der Kulturschock dort nach ein paar Wochen so groß, dass mich ein Durst nach westlicher Kultur, nach dem Westen, überkam. Und dann versuchte ich als Kind und später als Jugendliche auf Biegen und Brechen Georges Brassens in ein unvollkommenes Slowakisch zu übersetzen. Das war natürlich aussichtslos, aber ich hatte die Intuition und die verrückte Hoffnung, dass sich unsere Seelen einander annähern könnten und wir uns besser verstehen würden, wenn es mir nur gelänge, einem Slowaken die Genialität von Brassens´ Schreiben begreiflich zu machen.
Ein solcher Lebensimpuls, gepaart mit Neugier, ist es auch, der mich dazu treibt, aus nächster Nähe sehen zu wollen, was passiert, wenn ein Text aus meiner Heimat in den Körper eines Schauspielenden von hier übergeht.
Eine ständige Anpassung
«Le Réserviste» ist eine Satire, die den Platz und den Wert der Arbeit in der Gesellschaft hinterfragt. Die Fragen, die der Text aufwirft, sind in Deutschland genauso relevant und aktuell wie in Belgien.
Tatsächlich ändert sich beim Wechsel der Sprache zunächst einmal das angesprochene Publikum. Man könnte leicht eine soziologische Studie darauf aufbauen, was, je nach der Kultur oder dem Land, in dem das Stück aufgeführt wird, Reaktionen beim Publikum hervorruft. Dennoch wird man sehr schnell feststellen, dass auch man selbst nicht um eine Veränderung herumkommt. In einer anderen Sprache als der eigenen zu arbeiten, bedeutet, sich ständig anzupassen. Das gilt ebenso für einen selbst wie für die Menschen, die mit einem arbeiten.
Doch ist mir dies noch nicht bewusst, als ich mit der Inszenierung von «Le Réserviste» beginne. Nach eriner Stunde auf der Bühne habe ich es verstanden.
Natürlich gab es diese seltsamen Momente beim Verfassen des Förderantrags, in denen ich mich ein wenig wie in einem Traum fühlte, in dem die Realität fließend ist und man gar nichts mehr versteht. Ich hatte mich dafür entschieden, den Antrag auf Französisch, meiner starken Sprache, zu verfassen und ihn gemeinsam mit meinem Arbeitspartner, dem deutschen Schauspieler Thorsten Hierse (der zu diesem Zeitpunkt zum Ensemble des besagten Deutschen Theaters gehörte), zu übersetzen. Dies war eine der schlimmsten und interessantesten Erfahrungen meines Lebens im Bezug auf Vorstellungen von Kunst. Nichts funktionierte. In meinem damaligen schlechten Deutsch und auf dem Umweg über Englisch versuchte ich, Thorsten zu übersetzen, was ich geschrieben hatte, und er schaute mich mit großen Augen an und ich begriff nicht, warum. Und je mehr ich mich zu erklären versuchte, desto verwirrter waren wir beide. Die Begriffe, die ich gewählt hatte, um über die Aufführung zu sprechen, erschienen plötzlich aus dem Zusammenhang gerissen und sogar unangebracht, sobald sie ins Deutsche übersetzt waren. Thorsten sagte mir ständig: « Das wirkt so, als würdest du versuchen, mit deinem Text irgendwelche Gefühle bei mir auszulösen, ich verstehe nicht, was du von mir willst. » Wenn ich seine Vorschläge ins Französische übersetzte, wirkten sie auf mich seltsam distanziert und ließen keinerlei Raum für die Vorstellungskraft der Lesenden.
Der Förderantrag, der aus diesen Arbeitstagen, -abenden und -nächten, aus diesem belgisch-deutschen Kulturschock entstand, war absolut ungeeignet, um damit auch nur eine winzige Summe Geld zu bekommen, hatte jedoch die Schönheit, das widerzuspiegeln, was unsere künstlerische Begegnung sein könnte, sicherlich viel interessanter auf einer Bühne als in einem Büro für die Vergabe öffentlicher Fördermittel. Seit diesem Tag habe ich nie wieder einen deutschen Förderantrag auf Französisch verfasst oder gedacht. Ich denke meine Produktionen jetzt auf Deutsch oder Englisch. Man könnte das als eine Form von Assimilierung bezeichnen, geleitet von der Notwendigkeit, Mittel zum Arbeiten zu bekommen. Auf jeden Fall ist es viel effektiver.
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