Bernd Grawert, der den Vater spielt, ist ja ein großer älterer westdeutscher Schauspieler, der wirklich einer ganz anderen Generation angehört als Meryem Öz, die die Tochter spielt. Hat dich das bei der Auswahl des Stücks schon interessiert, unterschiedliche Generationen aufeinanderprallen zu lassen, vielleicht auch unterschiedliche Spielweisen und unterschiedliche Hintergründe?
Ich fand die Besetzung super. Beide haben sehr gute Zugänge zu diesem Grundprinzip, dass da zwei Figuren sind, die sehr viel angestaut haben, die viel Unausgesprochenes mit sich herumtragen und versuchen, zueinander zu finden. Das Angestaute kommt in diesen surrealen Szenen raus, und dann geht wieder der Dialog weiter, sodass man nicht weiß, wie gut sie sich einander eigentlich öffnen können. Bernd ist auch Musiker und hat uns alle gepusht, mehr in die Musikalität von Marinas Text reinzugehen. Meryem und ich haben natürlich beide einen Bezug zur Türkei und auch Elvin İlhan, die Dramaturgin. Das heißt, wir waren drei Personen im Team, die eine Migrationsgeschichte haben. Und wir haben eine Hospitantin mit einer russischen Migrationsgeschichte. Das war natürlich Thema auf den Proben. Was bedeutet das für die Beziehung zwischen den Figuren? Aber wir haben das nicht nur aus einer Migrationsperspektive heraus zu verstehen und zu lesen versucht. Wir haben auch gesagt, der Vater ist im Grunde ein Arbeiter. Er hat zwar versucht, Wissenschaftler zu werden, aber das hat nicht geklappt. Die beiden befinden sich wirklich in zwei unterschiedlichen Systemen und Narrativen.
Als Marina und ich den Text damals, 2018/19, übersetzt haben, ging es für mich darin um Traumata durch ein System, das tatsächlich untergegangen war. Doch gerade sehen wir, wie brutal die ehemalige Sowjetunion ihre Macht wiederherstellen will. Die Frage ist also: Ist es gerade jetzt wichtig, diese Geschichte des Weiterlebens dieser Kolonialgewalt zu erzählen, die auch irgendwie die Figuren durchzieht? Oder geht es hauptsächlich um die persönliche Geschichte dieser Figuren?
Also mir geht es mehr um die persönliche Geschichte. Aber natürlich ist es nicht so, dass wir die aktuellen Geschehnisse ausgeblendet haben. Ich würde fast sagen, wir haben sie in einen noch größeren Kontext gesetzt. Einerseits ja, genau diese neokolonialen Bestrebungen eines Russland, das diese Sowjetherrschaft immer noch mit sich trägt. Aber was ich auch sehr spannend finde, ist die Szene «Der Sturz der Kometen und der Kosmonauten», in der der Satz fällt: «Der Kommunismus ist gescheitert, der Kapitalismus ist gescheitert». Ich habe den Eindruck, wir sind auch ein bisschen Utopiebauer in diesem Stück. Es geht ganz viel um die Vergangenheit und die Zukunft. Ich finde es sehr spannend, den Text in Zusammenhang mit den Texten der Politikwissenschaftlerin Bini Adamczak zu lesen. Kommunismus: Kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird zum Beispiel. Darin schreibt sie, dass man natürlich den Unterschied zwischen sozialistischen Regimen und kommunistischen Ideen machen muss und die sozialistischen Regime sozusagen Diktaturen und faschistische Regime waren. Unter anderem deshalb, weil es ein Versuch des Kommunismus war, aber immer noch in einem kapitalistischen globalen Rahmen. Es also kein weltweiter Kommunismus war, sondern der Versuch, kommunistisch zu sein. Aber wenn die Welt drumherum nach wie vor kapitalistisch ist, dann funktioniert das nicht. Und am Ende entlässt Bini Adamczak die Leser*innen mit der offenen Feststellung: Wir wissen auch nicht, wie es besser wird, aber wir wissen nur, dass viele Sachen, so wie sie sind, nicht gut sind.
Der Krieg, den Russland gerade führt, ist natürlich nicht gut. Aber genauso wenig sind es die ganzen neokolonialen Strukturen, die wir auf der Welt haben. Von Mitteleuropa Richtung globaler Süden. Und das finde ich als weiteren Rahmen sehr spannend, nicht einfach nur eine Antwort zu suchen, sondern eher mit einer offenen Frage zu enden. Und die offene Frage in dem Stück ist der andere Planet, auf dem sich die beiden am Ende befinden. Sind die jetzt wirklich auf einem anderen Planeten oder sind sie eigentlich nur im Koma und haben einen Unfall gebaut? Oder liegen sie sogar im Grab? Man weiß es nicht. Ich bin gespannt darauf, hinterher verschiedene Meinungen aus dem Publikum zu hören.
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