Meinungen, Fragen und Kompromisse
von Emilly Fabricius
Am Anfang war das Wort. Bei uns nicht ganz. Am Anfang war der Text, beziehungsweise die Auswahl des geeigneten Textes. Vier Stücke standen zur Auswahl, alle mit unterschiedlichen Herausforderungen und Schwerpunkten. Nicht einstimmig, aber doch mit einer großen Mehrheit entschieden wir – das sind 16 Studierende der Universität Mannheim – uns für «Miranda and Dave Begin Again» der kanadischen Autorin Rhiannon Collett. Die anderen Texte beschäftigten sich mit Bürgerkrieg, Kolonialvergangenheit und der Präsenz von Sozialen Medien in der Jugend in starker Jugendsprache.
Da wir im Kollektiv wenig Erfahrung in der Übersetzung von Theaterstücken hatten, war «Miranda und Dave», ein Stück über Misogynie, Beziehungen und Erwachsenwerden auch meinem Empfinden nach die passende Wahl. Denn dass sich Theaterübersetzen eklatant vom Übersetzen von Prosa unterscheiden würde, darauf waren wir alle eingestellt und gefasst. Wird in der Prosa gewöhnlich einen Fließtext mit Erzählerstimme und Figurenrede übersetzt, müssen bei der Theaterübersetzung viele verschiedene Aspekte beachtet werden. Im Theater wird der Text gesprochen, was für mich den größten Unterschied bei der Übersetzungsarbeit ausmacht. Der fertige Text ist am Ende der (alleinigen) Übersetzungsarbeit noch gar nicht wirklich fertig, sondern lediglich eine «Arbeitsgrundlage», wie es Frank Heibert nennt. Erst durch das laute Lesen, die kleinen Feinheiten in der Tonalität und umgangssprachliche Anpassungen reift der Text zu einer Übersetzung heran.
Sechzehn Menschen, Sechzehn Meinungen. Dieser Herausforderung nicht ganz bewusst starteten wir die erste Phase der Übersetzung, eine Kollektivübersetzung der ersten Szene, einem Monolog. Immer wieder war ich überrascht, wie Worte und Sätze, die mir ganz selbstverständlich erschienen, von anderen ganz anders übersetzt wurden. So wurde beispielsweise girl zu Mädchen, Mädel, Kleine, Kleines oder auch ganz weggelassen. Über die kleinsten Dinge wurde teilweise hitzig diskutiert. Vor allem die unterschiedlichen Meinungen und Stimmungen in der Gruppe zu berücksichtigen, war oft anstrengend und auslaugend. Fragen, die wir uns immer wieder gestellt haben, waren der Schauplatz des Stücks (das Original spielt in Toronto und Montréal), den Umgang mit Namen und wie die Figuren sprechen sollen, also welche Charaktereigenschaften sie transportieren.
Ein Beispiel: I wonder if I’m getting an A in Biology. Übersetzt man diesen Satz nah am Text mit: Ich frage mich, ob ich eine Eins in Bio bekomme? oder legt man der Figur Eden ein Stück Promiskuität in den Mund, in dem man sie sagen lässt. Krieg ich jetzt eine Eins in Bio? Viele Fragen haben wir bis kurz vor der Aufführung offengelassen.
Das weitere Übersetzen der insgesamt zehn Szenen fand in Gruppenarbeit statt. Dazu wurden wir bunt zusammengewürfelt. Ich kannte meine Gruppenmitglieder nicht, was dem Gelingen unserer Übersetzung keinen Abbruch getan hat, im Gegenteil: in Einzelarbeit vorbereitet haben wir uns im persönlichen Austausch mit unseren unterschiedlichen Texten auseinandergesetzt, jede wurde gehört und konnte ihre Meinung anbringen, was im Plenum nicht immer ganz leicht war. Schnell und unkompliziert kamen wir als Gruppe zu einer Kollektivübersetzung, mit der wir alle zufrieden waren.
Die größten Schwierigkeiten gab es mit englischen Redewendungen, die in der deutschen Sprache so einfach nicht die Aussagekraft oder die Kürze haben. I gag, you zip, ein genialer englischer Satz, der auf deutsch (Ich würge, du machst deine Hose zu) ein wenig an Genialität einbüßen muss. Andere Varianten (Ich würge, du gehst) hätten den Sinn zu stark verändert. Grundsätzlich sind wir oft sehr nah an der englischen Vorlage geblieben.
Da alle Gruppen schlussendlich eigene Szenen hatten, mussten wir stark darauf achten, dass alle zusammenpassen. Dies artete oft in kleinteiliger Arbeit aus. Miranda und Dave haben eine Art rituelles Spiel, welches sie immer gleich vortragen, hier musste jeder Ausdruck sitzen. Ich hätte im Vorfeld nicht gedacht, dass kleine Unterschiede so eine große Wirkung haben können.
Vor allem in der Ortsfrage und in Englisch/Deutschen Namen wählten wir zunächst einen Mittelweg: beide Varianten sollten vorgelesen werden. Bei allen Entscheidungen war es für mich erfrischend und wichtig, dass es noch keine deutsche Übersetzung des Textes gab und wir in den Gesprächen mit der Autorin interpretatorische Freiheit erhalten haben.
Und doch ist ein großes Stück Übersetzungsarbeit die Entscheidung für eine Variante, die dann auch getroffen werden musste, da das doppelte Vorlesen in den Proben nicht so gut funktionierte, wie erhofft. Schlussendlich wurden die Namen deutsch, der Ort wurde deutsch und Eden wurde nicht ganz so promisk und sagte Ich frage mich, ob ich eine Eins in Bio bekomme. Entscheidungen sind leichter, wenn man dem Ganzen schon etwas müde wird.
Mit einer Mischung aus Aufregung und Erleichterung erlebte ich in die Aufführung. Die vorherigen Probentage waren lang und anstrengend. Eine gewisse Erleichterung stellte sich ein, weil ich wusste, dass dieses Lesen des Textes das letzte sein würde. Teilweise konnte ich Szenen schon mitsprechen und doch gab es immer noch Worte und Sätze, bei denen ich dachte: Wäre da nicht vielleicht …? Übersetzen ist auch immer das Streben nach einer Perfektion, die nie erreicht werden wird.
Auf der Bühne war die Atmosphäre dann doch noch einmal anders, gebannt verfolgte ich die Geschichte von Miranda und Dave. Ein gewisses Lampenfieber, sein «eigenes» Werk aufgeführt zu sehen, stellte sich ein, das sich im Applaus am Ende in Stolz verwandelte. Das war es dann mit Miranda und Dave.
Wir haben das Stück nach Deutschland, genauer nach Mannheim und Umgebung versetzt, wogegen ich mich sehr gesträubt habe. Damit haben wir sehr viel verändert und den Text sicher auch «deutscher» gemacht, trotzdem wurde in der Aufführung darüber laut gelacht. Tatsächlich muss ich meine eigene Meinung revidieren : Es war gut so. Und es war gut, dass ich nicht allein entschieden habe.
Das ist auch mein Fazit: Wenn ich das Stück allein übersetzt hätte, wäre es ein anderes Stück geworden. Ich bin froh, dass es eine Kollektivübersetzung war, und dass ich das mal sage, hätte ich auch nicht gedacht. Grundsätzlich finde ich Gruppenarbeit meistens anstrengend und nervtötend, hier aber war es (meistens) produktiv und anregend. Gute Übersetzungsarbeit macht eine hohe Kompromissbereitschaft und Flexibilität aus und vor allem ist Übersetzung genau das: Arbeit. Dies sollte viel mehr gewürdigt werden, und zwar nicht nur im Theater, sondern auch im Film, in der Literatur oder in Serien.
Ich ertappe mich immer wieder, wie ich an den Text zurückdenken muss und bin mit jeder einzelnen Entscheidung, die wir und ich getroffen haben, einverstanden. Ich würde es sofort wieder machen. Nur nicht hauptberuflich. Ich bin nicht sicher, ob meine Nerven das mitmachen würden.
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