Erfahrungsberichte Studierender zu einem Semester Theaterübersetzung als kollaborative Praxis Miranda & Dave goes Mannheim! Teil II

Learning by Doing

von Viktoria Becker

Gleich zu Anfang muss erwähnt werden, wie genial die Option ist, zur Abwechslung mal an einem praxisnahen universitären Kurs teilzunehmen und dabei einen Einblick in die Berufswelt eines professionellen Übersetzers für Theaterstücke zu gewinnen. Nämlich hier, genau in der Praxis, lernt man nicht nur am besten– nein, this is where the magic happens. Und genau so begann auch unser Projekt.
Der allererste Kontakt von uns sechzehn Studierenden und unserem Mentor Frank fand digital über Zoom statt. Ein neunzigminütiges Kennenlernen im März, bei dem wir nicht nur einander, sondern auch die fünf zur Auswahl stehenden Theaterstücke näher kennenlernen solten. Nach einer demokratischen Abstimmung fiel die Entscheidung auf Rhiannon Colletts Stück «Miranda and Dave Begin Again» und als Einstimmung, bis zu unserem nächsten Treffen, durften wir uns am Übersetzen der ersten Szene versuchen.
Ganz nach dem Motto «Learning by Doing» wurden wir hier ins kalte Wasser geschmissen. Gänzlich ohne explizite Anweisungen sollten wir unserem Verständnis nach die Anfangsszene vom kanadisch-englischen Original ins Deutsche übersetzen. Das Übersetzen fiel mir leichter als erwartet, hatte ich doch schon zahlreiche Prosa- wie auch Sachtexte aus dem Englischen ins Deutsche und umgekehrt übersetzt. Doch bereits bei unserem zweiten Aufeinandertreffen, diesmal in persona und an der Uni, realisierte ich schnell, wie falsch ich mit meiner Vorstellung lag. Allein schon Franks Idee, unsere sechzehn Versionen Zeile für Zeile, abwechselnd und reihum von uns laut vorzulesen, zeigte, wie unterschiedlich unsere Übersetzungen waren, obwohl sie sich an vielen Stellen auch glichen. Diese Methode verdeutlichte, dass ein Text nicht nur statisch und plakativ ist, sondern durch gesprochene Sprache, durch Redefluss und Interaktion, erst zum Leben erweckt wird. Das laute kollektive Vorlesen erzeugt einen dynamischen Rhythmus, einen Flow, der dem Text seine eigene Stimme gibt. Diese Stimme mussten wir für unsere Übersetzung allerdings noch finden. Und um den Findungsprozess ein klein wenig zu erleichtern, wurden wir in kleinere Übersetzungsgruppen von drei bis vier Leuten eingeteilt, und konnten so bei den restlichen neun Szenen intensivere Textarbeit leisten. Hierbei lag unser Fokus auf der Charakterisierung der einzelnen Figuren und deren Beziehungen untereinander.
Wer sind diese drei Charaktere ? Wie unterscheidet sich die Sprechweise von zwei Mittzwanzigern und einem Teenager? Wie lassen sich kulturelle Verortungen und Traditionen in eine andere Sprache übersetzen, ohne den Inhalt, die Pointe zu verlieren? Innerhalb unserer Gruppe übersetzen wir alle den Arbeitsauftrag erst mal separat. Im Anschluss trafen wir uns in der Uni und fügten unsere vier Versionen zu einer zusammen. Dies hat sich im Endeffekt als sehr zeitintensiv herausgestellt. Zum Beispiel diskutierten wir lange über die Übersetzung von Mom/Mum und zu welcher Version jeweils Miranda und Eden im Deutschen tendieren würden. Gleichzeitig gestaltete es sich auch schwierig, die Beziehung zwischen den beiden Schwestern richtig einzuschätzen. Verkörpert Miranda auch eine Art Mutterrolle für Eden? Fragen, auf die wir keine Antwort fanden notierten wir uns, um sie später Rhiannon Collett persönlich via Zoom stellen zu können. Die Gespräche mit der kanadischen Dramatikerin waren sehr aufschlussreich und gaben uns das notwendige Hintergrundwissen, um das Stück in seiner Gesamtheit zu verstehen. Über viele Passagen, insbesondere die metaphorischen Monologe von Miranda und Dave, sind wir anfänglich gestolpert. Nach dem Austausch mit Rhiannon und ihrer Interpretation konnten wir guten Gewissens einschätzen, wie nah wir mit unserer eigenen metaphorischen Übersetzung an der Originalversion lagen.
Im weiteren Verlauf unserer Sitzungen realisierte ich, dass im Vergleich zur Prosa, Theaterstücke bis zu ihrer finalen Version stetig in Bewegung sind, und dass selbst die finale Version während der Live-Aufführung von den Schauspieler:innen abgewandelt wird. Und als wir Unterstützung von unseren drei Schauspieler:innen bekamen, fand unsere Übersetzung endlich ihre Stimme. Plötzlich war unser Text, sobald dieser von Professionellen laut vorgetragen wurde, so lebendig wie noch nie zuvor.
Nicht nur die neue, erweiterte Gruppenkonstellation, sondern auch diese neue Art von Vorlesen und Vortragen brachte frischen Wind in das Projekt. Der Fokus lag nicht mehr lediglich auf der langatmigen Textarbeit, sondern fokussierte sich nun auf die wechselwirkende Interaktion von Text und Mensch. Bemerkenswert war der Blickpunkt auf einzelne Wörter und deren Betonung, und welche unterschiedlichen Wirkungen verschiedene Betonungen haben. Hier hatte ich mich bei Vorschlägen zurückgehalten und etwas befremdlich gefühlt. Wie soll ich als Laie jemand Professionellem einen Tipp geben? Durch Zuhören und Zusehen realisierte ich aber schnell, dass auch Schauspieler:innen nicht immer intuitiv richtig liegen können. Sie sind ja auch nur Menschen. Verbesserungsvorschläge sind wichtig und sollten geäußert werden, schließlich ist das Ganze auch nur ein Pool von Ideen.
Gekrönt wurde die finale Lesung durch die musikalische Untermalung und den sorgfältig ausgewählten Einsatz von farbigen Lichteffekten. Dieses Zusammenspiel präsentierte eine harmonische, authentische und äußerst ästhetische Aufführung unserer Übersetzung.
Der resultierende Lerneffekt machte sich erst im Verlaufe unseres Projekts bemerkbar, ist aber in der Retrospektive immens hoch.

Viktoria Becker (c) privat

Wenn Viktoria nicht gerade ein Rap-Album nach dem anderen rauf und runter hört, schreibt sie an ihrer Masterarbeit in englischer Literatur. Mainstream ist nicht ihre Welt, sie sucht vielmehr stets nach Rohdiamanten, Underdogs und Authentizität und möchte sich beruflich im kulturellen Bereich – egal ob Film, Theater oder Musik – kreativ verwirklichen.

Meinungen, Fragen und Kompromisse

von Emilly Fabricius

Am Anfang war das Wort. Bei uns nicht ganz. Am Anfang war der Text, beziehungsweise die Auswahl des geeigneten Textes. Vier Stücke standen zur Auswahl, alle mit unterschiedlichen Herausforderungen und Schwerpunkten. Nicht einstimmig, aber doch mit einer großen Mehrheit entschieden wir – das sind 16 Studierende der Universität Mannheim – uns für «Miranda and Dave Begin Again» der kanadischen Autorin Rhiannon Collett. Die anderen Texte beschäftigten sich mit Bürgerkrieg, Kolonialvergangenheit und der Präsenz von Sozialen Medien in der Jugend in starker Jugendsprache.
Da wir im Kollektiv wenig Erfahrung in der Übersetzung von Theaterstücken hatten, war «Miranda und Dave», ein Stück über Misogynie, Beziehungen und Erwachsenwerden auch meinem Empfinden nach die passende Wahl. Denn dass sich Theaterübersetzen eklatant vom Übersetzen von Prosa unterscheiden würde, darauf waren wir alle eingestellt und gefasst. Wird in der Prosa gewöhnlich einen Fließtext mit Erzählerstimme und Figurenrede übersetzt, müssen bei der Theaterübersetzung viele verschiedene Aspekte beachtet werden. Im Theater wird der Text gesprochen, was für mich den größten Unterschied bei der Übersetzungsarbeit ausmacht. Der fertige Text ist am Ende der (alleinigen) Übersetzungsarbeit noch gar nicht wirklich fertig, sondern lediglich eine «Arbeitsgrundlage», wie es Frank Heibert nennt. Erst durch das laute Lesen, die kleinen Feinheiten in der Tonalität und umgangssprachliche Anpassungen reift der Text zu einer Übersetzung heran.
Sechzehn Menschen, Sechzehn Meinungen. Dieser Herausforderung nicht ganz bewusst starteten wir die erste Phase der Übersetzung, eine Kollektivübersetzung der ersten Szene, einem Monolog. Immer wieder war ich überrascht, wie Worte und Sätze, die mir ganz selbstverständlich erschienen, von anderen ganz anders übersetzt wurden. So wurde beispielsweise girl zu Mädchen, Mädel, Kleine, Kleines oder auch ganz weggelassen. Über die kleinsten Dinge wurde teilweise hitzig diskutiert. Vor allem die unterschiedlichen Meinungen und Stimmungen in der Gruppe zu berücksichtigen, war oft anstrengend und auslaugend. Fragen, die wir uns immer wieder gestellt haben, waren der Schauplatz des Stücks (das Original spielt in Toronto und Montréal), den Umgang mit Namen und wie die Figuren sprechen sollen, also welche Charaktereigenschaften sie transportieren.
Ein Beispiel: I wonder if I’m getting an A in Biology. Übersetzt man diesen Satz nah am Text mit: Ich frage mich, ob ich eine Eins in Bio bekomme? oder legt man der Figur Eden ein Stück Promiskuität in den Mund, in dem man sie sagen lässt. Krieg ich jetzt eine Eins in Bio? Viele Fragen haben wir bis kurz vor der Aufführung offengelassen.
Das weitere Übersetzen der insgesamt zehn Szenen fand in Gruppenarbeit statt. Dazu wurden wir bunt zusammengewürfelt. Ich kannte meine Gruppenmitglieder nicht, was dem Gelingen unserer Übersetzung keinen Abbruch getan hat, im Gegenteil: in Einzelarbeit vorbereitet haben wir uns im persönlichen Austausch mit unseren unterschiedlichen Texten auseinandergesetzt, jede wurde gehört und konnte ihre Meinung anbringen, was im Plenum nicht immer ganz leicht war. Schnell und unkompliziert kamen wir als Gruppe zu einer Kollektivübersetzung, mit der wir alle zufrieden waren.
Die größten Schwierigkeiten gab es mit englischen Redewendungen, die in der deutschen Sprache so einfach nicht die Aussagekraft oder die Kürze haben. I gag, you zip, ein genialer englischer Satz, der auf deutsch (Ich würge, du machst deine Hose zu) ein wenig an Genialität einbüßen muss. Andere Varianten (Ich würge, du gehst) hätten den Sinn zu stark verändert. Grundsätzlich sind wir oft sehr nah an der englischen Vorlage geblieben.
Da alle Gruppen schlussendlich eigene Szenen hatten, mussten wir stark darauf achten, dass alle zusammenpassen. Dies artete oft in kleinteiliger Arbeit aus. Miranda und Dave haben eine Art rituelles Spiel, welches sie immer gleich vortragen, hier musste jeder Ausdruck sitzen. Ich hätte im Vorfeld nicht gedacht, dass kleine Unterschiede so eine große Wirkung haben können.
Vor allem in der Ortsfrage und in Englisch/Deutschen Namen wählten wir zunächst einen Mittelweg: beide Varianten sollten vorgelesen werden. Bei allen Entscheidungen war es für mich erfrischend und wichtig, dass es noch keine deutsche Übersetzung des Textes gab und wir in den Gesprächen mit der Autorin interpretatorische Freiheit erhalten haben.
Und doch ist ein großes Stück Übersetzungsarbeit die Entscheidung für eine Variante, die dann auch getroffen werden musste, da das doppelte Vorlesen in den Proben nicht so gut funktionierte, wie erhofft. Schlussendlich wurden die Namen deutsch, der Ort wurde deutsch und Eden wurde nicht ganz so promisk und sagte Ich frage mich, ob ich eine Eins in Bio bekomme. Entscheidungen sind leichter, wenn man dem Ganzen schon etwas müde wird.
Mit einer Mischung aus Aufregung und Erleichterung erlebte ich in die Aufführung. Die vorherigen Probentage waren lang und anstrengend. Eine gewisse Erleichterung stellte sich ein, weil ich wusste, dass dieses Lesen des Textes das letzte sein würde. Teilweise konnte ich Szenen schon mitsprechen und doch gab es immer noch Worte und Sätze, bei denen ich dachte: Wäre da nicht vielleicht …? Übersetzen ist auch immer das Streben nach einer Perfektion, die nie erreicht werden wird.
Auf der Bühne war die Atmosphäre dann doch noch einmal anders, gebannt verfolgte ich die Geschichte von Miranda und Dave. Ein gewisses Lampenfieber, sein «eigenes» Werk aufgeführt zu sehen, stellte sich ein, das sich im Applaus am Ende in Stolz verwandelte. Das war es dann mit Miranda und Dave.
Wir haben das Stück nach Deutschland, genauer nach Mannheim und Umgebung versetzt, wogegen ich mich sehr gesträubt habe. Damit haben wir sehr viel verändert und den Text sicher auch «deutscher» gemacht, trotzdem wurde in der Aufführung darüber laut gelacht. Tatsächlich muss ich meine eigene Meinung revidieren : Es war gut so. Und es war gut, dass ich nicht allein entschieden habe.
Das ist auch mein Fazit: Wenn ich das Stück allein übersetzt hätte, wäre es ein anderes Stück geworden. Ich bin froh, dass es eine Kollektivübersetzung war, und dass ich das mal sage, hätte ich auch nicht gedacht. Grundsätzlich finde ich Gruppenarbeit meistens anstrengend und nervtötend, hier aber war es (meistens) produktiv und anregend. Gute Übersetzungsarbeit macht eine hohe Kompromissbereitschaft und Flexibilität aus und vor allem ist Übersetzung genau das: Arbeit. Dies sollte viel mehr gewürdigt werden, und zwar nicht nur im Theater, sondern auch im Film, in der Literatur oder in Serien.
Ich ertappe mich immer wieder, wie ich an den Text zurückdenken muss und bin mit jeder einzelnen Entscheidung, die wir und ich getroffen haben, einverstanden. Ich würde es sofort wieder machen. Nur nicht hauptberuflich. Ich bin nicht sicher, ob meine Nerven das mitmachen würden.

Emily Fabricius (c) privat

Emily Fabricius ist noch mittendrin im Masterstudium der Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften, weiß aber jetzt schon, dass sie irgendwas mit Schreiben machen möchte. Sie reist viel durch die Welt, liest gerne Kafka und feministische Sachbücher, verpasst aber auch selten ein Trash-TV Format und brennt für Fußball.

Soziopolitische Fragen in «Miranda & Dave Begin Again» auf der deutschen Theaterbühne

von Rebekka Langhans

«Miranda & Dave Begin Again» von Rhiannon Collett ist ein Stück, das beim Lesen und mehr noch in der theatralischen Umsetzung schockiert und berührt. Grund dafür sind stark zugespitzte Konflikte, die ein hohes Identifikationspotential bieten. Man kennt sie zumindest teilweise aus der eigenen Lebensrealität. Diese Aktualität hat vermutlich dazu beigetragen, dass der Kurs das Stück für dieses Projekt gewählt hat.
Collett betont die gesellschaftliche Relevanz ihres Textes mit der Szenenanweisung schon in den ersten Zeilen:

Due to the hierarchies explored in the text, it is vital to include the perspectives of women of colour in production. Diverse experiences of misogyny are often unacknowledged in discussions around feminism, and it is for this reason that all workshops of this show have prioritized conversations with people of colour, as well as trans* & queer communities.

Ihr Stück und dessen Rezeption sorgen für die Repräsentation bestimmter marginalisierter Gruppen und Themen. Eine Aufgabe, mit der sich die Übersetzer:innen des Projekts konfrontiert sahen, bestand darin, herauszufinden, ob «Miranda & Dave» ein politisches Stück ist, das als ebensolches auf die Bühne gehen soll.
Toxische Männlichkeit, Mirandas Fehlgeburt, eine versuchte und eine umgesetzte Vergewaltigung, K.O.-Tropfen, Jungfräulichkeit und deren Verlust, Sexualität zwischen der Schülerin Eden und einem Lehrer, körperliche Gewalt – aus den Beziehungen der Figuren entwickeln sich Konflikte und Probleme. In der Übersetzungsgruppe wurde insbesondere das Konstrukt der Jungfräulichkeit besprochen sowie die Auseinandersetzung der Figuren damit. Nimmt sie in Deutschland eine ebenso zentrale Rolle in Beziehungen ein, wie im Stück?
Der Text von Collett ist sehr persönlich und subjektiv. Aber ist er auch politisch? Collett verfasst kein feministisches Manifest mit dem Ausruf zum Hass gegen cis-Männer – auch wenn die Darstellung von Dave zu einer Herausforderung wurde. Doch sie trägt mit ihrem Stück Themen in die Öffentlichkeit, die dort sonst keinen Raum finden und erzählt aus einer Perspektive, die meist marginalisiert wird.
Wie übersetzt man diese subjektiven Themen, die aber auch gesamtgesellschaftlich relevant sind, vom Kanadischen ins Deutsche? Nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell? Und wie bringt man sie schließlich auf die Bühne? Diese Fragen haben die gesamte Übersetzungsarbeit begleitet und führen nun zum Thema Jungfräulichkeit zurück.
Im konservativ geprägten Teil Kanadas spielt der Mythos der Jungfräulichkeit eine öffentlichere Rolle als in Deutschland. Das Thema wird hier zwar nicht breit debattiert, ist aber trotzdem unter jungen Menschen Teil des Diskurses. Das ergaben die Erfahrungen der Kommiliton:innen. So wurde beispielsweise entschieden, das Wort Hymen an passender Stelle nicht zu übersetzen und nur mit dem Zusatz «das ‚Jungfernhäutchen‘ » zu erläutern. Damit wurde die Verwendung des Fachbegriffs positiv hervorgehoben und Jungfernhäutchen ironisch abgewertet und als Konstrukt entlarvt.
Etwas impliziter und paradoxerweise gleichzeitig sehr extrovertiert geht das Stück mit dem Thema weiblicher Masturbation um. Durch die Form der Lesung musste diese Implizitheit beibehalten werden. Mirandas Monolog über den Liebesgott Hymen versetzt sie in einen bei- nahe transzendentalen Zustand – irritierend, bis man versteht, dass sie masturbiert. Es wird weder ausgesprochen, noch ahmt die Schauspielerin eindeutige Bewegungen nach und doch wird es laut herausgeschrien. Diese Szene und auch andere sind insbesondere in der theatrali-schen Umsetzung humoristisch. Nach dem reinen Lesen des Stücks war es erstaunlich, welche unerwarteten Reaktionen verschiedene Szenen durch das Vortragen der Schauspieler:innen hervorrufen konnten. Wider besorgte Erwartungen wurde auch diese Szene vom Publikum amüsiert aufgenommen. Etwas, das die Jugend versucht zu normalisieren, wurde hier von der Öffentlichkeit positiv angenommen.
Einen interessanten Fall beim Herausarbeiten eines einheitlichen Tons stellte die Figur Dave dar. Nachdem der Kurs, jeweils in Gruppen aufgeteilt, Szenen übersetzt hatte, standen wir vor einem Problem: Mehrere Daves wurden kreiert und mussten nun zu einem zusammengeführt werden. Aber welche Rolle erfüllt Dave im Stück und welche Stimme wollten wir ihm verleihen? Soll er ein Feindbild ergeben oder ist er von der Gesellschaft gezeichnet? Die Frage «Würde Dave das sagen?» wurde während der Übersetzungsarbeit nicht selten in den Raum gestellt. Nennt er seine Freundin Schatz oder eher Babe? Und inwiefern löst diese Entscheidung eine andere Wahrnehmung von der Figur aus? Und wer sagt in Deutschland eigentlich Babe?
Einige dieser Fragen wurden durch die Zusammenarbeit mit den Schauspieler:innen schnell beantwortet. Natürlich sagt Dave Babe – das passt zur Stimme, das passt in das Verhältnis des Liebespaars und zu den Interpretationen des Schauspielers. So geschah es, dass die Figur sich immer unangenehmer entwickelte: Ein Typ, dem Frau nachts wirklich nicht begegnen will; der toxische Männlichkeit und Misogynie vereint. Trotzdem haben wir am Ende des Stückes Mitleid mit ihm und trotzdem ergibt sich ein rundes Bild. Die Stimme des Stückes wuchs aus den Personen, die daran gearbeitet haben: Junge Menschen, darunter viele weiblich gelesene, die eine starke Meinung zu den angerissenen Themen haben. Die Interpretation der Schauspieler:innen und auch deren Perspektiven haben den Ton letztendlich abgerundet. Umgesetzt wurde diese gemeinsame Stimme unter anderem durch zunächst unscheinbar wirkende Details, wie das oben genannte Beispiel. Betonungen, einzelne Wörter, Lautstärke, gezielt gesetzte Pausen, Stille und eine Steigerung, die sich durch das Stück zieht – diese Aspekte entwerfen ein Bild von den Figuren und deren Beziehungen, beziehen Position zu einzelnen Szenen und reflektieren, was den Übersetzer:innen wichtig erschien.
«Theater ist zum Schauplatz zahlreicher gesellschaftlicher Versammlungen auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Wirklichkeit geworden» es «kann die Trennlinie zwischen Kunst und Politik überschreiten oder verwischen, spielerisch unterlaufen oder gar durchlöchern – niemals aber ignorieren.»¹ «Miranda & Dave» spiegelt nicht nur die Gesellschaft wider, sondern performt und analysiert sie – zusammen mit allen Anwesenden – auf der Theaterbühne. Das Stück ist ein sehr persönliches und wird zu einem politischen, wenn man es in die Öffentlichkeit trägt und damit konfrontiert, provoziert, berührt und zur Analyse anregt.
Aber funktionieren die sozio-politischen Themen eines kanadischen Stücks auf einer deutschen Bühne? Den Ansatz zu einer Antwort kann sicherlich die Rezeption des Publikums liefern. Viele waren berührt – ein Zeichen dafür, dass sie sich in die Figuren und deren Probleme hineinversetzen konnten. Aus zwischenmenschlichen Beziehungen (insbesondere sexuellen) und aus Hierarchien und patriarchalischen Strukturen ergeben sich massive Konflikte, die sich im Leben der Figuren manifestieren.

¹ Aus: Malzacher, Florian: Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute. Berlin: Alexander Verlag 2020. S. 114.

Rebekka Langhans (c) privat

Rebekka Langhans (1993) studiert an der Universität Mannheim Literatur, Medien und Kultur der Moderne im Master. Für ihren Bachelor hat es sie vor vier Jahren nach Mannheim gezogen, wo sie neben dem Studium als Grafikdesignern arbeitet.

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