Meriam Bousselmi über She She Pops neueste Performance «Bullshit» Die Menschheit zur Ware machen – Wer zahlt?

Ausschnitt aus der Performance «Bullshit» von She She Pop (Foto: Benjamin Krieg)

Empathie und Verantwortung sind die großen Themen von «Bullshit», der neuesten Performance des Berliner Kollektivs She She She Pop. Am 31. Oktober 2024, kurz vor der Verkündung der massiven Kürzungen im Berliner Haushalt, besuchte die Autorin, Wissenschaftlerin und Regisseurin Meriam Bousselmi eine der ersten Vorstellungen und fand darin Parallelen zu unserer komplizierten Gegenwart. In ihrer Rezension betont sie die Verantwortung jedes einzelnen Individuums – besonders im Angesicht einer Welt, von der man sich manchmal am liebsten abwenden möchte.

 

 

von Meriam Bousselmi

 

 

In einer Welt, die sich dagegen wehrt, zuzuhören oder so tut, als ob, stellt sich die grundlegende Frage nach der Verantwortung: Inwiefern bin ich wirklich verantwortlich für andere, für die Welt um mich herum und für mich selbst? Denjenigen, die dazu neigen, diese Frage als moralisierend oder naiv abzutun, werden in dem Motto, für das sich die Performerin Mieke Matzke in She She Pops Stück «Bullshit» entscheidet, einen Nachhall dazu finden: «I DO WHAT I CAN», auch ohne Erfolgsgarantie. Diese Haltung, die eng mit dem Theater verbunden ist, lädt uns dazu ein, die Welt AUFZUBAUEN, ZU ZERLEGEN und NEU ZU ENTWERFEN. Das Kollektiv She She Pop, bestehend aus Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf, verkörpert diese Dynamik wagemutig in «Bullshit».

 

Was weiß ich, was weiß ich nicht?

Das Stück eröffnet bereits mit einer ergreifenden Fragestellung: Was weiß ich, was weiß ich nicht? Diese Dichotomie verdeutlicht die Angreifbarkeit unseres Wissens und der Art und Weise, wie wir uns gegenüber dem positionieren, was uns umgibt. Die fünf Performer*innen enthüllen eine Welt, in der die Unwissenheit allgegenwärtig ist. Wissen wird als Illusion enttarnt und die Angreifbarkeit unseres Verstehens hervorgehoben. Hier verwandelt sich das Theater in einen Raum, in dem die Suche nach Wahrheit für einen Moment lang aufgehoben, kritisiert und hinterfragt wird. She She Pop lehnen den Gedanken vom Anderen als bloßem Rivalen auf der Suche nach Wissen ab und schlagen stattdessen eine Gefährtenschaft vor, eine gegenseitige Präsenz, in der sich die Verletzlichkeit jeder*jedes Einzelnen ungefiltert offenbart. Dieser Akt der Solidarität lädt dazu ein, unsere Verbindungen neu zu überdenken, nicht durch Gewissheiten, sondern durch die Anerkennung unserer Zweifel und Schwächen.

Ausschnitt aus der Performance «Bullshit» von She She Pop (Foto: Benjamin Krieg)

Das Intimste zur Ware machen

In einer zweiten symbolträchtigen Szene beleuchtet das Stück die Dynamik des Kaufens und Verkaufens, die menschliche Erfahrungen zu Waren macht. Auf der Bühne wird alles verkauft – die Authentizität, die persönliche Meinung, die Säule der Stabilität, der rote Faden der Kontinuität, auch wenn er in kleine Stücke geschnitten ist. She She Pop begnügen sich nicht damit, nur materielle Güter zu zeigen; sie erforschen menschliche Erfahrungen als Waren. Johanna Freiburg, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf fordern das Publikum auf, zu bewussten Konsument*innen dieser Transaktion zu werden. Indem sie den Verkaufsprozess greifbar macht, betont die Performance, dass jede*r Zuschauer*in eingeladen ist, an diesem Handel teilzunehmen: «Wer bezahlt für das, was wir gesehen haben? Wer finanziert unser Verständnis des Menschlichen?». Diese Fragestellung regt dazu an, darüber nachzudenken, welchen Wert wir unseren Erfahrungen beimessen und welchen Preis wir zu zahlen bereit sind, sowohl emotional als auch materiell. Die Zuschauer*innen von She She Pop sind nicht nur Zeug*innen von «Bullshit», sie entscheiden auch über ihre eigene Beteiligung. Schließlich erwerben sie die von den Performerinnen zum Verkauf angebotenen Waren, erleichtern die Erfahrungen, die diese loswerden wollen, oder finanzieren per Crowdfunding ein Projekt mit, das die Zentralposition verschiebt, die Mieke Matzke in Frage stellen will.

Diese Interaktion erinnert uns daran, dass wir nicht einfach nur hilflose Opfer der Logik des Markes sind; wir besitzen, wenn auch auf subtile Weise, die Fähigkeit, das Zünglein an der Waage zu sein, und sei es auch nur in einem interaktiven Spiel im Theater. Indem She She Pop mit dieser Spannung spielen, erinnern sie daran, dass Verantwortung nicht nur eine abstrakte Idee ist, sondern eine konkrete Verpflichtung, beinahe ein impliziter Gesellschaftsvertrag. Wer von uns ist bereit, die eigene Verstrickung in dieses System zuzugeben? Die Performance konfrontiert das Publikum mit der Komplexität seiner Position in der Welt: Ob Opfer oder Komplize*Komplizin, jede*r Zuschauer*in ist, bewusst oder unbewusst, an dem Mechanismus der Warenwerdung des Menschen beteiligt. «Verkaufen heißt Platz machen», sagt Mieke Matzke. Aber für wen muss man wirklich Platz machen? Auf der Suche nach Antworten wenden sich She She Pop den Tieren zu.

Ausschnitt aus der Performance «Bullshit» von She She Pop (Foto: Benjamin Krieg)

Tierische Wahrnehmungen – Unterwegs zu einem Blick auf das Menschliche

In «Bullshit» begnügen sich Tiere nicht mit einer Nebenrolle. Sie sind Gesprächspartner in poetischen und philosophischen Dialogen, die über die bloße Unterhaltung hinausgehen und tiefgründige Themen wie Kommunikation, Empathie und das Menschsein ansprechen. Den Tieren eine Stimme zu geben, bedeutet, einer Kritik an unserem Anthropozentrismus Gehör zu verschaffen. Die Tierfiguren werden zu Sprechern für häufig ignorierte Wahrheiten und veranlassen uns, anzuerkennen, dass Wissen und Intelligenz nicht auf menschliche Erfahrungen beschränkt sind. Diese Darstellung der Tiere stellt eine Aufforderung dar, unser Verhältnis zur Verletzlichkeit zu überdenken. Indem She She Pop sie vermenschlichen, eröffnen sie einen Raum, in dem die Möglichkeit von Empathie und Verständnis nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen unterschiedlichen Arten in Betracht gezogen werden kann. Diese Dynamik unterstreicht unsere Verantwortung, eine stärker inklusive Welt zu schaffen, in der die Stimmen aller Geschöpfe, ob groß oder klein, gehört werden. Egal, ob das Tier ein Biber oder ein Schaf ist, man muss ihm nur zuhören, denn was es sagt, ist, entgegen der landläufigen Meinung, kein Bullshit! Diese interspezifische Kommunikation wird zu einer Reflexion über die menschliche Natur und ihre Widersprüche.  Das erinnert mich an einen Text von Mark Twain, den ich besonders schätze, Diese verfluchte menschliche Rasse[1], aus dem Jahr 1909. In diesem Essay übt Twain eine scharfe Kritik an der Behauptung von Rationalität und moralische Überlegenheit durch den Menschen. Im Gegensatz zu anderen Tieren nutzen die Menschen ihre Intelligenz nicht, um Frieden zu schaffen, sondern um Konflikte zu schüren und sich zu entzweien.

Twain berichtet, dass es ihm gelungen sei, einer Katze und einem Hund innerhalb einer Stunde beizubringen, Freunde zu werden. So beginnt er ein Experiment: Er setzt die beiden in einen Käfig und fügt ein Kaninchen, einen Fuchs, eine Gans, ein Eichhörnchen und sogar Turteltauben hinzu. Schon bald leben alle Tiere friedlich zusammen und demonstrieren ihre natürliche Fähigkeit, in Harmonie zu leben. Von diesem Erfolg ermutigt, weitet Twain sein Experiment auf Menschen aus. Er sperrt einen irischen Priester, einen schottischen Presbyterianer, einen Türken, einen griechischen Christen, einen Methodisten aus Arkansas, einen Buddhisten aus China, einen Brahmanen aus Benares und einen Oberst der Heilsarmee in einen anderen Käfig. Zwei Tage später kehrt er zurück und findet ein wahres Desaster vor: Turbane, Fez, Tartan und verstreute Fleischstücke.

Dieses erfundene Experiment unterstreicht die Überlegenheit der Tiere in der Kunst des Zusammenlebens, während die Menschen, durch ihren Glauben gespalten, in Gewalt versinken. Twain kommt zu dem Schluss, dass die Menschen trotz ihrer intellektuellen Fähigkeiten und technologischen Fortschritte nichts aus ihren Fehlern gelernt haben und nicht zu der Weisheit gelangt sind, die sie angeblich besitzen. Anstatt das «höhere Tier» zu verkörpern, offenbaren sie ein irrationales und oft brutales Verhalten, das von einer Unfähigkeit zur Entwicklung von Empathie zeugt.

She She Pop versuchen jedoch, diese Logik umzukehren.

Die Performerin Ilia Papatheodorou in «Bullshit» von She She Pop (Foto: Benjamin Krieg)

Rituale der Metamorphose

Die letzte Szene von «Bullshit», poetisch und mystisch zugleich, ist das Angebot einer beschwörenden Metamorphose. Die Inszenierung spielt mit der Angreifbarkeit der Realität und fordert jede*n einzelne*n Zuschauer*in auf, persönliche Gewissheiten aufzugeben und ins Unbekannte einzutauchen. Dieser Transformationsprozess ebnet den Weg für eine Reimagination der Welt von morgen, in der sich die Körper in neuen Formen entfalten und Menschliches und Tierhaftes miteinander vermischen. Die Performerinnen werden halb Frau, halb Tier und schaffen so eine Hybridität, die unsere Beziehung zur Identität und zum Wesen dessen, was wir sind, in Frage stellt.

Unter dem Spiel der Lichter erschaffen die Kostüme, verwirrenden Hautsplittern gleich, fließende Silhouetten, die sich jeglicher Definition zu entziehen scheinen. Die Umrisse lösen sich auf und machen Platz für mythische Gestalten, die zwischen den Welten umherwandern und einen Raum der Unantastbarkeit und der Verwandlung evozieren. Jede Bewegung, jede Geste wird zu einem Schöpfungsakt, einer Einladung, lieber zu fühlen als zu verstehen, lieber zu experimentieren als zu analysieren.

Durch diese Fragmentierung der sinnlichen Wahrnehmung wird der*die Zuschauer*in auf eine immersive Reise geschickt, auf der sich die Ohnmacht in einen kollektiven, beinahe rituellen Tanz verwandelt. Weit entfernt von einer linearen Dramaturgie versetzt uns dieses gespenstische, bruchstückhafte Bild in einen Zustand des Dazwischen, in dem das Unsichtbare und das Ungreifbare miteinander verwoben sind und einen Horizont der Möglichkeiten bieten. Vielleicht liegt darin die Rettung aus der Warenwelt: zu einem Abschluss zu gelangen, der über das Kalkül und die Logik des Kapitalismus hinausgeht. She She Pop versuchen, die Arten und Weisen des Zusammen-Seins in der Welt neu zu definieren, und sei es auch nur für einen winzigen Theatermoment.

Ausschnitt aus der Performance «Bullshit» von She She Pop (Foto: Benjamin Krieg)

Die Transformation ist keine Metapher

Durch lustige und zugleich tiefgründige Szenen, ihre Tiergefährten, Rituale und Echtzeittransaktionen mit ungewöhnlichen Objekten fordern uns She She Pop zu einer doppelten Introspektion und zur Reflexion über unseren Platz in der Welt und unser persönliches Engagement auf. Der Theaterraum wird zu einem echten Labor für Interaktionen zwischen den Performer*innen und dem Publikum und stellt eine bedeutungsvolle Prüfung dar, die aufzeigt, wie Transformation über eine bloße Metapher hinausgehen kann. Manchmal ereignet sich ein magischer Moment, der den Reichtum und die Intensität dieses Austauschs offenbart.

Am Abend des 31. Oktober 2024 versuchte Mieke Matzke auf der Bühne des HAU 1, ihre Sorgen zu verkaufen. Sie erzählte, wie sie oft um 2 Uhr morgens aufwachte und von Sorgen über das Alter ihrer Mutter und das Leben eines Teils ihrer Familie in Ramallah geplagt wurde. Berit Stumpf trat daraufhin an sie heran und warnte sie, das Publikum nicht zu überfordern, da es auch seine eigenen Sorgen zu tragen habe. Sie behauptete, das Theater könne weder ihre Ängste lindern noch dem Publikum einen Ausweg bieten und dass niemand ihre Sorgen kaufen würde, um sie davon zu befreien. Sie verlangte von ihr, zur nächsten Szene überzugehen, und Mieke Matzke schien sich damit abzufinden.

Plötzlich griff ein Zuschauer ein, der bereit war, Mieke Matzkes Sorgen zu kaufen, und hielt ihr einen 5-Euro-Schein hin. Mit dieser einfachen und zugleich machtvollen Geste drückt dieser Mann nicht nur eine Form der Solidarität aus; er durchbricht die Norm der Gleichgültigkeit. Er erkennt das Leid einer anderen Person an und tut in einem Akt der Verantwortung das, was getan werden muss. Dieser Moment der Verletzlichkeit und des Teilens verkörpert die Quintessenz der Performance und der ästhetischen Praxis von She She Pop. Das Versprechen der Transformation baut somit auf der Fähigkeit auf, einander zuzuhören, zu verstehen und miteinander gemeinsame Erzählungen zu konstruieren.

Dieser Zuschauer fordert uns dazu auf, unsere Rolle in der Erzählung der Menschheitsgeschichte anzuerkennen, wodurch jede*r von uns dazu angeregt wird, angesichts der Herausforderungen unserer Zeit bewusst, sensibel und verantwortungsvoll zu handeln. Diese Dynamik, die unsere kollektive Verantwortung für den Aufbau einer gerechteren Gesellschaft verkörpert, ist ein Nachhall auf das Motto, das Mieke Matzke in der Einleitung des Stücks und dieses Artikels mit dem Publikum geteilt hat: «I DO WHAT I CAN».

Von meinem Theaterbesuch am Abend des 31. Oktober 2024 möchte ich in Erinnerung behalten, dass es She She Pop in ihrer ästhetischen Praxis gelingt, Bullshit in einen Moment echter Solidarität zwischen einem Zuschauer und einer Performerin zu verwandeln – ein Versprechen der Transformation, an deren Ende eine Welt stehen könnte, die mehr zuhört und weniger gleichgültig ist.

 

(aus dem Französischen von Frank Weigand)

 

[1] Twain, Mark. Mark Twain on the Damned Human Race. 1st ed., Hill and Wang, 1962.

 


«Bullshit» von She She Pop

Teaser zum Stück

Website She She Pop

nächste Vorstellungen: 7., 8., 9. Februar 2025, Kampnagel, Hamburg


 

Die Forscherin, Autorin und Regisseurin Meriam Bousselmi (©Angela Ankner)

Meriam Bousselmi, geboren 1983 in Tunis, studierte Rechts- und Politikwissenschaft an der Universität Tunis Karthago. Sie ist eine mehrsprachige Autorin, Regisseurin, Rechtsanwältin, Dozentin, Forscherin und Brückenbauerin. Sie forscht im Rahmen ihrer Doktorarbeit im DFG-Graduiertenkolleg 2477 – Ästhetische Praxis an der Universität Hildesheim zur Inszenierung von Gerechtigkeit und setzt dieses Thema auch künstlerisch um.
In ihrer künstlerischen Praxis verbindet Meriam Bousselmi die unterschiedlichsten Formen des Erzählens: literarische Texte, Theaterinszenierungen und performative Installationen. Sie reflektiert anhand verschiedener ästhetischer Formen die gegenwärtigen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Indem sie Genregrenzen überschreitet und sich mit Tabuthemen auseinandersetzt, gibt sie ein kritisches Bild unserer Zeit wieder. Ihre Arbeiten werden zu einem künstlerischen Statement gegen politische Manipulationen und die vorherrschenden negativen Narrative unserer Welt.
2018 ist Meriam Bousselmi nach Berlin gezogen und hat seitdem einen mehrsprachigen Schreibstil und einen transkulturellen künstlerischen Ansatz entwickelt. Ihre neuen Projekte übersetzen Begriffe wie Dialog, Transfer und Vermischung von Erzählweisen in die Praxis.

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  • Danke für den anregenden Kommentar, der zum Widerspruch reizt. Er hat mein Urteil, dass es sich um eine mittelmäßige Perfomance ohne große intellektuelle Anregung handelt, allerdings nicht ändern können.
    «Auf der Bühne wird alles verkauft» schreibt Bousselmi. Das kann zweierlei bedeuten – erstens, es wird auf jeder Bühne zu jeder Zeit immer etwas verkauft, Performance und Theater als Verkaufsshow. Oder zweitens, in diesem spezielle Stück wird auf der Bühne etwas verkauft. Wäre es die erste Möglichkeit, dann hätte es interessante Reflexionen zum Geflecht Bühne-Darsteller:innen – Inhalt – Form – Zuschauer:innen geben können. Das war offensichtlich nicht oder nur in sehr geringen Dosen der Fall. Stattdessen wurden so genannte Gewissheiten zum Ramschpreisen angeboten. Für mich sah es so aus, dass der Status der Gewissheit überaus positiv besetzt war und der Verkauf, der zur Ungewissheit führt (warum eigentlich?), das zu Kritisierende. Mir war das zu eindimensional und zu billig – ist der Verkauf des Körpers durch Sexarbeit immer negativ zu bewerten? Also mehr Differenzierung wäre das Mindeste. Weiter wäre jede der verkauften «Gewissheiten» eine genaueren Betrachtung wert gewesen. Dann wäre vielleicht aufgefallen, dass auch ohne Verkauf diese Gewissheiten alles andere als gewiss sind (Authentizität auf der Bühne, der rote Faden der Kontinuität – sind das nicht gute Beispiele für durch Neurophysiologie und/oder kulturelle Frames induzierte Illusionen?). Und bitte schön, warum ist die Ungewissheit so negativ besetzt? Die ist doch der Normalzustand des Menschen angesichts seiner Erkenntnisgrenzen und Vergänglichkeit. Die Gewissheit so zu hoch zu schätzen ist dagegen eine biedere, pharisäische Haltung.
    Dann die Tiere. Die Autorin schreibt, den Tieren eine Stimme zu geben, sei ein Akt den Anthropozentrismus zu kritisieren. Zwei Sätze später konstatiert sie, dass SSP die Tiere vermenschlicht. Diese Argumentation könnte man auch als «den-Bock-zum-Gärtner-machen-Figur» bezeichnen». Mich überzeugt das nicht. Klar, Tiere (und Pflanzen) kommunizieren miteinander, da hat die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten erstaunliche Erkenntnisse gewonnen, die an der Exzeptionalität der «Krone der Schöpfung» deutliche Kratzer hinterlässt. Aber sie kommunizieren nicht mit Worten und Sätzen. Wir können nur vermuten, was angesichts des Krieges, den der Mensch gegen Flora und Fauna führt, und der damit einhergehenden Kolonisierung bei diesen abgeht. Ich vermute vor allem Trauer und Schmerz. Davon ist nichts zu sehen und zu hören. Stattdessen wohlmeinende Sentenzen aus dem Handbuch des guten Menschen. Auch, dass die Tiere im Miniformat gezeigt werden, ist der Sache nicht förderlich. Dadurch bekommt das Ganze auch äußerlich eine kindliche Anmutung.
    Die von der Autorin abschließend wahrgenommene Transformation kann man so sehen. Aber zum Mythischen wie Mystischen gehört das Dunkle und das Wilde. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen Menschen wie Trump, Putin und die reaktionär-patriarchale-militante Mannosphäre weltweit sich anschicken, die Herrschaft zu wieder erlangen, reicht eine Aufforderung zu «bewusst(en), sensibel(en) und verantwortungsvoll(en)» Handeln nicht – ein deutliches Mehr an Radikalität im Denken und Handeln ist erforderlich.

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