Erfahrungsberichte Studierender zu einem Semester Theaterübersetzung als kollaborative Praxis Miranda & Dave goes Mannheim!

Von Toronto nach Schwäbisch Gmünd

von Chris Sütkardes

Dieser Essay soll eine «subjektive Auseinandersetzung mit den Inhalten des Seminars» sein. So der Arbeitsauftrag unseres Dozenten Frank Weigand. Ich werde also schildern, wie ich das Seminar erlebt habe und einzelne für mich prägnante Etappen beschreiben.
Beginnen möchte ich mit meinem Weg zum Seminar. Ich studiere Philosophie und BWL im Master, mit Literaturwissenschaften im Nebenfach. Bis auf ein paar literaturwissenschaftliche Grundlagenkurse, die vor allem theoretischer und textanalytischer Natur waren, habe ich also bislang wenig Erfahrung sammeln können.
Aus der Kursbeschreibung ging nur hervor, dass wir ein Theaterstück aus dem Englischen ins Deutsche übersetzen werden, ohne jedoch zu wissen, um was für einen Text es sich handeln würde. Kurz vor dem Kick-Off-Meeting (online) wurden uns dann vier Texte zugeschickt, aus denen wir einen wählen sollten. Wir haben uns schließlich gemeinsam für «Miranda & Dave Begin Again» von Rhiannon Collett entschieden. Bis zum ersten physischen Treffen sollten wir dann eigenständig jeweils die erste Szene übersetzen.
In der ersten Sitzung haben wir zunächst eine Passage aus der dritten Szene zu Sechzehnt (!) übersetzt. Die Szene war auf die Leinwand projiziert und unsere Vorschläge wurden direkt unter der jeweiligen englischen Zeile festgehalten, manchmal mit fünf oder sechs verschiedenen Versionen. Selbst bei vermeintlich einfach zu übersetzenden Passagen wie der Begrüßung (Dave: Hey you. – Miranda: Hey) kamen etliche Fragen und verschiedene Versionen zum Vorschein.
Wie beeinflusst es die Situation in der Szene, die Dynamik zwischen den Figuren, wenn man «Hey you» mit «Na du», «Hi», «Hi du», «Hello», «Hallo» oder «Hey du» übersetzt? Und was würde man im Deutschen am Ehesten sagen? Was passiert noch in der Szene, wie stehen die Figuren emotional zueinander? Interpretiere nur ich da eine gewisse Distanz zwischen den Protagonisten hinein oder sehen die anderen das auch so und wie ließe sich dies übersetzen?
Dieses kollektive Übersetzen aus dem Stegreif hat veranschaulicht, was in den nächsten Monaten auf uns zukommen würde. Im Anschluss haben wir dann (die vorab übersetzte) erste Szene gemeinsam übersetzt. Es war eine sehr interessante Erfahrung zu sehen, wie die eigene Fassung die eigenen Vorschläge gremienartig begutachtet, akzeptiert, kommentiert, ins Dokument aufgenommen, abgewandelt oder abgelehnt wurden. Nach diesen ersten Anläufen haben wir uns in Vierer-Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe hat zwei Szenen übersetzt und am Ende der Stunde den jeweiligen Fortschritt den anderen Gruppen vorgestellt. Da wurde klar, dass wir darauf achten werden müssen, dass wir am Ende nicht zu unterschiedliche Figuren entstehen lassen, dass z. B. Dave aus unserer Übersetzung nicht komplett anders spricht als Dave einer anderen Gruppe.

Arbeit am Text mit den Schauspieler:innen Max Wex, Samantha Fowler, Vanessa Silva Bauer (c) Frank Weigand

In unserer Gruppe sind wir ähnlich vorgegangen: Wir haben zunächst jeweils die beiden Szenen übersetzt und dann online eine gemeinsame erste Fassung erarbeitet, sie dem Dozenten zukommen lassen und seine Kommentare besprochen, übernommen oder zurück kommentiert. Im Anschluss sind wir dann den kompletten Text zu Sechzehnt noch mal durchgegangen und haben sich wiederholende Stellen im Text (z.B. begin again) angeglichen und darauf geachtet, dass die Charaktere nicht zu unterschiedlich klingen etc. Nach diesen beiden Korrektur-Schleifen ist der Text zum ersten Mal auf die Schauspieler:innen getroffen. Das war mit der finalen Lesung der intensivste Moment für mich. Ich war erstaunt, wie gut der Text als Ganzes funktioniert und wie die Charaktere zum Leben erwacht sind. Man hatte den Text schon etliche Male durchgelesen und die beiden Szenen, die wir übersetzt haben, noch unzählige Male mehr, und dennoch kam diese unbekannte Seite zum Vorschein. Die Figuren sprechen auf einmal.
Mit Hilfe der Schauspieler:innen haben wir dann weiter am Text gefeilt: was klingt zu schriftlich, zu umständlich? Was muss wie betont werden? Wo ist das Tempo gut, wo zu langsam oder zu schnell? Wir sind den Text schließlich je zwei Mal pro Tag an vier Tagen mit den Schauspieler:innen komplett durchgegangen und haben immer weiter an ihm geschliffen. Die finale Version war erst zwei Tage vor der Lesung fertig. Wir haben uns auch erst dann endgültig entschieden, das Stück in Mannheim spielen zu lassen und nicht in Kanada. Davor hatten wir beide Optionen im Text gelassen und sogar versucht, die beiden Versionen parallel laufen zu lassen, nur durch ein Klingeln getrennt, das dem Publikum die Variante signalisieren sollte:

Toronto, 2016. Klassenzimmer einer Highschool *Klingeln* Schwäbisch Gmünd, 2016, Klassenzimmer eines Gymnasiums.

Das wurde aber ziemlich zügig und einvernehmlich verworfen, als wir es so von den Schauspieler:innen haben vorlesen lassen. Eine andere Schwierigkeit bei der Adaptation war eben jene Ortswahl. Im Original spielt das Stück im eher prüden Toronto, und die kleine Schwester fährt per Mitfahrgelegenheit ins über 500 Kilometer entfernte liberalere Montréal zu ihrer großen Schwester. Wie transportiert man das nach Deutschland? Die Entfernung und das damit verbundene Risiko? Den Ruf der beiden Städte?
Bei der Lesung war für mich am spannendsten zu erfahren, wie das Publikum, das den Text nicht bereits gelesen oder vorgelesen bekommen hatte, den Text verstehen würde. An welchen Stellen haben sie gelacht, wo war es besonders still? Die meisten Fragen während der Diskussion drehten sich um den Übersetzungsprozess selbst und wie wir es nur geschafft haben uns zu Sechzehnt auf eine Fassung zu einigen.

Ganz einfach: mit Ich-Botschaften und Argumenten.

Chris Sütkardes (c) privat

Chris Sütkardes: Geboren 1988 in Heilbronn, aufgewachsen in Frankreich. Nach dem Bachelor in International Business, Master in Kultur & Wirtschaft: Philosophie in Mannheim, Heidelberg und Bordeaux.

Das Mannheimer Theaterhaus G7 (c) Frank Weigand

Theaterübersetzung: Ein kollektives Projekt

von Can Cihanbeyli

In diesem Essay möchte ich mein gesammeltes Wissen sowie persönliche Erfahrungen festhalten, welche ich innerhalb des Übersetzungsseminars für «Theatertexte – Texte im Körper, Texte im Raum. Theaterübersetzung als kollektive Praxis» gesammelt habe. Die Besonderheit, das Übersetzen eines einzigen Theatertextes im Kollektiv aus sechzehn Studierenden, bildete dabei ebenso die Herausforderung wie auch die Chance einer gelungenen Übertragung in die deutsche Sprache. Das gemeinsam ausgewählte Stück «Miranda & Dave: Begin Again» der kanadischen Autorin Rhiannon Collett sollte im Zuge des Seminars aus dem kanadischen Englisch ins Deutsche übertragen werden, um es im Anschluss mit ausgebildeten Theaterschauspieler:innen einzuüben und als Lesung zur Aufführung zu bringen.
Das Stück lebt von seinen drei Protagonist:innen, die allesamt ihre persönlichen Probleme mit sich, ihrem sexuellen Selbstempfinden, ihren Beziehungen zu anderen und der Welt haben. Ein gesellschaftlicher wie auch individuell erlebter Themenkomplex rund um Sexualität und geschlechtliche Identität öffnet das Stück für eine politische Lesart. Gerade in pluralistischen Ländern wie Kanada oder Deutschland ist der Diskurs um geschlechtliche Selbstbestimmung, Feminismus und toxische Männlichkeit an der Tagesordnung. Zwischen Kitsch, Obszönität und Radikalität agieren die Figuren: Während Miranda in ihrem Manifest davon spricht, dass Entjungferungen am besten von Frauen eigenmächtig durchgeführt werden sollen, um dem Reinheitsmythos die Macht zu entziehen, wird der selbsternannte Feminist Dave von seiner Vorstellung killender Muschi-Milben übermannt, die ihn in seiner Männlichkeit bedrohen. Der Erzählstrang um die junge Eden bedient das Klischee des verunsicherten Teenager-Mädchens, das eine Affäre mit dem Lehrer eingeht, um so ein bisschen Aufmerksamkeit vom anderen Geschlecht zu bekommen. Auch wenn das Stück mit seinen im Ausnahmezustand befindlichen Charakteren nah an der Überzeichnung angelegt ist, bietet sein Kernthema – die verunsichernde Kraft rund um den identitätsstiftenden Marker Sexualität – die identifikatorische Schnittstelle für das Publikum.
Die Herausforderung für die übersetzerische Arbeit sowie für die Schauspieler:innen war es, das Stück möglichst authentisch zur Darstellung zu bringen. Zu viele Doppeldeutigkeiten, die die Möglichkeiten einer parodistischen Rezeption offengelassen hätten, sollten unterbunden werden. Ein Beispiel dazu findet sich in der Diskussion um die Namensgebung des Lehrers, der mit Eden eine sexuelle Beziehung unterhält. Da der Spielort von Kanada nach Deutschland verlegt wurde, mussten auch Adaptionen bezüglich der Namensgebung getätigt werden. Gerade die formelle Anrede «Mr.» musste somit in das deutsche «Herr» überführt werden. Im Kollektiv haben wir zunächst nach einem Namen gesucht, der der Geläufigkeit des kanadischen Namens «Marshall» entspricht. Nach einigen Vorschlägen ist die Wahl im Kollektiv vorerst auf «Herr Hartmann» gefallen, weil der frivole Doppelsinn in der Namensgebung die Lüsternheit des Lehrers unterstreichen würde. Nach mehrmaligem Lesen jedoch hat sich herauskristallisiert, dass gerade jene Explizitheit, die der Name Hartmann mitbringen würde, dafür sorgt, dass die Passage an dieser Stelle zu sehr ins Lächerliche gezogen würde. Edens Verletzlichkeit, ihre Naivität und kindlich anmutende Sicht auf diese erste sexuelle Erfahrung, die die Passage eigentlich transportiert, würden durch das lustige Namens-Spiel überblendet. Letztlich haben wir zusammen entscheiden, dass der Name «Herr Krause» weit weniger verfänglich anklingt und somit auch dem im Originaltext angelegten «Mr. Marshall» entspricht.

Zoom mit der kanadischen Dramatikerin Rhiannon Collett (c) Frank Weigand

Die Arbeit am Dramentext, der für die Aufführung bestimmt ist, hat mir persönlich gezeigt, dass das potenzielle Publikum stets mitgedacht werden muss. Anders als bei Prosatexten, die für die alleinige Rezeption bestimmt sind, ist bei Theatertexten darauf zu achten, dass möglichst wenig Irritation erzeugt wird. Während in Prosatexten Leerstellen und Brüche strategisch angelegt sind, um den Lesenden zum Mitvollzug aufzufordern und so einen größtmöglichen immersiven Effekt anstreben, funktioniert der Theatertext andersherum. Hier ist kein Zurückblättern, Noch-einmal-lesen oder ein Pausieren und Sinnieren möglich. Die intendierte Wirkung, das, was der Text transportieren will, muss im Vorfeld klar sein. Erst dann kann der entsprechende Sprachgebrauch in der Zielsprache gefunden werden. Wie Passagen mit erhöhten Irritationspotenzial für den Zuhörenden entgegen gewirkt werden kann, zeigt das folgende Beispiel:
In Szene 2 arbeitet Miranda an ihrer Thesis. Wissenschaftlichkeit prägt hier die Sprache der Figur. Dennoch ist auf der inhaltlichen wie sprachlichen Ebene der wissenschaftliche Argumentationsstrang der Figur Miranda im Originaltext immer wieder von Passagen durchzogen, in denen sich Miranda wiederholt an das Ereignis ihres ersten Mals erinnert. Auf ihre angeführte These: Viginity is a social construct (Jungfräulichkeit ist ein soziales Konstrukt) folgt nahtlos eine monologisch anmutende Erinnerungspassage.Die Sprache ändert sich. Wissenschaftliche Stringenz und die Verwendung von Fachwörtern verflüchtigen sich zugunsten eines weichen, fast lyrisch anmutenden Sprachgebrauchs: A feeling of uncertainty, followed by a blooming pain./Something I´ve never seen rips. (Ein Gefühl der Unsicherheit, gefolgt von einem aufblühenden Schmerz/Etwas, das ich nie gesehen habe, reißt).
Auch wenn an dieser Stelle die Übersetzung an sich nicht problematisch war, hat sich während der Leseübung mit den Schauspieler:innen herausgestellt, dass eben jener Wechsel – wissenschaftliche Arbeit vs. intime Erinnerung – sprachlich stärker markiert werden muss, um den Zuschauenden nicht zu irritieren. Da diese Markierung nicht ausreichend genug durch Wortwahl und Satzbau bemerkbar gemacht werden kann, musste die Schauspielerin auch darauf achten, ihre Stimme gezielt einzusetzen. Eine knappe, nüchterne Tonlage für die wissenschaftlichen Passagen und eine weichere, verunsicherte Stimmfarbe für den Erinnerungsteil. Abschließend haben wir uns sogar dafür entschieden, dass die Schauspielerin, während sie im wissenschaftlichen Modus spricht, das Blatt, von dem sie abliest, sichtbar für das Publikum hochhält, sodass der Eindruck des wissenschaftlichen Arbeitens auch darstellerisch zum Ausdruck kommt. An dieser Stelle sind wir somit auch dramaturgisch tätig geworden.

Probebühne am Theaterhaus G7 Mannheim (c) Frank Weigand

An anderer Stelle finden sich im Theatertext jedoch auch Passagen, die gänzlich durch die melodische Dimension von Sprache getragen werden. Die verwendete Sprache wirkt hier geradezu lyrisch, stets von Harmonien und Melodien ummantelt. In Prosaexten, die nicht darauf angelegt sind, laut vorgelesen zu werden, nimmt die klangliche Dimension von Sprache eine eher untergeordnete Wichtigkeit ein. Bei Theatertexten, die hingegen für die Inszenierung bestimmt sind, ist gerade das Klangliche festes Darstellungsmittel. Das melodische Potenzial, das Sprache per se besitzt, wird bei der schriftlichen Festhaltung von Theaterstücken je nach Wirkungsabsicht miteinbezogen und für das auditive Erlebnis der Rezipienten zu Nutze gemacht. Weil Dramentexte neben der inhaltlichen auch auf der melodischen Ebene agieren, und auch über diese dem Text Bedeutung verliehen wird, ist bei ihrer Übersetzung darauf zu achten, den intendierten Sinn spezifischer Passagen, die eine eigentümliche melodische Ausgestaltung erfahren haben, nicht zu übergehen. In diesem Sinne ist es bei der Übersetzungsarbeit wichtig, stets den Klang bei der Aussprache im Auge zu behalten. Im konkreten Fall des von uns übersetzten Theaterstücks «Miranda & Dave: Begin Again» finden sich mehrere Passagen, in denen die melodische Struktur von Sprache mit dem Text auf der Inhaltsebene eine gewisse Synergie eingeht und nur im gleichwertigen Nebeneinander die gewünschte Wirkung erzielt. Ein veranschaulichendes Beispiel findet sich in den ersten Versen der ersten Szene:

Eden spricht:

You lay it on my tongue. / Du legst ihn auf meine Zunge

It’s delicate really / Er ist wirklich zart

you quiver between my teeth / Du zuckst zwischen meinen Zähnen

it’s small really, a bird in a nest and… I feel powerful. / Er ist wirklich klein, ein Vogel in einem Nest und … ich fühle mich mächtig

You flutter / Du flatterst

gentle now, gentle now / sachte, ganz sachte

Then you grab the back of my head and I understand. / Dann packst du mich am Hinterkopf und Ich begreife.

Then I understand and we are off and I’m on my knees / Ich begreife und wir legen los und ich auf den Knien

they hurt / Sie tun weh

I’m on my knees on the floor of the science lab. / Ich auf den Knien im Labor.

Room 112./  Raum 112.

Die ersten elf Verse zeichnen sich durch ihren lyrisch anmutenden Sprachgebrauch aus. Nicht nur die Verwendung von Metaphern – hier der Vogel – sind ein Indiz dafür. Mit Blick auf die Melodie der Sprachstruktur fällt zunächst die syntaktische Struktur ins Auge. Sieben der insgesamt elf Verse zeichnen sich durch ihre Kürze aus. Die verbleibenden vier Verse sind zirka doppelt so lang. Der Wechsel zwischen kurzen und langen Versen ist dabei unregelmäßig. Auf die ersten drei kurzen Verse folgt ein längerer, dann zwei kürzere, etc.
Allein auf der quantitativen Ebene der syntaktischen Ausgestaltung ergibt sich damit eine Melodie der Unregelmäßigkeit – ein Flattern zwischen kurzen und längeren Versen. Dieses Zucken und Flattern ist jenes, das auf der inhaltlichen Eben den Vogel klanglich nachbildet. Ein Sprachbild, das sich auf die lexikalische Struktur und somit auf die Melodie des Textes ausweitet. Inhalt und Form gehen so ein sich verstärkendes Wechselverhältnis ein. Für die Übersetzungsarbeit heißt dies, dass eben jene Eigenheit beibehalten werden sollte. Auch wenn wir in der Gruppenarbeit an dieser Passage nicht die Interdependenz von Inhalt und Form auf diese Weise analysiert haben, ist in der von uns übersetzten deutschen Fassung der Wechsel von kurzen und langen Versen weitgehend beibehalten worden. Dennoch hat sich im Zuge der Diskussion um die passendste Übersetzung gezeigt, dass die akkurate, grammatikalisch korrekte Übersetzung ins Deutsche dem melodischen Verlauf der Passage zuwider streben kann. Der Vers Then I understand and we are off and I´m on my knees hat sich als kleinere Herausforderung entpuppt: Eine korrekte grammatikalische Übersetzung des letzten Satzteils – … and I´m on my knees – hätte folgende Übersetzung gefordert: … und ich befinde mich auf meinen Knien oder … und ich bin auf meinen Knien o. ä.
Dies hätte jedoch die melodische Struktur der Passage ausgehebelt. Einstimmig haben wir in der Gruppe zugunsten der Melodie entschieden und den Satzteil mit …und ich auf den Knien übersetzt. Die sprachlich korrekte Variante mit Reflexivkonstruktion wurde in ein eher umgangssprachliches, verknapptes Deutsch übersetzt.
Abschließend möchte ich sagen, dass ich das Arbeiten im Kollektiv als sehr positiv empfunden habe. Die Chance viele Perspektiven, Meinungen, Ideen und Vorschläge zusammenzutragen, empfinde ich als Bereicherung. Auch wenn dies wahrscheinlich mehr Zeit erfordert als das Arbeiten allein, spricht die Qualität der Übersetzung für sich.

Can Cihanbeyli (c) privat

Can Cihanbeyli ist gebürtige Mannheimerin. In ihrer Heimatstadt studiert sie Literatur, Medien und Kultur der Moderne im Master.

Die Mannheimer Studierenden in ihrer Arbeitspause

Theaterübersetzung in der Praxis: Miranda & Dave – nochmal auf Anfang

von Eva Bruckner

Jemand hat ihr zuvor K.O.Tropfen ins Bier getan – oder hineingetan? Oder einfach rein getan? Hätte mich jemand zu Beginn des vergangenen Semesters vor solche Entscheidungen gestellt, ich wäre ratlos gewesen. Die Formulierungen weichen vielleicht nur gering voneinander ab, doch bei der Übersetzungsarbeit hat jedes Wort und – gerade im Theater – jeder Laut Gewicht. So richtig begriffen habe ich das erst, als ich gefordert war, mich zwischen diesen – um Bourdieu auf die Theaterbühne zu versetzen – feinen Unterschieden zu entscheiden.

In dem von Frank Weigand angebotenen Seminar übersetzten wir als eine Gruppe von insgesamt 16 Studierenden das Theaterstück «Miranda & Dave Begin Again» vom Englischen ins Deutsche, und trugen damit einen Teil dazu bei, das Schreibdebüt der kanadischen Autorin Rhiannon Collett erstmals in deutschsprachiger Version als szenische Lesung auf die Bühne zu bringen. Das Stück handelt von weiblicher Sexualität und Lust vor dem Hintergrund zeitgenössischer patriarchaler Strukturen der westlichen Kultur, von (sexueller) Selbst- und Fremdbestimmung, vom Erwachsenwerden und von Befreiung und Neubeginn – auf individueller und zwischenmenschlicher, aber auch auf gesellschaftlicher und zwischengeschlechtlicher Ebene. Große Themen, die sich in einem Konflikt zwischen Eden, ihrer großen Schwester Miranda und deren Lebensgefährten Dave entspinnen.
Das Seminar war so strukturiert, dass wir in kleineren Gruppen von etwa vier Personen je zwei Szenen übersetzten, und diese übersetzte Version dann im Plenum mit den anderen Seminarteilnehmenden besprachen. Im Laufe mehrerer Sitzungen, die zunächst an der Uni und schließlich mit den Schauspieler:innen im Theater stattfanden, entwickelten wir die übersetzten Szenen immer weiter. Am Ende hatten wir auf diese Weise eine zunehmend geschliffenere Version des Textes erlangt, welcher in laut gelesener Form plötzlich ein Eigenleben entwickelte. In der Schlussphase des Übersetzungsprozesses fühlte es sich für mich jedenfalls so an, als würden wir als Übersetzende durch geringfügige Anpassungen nicht mehr wirklich selbstbestimmten Einfluss auf das Stück üben, sondern vielmehr den Vorgaben der Figuren Folge leisten, um deren Sprechweisen, Charakterzügen und Eigenarten zu entsprechen. Die Figuren waren durch die laut gesprochenen Worte regelrecht zum Leben erweckt worden. Hierin vermute ich auch den entscheidenden Unterschied zum Übersetzen von Prosatexten. Da der Text für die Vorführung auf der Theaterbühne gedacht ist, spielt das gesprochene Wort eine vordergründige Rolle. Demnach müssen Fragen nach Sprechbarkeit, Rhythmus und Klang berücksichtigt werden.
Am wichtigsten ist nicht – wie bei Prosatexten – die sich langsam aufbauende imaginierte Welt, die beim Lesen des Textes in den Köpfen der Leser:innen entsteht, sondern vielmehr der kurzfristige Effekt des gesprochenen Worts auf der Bühne, der harmonische Aufbau von Lauten zu einem Sinngebilde, das es den Zuschauenden ermöglicht, ihre eigenen Erfahrungs- und demnach Erwartungshorizonte unmittelbar auf die dargestellten Figuren zu projizieren. Während es bei der Übersetzung eines narrativen Texts vermutlich zunächst darum geht, eine einheitliche Erzählstimme zu finden, welche sich als roter Faden durch den Text zieht und von deren Tonalität die einzelne Figurenrede durchaus abweichen kann, lebt der dramatische Text davon, vielstimmig und trotzdem ästhetisch kohärent zu sein, ohne dass eine Erzählstimme die Dialoge und Monologe verbindet. So muss sich für jede Figur eine bestimmte Ausdrucksweise finden, die diese einzigartig macht und ihrem Charakter entspricht, während gleichzeitig das große Ganze, der Tonfall des Theaterstücks an sich, nicht aus den Augen verloren werden darf.
Die Schwierigkeit der Suche nach einem einheitlichen Ton der Übersetzung wurde aus meiner Sicht durch die Arbeit im Kollektiv aus insgesamt 16 Übersetzer:innen zunächst verstärkt. Im Extremfall prallten 16 Meinungen aufeinander, die es auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen galt. So stellten wir nach der Arbeit in kleineren Gruppen an den einzelnen Szenen schließlich im Plenum fest, dass wir beispielsweise aus der Figur Dave verschiedene Charaktere entwickelt hatten, die sich in ihrer Sprechweise, in ihrem Ausdruck und Vokabular deutlich unterschieden. Plötzlich fanden wir uns also mit der Frage konfrontiert, wie wir die unterschiedlichen Daves in einer Figur vereinen würden. Die einen befanden, der homophobe, aber selbsterklärte Feminist Dave würde eher Schwuchtel als schwul sagen, während die nächsten wiederum der Überzeugung waren, das sei zu ordinär. So hatte sich in unseren Köpfen im Laufe der ersten Übersetzungsversuche in kürzester Zeit ein bestimmtes Bild der Figuren manifestiert. Übersetzen heißt also immer auch neu erschaffen – und im Zweifel nochmal auf Anfang gehen.

Letzte Probe vor der Lesung: Max Wex, Samantha Fowler, Vanessa Silva Bauer (c) Frank Weigand

Im Laufe des Übersetzungsprozesses sahen wir uns noch vielen weiteren Herausforderungen gegenübergestellt. So stellte sich mir an einer bestimmten Stelle zu Beginn des Stücks, bei welcher die von mir zunächst bevorzugte Version es schließlich nicht in die endgültige Fassung schaffte, die Frage, wann der Inhalt Vorrang hat, und wann die Form. Besagte Stelle findet sich im Eingangsmonolog von Eden, in welchem sie davon erzählt, wie sie ihrem Biolehrer einen Blowjob gibt:

You are between my teeth and in my hair and up my nose.

I gag.

You zip.

I wonder if I’m getting an A in Biology.

Wir standen vor der Aufgabe, die erschütternde Wirkung der beiden Zeilen I gag und You zip ins Deutsche zu übertragen. Diese wird durch die Diskrepanz zwischen formalem Einklang dank der komplementären Syntax und dem einheitlichen Rhythmus einerseits, und dem Abgrund, der sich auf inhaltlicher Ebene zwischen den beiden Figuren auftut, andererseits, erzielt. Ich persönlich hätte der Form Vorrang gegeben, und die Zeilen mit Ich würge. Du gehst übersetzt. Im Plenum einigten wir uns jedoch nach einiger Diskussion weiterer Vorschläge auf die folgende Version:

Ich würge.

Du ziehst den Reißverschluss hoch.

Die erschütternde Wirkung hatte die Zeile dann auch ohne formalen Einklang mit der vorangegangenen, wodurch mir bewusstwurde, wie wichtig und fruchtbar der Austausch im Kollektiv bei der Übersetzungsarbeit sein kann.
Im Übersetzungsprozess wurden noch viele weitere Fragen aufgeworfen: Wie übersetzt man sprichwörtliche Redewendungen, wenn das deutsche Äquivalent zwar theoretisch existiert, aber niemals je laut ausgesprochen werden würde (à la God never popped her cherry / hat ihre Blume nie gepflückt)? Markieren Anglizismen im Deutschen authentische Umgangs- und/oder Jugendsprache bzw. haben sie da überhaupt noch die gleiche Bedeutung oder sind sie nach dem Transfer in den deutschen Kontext schon zu überspitzt oder semantisch verändert, als dass man sie eins zu eins übernehmen könnte? Überhaupt, Stichwort Kultur-Transfer: Bringen wir die Geschichte nach Mannheim, verwandeln also Montréals Plateau-Viertel in den Jungbusch und das Red Ale in ein Ureich Pils? Oder behalten wir einfach beides bei und eröffnen mittels eines immer wiederkehrenden Klingelns einer Tischglocke als Trennelement beider Versionen einen unbestimmten Zwischenraum? Ist das dann theatrale Ambiguität (Prädikat besonders wertvoll) oder schlicht ein Zeugnis von Sich-Nicht-Entscheiden-Können? Und was um Gottes willen machen wir mit dem Titel?
Fragen über Fragen. Am Ende haben wir es aber geschafft, die meisten davon zu beantworten. Manche mussten vielleicht offenbleiben. Aber genau davon lebt Theater schließlich, oder? Offenbleiben – in jeglicher Hinsicht.

Eva Bruckner (c) privat

Eva Bruckner studiert an der Universität Mannheim den Masterstudiengang «Literatur, Medien und Kultur der Moderne». Neben Studium und Nebenjob ist sie als Kulturreferentin des AStA tätig, bei dem sie gemeinsam mit anderen kulturbegeisterten Studierenden das kulturelle (Campus-)Leben in Mannheim mitgestaltet und beispielsweise Lesungen, Kunstausstellungen und Konzerte organisiert.

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