An anderer Stelle finden sich im Theatertext jedoch auch Passagen, die gänzlich durch die melodische Dimension von Sprache getragen werden. Die verwendete Sprache wirkt hier geradezu lyrisch, stets von Harmonien und Melodien ummantelt. In Prosaexten, die nicht darauf angelegt sind, laut vorgelesen zu werden, nimmt die klangliche Dimension von Sprache eine eher untergeordnete Wichtigkeit ein. Bei Theatertexten, die hingegen für die Inszenierung bestimmt sind, ist gerade das Klangliche festes Darstellungsmittel. Das melodische Potenzial, das Sprache per se besitzt, wird bei der schriftlichen Festhaltung von Theaterstücken je nach Wirkungsabsicht miteinbezogen und für das auditive Erlebnis der Rezipienten zu Nutze gemacht. Weil Dramentexte neben der inhaltlichen auch auf der melodischen Ebene agieren, und auch über diese dem Text Bedeutung verliehen wird, ist bei ihrer Übersetzung darauf zu achten, den intendierten Sinn spezifischer Passagen, die eine eigentümliche melodische Ausgestaltung erfahren haben, nicht zu übergehen. In diesem Sinne ist es bei der Übersetzungsarbeit wichtig, stets den Klang bei der Aussprache im Auge zu behalten. Im konkreten Fall des von uns übersetzten Theaterstücks «Miranda & Dave: Begin Again» finden sich mehrere Passagen, in denen die melodische Struktur von Sprache mit dem Text auf der Inhaltsebene eine gewisse Synergie eingeht und nur im gleichwertigen Nebeneinander die gewünschte Wirkung erzielt. Ein veranschaulichendes Beispiel findet sich in den ersten Versen der ersten Szene:
Eden spricht:
You lay it on my tongue. / Du legst ihn auf meine Zunge
It’s delicate really / Er ist wirklich zart
you quiver between my teeth / Du zuckst zwischen meinen Zähnen
it’s small really, a bird in a nest and… I feel powerful. / Er ist wirklich klein, ein Vogel in einem Nest und … ich fühle mich mächtig
You flutter / Du flatterst
gentle now, gentle now / sachte, ganz sachte
Then you grab the back of my head and I understand. / Dann packst du mich am Hinterkopf und Ich begreife.
Then I understand and we are off and I’m on my knees / Ich begreife und wir legen los und ich auf den Knien
they hurt / Sie tun weh
I’m on my knees on the floor of the science lab. / Ich auf den Knien im Labor.
Room 112./ Raum 112.
Die ersten elf Verse zeichnen sich durch ihren lyrisch anmutenden Sprachgebrauch aus. Nicht nur die Verwendung von Metaphern – hier der Vogel – sind ein Indiz dafür. Mit Blick auf die Melodie der Sprachstruktur fällt zunächst die syntaktische Struktur ins Auge. Sieben der insgesamt elf Verse zeichnen sich durch ihre Kürze aus. Die verbleibenden vier Verse sind zirka doppelt so lang. Der Wechsel zwischen kurzen und langen Versen ist dabei unregelmäßig. Auf die ersten drei kurzen Verse folgt ein längerer, dann zwei kürzere, etc.
Allein auf der quantitativen Ebene der syntaktischen Ausgestaltung ergibt sich damit eine Melodie der Unregelmäßigkeit – ein Flattern zwischen kurzen und längeren Versen. Dieses Zucken und Flattern ist jenes, das auf der inhaltlichen Eben den Vogel klanglich nachbildet. Ein Sprachbild, das sich auf die lexikalische Struktur und somit auf die Melodie des Textes ausweitet. Inhalt und Form gehen so ein sich verstärkendes Wechselverhältnis ein. Für die Übersetzungsarbeit heißt dies, dass eben jene Eigenheit beibehalten werden sollte. Auch wenn wir in der Gruppenarbeit an dieser Passage nicht die Interdependenz von Inhalt und Form auf diese Weise analysiert haben, ist in der von uns übersetzten deutschen Fassung der Wechsel von kurzen und langen Versen weitgehend beibehalten worden. Dennoch hat sich im Zuge der Diskussion um die passendste Übersetzung gezeigt, dass die akkurate, grammatikalisch korrekte Übersetzung ins Deutsche dem melodischen Verlauf der Passage zuwider streben kann. Der Vers Then I understand and we are off and I´m on my knees hat sich als kleinere Herausforderung entpuppt: Eine korrekte grammatikalische Übersetzung des letzten Satzteils – … and I´m on my knees – hätte folgende Übersetzung gefordert: … und ich befinde mich auf meinen Knien oder … und ich bin auf meinen Knien o. ä.
Dies hätte jedoch die melodische Struktur der Passage ausgehebelt. Einstimmig haben wir in der Gruppe zugunsten der Melodie entschieden und den Satzteil mit …und ich auf den Knien übersetzt. Die sprachlich korrekte Variante mit Reflexivkonstruktion wurde in ein eher umgangssprachliches, verknapptes Deutsch übersetzt.
Abschließend möchte ich sagen, dass ich das Arbeiten im Kollektiv als sehr positiv empfunden habe. Die Chance viele Perspektiven, Meinungen, Ideen und Vorschläge zusammenzutragen, empfinde ich als Bereicherung. Auch wenn dies wahrscheinlich mehr Zeit erfordert als das Arbeiten allein, spricht die Qualität der Übersetzung für sich.
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