Nachrichten aus der Werkstatt Wie eine Theaterübersetzung entsteht
Wir alle hatten es uns leichter vorgestellt. Die Studierenden hatten sich das Übersetzen leichter vorgestellt. Das überrascht mich kaum. Verwundert bin ich darüber, wie es ist, an andere weiterzugeben, was ich als Übersetzerin mit einer gewissen Selbstverständlichkeit tue. Wie so viele Kolleg:innen bin ich Autodidaktin. Über meine Methoden und Prozesse bin ich mir nur zum Teil bewusst. So wird das Seminar zum Lernprozess für beide Seiten.
Wie gehe ich vor? Der Prozess unterliegt immer derselben Dynamik. Wie ins kalte Wasser stürze ich mich in den Text, fertige zum Kennenlernen eine recht unbedarfte Rohübersetzung an, plansche umher, schlage Vokabeln nach, recherchiere kreuz und quer, zum Autor oder der Autorin, zum Thema, zu den Realien im Text. Dann wird es ernster. Weil ich mich beim Planschen vom Ufer entfernt habe, fühlt sich die Tätigkeit in der mittleren Phase, beim zweiten Durchgang, nach Strampeln an. Es gilt, den Überblick zu bekommen, schwierige Stellen in den Blick zu nehmen, mit Bildern und Sätzen zu experimentieren. Achtung, auch die szenischen Merkmale des Textes nicht vergessen! Los jetzt. Irgendwann muss ich auf der anderen Seite ankommen. Ich schiebe Satzteile herum, spreche beim Formulieren mit. Ein eigener Durchgang ist für die sprachliche Charakteristik der Figuren reserviert: einer ist auf der Hut, die andere draufgängerisch. Die dritte verwendet Fremdwörter falsch oder reißt lahme Witze, die vierte kehrt Unangenehmes unter den Teppich. Die Besonderheiten der Figurenrede wahrhaftig, kraftvoll und nach den Anhaltspunkten, die ich im Original finde, zu gestalten, darauf kommt es an. Besonders bei den sogenannten well-made-plays. Puh. Zuletzt sind die gelben Markierungen im Text zu eliminieren. Schwieriges, so lange wie möglich aufgeschoben. Die Erfahrung zeigt, dass sich beim langen Schwimmen im Text-See eine Vertrautheit einstellt, die in der letzten Phase hilft, zu verstehen, zu entscheiden. Der Ausdruck des Originalmanuskriptes wacht auf einem Holzständer links neben meinem Bildschirm und wird nun wieder konsultiert. Irgendwann komme ich am gegenüberliegenden Ufer an. Die Übersetzung ist fertig. Jedenfalls behaupte ich das. Genau wie ein Text, ist auch eine Übersetzung niemals fertig. Wir hören irgendwann auf, daran zu arbeiten. Danke, liebe Deadlines, keine Ahnung, wo ich ohne euch wäre.
Und nun zum Kapitel Weitergeben: Im Sommersemester 2022 habe ich im Seminar zum Theaterübersetzen am Studiengang Szenisches Schreiben (UdK Berlin) mit Studierenden zu tun, die für die Bühne schreiben. Sie wissen, dass es im Theater um gesprochene Sprache geht. Sie kennen die Besonderheiten des Szenischen. Auf den Seminarplan setze ich ein paar Projekte, für die im Alltag zu wenig Raum ist: Theorietexte lesen, Übersetzungen vergleichen, mir einen systematischen Überblick über die amerikanische Theater- und Dramengeschichte verschaffen. Im Austausch mit den Studierenden will ich auch der Frage nachgehen, wie sehr Übersetzen eine eigenständige literarische Praxis ist.
In der Vorbereitung stoße ich auf eine Interviewsammlung von Thomas Brasch. Der Dramatiker und Übersetzer, der in den 1980er-Jahren Shakespeare und Tschechow neu übersetzt hat, nutzt Übersetzen als kreativen Dialog mit einem Text, der aus einer anderen Werkstatt, aus einer anderen Epoche stammt. Anlässlich einer Übersetzung von «Was ihr wollt», die Brasch für Ernst Wendts Inszenierung am Schiller Theater im Jahr 1984 machte, spricht er über die Zeitlichkeit von Sprache. Ja, was tun, wenn ich einen 400 Jahre alten Text neu übersetzen will? Alte Sprache herstellen, «das ergibt Kunstgewerblichkeit und wäre wie Ikonenmalerei für Neubauwohnungen,» sagt er. Fordert stattdessen genaues Wahrnehmen des Originals, damit die Übersetzerin seinen Eigenarten gerecht wird, anstatt ihn schön zu machen, zu glätten. Brasch formuliert keine Theorie. Er bietet eine bestimmte Art an über Texte zu sprechen, die uns locker macht für den eigenen Versuch. Sich Freiheit herausnehmen, Setzungen machen fällt womöglich schwerer, als Treue gegenüber dem Original. Zwischen diesen beiden Polen pendeln wir.
Übersetzung ist eine Form, sagt Walter Benjamin in «Die Aufgabe des Übersetzers», dem Vorwort seiner Baudelaire-Übersetzungen. Der Begriff der reinen Sprache, den er prägt, bleibt abstrakt, seine Formulierungen rufen jedoch die Wandelbarkeit der Sprache in Erinnerung, die Räume, die zu bespielen unsere Aufgabe ist. Mut zur Erfindung, bei gleichzeitigem Versuch, die Konstruktion aus Rhythmus, Bildern, Klängen nachzubilden. Sie zu übertragen ins System der eigenen Sprache. Diese ist kein starres Regelwerk, sondern ein Organismus aus Konventionen, der immer wieder neu gestartet, an die Gegenwart angeschlossen werden muss. «Die wahre Übersetzung ist durchscheinend» sagt Benjamin «sie verdeckt nicht das Original, steht ihm nicht im Licht.» Was genau heißt das?
In der ersten Werkstatt-Sektion des Seminars übersetzen die Studierenden endlich selbst. Ein Stück aus einem Monolog von Will Enos «Thom Pain». Düsteres Zwiegespräch einer lädierten Seele mit dem Publikum auf dem schmalen Grat zwischen Mitteilungsdrang und Verstummen Wollen. Warum erzählt die Figur die Geschichte des einsamen Jungen, der seine Hündin verliert? Kurze Sätze, poetische Bilder, schnelle Sprünge. Von zart bis hart dirigiert und manipuliert Thom Pain die Phantasie des Publikums. Um die Aufmerksamkeit zu halten. Zum Theaterübersetzen gehört, dass wir ein Bild von der Figur entwickeln, eine Psychologie. Beim Lesen der Rohübersetzungen, die meine Studierenden angefertigt haben, fallen mir ein paar Prinzipien ein, an denen ich mich orientiere: Dass ich – um den Rhythmus des Textes nachzubilden – die Satzgrenzen einhalte. Dass ich Wortwiederholungen von einer Replik zur anderen vermeide, weil sie im Deutschen den Konventionen weit weniger entsprechen als im Englischen. Dass ich intertextuelle Bezüge und Motive herausarbeite. Dass ich versuche, kurze Wörter mit kurzen Wörtern zu übersetzen. Und noch ein paar Dinge mehr. Ich erstelle eine Tabelle mit den wichtigsten Punkten, gebe sie meinen Studierenden für den nächsten Durchgang an die Hand. Sie ist als grobe Orientierung im Chaos aus Intuition und Möglichkeiten gemeint. Nein, es gibt kein Konzept, das zuverlässig zur guten Übersetzung führt. Es gibt den Kasten mit den Werkzeugen: gute Ideen, Treffsicherheit in Sachen Sprachregister, intensive Recherche, Mut zur Abweichung, Loyalität gegenüber dem Original. In der nächsten Woche nehmen wir uns eine Gruppenszene vor. Psst. Wir werkeln weiter. Aus der Werkstatt dringt das leise Klappern der Werkzeuge.
Anna Opel, (Jahrgang 1967) lebt als Autorin und Übersetzerin in Berlin. Sie schreibt Romane, Recherchen, Audiowalks und übersetzt die preisgekrönte Dramatik von Tracy Letts, David Lindsay-Abaire, Michael Weller und anderen aus dem amerikanischen Englisch. Ihre Artikel über Theater und Film erscheinen in der Deutschen Bühne, dem Missy Magazine und Theater der Zeit; Stories auch im Wochenendmagazin der Berliner Zeitung.
Noch keine Kommentare / Diskutieren Sie mit!
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare. Da wir die Diskussionen moderieren, kann es sein, dass Kommentare nicht sofort erscheinen. Mehr zu den Diskussionsregeln erfahren Sie hier.