Übersetzer*in Oliver Kontny beschreibt in einer Anmerkung zu Ebru Nihan Celkans fulminantem Monodrama «Der Tag nach dem Tag, an dem niemand starb» die Entscheidungen des Übertragens queerer Narrative und gewährt so einen Einblick in Vielschichtigkeiten von Sprache und queeren Codes. Die Autorin entwirft in ihrem Text ein Bild der gewaltvollen Realität von trans* Frauen und formuliert einen Gegenentwurf zu stereotypen Darstellungen. «Der Tag nach dem Tag, an dem niemand starb» erzählt von Prekarisierung, Sexarbeit und Gewalt, aber auch von Solidarität, Community und Selbstbestimmung. Ebru Nihan Celkan schreibt mit Umut eine trans* Figur, die handelt.
Ebenso gelingt es auch Raphaël Amahl Khouri in seinem Stück «He She Me» die drei Figuren ihre Geschichten von Genderidentität, Transition, Sexualität, Repression und den Verlust von biologischer Familie mit liebevollem Blick auf chosen family (selbstgewählte Familie als Konzept queerer Lebenswelten, Anm. d. Red.), Unterstützungsmechanismen, Solidarität und Humor im Umgang mit hetero-cis-Normativität erzählen zu lassen. Entstanden aus Interviews mit 14 arabischen Freund*innen des Autors bewegt sich «He She Me» im Spannungsfeld von Religion, Politik, (Wahl-)Familie und Freund*innenschaften. Die Realität eines solidarischen Miteinanders zeigt der Text im Umgang mit transfeindlicher verbaler und körperlicher Gewalt und in der Gleichzeitigkeit von Schmerz und liebevollem Zusammensein.
Die neun Theater- und Performancetexte verhandeln textimmanent individuell und kollektiv die Frage nach queeren Schreiben und Übersetzen, queerem Erzählen, Repräsentation und was dieses Label queer überhaupt bedeutet. Es werden (fast) ausschließlich Geschichten erzählt, in denen die Figuren die Hetero-cis-Normativität aktiv hinterfragen. In dem Stück «Gender» von Magne van den Berg, sind sie leider zudem auch noch damit beschäftigt, sich konstant zu erklären. Der letzte Text im Band fällt aus dem Konzept, sind doch die Figuren in diesem didaktischen Dialog für ein Publikum ab 12 Jahren, zu sehr damit beschäftigt Misogynie und Transfeindlichkeit zu reproduzieren sowie Gender und Sexualität zu verwechseln – und das, obwohl sich eine*r der Figuren als nicht-binär positioniert. Bedauerlicherweise liefert «Gender» nur eine binäre und ungenaue Auseinandersetzung mit dem Titelthema des Textes. Die Autorin verstärkt dies mit ihrem Verhalten bei der Buchpräsentation, indem sie trans* und queere Personen othert, ohne ihr Zustimmen fotografiert, falsch gendert und nach von ihr eingeforderter Kritik an ihrem Text Absolution ihrer weißen, cis-hetero-Gewissensbisse aufgrund der geäußerten queeren Kritik bei ihren Kritiker*innen sucht. Um queere Narrative zu zentrieren, muss der cis-heterosexuelle Blick auf Sexualität und Gender durch queere Perspektiven ersetzt werden, um nicht wie «Gender» auf Kosten queerer Menschen zu verhandeln. In einem sonst so sorgfältig zusammengestellten Band verstärkt dieser Text die Frage nach queerem Schreiben und queeren Narrativen.
Dennoch versammelt «Surf durch undefiniertes Gelände» erfolgreich eine Vielzahl künstlerischer Interventionen, die hoffentlich bald auf dem ein oder anderen Schreibtisch eines Dramaturgieteams liegen werden. Denn der Anlass diesen Band zusammenzustellen, hat sich in seiner langjährigen Genese nicht geändert: Queere Körper, Begehren und Narrative sind bis dato auf deutschsprachigen Bühnen unter- und falsch repräsentiert.
Surf durch undefiniertes Gelände
Internationale queere Dramatik
Charlotte Bomy / Lisa Wegener (Hrsg.)
Drama Panorama – Neue internationale Theatertexte, Bd. 4
ISBN: 978-3-95808-329-5
Erscheinungsdatum: 30.03.2022
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