Schon früh, von 1969 an, hat sich Bernard-Marie Koltès intensiv mit den Dramen Shakespeares beschäftigt. Auf der Grundlage insbesondere der französischen Hamlet-Übersetzung von Yves Bonnefoy schrieb er 1974 «Hamlet. Der Tag der Morde» – eine Adaption, ein Shakespeare-Kondensat vergleichbar Heiner Müllers «Hamletmaschine» oder Susan Sontags Ibsen-Bearbeitung «Die Frau vom Meer». Die Handlung konzentriert Koltès dabei ganz auf die vier Hauptfiguren: Hamlet, Ophelia, Claudius und Gertrud. Er spielt mit der Shakespeare’schen Vorlage, variiert deren Themen, Motive und Sätze und fügt sie zu einem neuen Ganzen zusammen. Auf diese Weise ist ein dichter, poetischer Text entstanden – das Psychogramm einer in Auflösung begriffenen Gesellschaft, die nurmehr sich selbst kennt. In Koltès’ Bearbeitung gibt es keine Außenwelt und, damit verbunden, auch keinen Ausweg aus der familiären Tragödie: Der Konflikt mit Norwegen wird nur vage angedeutet, es herrscht Krieg, doch niemand weiß, gegen wen und warum. Ein magisch leuchtender Totentanz einer unausweichlich dem Untergang zutreibenden Welt, der bereits die Motive aus Koltès’ späteren Stücken vorwegnimmt.