Ein Interview mit Matin Soofipour Omam «Identität ist ein äußerst komplexes Thema»

Homa Faghiri und Theresa Henning in «Die jüngste Tochter» von Fatima Daas, inszeniert von Leyla-Claire Rabih, Dramaturgie: Matin Soofipour Omam, Theater an der Parkaue, Berlin (Foto: Sinje Hasheider)

 

Morgen, am 8. Juni, feiert im Berliner Theater an der Parkaue «Die jüngste Tochter» Premiere, eine Theateradaption von Fatima Daas` Erfolgsroman, bearbeitet und inszeniert von Leyla-Claire Rabih. Betreut wird die Produktion von der Leitenden Dramaturgin Matin Soofipour, die das Streben der Hauptfigur nach einem Leben jenseits vereinfachender Zuschreibungen aus eigener Erfahrung kennt. Kurz vor Beginn der Proben sprach die Theatermacherin und Autorin mit Frank Weigand über Zugänge und Diversität in der deutschen Kulturszene, das Jonglieren mit unterschiedlichen Funktionen im Theaterbereich, die Beschränktheit des westlichen Literaturkanons und die große Bedeutung von Übersetzungen, die Arbeit mit jungem Publikum – und darüber, warum es auch ein Privileg ist, «zwischen den Stühlen» zu sitzen.

 

Frank Weigand: Du hast in Iran Szenisches Schreiben studiert und dann in Deutschland Theaterpädagogik, und anschließend in den unterschiedlichsten Funktionen im Stadttheater und in der freien Szene gearbeitet. Seit vergangenem Jahr leitest du die Dramaturgie am Theater an der Parkaue – Junges Staatstheater Berlin und bist aber auch noch als Autorin tätig. Hast du das Gefühl, die Tatsache, dass du dich schon lange zwischen unterschiedlichen Sprachen, Kulturen, Systemen und Funktionen hin- und herbewegst, hat bei dir einen ganz besonderen Blick auf die Arbeit am Theater hervorgebracht?

Matin Soofipour Omam: Meine Theaterarbeiten im Iran waren natürlich von ganz anderen Strukturen und Barrieren geprägt. Da haben wir uns sehr den Kopf über die Frage zerbrochen: Wie umgehen wir die Zensur? Ich habe dort ganz viel nur für die Schublade geschrieben. Und als mir klar wurde, dass das so nicht weitergehen kann, wollte ich nach Deutschland gehen. Ich wollte unbedingt in Berlin studieren. Und ich saß in Teheran und dachte mir, ok, ich kann in Deutschland nicht Szenisches Schreiben weiterstudieren, mir fehlt ja die Sprache, aber ich habe Bilder im Kopf. Dann könnte ich vielleicht Regie machen. Also habe ich die Suchbegriffe «Kunst, Universität, Regie» bei Google eingegeben. Und Google hat mich dann auf die Seite der UdK geleitet, aber an der UdK konnte man ja gar nicht Regie studieren, nur Theaterpädagogik. Und dann habe ich gedacht: Wow, die Deutschen haben die Regie abgeschafft. (lacht) Ich habe meine Dozentin in Teheran gefragt: «Was ist denn diese Theaterpädagogik?» Und sie meinte, das ist professionelles Theatermachen mit nicht-professionellenSpielern. Ich dachte, wow, wie aufregend. Als ich dann nach Deutschland kam, war ich sehr glücklich in diesen zwei Jahren an der UdK, mit allem, was ich da lernen und mitnehmen konnte.

Natürlich war es auch eine Frage der Zugänge. Tatsächlich hat man am Anfang zu mir gesagt: Leute wie du sind gut für die Vermittlung, einfach bezogen auf meine Biografie. Ich verstehe mich auch als Vermittlerin und ich bin auch eine leidenschaftliche Theaterpädagogin, aber trotzdem steckt in dieser Beschreibung etwas, was mir Unbehagen bereitet. Als ich später als Theaterpädagogin zu arbeiten begann, musste ich feststellen, dass ich oft unterfordert war in allem, was mich interessierte, und überfordert in allem, was mich weniger interessierte. Und so habe ich angefangen, wieder stärker künstlerisch zu arbeiten. Erstmal kam das Schreiben wieder zurück, halb auf Deutsch, halb auf Farsi. Inzwischen schreibe ich nur noch auf Deutsch. Ich habe Glück gehabt, besonders im Kinder- und Jugendtheater, dass es da möglich war, so viel auszuprobieren. Ich habe in den Strukturen des Stadttheaters angefangen und dann freiberuflich gearbeitet und jetzt bin ich zurück am Stadttheater.

Szene aus der Theaterinstallation «geRecht» von Peca Stefan, Matin Soofipour Omam und Mehdi Moradpour, inszeniert von Lydia Ziemke, Theater Aufbau Kreuzberg (Foto: Tammo Walter)

 

Gehören all deine verschiedenen Tätigkeiten zusammen, oder schließen sie einander eher manchmal aus?

Meine verschiedenen Tätigkeiten gehören definitiv zusammen. Sie ergänzen sich und bereichern einander, auch wenn sie manchmal unterschiedliche Anforderungen stellen. Ich habe das Wort «Theatermacherin» für mich entdeckt. Das ist so befreiend, denn dann muss man nicht das eine oder die andere sein. Das war eine Möglichkeit, all diese unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichen Funktionen zusammenzubringen. Das hat mir ermöglicht, als Erzählerin, Performerin, Regisseurin, Autorin und Dramaturgin zu arbeiten und coole Vermittlungsprojekte zu entwickeln. Und darin konnte ich mich sehr frei bewegen.

Ganz zu Anfang war ich nur dankbar, einfach nur froh, überhaupt im Theater arbeiten zu können, und habe versucht, mich anzupassen. Mit der Zeit habe ich bemerkt: Langsam bleibt von mir gar nichts mehr übrig, wenn ich so weitermache und mich nur darum kümmere, die Erwartungen anderer zu erfüllen und ihre Zuschreibungen zu bedienen. Also ich verstehe mich inzwischen als eine Theatermacherin, die einen kritischen Blick auf das Theater, dessen Prozesse und Strukturen hat und diesen Blick zu bewahren versucht.

 

Profitierst du im Arbeitsalltag von deinem komplexen Werdegang?

Sagen wir so: Es ist wie ein Werkzeugkoffer und enthält verschiedene Kunstarten, Kunstsprachen und Ausdrucksformen, was definitiv sehr hilfreich ist. Es gibt ja nie ein Patentrezept, es geht immer um Flexibilität und Sensibilität. Und diese Flexibilität habe ich dadurch erworben, dass ich oft in Räumen war, wo ich auch nicht wusste, wie es geht. Deswegen habe ich natürlich eine andere Art von Verständnis, wenn ich Menschen sehe, denen es auch so geht.

In unserem Studium im Iran haben wir die ersten zwei Jahre allgemeine Theatergrundlagen gehabt. Das heißt, wir haben uns zwei Jahre lang mit Schauspiel, Regie, Szenischem Schreiben, Bühnenbild und sogar Puppenspiel beschäftigt. Und dann kam ich nach Deutschland. Und ich verstehe bis heute nicht, wieso die Studierenden aus unterschiedlichen Disziplinen untereinander keinen Kontakt haben. Wie soll das später bitte schön in der Berufswelt gehen, wenn die Leute gar keine Ahnung haben, wie der Job der anderen aussieht? Die Tatsache, dass ich diese Sachen schon mal gemacht habe, verleiht mir auch ein anderes Verständnis. Ich kann Schauspieler*innen ihre Rolle besser beschreiben oder Regisseur*innen anders betreuen. Deswegen finde ich das Konzept, Hospitanzen und Assistenzen zumachen, sehr gut, um unterschiedliche Einblicke zu gewinnen.

 

v.I.n.r.: Henri Jakobs, Ariel Nil Levy, Taylor Savvy in «Was ihr wollt» von William Shakespeare, inszeniert von Alexander Riemenschneider, Dramaturgie Matin Soofipour Omam, Theater an der Parkaue, Berlin (Foto: David Baltzer)

 

Die Zeiten sind heute natürlich andere. Wahrscheinlich gehörst du zu den Menschen, die auch Türen aufgemacht haben für die Leute, die jetzt nachkommen. Eine junge Frau, die gerade aus dem Iran kommt, könnte heute wahrscheinlich an der UdK Szenisches Schreiben studieren.

Ja, genau das ist es. Es ist schon viel passiert, aber wir sind noch lange nicht an dem Punkt, an dem wir sagen können, dass die Diversität unserer Gesellschaft sich in all diesen Bereichen widerspiegelt. Wenn ich den aktuellen Jahrgang der UdK sehe, fühle ich mich total verbunden. Ich habe dort keine Türen geöffnet, aber ich bin hier am Theater an der Parkaue in einer Rolle, in der ich Gestaltungsmöglichkeiten habe. Natürlich versuche ich, mich dafür stark zu machen, dass wir die Räume öffnen. Das mache ich aber nicht allein. Wir sind einfach ein Team, das sich die Aufgabe gestellt hat, unsere eigenen Strukturen kritisch zu hinterfragen und uns an den Lebensrealitäten unseres Publikums zu orientieren.

 

Wie verträgt sich deine künstlerische Arbeit als Autorin mit der Tätigkeit einer leitenden Dramaturgin? Kommst du aktuell überhaupt zum Schreiben?

Nicht so sehr, wie ich es mir wünsche. Ich habe in den letzten zwei Spielzeiten jede Spielzeit einen Auftrag angenommen. Denn das gibt mir Disziplin, da habe ich eine Frist und weiß: Komme, was wolle, ich schaffe das. Das hat dann dazu geführt, dass ich tagsüber gearbeitet und am Abend geschrieben habe. Und ich hatte bei beiden Aufträgen das Glück, mit guten Dramaturginnen zusammenzuarbeiten und hatte sehr viel Freiheit. Ich freue mich auch sehr, dass einer dieser Stückaufträge – mein Klassenzimmerstück «Raumrauschen», das von Lydia Ziemke für das Badische Staatstheater Karlsruhe inszeniert worden ist – jetzt am Theater an der Parkaue übernommen wird und also demnächst seinen Weg in Berliner Klassenzimmer findet.

Manchmal habe ich auch eine Sehnsucht danach, alles liegen lassen und einfach nur meinen Computer mitzunehmen und irgendwo zu sein und zu schreiben. Es gibt Texte, wo du denkst, es ist genau richtig, dass sie in der Schublade liegen. Solche, die besser niemand sieht. Aber dann gibt es andere, wo du jedes Mal denkst: Gott, warum liegst du überhaupt in der Schublade? Du verdienst es schon, dass man dich laut gen Himmel schreit. Da muss man sich drum kümmern. Und dafür fehlt mir oft die Zeit. Insgesamt bin ich gerade sehr glücklich an der Parkaue, mit meiner Arbeit als Dramaturgin, und das will ich nicht verpassen. Einfach nur schreiben wäre auch nicht erfüllend für mich. Es gibt im Theater sehr individuelle und sehr kollektive Tätigkeiten. Ich brauche beides.

Laman Leane Israfilova und Pascal Grupe in dem Klassenzimmerstück «Raumrauschen» von Matin Soofipour Omam, inszeniert von Lydia Ziemke, Badisches Staatstheater Karlsruhe (Foto: Arno Kohlem)

 

In Deutschland hast du den größten Teil deiner Theaterlaufbahn im Kinder- und Jugendbereich verbracht. Was ist für dich das Besondere an der Arbeit mit jungen Menschen – und wie unterscheidet sie sich von der Arbeit mit erwachsenem Publikum?

In der deutschen Theaterlandschaft steht die Kinder- und Jugendtheaterszene einfach woanders. Da war es schon immer einfacher, für Menschen wie mich Zugänge zu schaffen. Und auch, womit sich die Szene so beschäftigt, welche Fragen sie sich stellt, da habe ich das Gefühl, an großen Häusern ist das noch lange nicht angekommen.

In Bezug auf das Publikum möchte ich nicht die übliche Antwort geben, sei es «Das ist so ein ehrliches Publikum» oder «Das ist das Publikum von morgen». Ich halte nicht viel davon. Was mich persönlich am meisten fasziniert, ist der Gedanke, dass es sich bei unserem Publikum um Menschen handelt, die sich vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben mit dieser Kunstform auseinandersetzen. Unser Publikum besteht größtenteils aus Schulklassen, die die Vormittagsvorstellungen besuchen. Das bedeutet, die Entscheidung, ins Theater zu gehen, wird für sie getroffen, und sie sind nicht freiwillig da. Das macht unsere Arbeit nicht einfacher.

Unsere Aufgabe ist es also, dieses gezwungene Publikum zu begeistern und in eine Welt mitzunehmen,in der sie denken: «Ah, okay, das ist auch meine Welt. Hier wird von meiner Welt erzählt. Hier geht es um mich. Ich bin gemeint.» Es ist eine schöne Herausforderung, Menschen zu inspirieren und für etwas zu begeistern. In diesem Zuschauerraum sitzen vielleicht 300 Leute. Wenn wir jedes Mal nur drei von ihnen erreichen, die mit Fragen herausgehen und sich Gedanken darüber machen, was das alles mit ihnen zu tunhat – oder sogar nur eine Person –, dann feiere ich das. Ich glaube, ich habe am Ende doch ein bisschen dieses Pathos: Theater kann etwas bewirken. Wenn ich ehrlich bin, trage ich das in mir.

 

 

Yasmin Mowafek und Laura Teiwes in «Links vom Mond» von Matin Soofipour Oman, inszeniert von Ebru Tartıcı Borchers, Badisches Staatstheater Karlsruhe (Foto: Felix Grünschloß)

 

Die nächste Produktion, die du betreust, ist «Die jüngste Tochter» nach dem Roman der Französin Fatima Daas über ein Mädchen aus einer algerischen Familie, die in einer Vorstadt von Paris wohnt, Literatur studiert, religiös ist und lesbisch. Inszeniert und adaptiert wird der Text von meiner Kollegin Leyla-Claire Rabih. Wieso interessiert euch als Theater dieser Stoff, und wie kam es zu der Entscheidung für Leyla als Regisseurin?

Das hat tatsächlich schon eine Geschichte. Über «Die jüngste Tochter» haben wir in der Dramaturgie schon vor drei Jahren gesprochen, als wir mit Christina Schulz und Alexander Riemenschneider den Intendanzstart 2021/22 vorbereitet haben. Es war uns sofort klar, dass dieser Roman auf die Bühne gehört, besonders für ein Theater, das sich an junge Menschen richtet. Obwohl das Buch in Frankreich spielt, sind die Themen der Identitätssuche und Zugehörigkeit auch für unser Berliner Publikum äußerst relevant. Wir brauchten jedoch Zeit, um das Buch auf die Bühne zu bringen.

Mit Leyla-Claire Rabih haben wir eine Regisseurin, die nicht nur einen interessanten künstlerischen Zugang hat, sondern auch eine bereichernde Perspektive einbringt. Als französisch-syrische Künstlerin mit Erfahrung im deutschen Theaterbetrieb bringt sie eine einzigartige Sichtweise mit. Leylas Regieansatz, der oft mit kollektivem Erzählen arbeitet, war etwas, das uns besonders reizte, um eine Protagonistin wie Fatima in ihrer Vielschichtigkeit lebendig werden zu lassen.

 

Theresa Henning und Homa Faghiri in «Die jüngste Tochter» von Fatima Daas, inszeniert von Leyla-Claire Rabih, Dramaturgie: Matin Soofipour Omam, Theater an der Parkaue, Berlin (Foto: Sinje Hasheider)

 

Der große Erfolg des Romans, besonders in Frankreich, erklärt sich unter anderem dadurch, dass die Hauptfigur extrem komplex ist und sich in vielen Welten gleichzeitig bewegt, die alle zur gegenwärtigen Gesellschaft gehören, sich aber gegenseitig auszuschließen scheinen. Und immer kann irgendetwas an ihr von einer ihrer Welten nicht akzeptiert werden. Auch für sie selbst ist es sehr schwierig, gleichzeitig lesbisch und Muslima zu sein.

Ja, und sie hat auch keine Antwort darauf, was ich total spannend finde. Darüber haben wir auch mit Leyla sehr viel gesprochen. Es war uns wichtig, in dieser Erzählung die Widersprüche stehenzulassen. Dass es eben nicht so ist, dass die Figur es am Ende dann doch noch schafft, den goldenen Ausgang zu finden und es ein Happy End gibt. Nein, Widersprüche gehören zum Leben. Das sind so unterschiedliche Räume, zu denen sie Zugang hat und in denen sie sich bewegt. Und eigentlich ist sie freier als die anderen Leute.

Identität ist ein äußerst komplexes Thema. Niemand spricht für alle Menschen einer bestimmten Gruppe, da Identität vielschichtig undindividuell ist. Dieses Buch aber auch die Inszenierung soll Jugendlichen zeigen, dass man allen Aspekten seiner Identität Raum geben sollte, ohne sich auf eine einzige Facette reduzieren zu lassen. Die Klarheit im Leben könnte darin liegen, all diese verschiedenen Aspekte nebeneinander bestehen zu lassen und zu akzeptieren.

Für welche Altersgruppe habt ihr das Stück angesetzt?

Ab 14 Jahre. Das ist aber nur eine Empfehlung. Deswegen schätzen wir auch den Austausch mit dem Publikum, mit Multiplikator*innen und Lehrer*innen. Wir sind auch offen, wenn Fragen kommen wie: «Hey, ich habe eine Klasse, die sind 12 Jahre alt, aber ich habe das Gefühl, es ist genau deren Thema. Kann ich kommen?» Dann sagen wir nicht: Nein, das ist eigentlich ab 14. Das ist immer nur eine Empfehlung. Ich sage am liebsten: 14 bis 400.

Du bist selbst eine mehrsprachige Person. Wie ist deine Haltung zu Übersetzung im Allgemeinen – und im Speziellen im Theaterbereich? Hast du den Text auf Französisch gelesen?

Letztendlich bauen Übersetzungen im Theater Brücken, die es ermöglichen, Geschichten und Erfahrungen aus der ganzen Welt auf der Bühne zu erleben. Viele klassische Texte aus der westlichen Welt wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und haben sich als Klassiker etabliert. Allerdings haben klassische Werke aus anderen Teilen der Welt oft nicht den gleichen Zugang zu europäischen Bühnen gefunden. Das gleiche gilt auch für zeitgenössische Dramatik. Während viele Werke aus der westlichen Welt international anerkannt und übersetzt sind, haben zeitgenössische Stücke aus anderen Kulturen oft Schwierigkeiten, in europäischen Theatern Fuß zu fassen. Es ist wichtig, die Vielfalt der Theaterlandschaft zu fördern, indem mehr Werke aus verschiedenen Kulturen übersetzt und aufgeführt werden.

Aber zurück zu «Die jüngste Tochter»: Nein, ich kann leider kein Französisch. Ich saß aber neben Leyla, während wir die Fassung gemacht haben und sie immer wieder erklärt, hat «Im Französischen ist das so und so». Wir sind auch sehr dankbar für die Übersetzung des Romans von Sina de Malafosse. Und wie gut, dass es dieses Buch jetzt auch auf Deutsch gibt. Für uns ist es ein großes Glück, dass die Regisseurin die Sprache beherrscht, in der die Autorin geschrieben hat. Leyla kennt diesen Kontext gut und ist selbst auch inähnlichen Zwischenräumen unterwegs. Allerdings ist der französische Kontext, in dem der Roman spielt, ganz anders als der hier in Deutschland. Und der Umgang damit, das war auch eine der Fragen, mit denen wir uns bei der Fassung auseinandergesetzt haben. Natürlich ist das bereichernd, dass da jemand sitzt, der diesen Kontext kennt und erfasst. In der Inszenierung wird neben Deutsch auch Arabisch zu hören sein. Wir wollten dem Klang verschiedener Sprachen Raum geben. Denn ich glaube, das macht auch etwas mit unserem Publikum, viele Sprachen und darunter vielleicht auch solche, die sie zu Hause sprechen, auf der Bühne zuhören.

 

Homa Faghiri, Theresa Henning und Ilona Raytman in «Die jüngste Tochter» von Fatima Daas, inszeniert von Leyla-Claire Rabih, Dramaturgie: Matin Soofipour Omam, Theater an der Parkaue, Berlin (Foto: Sinje Hasheider)

 

Habt ihr den Text in einen deutschen Kontext adaptiert?

Nein. Wir haben keine «Fatima aus Berlin» aus ihr gemacht. Aber wir glauben, dass viele ihrer Fragen und Erfahrungen auch einem Berliner Publikum vertraut sind.

Der Umgang mit Religion ist sicherlich die größte Provokation an Fatima Daas‘ Roman. Die Tatsache, dass die Hauptfigur die Religion total ernst nimmt, dass sie trotz aller Wiedersprüche gläubig bleibt.

Ja, der Umgang mit Religion in Fatima Daas› Roman ist sicherlich provokant, aber wen provoziert das? Ich würde sagen, gerade diejenigen, die diese Religion nicht praktizieren, aber auch diejenigen, die ein sehr radikales Verständnis davon haben. Für viele andere sind diese Widersprüche ein Teil des Lebens mit der Religion. Fatima lässt alles so nebeneinander stehen und fühlt sich niemandem gegenüber verpflichtet, eine Erklärung abzugeben. Zwischen den Stühlen zu sitzen, ist unglaublich unbequem. Und als jemand, der selbst zwischen den Stühlen sitzt, kann ich sagen: Hey Leute, schön und einfach ist es nicht, aber es ist auch ein Privileg, einen Teil von beiden Stühlen beziehungsweise Welten zu verstehen.

Yasmin Mowafek in «Links vom Mond» von Matin Soofipour Oman, inszeniert von Ebru Tartıcı Borchers, Badisches Staatstheater Karlsruhe (Foto: Felix Grünschloß)

 

Im Moment ist es in Deutschland überhaupt nicht einfach, Kultur zu machen und darüber frei zu diskutieren, weil alle Leute aufpassen, was sie sagen dürfen und sich der Diskurs immer stärker polarisiert. Wie geht es dir mit dieser Diskussionskultur?

Warum sollen die Dinge immer einfach sein? Was ist überhaupt einfach? Und wenn etwas nicht einfach ist, warum soll es dann automatisch schwer oder unmöglich sein? Im besten Fall oder im demokratischen Sinne gehen wir einen gesellschaftlichen Vertrag miteinander ein, dass ein Anspruch auf ein Miteinander da sein soll und dass auch der respektvolle Umgang wichtig ist.

Es gibt eine Menge Geschichten, denen früher kein Raum gegeben wurde, die unsichtbar gemacht wurden. Inzwischen haben sich viele dieser Stimmen selbst ihren Raum erobert. Wie können wir lernen, zuzuhören? Wo können wir uns aufeinander zu bewegen? Es ist nicht einfach und es erfordert Anstrengung, aber wir dürfen uns nicht entmutigen lassen. Jede*r von uns hat die Verantwortung, aktiv an der Gestaltung unserer Gesellschaft teilzunehmen und für eine bessere Zukunft einzutreten. Wichtig ist es,  Dialogräume zu öffnen und im Austausch zu bleiben, gegenseitige Standpunkte anzuerkennen, Zwischentöne zu hören. Wenn wir es hier, mit unserem Anspruch auf ein demokratisches Miteinander, nicht mal schaffen, den Dialog zu öffnen und offen zu halten, dann weiß ich auch nicht.

 

v.I.n.r.: Nicolas Sidiropulos, Denis Pöpping, loana Nitulescu, Mira Tscherne in «Du blöde Finsternis!» von Sam Steiner, inszeniert von Mathias Spaan, Dramaturgie Matin Soofipour Omam, Theater an der Parkaue, Berlin (Foto: Sinje Hasheider)

 

Ihr macht gerade den Spielplan für die nächste Spielzeit. Gibt es irgendwelche Richtungen, irgendwelche Geschichten, die du jetzt schon verraten könntest?

Wir versuchen sowohl die Vielfalt unseres Publikums zu berücksichtigen als auch eine inhaltliche und eine ästhetische Vielfalt zu ermöglichen. Vor allem versuchen wir, nah an der Lebensrealität von jungen Menschen zu sein und damit lustvoll umzugehen – neben inhaltlichen Schwerpunkten bedeutet das auch, das Thema Inklusion mitzudenken, z.B. mit künstlerischer Audiodeskription oder Relaxed Performances oder mobile Produktionen zu erarbeiten, um Theater auch in Schulklassen oder Kita erlebbar zu machen.

In der kommenden Spielzeit stärken wir ganz besonders unseren Schwerpunkt Gegenwartsdramatik, was mich sehr freut. Dazu zählen gleich zwei Auftragswerke, die extra für das Theater an der Parkaue geschrieben wurden: Martin Heckmanns erarbeitet für uns eine Bühnenfassung des beliebten Bilderbuchs «Wazn Teez?» der kanadischen Autorin Carson Ellis, das Alexander Riemenschneider als Musiktheater mit Zirkus- Elementen auf die Bühne bringen wird. Und die Lyrikerin und Dramatikerin Athena Farrokhzad schreibt in «Antigones Vermächtnis» Sophokles› Drama weiter – aus dem Schwedischen ins Deutsche übertragen von Stefan Pluschkat. Außerdem bringen wir in Kooperation mit dem Retzhofer Dramapreis «Space Explorers» von Rinus Silzle zur Uraufführung.

Und im Dezember wird zum ersten Mal der Berliner Stückepreis für junges Publikum verliehen. Dieser Preis für Gegenwartsdramatik, der vom Land Berlin ausgelobt wird, fördert neue Narrative für die Bühnen der Kinder- und Jugendtheater. Das ist uns als Berliner Junges Staatstheater, aber auch mir persönlich als Autorin unheimlich wichtig, dass es öffentliche Anerkennung gibt für Stücke, die vielfältige Lebenswirklichkeiten von jungen Menschen ernst nehmen und Sichtbarkeit und finanzielle Unterstützung für die Autor*innen, die es wagen, diese Texte zu schreiben.

_____________________________________________________________________

 

Am 8. Juni um 18 Uhr feiert die Deutsche Erstaufführung der Theaterfassung von Fatima Daas` Roman «Die jüngste Tochter»  in der Inszenierung von Leyla-Claire Rabih ihre Premiere am Theater an der Parkaue, Berlin. Tickets und weitere Informationen hier.

______________________________________________________________________

Die Autorin, Dramaturgin und Theaterpädagogin Matin Soofipour Omam (Foto: Lena Ganssmann)

Matin Soofipour Omam studierte Dramatische Literatur und Szenisches Schreiben an der Universität Teheran sowie Theaterpädagogik an der Universität der Künste in Berlin. Ihre ersten Engagements als Theaterpädagogin führten sie ans Grips Theater Berlin und ans Düsseldorfer Schauspielhaus. Seit der Spielzeit 2021/22 ist sie Dramaturgin am Theater an der Parkaue, 2023 hat sie die Leitung der Abteilung Dramaturgie übernommen. Als freischaffende Autorin, Dramaturgin und Theatermacherin wirkte Soofipour Omam in unterschiedlichen Kollektiven mit, wie Suite 42, Projekt-il, Waltraud900 und Geschichten aus der Stadt. Der Verlag Felix Bloch Erben vertritt sie als Autorin.

Noch keine Kommentare / Diskutieren Sie mit!

Wir freuen uns auf Ihre Kommentare. Da wir die Diskussionen moderieren, kann es sein, dass Kommentare nicht sofort erscheinen. Mehr zu den Diskussionsregeln erfahren Sie hier.

Kommentar erstellen

Bitte geben Sie Ihren Namen und Ihre E-Mail-Adresse an, um einen Kommentar zu verfassen.