
Ein Gespräch mit dem Theatermann Boris Schoemann «Der Text muss wie ein guter Wein verkostet werden»

Seit 23 Jahren leitet der gebürtige Franzose Boris Schoemann das kleine aber feine Teatro La Capilla in Mexiko-Stadt. Als Regisseur, Verleger und Übersetzer hat er entscheidend zur Verbreitung frankophoner Dramatik in Mexiko und ganz Lateinamerika beigetragen – und dabei ein Stück weit seine Muttersprache verlernt. Mit Frank Weigand sprach er über seinen Weg von der Wirtschaftsschule auf die Bühne, seine Abneigung gegen «tropikalisierende» Übersetzungen, prägende Begegnungen mit Autor*innen, seine Tätigkeit als übersetzender Regisseur und seinen Ärger über die aktuelle mexikanische Kulturpolitik.
Frank Weigand: Lieber Boris, du bist Schauspieler, Regisseur und Übersetzer und lebst seit 1989 in Mexiko. Geboren wurdest du aber 1964 in Frankreich. Wie bist du nach Mexiko und zum Theater gekommen?
Boris Schoemann: Ich habe schon in der Schule Theater gespielt. Ich wusste nicht genau, was ich später studieren wollte. Ich wollte einfach nach Paris, weil ich in einem kleinen Dorf auf dem Land aufgewachsen bin. In Paris besuchte ich eine internationale Handelsschule mit den Sprachen Französisch, Deutsch und Englisch. Dort habe ich gemerkt, dass Anzug und Krawatte nichts für mich sind.
An der Schule habe ich die Theatergruppe geleitet, und nach dem Abitur musste ich zum Militärdienst. Nachdem ich aus Gewissensgründen verweigert hatte, fand ich ein Theater in der Nähe von Paris, das mich als kaufmännischen Leiter, Spielplangestalter und für die Öffentlichkeitsarbeit einstellte. Das habe ich dann im Alter von 20 bis 24 Jahren gemacht. Es war wie eine Ausbildung in fast allen Bereichen des Theaters. Und nach fast fünf Jahren habe ich mir gesagt, ich kann nicht mein ganzes Leben in der Verwaltung bleiben und habe mich um ein Auslandsstipendium beworben. Ich kontaktierte eine Universität in Xalapa, Mexiko, und bekam das Stipendium. Dann gab es noch ein zweites, und nach 20 Monaten habe ich beschlossen, für immer in Mexiko zu bleiben, weil es mir dort so gut gefallen hat. Ich hatte keine Lust, nach Frankreich zurückzukehren, und ich muss sagen, jedes Mal, wenn ich heute nach Frankreich fahre, bestätigt mir das, dass ich damals die richtige Entscheidung getroffen habe.
Als ich nach Mexiko kam, war ich noch in der Schauspielausbildung und hatte gerade angefangen, Regie zu führen. In Xalapa wollte ich an der Theaterfakultät studieren. Als ich dort ankam, sah ich einen Klassiker, der mich nicht überzeugte, also schlug ich vor, statt Schauspiel zu studieren, eine Inszenierung mit den Studenten zu machen, die fast alle älter waren als ich. Ich inszenierte mit ihnen Fassbinders «Das Café» nach Goldoni. Das hat sich schnell herumgesprochen, und bald fragten mehrere Gruppen an, ob ich auch für sie inszenieren würde. Kurz darauf bekam ich mein erstes freies Theater in Xalapa, der Hauptstadt des Bundesstaates Veracruz, wo ich fast zehn Jahre geblieben bin, aber gleichzeitig wollte ich auch in anderen Städten inszenieren. Man kann also sagen, dass Mexiko mich sehr gut aufgenommen hat.

Seit vielen Jahren übersetzt du französische und französischsprachige Theatertexte ins mexikanische Spanisch – oft auch für deine eigenen Inszenierungen. Wie bist du zum Übersetzen gekommen?
Ich habe mich von Anfang an gefragt: Was kann ich hier in Mexiko beitragen? Alle haben mich nach ausländischen Texten gefragt, das hat sie viel mehr interessiert, als wenn ich die x-te Inszenierung von Klassikern oder aktuellen mexikanischen Texten gemacht hätte. Also habe ich von den europäischen Autoren erzählt, die ich kannte. Ich übersetzte Dario Fo, Heiner Müller, Harald Müller, Koltès, Copi, … Am Anfang vor allem für meine eigenen Inszenierungen.
Ich habe also nicht angefangen zu übersetzen, um einen Vollzeitjob daraus zu machen. Es ist keineswegs meine Haupttätigkeit und ich kann auch nicht davon leben. Ich habe immer Übersetzungen gemacht, weil es mir unglaublich viel Spaß macht, mich auch mit Sprache und Literatur zu beschäftigen und nicht nur auf der Bühne zu stehen. Es sind ganz besondere Momente für mich, wenn ich übersetze, und ich tue es, um Texte bekannt zu machen, die mir gefallen, in die ich mich verliebt habe, als ich sie zum ersten Mal gelesen habe. Ich habe viele zeitgenössische Autoren hier in Mexiko bekannt gemacht, wie ein «Passeur», ein «Schleuser», wie mich ein Journalist aus Quebec einmal genannt hat.
Und vor allem lerne ich gerne die Autoren kennen, mit denen ich zusammenarbeite. Seit 1999 hatte ich mehrere Übersetzungsresidenzen in Quebec und habe mich mit vielen Autoren angefreundet, die ich übersetzt habe, wie Daniel Danis, Louise Bombardier, Michel Marc Bouchard, Jasmine Dubé oder Larry Tremblay. Sie alle sind später nach Mexiko gekommen, weil ich angefangen habe, dort die Woche der internationalen Dramatik zu organisieren. Leider habe ich nicht genug Zeit, um noch mehr zu übersetzen.
Ich habe viele Texte in der Schublade, die ich gerne übersetzen würde, aber in letzter Zeit übersetze ich nur noch einen pro Jahr, um wenigstens ein bisschen aktiv zu bleiben und ab und zu einen neuen Text zu inszenieren. Inzwischen werde ich auch immer wieder angefragt, um andere Stücke zu übersetzen, die ich nicht unbedingt inszeniere. Es ist toll zu sehen, wie sich so etwas verbreitet, wie diese Übersetzungen dann von anderen Kollegen in anderen Städten Mexikos und sogar in anderen lateinamerikanischen Ländern inszeniert werden.
Mir ist es wichtig, dass Texte zirkulieren können. Der Verlag, den ich in unserem Theater gegründet habe, das ich seit 23 Jahren leite, hat mir dabei sehr geholfen, denn ich habe festgestellt, dass veröffentlichte Texte viel öfter gespielt werden als unveröffentlichte. In Mexiko werden sehr wenige Bücher gekauft, aber die Texte zirkulieren trotzdem. Und zwar immer mehr in Form von PDF-Dateien, ein bisschen wie Raubkopien, aber gut, Hauptsache, sie zirkulieren irgendwie.

Jedes Land hat seine eigene Theaterkultur, so dass wir bei der Übersetzung von Stücken immer mehr oder weniger Anpassungen an die Gewohnheiten der Zielkultur vornehmen. Ich nehme zum Beispiel oft ein bisschen Pathos raus, wenn ich Texte aus Frankreich oder Quebec ins Deutsche übersetze. Nimmst du Änderungen für das mexikanische Publikum vor – und wenn ja, welche?
Das ist überhaupt nicht mein Ansatz. Denn wenn ich Stücke inszeniere, die aus anderen Kulturen kommen und eine andere poetische und dramaturgische Sprache haben, interessiert es mich, dem Publikum nicht nur das zu geben, was es gewohnt ist. Es ist viel interessanter, ihnen etwas anderes zu zeigen, als wenn man die Texte an den hiesigen Geschmack anpassen muss, nur damit die Leute sie besser verstehen.
In Mexiko gibt es die Tradition, ausländische Texte zu «tropikalisieren». Viele Übersetzer machen das, und ich habe ein Problem mit diesen Übersetzungen. Wenn ein Stück im Schnee spielt, muss es im Schnee bleiben, auch hier in Mexiko, jeder wird die Metapher verstehen, das ist schließlich die Grundlage des Theaters. Für mich sind das absolut universelle Texte, auch wenn sie in einer anderen Geographie spielen, in einem anderen sozioökonomischen und kulturellen Kontext.
Deshalb übersetze ich die Texte – auch wenn sie von Algeriern in Frankreich handeln, wie «Le Retour au désert» von Koltès, oder zum Beispiel von Klassismus und Rassismus in Belgien – einfach so, wie sie sind, weil ich glaube, dass sie die Leute hier in eine andere Atmosphäre versetzen. Das Publikum versteht sehr gut, dass es um die gleichen Probleme geht, die es jeden Tag bei sich zu Hause sieht. Und das ist es, was mich interessiert: Poetiken und Geschichten aus anderen Ländern bekannt zu machen, die das mexikanische Publikum genauso berühren oder interessieren können wie das Publikum aus anderen Ländern. Damit widersetze ich mich ein wenig dieser Tendenz in der Übersetzung, alles zu adaptieren und den Text in einem lokalen Kontext zu erklären. Ich denke, das ist überhaupt nicht nötig, wenn der Text gut ist.

Welcher Text war für dich die prägendste Übersetzungserfahrung und warum?
Ich glaube, die Texte von Daniel Danis haben mich zu einem ganz anderen Übersetzer gemacht, denn seine Poesie zwingt einen dazu, selbst Dichter zu werden. Eigentlich liegt mir das Erfinden von Wörtern und Bildern nicht besonders, und erst als ich Daniel kennenlernte und wir Freunde wurden, konnte ich seine Art zu schreiben verstehen. Jedes Mal, wenn ich Daniel Danis übersetze, spreche ich danach mindestens einen Monat lang «poetisch», und das finde ich großartig. Koltès zu übersetzen war natürlich auch ein großer Moment. Dabei habe ich mich gefragt, ob es Sinn macht, hier in Mexiko über den Algerienkrieg zu sprechen. Schließlich war das etwas, wovon die Leute so gut wie nie gehört haben und was sie eigentlich nicht interessieren sollte. Aber das Schöne ist, dass das Stück auch noch von etwas anderem handelt: eine «Rückkehr» ist etwas Universelles.
Als ich «Bintou» von Koffi Kwahulé übersetzt habe, habe ich mir viele Fragen gestellt, denn wie übersetzt man afrikanische Ausdrücke ins Spanische? Ich habe dann beschlossen, die Seltsamkeit dieser Ausdrücke zu zeigen, wenn man sie auf Französisch liest. Durch meine Übersetzung ins Spanische wollte ich sie nicht leichter verdaulich machen, denn ich finde, dass sie so schön und so seltsam sind, dass sie im Gedächtnis bleiben. Das Publikum nimmt sie in sich auf. Es gibt noch eine Menge andere Autoren. Jeder hat seine eigene spezifische Problematik. Der Humor von Michel Marc Bouchard, die Phonetik von Jasmine Dubé, die Wortspiele von Luc Tartar, die verstiegene Abgedrehtheit von Larry Tremblay – genau das zieht mich an: die Tatsache, dass sich ihre Poetiken vollkommen unterscheiden.
Ich bin auch ein bisschen mein eigener Dramaturg, wenn ich diese Stücke inszeniere, denn ich erkläre meinen Schauspielern den Kontext und den Subtext. Natürlich ist eine Übersetzung erst fertig, wenn sie gesprochen wird. Und meistens muss man dann noch vieles anpassen. Den Rhythmus der Sätze, die Stellung der Verben und Adjektive usw. Es gibt Dinge, die man wirklich mit den Schauspielern überarbeiten muss. Der Text muss wie ein guter Wein verkostet werden.

Unterscheidet sich diese französischsprachige Dramatik sehr von der in Mexiko? Willst du mit deinen Übersetzungen einen Mangel ausgleichen?
Ja, das stimmt. Außerdem haben viele mexikanische Autoren die Stücke von Michel Marc Bouchard und Daniel Danis als sehr inspirierend empfunden und waren sehr froh, diesen Input zu bekommen. Man kann nicht sagen, dass es einen typisch mexikanischen Dramatikstil gibt, aber ich fände es ziemlich beschränkt, die Feminizide und all die anderen Themen, die hier in Mexiko sehr präsent sind, nur aus mexikanischer Sicht zu betrachten. Es gibt eine belgische Autorin, die ich sehr schätze: Céline Delbeq. Ich habe sie zweimal nach Mexiko eingeladen, und in einem ihrer Stücke geht es um Feminizide, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Text für Mexiko.
Du lebst seit mehreren Jahrzehnten in Mexiko und hast seit langem die mexikanische Staatsbürgerschaft. Würdest du auch «in die andere Richtung» übersetzen, d. h. zeitgenössische mexikanische Dramen ins Französische?
Ja, aber nicht aus einer kolonialistischen Perspektive! Oder um die lokale Dramatik abzuwerten, die sich in den letzten 25 Jahren enorm entwickelt hat. Ich schicke ja auch mexikanische Autorinnen und Autoren auf die Reise. Zuletzt Maribel Carrasco, die viel von den Autorinnen aus Québec gelernt hat. Als ich mit der Uraufführung von «Los cuervos no se peinan» beim Festival Les Coups de Théâtre in Montreal zu Gast war, schlug mir Jasmine Dubé vor, das Stück gemeinsam ins Französische zu übersetzen, um es mit ihrer Kompanie auf die Bühne zu bringen. Die Produktion ist dann fünf Jahre lang getourt.
Ansonsten habe ich unter anderem mehrere Stücke von Luis Enrique Gutiérrez Ortiz Monasterio übersetzt, einem wunderbaren mexikanischen Autor, der in Paris bei Le miroir qui fume erschienen ist. Auch «Le ciel dans la peau» von Edgar Chías, ein sehr wichtiger Text über Gewalt und Feminizide, der in Frankreich sehr gut ankam. Ich habe auch andere Autoren übersetzt. Ich finde es wichtig – und schwierig – auch in diese Richtung zu übersetzen. Das habe ich viel weniger gemacht. Ich habe nicht allzu viele Absatzmöglichkeiten in Frankreich, weil ich meine beruflichen Brücken zum Mutterland praktisch abgebrochen habe, mit Quebec ist es genau umgekehrt, da habe ich sehr viele Kontakte. Sobald ich ins Französische übersetze, muss ich allerdings meinen Vater anrufen, der mir bei der Korrektur meiner Übersetzungen immer sehr geholfen hat.

Welche Sprache ist dir nach 35 Jahren im Ausland näher, das Spanische oder das Französische?
Spanisch spreche ich viel «fließender» als Französisch. Im Französischen habe ich natürlich keine Verständnisprobleme, aber ich habe einige Automatismen verloren, weil ich es nicht jeden Tag benutze, da ich mich in Mexiko überhaupt nicht in einem französischen Umfeld bewege. In einigen Situationen denke ich noch automatisch auf Französisch, zum Beispiel wenn ich im Straßenverkehr jemanden beschimpfe, dann kommt das unwillkürlich auf Französisch raus. Oder beim Kopfrechnen. Aber ich merke wirklich, dass ich eine sprachliche Qualität und Finesse verloren habe. Außerdem hat sich mein Französisch nicht wirklich weiterentwickelt. Wenn ich in Frankreich bin und bestimmte aktuelle Ausdrücke höre, muss ich nachfragen, was sie bedeuten. Ich muss Leute aus anderen Generationen fragen. Natürlich hat sich mein Französisch nicht so entwickelt wie mein Spanisch.

Im Vergleich zu anderen Ländern, in denen die Kultur hoch subventioniert wird, ist die Situation für Theater in Mexiko viel prekärer. Wie hast du es geschafft, dein Theater, das Teatro La Capilla, fast 25 Jahre lang am Leben zu erhalten?
Die derzeitige Regierung hat eine gewisse Verachtung für Intellektuelle, Künstler und eine Kultur, die sie als elitär betrachtet. Sie hat eine viel populistischere Vision von Kultur, die einer Kultur, die für alle da sein soll, was eigentlich eine sehr gute Idee ist, aber sie haben nicht wirklich viel dafür getan, vor allem, weil sie viele öffentliche Gelder für die künstlerische Produktion gekürzt haben, so dass wir als einzige Option die Steuerspenden von Privatunternehmen haben… Das ist ziemlich enttäuschend, denn ich habe für sie gestimmt, damit es eine Veränderung gibt, eine Öffnung und eine Unterstützung für einen großen Teil der Bevölkerung, der traditionell von der Kultur vergessen wurde. Ich weiß nicht, ob ich das Theater noch lange halten kann. Ich versuche gerade, eine neue künstlerische Leitung zu finden, Leute aus einer jüngeren Generation, aber das hängt auch davon ab, welche Finanzierungsmöglichkeiten für unabhängiges Theater es unter der nächsten Regierung geben wird.
Die vielen Aktivitäten seit 2004 konnten wir nur durch México en Escena finanzieren, das einzige mittel- und langfristige Förderprogramm in Mexiko, das es mir ermöglicht hat, für zwei oder drei Jahre eine Förderung für das Teatro La Capilla im Namen meiner Kompanie zu bekommen. Das hatte zur Folge, dass die Kompanie keinen Zugang mehr zu anderen Förderungen hatte, denn alles, was ich für die Kompanie bekam, ging für die Finanzierung des Theaters drauf. So konnte ich die zwei Säle, die täglich bespielt werden, mehr schlecht als recht betreiben. Ich konnte Gastspiele einladen, Koproduktionen machen, Verlagsarbeit und Ausbildung betreiben. Und seit es diese neue Kulturpolitik gibt, haben sie festgelegt, dass man zweimal hintereinander gefördert werden kann und dann zwei Jahre ohne Förderung auskommen muss, was für ein Theater und seine Kontinuität völlig absurd ist. Sie verstehen nicht, wie fundamental wichtig unabhängige Orte für die junge Generation sind, die dort ihre Arbeiten zeigen kann, bevor sie irgendwann zu den Staatstheatern (hier sagt man «den institutionellen Theatern») kommt, die auch immer weniger Mittel haben, und deshalb brauchen sie unabhängige Orte wie uns, die nicht auf Profit basieren wie die Privattheater.
Früher haben die UNAM (Nationale Autonome Universität von Mexiko) und das INBAL (Nationales Institut für Kunst und Literatur) viele Stücke finanziert, aber jetzt sind ihre Budgets stark gekürzt worden. Das neue Modell ist das kommerzielle Theater, bei dem du ein Unternehmen finden musst, das dir seine Steuern spendet. Man muss sich also bei den Firmen bewerben und dann Mainstream-Komödien mit bekannten Schauspielern inszenieren, und das ist überhaupt nicht mein Ding. Ich habe es geschafft, Produktionsgelder aufzutreiben, um «L’Illusion divine» zu inszenieren, weil es ein Stück von Michel Marc Bouchard war und ich bekannte Schauspieler dabei hatte. Ich habe noch zwei, drei andere Sachen gemacht, aber in letzter Zeit ist es sehr schwierig.
Unsere Subventionen laufen im November aus und ich weiß wirklich nicht, was danach passieren wird. Wir könnten versuchen, das Theater mit wenig oder gar keinem Geld am Leben zu erhalten, so wie ich es vor 25 Jahren getan habe, als ich die Leitung übernommen habe, aber das ist eine sehr ungewisse Zukunft. Deshalb möchte ich die künstlerische Leitung so schnell wie möglich abgeben, aber auf organisierte Weise. Ich versuche also, über diesen Übergang nachzudenken. Ich möchte auch andere Dinge tun. Übersetzen, spielen, reisen… La Capilla ist ein Ort, den ich liebe, es ist wunderbar, seit so langer Zeit einen so besonderes Haus zu haben, aber es wäre schön, wenn eine oder mehrere Personen mit frischer Energie kommen würden, um den künstlerischen Diskurs und die Funktionsweise dieses Theaters zu erneuern, das immerhin schon 71 Jahre alt ist und immer noch privat ist (jeden Monat muss die Miete bezahlt werden…).
Was hast du für dein Leben nach La Capilla geplant?
Ich werde sowieso nie eine Rente bekommen. Also muss ich so lange wie möglich arbeiten. Ich werde ab und zu Regie führen, Unterricht geben, weil es mir Spaß macht zu unterrichten, und vor allem zu Castings gehen, weil das vielleicht eine Möglichkeit ist, vernünftig meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Je mehr Zeit ich habe, desto mehr Filme und Serien kann ich machen. Was man beim Fernsehen und beim Film verdienen kann, ist eine ganz andere Nummer als beim Theater. Hier wird man nicht für die Proben bezahlt und oft ist man auch sein eigener Produzent. Und ich habe gemerkt, dass es mir sehr viel Spaß macht, im Fernsehen und im Kino zu spielen. Ich lerne etwas Neues und komme aus meiner Komfortzone heraus. Es ist auch entspannend für mich, weil ich als Schauspieler nicht ein ganzes Haus auf meinem Rücken tragen muss. Und wenn ich mehr Zeit habe, kann ich mehr übersetzen und vielleicht eines Tages davon leben.
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Boris Schoemann ist Regisseur, Schauspieler, Übersetzer und Theaterpädagoge, geboren 1964 in Frankreich. Seit 1989 lebt und arbeitet er beruflich in Mexiko, wo er eingebürgert wurde.
Im Jahr 2000 gründete er die Compagnie Los Endebles und ist seitdem künstlerischer Leiter des Teatro La Capilla in Mexiko-Stadt und des Verlags Los Textos de La Capilla Segunda Época, der mehr als 110 Bücher veröffentlicht hat. Er übersetzt und inszeniert Stücke zeitgenössischer mexikanischer, französischer und kanadischer Dramatiker und überträgt Texte mexikanischer Autoren ins Französische.
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