Ein Gespräch mit der Verlagsleiterin Helen Zellweger Über den Graben zwischen E und U
Ein Theaterverlag nur für Komödien – und noch dazu in deutscher Sprache? Was auf den ersten Blick nicht unbedingt wie ein vielversprechendes Businessmodell aussieht, ist seit nunmehr 10 Jahren der erfolgreiche Lebensinhalt von Helen Zellweger. In Wien leitet die Schauspielerin und Übersetzerin den Verlag Schultz & Schirm. Im interview mit Frank Weigand spricht sie über historisch bedingte Vorbehalte gegen das Genre Komödie, seinen unglaublichen Reichtum, die Schwierigkeiten bei der Übertragung von Humor, allzu zaghafte Übersetzer*innen und darüber, was im angelsächsischen Raum traditionell besser gemacht wird.
Frank Weigand: Liebe Helen, du leitest seit 2014 den Bühnenverlag Schultz & Schirm, der sich auf Komödien spezialisiert hat. Das sind jetzt genau 10 Jahre. Wie kam es zu dieser Gründung?
Helen Zellweger: Ich hatte damals immer wieder mit dem Gedanken gespielt, einen Bühnenverlag zu gründen. Mir war aber völlig klar, dass das ohne Zugpferd, ohne Subventionen einfach ein Ding der Unmöglichkeit ist. Dann lernte ich den Komiker, Autor, Regisseur und Theaterleiter Michael Niavarani kennen, der gerade anfing, Stücke zu schreiben. Und er wollte seine Texte im eigenen Verlag haben, damit er die Verwertung selber steuern kann. Das hat sich zeitlich gut getroffen. Da die Komödie seine Kompetenz ist, war klar, dass wir einen Komödien-Verlag gründen. Und ich habe auch gemerkt, wie wichtig es ist, ein klares Profil zu haben.
Im deutschen Sprachraum gibt es viele Vorbehalte der Komödie gegenüber. Diese Vorbehalte waren aber auch ein Motor für die Gründung. Wir wollten eine Brücke schlagen über den Graben zwischen E und U, der bei uns tief ist, in anderen Ländern aber weniger. Auch in der Komödie kann man kritisch, aktuell und politisch sein. Nicht nur in einem postdramatischen, einem ernsten oder harten Text. Im Gegenteil, ich glaube, dass man manche Themen durch die Komödie subtil und subversiv besser an die Leute bringt.
Ein weiterer Motor war die Nachwuchsförderung, weil wir gemerkt haben, im deutschsprachigen Raum beherrschen nicht viele Autor*innen das komische Schreiben. Wir wollten gerne eine Komödien-Schreibwerkstatt betreiben, Autor*innen mindestens ein Jahr lang bei der Entwicklung eines Stücks begleiten. Die ersten Schritte hatten wir mit unserem Projekt Aristophanes und dem Stipendium für Komödienübersetzung auch unternommen, bis uns die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
Man sagt ja immer, die Deutschen seien nicht in der Lage, gute Komödien zu schreiben, da Humor nicht wirklich ihre Sache ist. In Österreich hingegen gibt es eine literarisch-satirische Tradition, die auch bis heute nicht abgerissen ist. Stammen eure deutschsprachigen Autor*innen in der Hauptsache aus Österreich, oder ist das ein Klischee?
Ich glaube, da ist der österreichische «Schmäh» gemeint, das beliebte Spiel mit Doppelbödigkeit. Weiter im Norden wird alles wörtlich genommen, was oft zu Missverständnissen führt. Ich kann das Klischee dennoch nicht zur Gänze bestätigen. Ungefähr zwei Drittel sind aus Österreich, etwa ein Viertel Deutsche, und dann ein kleiner Anteil Schweizer Autor*innen. Die fremdsprachlichen und deutschsprachigen Autoren halten sich ungefähr die Waage.
In Österreich gibt es tatsächlich einerseits diese kritisch-satirische Tradition à la Karl Kraus, aber auch eine starke jüdisch-kabarettistische. In der Zwischenkriegszeit gab es viele erfolgreiche jüdische Autor*innen, die dann später getötet wurden, oder, wenn sie Glück hatten, emigrieren konnten oder flohen. Ganz wenige sind zurückgekommen.
Was in Österreich hinzukommt: Wir machen zahlenmäßig gerade ein Zehntel der deutschsprachigen Bevölkerung in Europa aus und es gibt viele Minderheitensprachen. Diese Reibung zwischen unterschiedlichen Sprachen erzeugt eine größere Verspieltheit. Das konnte man z. B. beim Gastlandauftritt bei der Leipziger Buchmesse 2023 sehen.
Gibt es einen Grund, dass Komödie im deutschsprachigen Raum schlechter angesehen ist als im Ausland?
Ich habe meine ganz private Theorie: Im Nachkriegsdeutschland musste systematisch verdrängt, weggedrückt, verschwiegen werden, weil viele Nazis Richter, Ärzte, und Politiker wurden, das System wäre sonst aus Mangel an Personal zusammengebrochen. Ich glaube, in einer Gesellschaft des kollektiven Beschweigens ist es schwierig, subversiv, kritisch und subtil komisch zu sein. Dadurch entstand in den 50ern und 60ern hauptsächlich leichter Boulevard, was diesen oben angesprochenen Graben zwischen E und U tiefer und tiefer werden ließ. Durch den zweiten Weltkrieg ist im deutschsprachigen Raum viel Humorfähigkeit abhandengekommen. Die Komödienlandschaft in den sogenannten Siegerstaaten war unbeschwerter. Gerade sterben die letzten Zeitzeugen. Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, in der sich eine Veränderung im Zugang zur Komödie anbahnt?
Du bist ausgebildete Schauspielerin und auch studierte Translationswissenschaftlerin. Inwieweit hilft dir dieses gleichermaßen praktische wie theoretische Fundament bei deiner Arbeit?
Sehr. Ohne diese Kombination hätte ich wahrscheinlich nicht gegründet. In meiner Doktorarbeit im Bereich der Translationswissenschaft habe ich meine Schauspielerfahrung mit der Theorie verknüpft. Damals kam ich grad vom Burgtheater und konnte so empirisch über den Umgang mit Übersetzungen im Theateralltag forschen.
Die Übersetzungserfahrung und die Praxis als Schauspielerin helfen mir dabei, einzuschätzen: Kann dieser Text über- und umgesetzt werden? Übrigens wäre es bei der Inszenierung einer Übersetzung wichtig, bei aufkommenden Fragen die Übersetzerin oder den Übersetzer einzubinden.
Wie stark arbeitest du als Verlag direkt mit den Theatern zusammen?
Das kommt drauf an. Bei den Theatern von Michael Niavarani sehr, das geht manchmal bis in die Dramaturgie.
Alle anderen Theater fordere ich bei gewissen Komödien explizit dazu auf, sich den Text – stärker als man es sonst tun würde – anzueignen. Den Text in den eigenen Regiolekt, in die eigene politische Situation zu holen, weil die Komödie unmittelbar verstanden werden muss. Lachen ist eine spontane Reaktion, sie muss mit dem schnellen Denken erfasst werden – im Gegensatz zum langsamen Denken, wie Kahnemann es nennt. Ich kann mich natürlich schon wie bei einem ernsten Stück nachher hinsetzen und überlegen: Warte mal, da war ja noch diese und diese Meta-Ebene, und dort ist eine versteckte Kritik. Aber dies geschieht erst nach dem ersten Eindruck, dem ersten Lachen.
Wer sind denn die Hauptabnehmer Eurer Texte? Nur Privattheater, oder werden sie auch am Staats- oder Stadttheater gespielt?
Die Zusammenarbeit mit Staatstheatern beginnt erst. Aber das kann ja noch werden. Ich habe manchmal den Eindruck, dass manche Dramaturg*innen unter dem Wort «Komödie» beinahe ausschließlich Boulevardkomödie verstehen und dann sagen: «Brauchen wir nicht. Wir haben einen Molière auf dem Spielplan oder einen Shakespeare. Das reicht.» Dadurch kommen aber viele richtig schöne Komödien, die für Privattheater zu schwarz sind, zu aufwühlend, sprachlich zu experimentell, zu poetisch oder zu kritisch, nicht zum Zug. Stadttheater sind da offener. Die brauchen Komödien, um das Publikum überhaupt in den Zuschauerraum zu bringen.
Die fehlende Offenheit schmerzt mich. Auf der Tagung der Dramaturgischen Gesellschaft waren einige Autor*innen der neu gegründeten VTheA. Die haben berichtet, dass sie auch auf solche Widerstände treffen: Sobald auf der Titelseite steht «Eine Komödie», wird der Text schon nicht mehr so ernst genommen. Es gibt aber Publikumsumfragen, die ganz eindeutig sagen: Ich möchte Anregung – und Ablenkung. Manche Dramaturg*innen programmieren quasi gegen den Wunsch der Menschen. Weil man einen Bildungsauftrag habe und angeblich Bildung und Unterhaltung nicht Hand in Hand gehen?
Welche Stücke oder Autor*innen sind denn exemplarisch für eurer Verlagsprogramm? Könntest Du ein paar Namen, Texte und thematische Ausrichtungen nennen?
Einerseits gibt es diese ganz kleine Besetzung mit ein, zwei, drei Personen, die auch gerade für die kleineren Häuser oder Nebenspielstätten funktionieren. Beim Fringe Festival in Edinburgh habe ich zum Beispiel «Das ist keine Bank» von Keir McAllister entdeckt und gemeinsam mit Joachim Brandl übersetzt, wo es um Trauer und verdrängte Homosexualität geht. Ein französisches Zweipersonenstück, das du übersetzt hast und das gerne gespielt wird, ist «Das letzte Mal» von Emmanuel Robert-Espalieu. Ein besonderes Stück ist auch «Einer von denen», übersetzt von Helena Scheuba, geschrieben von Charlie Josephine, einem britischen Autor, der trans* ist. Ein Stück über Geschlechtsidentität, wo eine non-binäre Figur auf der Bühne steht. Schwierig für Privattheater, aber es wäre ein wichtiges Thema für Stadt- oder Staatstheater.
Dann gibt es auch das mehr oder weniger politische Boulevardstück. Ein gutes Beispiel dafür ist «Manche mögen’s voll verschleiert», das Michael Niavarani nach dem Film «Cherchez la femme» der iranischen Filmemacherin Sou Abadi verfasst hat. Darin geht es um die Unterdrückung der Frau in islamischen Gesellschaften, und zwar in einer Verwechslungskomödie nach dem Vorbild von Billy Wilder. In Frankreich war der Film ein Riesenerfolg. Sou Abadi, die eigentlich aus dem Dokumentarfilm kommt, hat übrigens das Thema bewusst in eine Komödie gepackt, um möglichst viele Menschen zu erreichen.
In «Project S.T.R.I.P.» des indischen Autors Ram Ganesh Kamatham geht es um Kolonialismus und die Ausbeutung von indigenen Völkern durch multinationale Konzerne. Das ist etwas, was nie im Leben an einem Privattheater gespielt würde, es ist viel zu krass, gleichzeitig ist es aber eine Slapstickkomödie.
Und dann gibt es noch Bearbeitungen, Übersetzungen von Klassikern, zum Beispiel die Stücke von Aphra Behn aus dem 17. Jahrhundert, die Tobias Schwartz übersetzt hat. Und natürlich viele mehr. Ich komme richtig ins Schwärmen, weil ich die Stücke so mag.
Humor ist ja häufig eine kulturspezifische Sache. Es ist also eine übersetzerische Herausforderung, Texte aus einer anderen Sprache für euer Programm übersetzen zu lassen. Was spricht dafür, dieses Risiko einzugehen, und was dagegen?
Ein Beispiel, bei dem leider zu viel dagegenspricht: Das jüngste Stück von Ram Ganesh Kamatham. Es ist witzig geschrieben, er beherrscht sein Komödien-Handwerk einfach richtig gut. Aber er spielt unter anderem mit indischen Epen. Ich kann hier einfach die Codes nicht entschlüsseln, verstehe die Anspielungen und die Meta-Ebene nicht – vor allem, und das ist essentiell, verstehe ich die intendierte Aussage nicht. Letztendlich habe ich ihm schweren Herzens abgesagt, weil es zu viel Übertragungsbedarf gäbe. Bei ernsten Stücken kann ich erklärend eingreifen, aber in der Komödie muss ich den Kontext instantan erfassen, damit ich lachen kann.
Für das Risiko sprechen universelle Themen, die für unsere Gesellschaft von Bedeutung sind. Ob man das Stück in der Ursprungskultur belässt oder transponiert, hängt von verschiedenen Dingen ab. Die «französische Komödie» zum Beispiel ist bei uns inzwischen ein eigenes Genre und wird gerne mit französischen Markern versehen: Merci, Bonjour, französische Namen. Andere Stücke wiederum «neutralisieren» wir bewusst, damit sie leichter verstanden werden.
Als Verlagsleiterin lektorierst du ja auch Übersetzungen. Was macht für dich eine gelungene Komödienübersetzung aus?
Grundsätzlich finde ich für manche Texte Tandem-Übersetzungen hilfreich. Die Übersetzung von Humor ist schwierig, weil so viel mit Anspielungen gearbeitet wird, weil man sich gut im gesellschaftlichen Diskurs auskennen muss, um den Text vollkommen zu durchdringen. Wenn etwas zum Beispiel auf der ersten Sprachebene schon einmal witzig ist, und ich glaube, ich habe den Witz bereits erfasst, ich aber die eigentliche Anspielung nicht verstehe, geht mir die Doppelbödigkeit verloren. Jemand, der solche Dinge aus der Muttersprache heraus erklären kann, könnte dabei helfen.
Weitere Kriterien für eine gelungene Übersetzung sind der Rhythmus, passende Alliterationen, Wortspiele. Franzosen z. B. lieben Homonyme – die leider oft nur schwer übertragbar sind. Hier verliere ich etwas in der deutschen Sprache. Gleichzeitig haben wir z. B. zusammengesetzte Hauptwörter, mit denen man wunderbare Dinge erzeugen kann.
Stark verknappt ist eine gute Komödienübersetzung eine Übersetzung, in der gleich viel gelacht wird wie im Original. Das braucht eine große Flexibilität, einen großen Mut und eine Herangehensweise, die bei uns eher nicht unterrichtet wird.
Ich erlebe, dass Übersetzer*innen sich nicht trauen, sich weiter als sonst vom Original zu entfernen, um dem Text treu zu bleiben. So gehen Witze verloren, werden aber an anderer Stelle nicht ersetzt, und so verliert das Stück an Esprit. Hilfreich könnte sein, dass man sich am Ende einmal mit einer Komikerin, einem Comedian hinsetzt und sagt: «An dieser Stelle war ein Witz, der verloren ging. Was können wir denn da machen?»
Autoren, die übersetzen, trauen sich meist mehr. Denen wird auch zugesprochen, dass sie mehr verändern dürfen.
Nun, wo ihr die ersten 10 Jahre als Theaterverlag erfolgreich überstanden habt – was sind denn eure Pläne für die nächsten 10 Jahre?
Nach 10 Jahren haben wir nun einen Grundstock an zeitlosen Stücken, auf dem wir gut aufbauen können. Ich liebe es, zum Beispiel beim Fringe Festival in Edinburgh nach Nachwuchs zu suchen. Dann würde ich gerne das Mentoring von Übersetzer*innen und deutschsprachigen Autor*innen wieder aufnehmen. Aber dafür bräuchte ich zusätzliche Ressourcen oder eine Institution als Partnerin.
Außerdem baue ich nach und nach Kontakte in den englischsprachigen Raum auf, wo wir Projekte entwickeln bzw. Stücke von uns übertragen werden sollen – etwas, was sonst nur selten stattfindet. Das Fantastische dort ist, dass auch eine erfolgreiche Produktion eines kleinen Theaters mit 300 Plätzen ans West End transferiert wird. Eine gelungene Produktion, ein guter Text hat Chancen, egal, ob vom National Theatre oder vom kleinen Theater aus der Provinz. Da gibt es keine Angst davor, mal einen Publikumshit zu landen, Geld zu verdienen. An subventionierten Häusern im deutschen Sprachraum ist dieses Interesse nicht zwingend, weil sie ohnehin verhältnismäßig hoch subventioniert sind.
Die Herausforderung, Komödie zu fördern und neue Talente und Texte zu entdecken, bleibt, denn die Komödie lebt erst im Dialog mit dem Publikum. Vor der Premiere weiß niemand, ob und wo gelacht wird, ob es ein Flop wird oder gut ankommt. Erst im Dialog mit den Zuschauern ist die Komödie vollkommen. Und daher gefällt sie mir auch so gut.
Helen Zellweger zog es schon als Kind auf die Bühne und vor die Kamera, erst als Tänzerin, später als Schauspielerin. Im zweiten Bildungsweg studierte sie Translationswissenschaften und schrieb ihre Dissertation im Bereich Bühnenübersetzung, um ihre beiden Schwerpunkte miteinander zu verknüpfen.
Gemeinsam mit Georg Hoanzl und Michael Niavarani gründete Helen Zellweger den Schultz & Schirm Bühnenverlag und leitet diesen seit mittlerweile zehn Jahren. Der Fokus liegt auf satirischen Stoffen und Komödien aller Art, ergänzt durch ausgewählte Buchpublikationen.
Website des Verlags Schultz & Schirm
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