Ein Gespräch mit SR kultur-Hörspielchefin Anette Kührmeyer «Sprache ist im Hörspiel ein ganz wesentliches Element»

Inka Löwendorff und Martin Engler in der Live-Hörspielfassung von Sébastien Davids «Goldmädchen», Primeurs 2022 (Foto: SR/Oliver Dietze)

Am kommenden Mittwoch, dem 20.11., beginnt die 18. Ausgabe des Saarbrücker Festivals «Primeurs», das vier Tage lang frisch übersetzte frankophone Dramatik in Werkstattinszenierungen präsentiert. Mitbegründerin und nach wie vor Mitkuratorin des Festivals, dem zahlreiche wichtige zeitgenössische Dramatiker*innen den Sprung auf deutschsprachige Theaterbühnen verdanken, ist Anette Kührmeyer, die Hörspielchefin von SR kultur. Im Interview mit Frank Weigand spricht sie über die Gründung von «Primeurs» im Jahr 2007, über das faszinierende Format des Live-Hörspiels, die besonderen Herausforderungen beim Übersetzen für den Hörfunk, die Schwierigkeiten frankophoner Dramatik in Deutschland und die Perspektiven für ihre Kunstform nach den ARD-internen Reformen.

 

Frank Weigand: Liebe Anette, vor beinahe einem Jahr, am 6.12.2023, wurde das Festival Primeurs mit dem Preis der Académie de Berlin ausgezeichnet, mit dem Projekte gewürdigt werden, «die auf ungewöhnliche Art und Weise zur Belebung und Vertiefung der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich beitragen», wie es in der offiziellen Pressemitteilung heißt. Du warst 2007 als Gründungsmitglied des Festivals dabei. Wer hatte damals die Idee für ein solches Festival – und wie wurde sie umgesetzt?

Anette Kührmeyer: Die Idee zu dem Festival stammt tatsächlich von mir. Als SR-Dramaturgin hatte ich schon einige Hörspiele auf der Basis von frankophonen Theaterstücken produziert und war gleichzeitig begeistert von der Möglichkeit des Live-Hörspiels – also eine Mischung aus Hörspiel und Theater. Nachdem ich bei der damaligen Leiterin des Saarbrücker Institut Français, Isabelle Berthet, auf Interesse mit der Idee stieß, gingen wir gemeinsam zu Dagmar Schlingmann, die damals, 2006, gerade zur neuen Intendantin des Saarländischen Staatstheaters (SST) berufen worden war.

Ich erinnere mich noch genau, wie Isabelle Berthet und ich in Dagmar Schlingmanns improvisiertem Büro auf einem roten Plüschsofa aus dem Fundus saßen und ein Festival vorschlugen, das mit deutschen und französischen Partnern neue zeitgenössische Dramatik aus dem frankophonen Sprachraum auf Deutsch vorstellen sollte – in szenischen Lesungen und einem Live-Hörspiel. Dagmar Schlingmann war spontan angetan von der Idee. Tatsächlich kam es schon bald zu einem Treffen mit der damaligen Chefdramaturgin des SST, Ursula Thinnes und ihrem Dramaturgie-Kollegen Holger Schröder. Sehr schnell sagte dann auch Frédéric Simon, damals der Leiter des Theaters «Le Carreau – Scène nationale de l’Est mosellan» im französischen Forbach die Beteiligung an dem Festival zu. Sowohl mit Frédéric Simon als auch mit Isabelle Berthet hatte ich vorher schon gemeinsame Veranstaltungen gemacht, ich kannte beide als kreative und verlässliche Partner, die auch das Radio schätzen, und das Leitungsteam des SST-Schauspiels, Ursula Thinnes und Holger Schröder, passte perfekt dazu – zum Glück, denn das Saarländische Staatstheater war und ist nach wie vor der wichtigste, der zentrale Partner des Festivals Primeurs.

Das Besondere an dem Festival ist auch: Alle vier Partner leisten einen Beitrag, je nach ihren Stärken und Möglichkeiten. Es gibt keinen gemeinsamen Topf, in den jeder einzahlt, sondern jeder Partner finanziert eigenständig seinen Anteil am Festival, wobei, wie schon gesagt, das SST der größte und leistungsstärkste Partner ist. Die inhaltlichen Entscheidungen aber werden überwiegend gemeinsam getroffen.

Das grundlegende Auswahlkriterium war und ist: Es werden nur Stücke vorgestellt, die vorher noch an keinem deutschsprachigen Theater inszeniert worden sind. Deswegen auch der Titel «Primeurs». Die meisten Leute denken bei dem Namen an Wein, das farbliche Erscheinungsbild des Festivals nimmt das seit einigen Jahren auf, bezieht sich aber höchstens auf diese Eigenschaften dieses jungen französischen Rotweins: «frisch», «neu», vielleicht auch «noch nicht ganz ausgereift». Denn was Primeurs im Wettbewerb vorstellt, das sind im Regelfall Werkstattinszenierungen und ein Live- Hörspiel, eben noch keine fertigen Inszenierungen – aber dieser Werkstatt-Charakter kann durchaus reizvoll sein.

 

(Ausschnitt aus der SR2-Hörspielproduktion «Hafen» von Mishka Lavigne, Regie: Anouschka Trocker)

Tanja Schleiff und Nico Holonics in der Live-Hörspielfassung von Mishka Lavignes «Hafen», Primeurs 2018 (Foto: SR/Oliver Dietze)

 

Wie muss man sich als Laie denn das Format eines Live-Hörspiels vorstellen? Das hat ja auch eine ganz bestimmte optische, ästhetische Qualität und eine ganz besondere Konzentration…

Das sind ganz besondere Momente: Da ist eine Atmosphäre im Saal, eine geschärfte Aufmerksamkeit, vermutlich durch das Bewusstsein: Es gibt noch viele Leute, die man nicht sieht, die aber auch zu Hause oder wo auch immer mithören, was hier passiert. Die Herausforderung für Anouschka Trocker, seit vielen Jahren die Regisseurin des Live-Hörspiels, ist, Möglichkeiten des Ausdrucks zu finden, die im Radio, also rein fürs Hören funktionieren, und gleichzeitig dem Publikum im Saal auch etwas für die Augen zu bieten. Sie entwirft für jedes Live-Hörspiel auch ein Licht-Konzept, zusätzlich zu dem, wie sich die akustischen, räumlichen Ebenen im Hörspiel auf der Bühne umsetzen lassen:

Da gibt es verschiedene Mikrofonpositionen, zwischen denen die Schauspieler wechseln, die wiederum dann verschiedene Akustiken erzeugen. Dazu haben wir immer Live-Musiker*innen auf der Bühne, die für das Hörspiel komponieren und am Live-Abend selbst auch spielen. Manchmal hatten wir auch Geräuschemacher*innen vor Ort, manchmal haben die Musiker*innen die Geräusche erzeugt oder die Schauspieler*innen, es gibt Kostüme und Requisiten. Anouschka Trocker ist diese Gratwanderung zwischen den Erfordernissen des Radios und der Bühne bisher immer großartig zusammen mit ihrem jeweiligen Team gelungen.

Damit diese neuen Texte, die der SR zum Teil für das Festival übersetzen lässt, ins Hörspiel-Repertoire eingehen – also wiederholt und von anderen Sendern ausgestrahlt werden können – produzieren wir mit demselben Team (Regie, Musik und Schauspiel) auch eine Studioversion des Hörspiels. Dem Live-Hörspiel gehen drei bis vier Aufnahmetage im Studio voraus, die gleichzeitig schon Proben für die Live-Situation sind. Im Studio gibt es viel mehr Möglichkeiten, nicht nur, alles technisch perfekt zu gestalten, sondern auch mehr Varianten im Spiel aufzunehmen.

 

(Ausschnitt aus der SR2-Hörspielproduktion «Die Liste» von Jennifer Tremblay, Regie: Marguerite Gateau)

Live-Hörspiel bei Primeurs 2010: «Die Liste» von Jennifer Tremblay mit dem Percussionisten Dirk Rothbrust (Foto: SR/Oliver Dietze)

 

Du hast gerade gesagt, Grundlage sind immer Texte. «Primeurs» ist ja eigentlich eine Art Stückemarkt, wo Texte zum ersten Mal einem deutschen Publikum in deutscher Übersetzung vorgestellt werden. Welche Qualitäten muss denn ein Text haben, damit er sich für eine Umsetzung als Hörspiel eignet? 

Wir sprechen hier ja über Texte, die für die Bühne geschrieben worden sind. Aber im Hörspiel sollte das Stück verständlich sein, ohne dass man etwas sieht, einen Erzähler braucht oder Regieanweisungen vorgelesen werden müssen. Geräusche und Musik können einiges verdeutlichen, aber Handlungen, die rein szenisch funktionieren, lassen sich eben nicht im Hörspiel ohne Weiteres umsetzen.

Eine Eigenheit frankophoner Dramatik passt jedoch sehr gut zum Radio: In den allermeisten Texten spielt die Sprache eine wesentliche Rolle, darüber hinaus verbalisieren die Figuren in Dialogen und Monologen oft auch, was sie gerade tun. Das wirkt ganz organisch, wie fürs Radio geschrieben. Es gibt auch bei frankophonen Bühnenstücken immer wieder Ausnahmen, aber wenn es nur einzelne Szenen sind, kontaktiere ich die Autorin, den Autor und bespreche notwendige Änderungen. Oft machen sie dann auch selbst Vorschläge.

Inhaltlich gesehen ist ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl, ob die zugrunde liegenden Themen des Stücks fürs deutsche (Hörspiel-)Publikum bereichernd sein können. Weitere Kriterien, u.a.: Ist das ein anderer, ein neuer Blick? Eine originelle Erzählweise? Sind das überzeugende Figuren? Ist das eine treffende Sprache, die auch auf mehreren Ebenen anregt und überzeugt? Und natürlich: Überzeugt es auch auf Deutsch?

 

(Ausschnitt aus der SR2-Hörspielproduktion «Zersplittert» von Alexandra Badea, Regie: Anouschka Trocker)

Die Geräuschemacherin Élodie Fiat in der Live-Hörspiel-Bearbeitung von Alexandra Badeas «Zersplittert» (Foto: SR/Oliver Dietze)

 

Welche Qualitäten muss denn eine Übersetzung fürs Hörspiel haben, mit der du gut arbeiten kannst?

Die Übersetzung muss den sprachlichen Gestus, die Qualität des Originals im Deutschen wiedergeben, dafür muss der Übersetzer, die Übersetzerin manchmal auch sehr kreativ sein, der Text darf sich nicht wie ein übersetzter Text anhören, sondern die Schauspieler*innen müssen ihn spielen können, als wäre er auf Deutsch geschrieben. Sprache ist im Hörspiel, wie es der SR produziert, ein ganz wesentliches Element.

Gleichzeitig erfordert das ein sehr genaues Textverständnis vom Übersetzer, der Übersetzerin: Wenn er/sie nicht wirklich versteht, was der Text meint, kann die Passage nicht treffend übersetzt werden. Das fällt uns in der Produktion dann auf die Füße, spätestens Regisseur*in und oder Schauspieler*innen fragen dann, was gemeint ist. Nicht zu vergessen: Radio ist ein serielles Medium. Die ARD Audiothek fängt das durch die Möglichkeit des Nachhörens zwar etwas auf, aber während der Sendung kann man nicht «zurückblättern». Ist etwas unverständlich, denken die Zuhörer*innen darüber nach, und während dessen hören sie nicht weiter zu, und wenn sie nicht zuhören, haben sie bald den Anschluss verloren und schalten ab. Solche «Stolperfallen» möchte ich vermeiden.

Trotzdem muss der Text nicht immer eindeutig sein – das sind literarische Texte ohnehin selten – sondern mir geht es darum, dass der Text Möglichkeiten zur Interpretation anbietet und dadurch verständlich wird, wenn auch vielleicht nicht für jeden und jede auf dieselbe Weise. Deshalb frage ich als Lektorin nach, wenn mir die Übersetzung eines Wortes, einer Passage, unklar oder nicht ganz treffend erscheint, und im Zweifelsfall wird der Autor, die Autorin kontaktiert und befragt.

 

(Ausschnitt aus der SR2-Hörspielproduktion «Schwingungen» von Sébastien David Regie: Anouschka Trocker)

Der Musiker Kai Fragaschinski und die Schauspieler*innen Anne Müller und Max Hegewald in der Live-Hörspielfassung des Stücks «Schwingungen» von Sébastien David, Primeurs 2017 (Foto: SR/Oliver Dietze)

 

Stichwort «Autor*innen»: In 16 Jahren Primeurs habt ihr wirklich einige Entdeckungen gemacht. Einige Autor*innen wie Alexandra Badea oder David Paquet haben durch das Festival den Sprung in das deutsche Theatersystem geschafft und werden mittlerweile regelmäßig am Stadt- und Staatstheater inszeniert. Aber bei ganz vielen ist eben das nicht passiert – trotz toller Live-Hörspiele und Werkstattinszenierungen. Kannst du dir diese Zurückhaltung des deutschen Theaterapparats in Bezug auf Stücke aus dem französischsprachigen Ausland irgendwie erklären?

Es ist tatsächlich ein Ziel von Primeurs, diese Autor*innen, die wir für besonders gut und interessant fürs deutsche Publikum halten, nach Deutschland zu bringen. Wir sehen uns auch als Vermittler. Aber warum das in den von Dir erwähnten Fällen mehr gelungen ist, als in anderen, diese Frage können Theaterleute viel umfassender beantworten.

Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass folgende Aspekte eine Rolle spielen:  Erstmal gibt es eine Menge hervorragender deutschsprachiger Autor*innen. Es besteht also gar nicht die Notwendigkeit, im Ausland zu suchen. Und wenn doch, dann ist für viele Theaterdramaturg*innen der anglophone Sprachraum naheliegender, auch weil nur wenige deutsche Theaterdramaturg*innen die Sprachkompetenz haben, einen französischen Text im Original zu beurteilen. Deswegen ist die Leistung von Übersetzer*innen und Theaterverlagen, aber auch von Primeurs und plateforme nicht zu unterschätzen.

Außerdem gibt es sicher einen gewissen Druck, Erfolg beim Theaterpublikum zu haben – da ist es sicher ein größeres Risiko, den Text eines unbekannten frankophonen Autors oder einer Autorin auf den Spielplan zu setzen. Möglicherweise existiert auch immer noch ein gewisses Vorurteil der frankophonen, insbesondere der französischen Dramatik gegenüber: Da fallen mir Wörter ein wie «verkopft», «selbstbezogen», «humorfrei» und «textlastig». Aber es gäbe nicht seit 2007 Primeurs, wenn wir nicht immer wieder überzeugende Texte entdecken würden.

 

(Ausschnitt aus der SR2-Hörspielproduktion «Der Gestank der Welt oder Paarungstanz ist eine tote Sprache» von Caroline Belisle, Regie: Anouschka Trocker)

Lisa Biehl in der Live-Hörspielfassung von Caroline Belisles «Der Gestank der Welt oder Paarungstanz ist eine tote Sprache», Primeurs 2021 (Foto: SR/Oliver Dietze)

 

Wenn man sich das Programm über die Jahre hinweg anschaut, tauchen sowohl unter den Live- Hörspielen als auch unter den Texten der SR kultur-Hörspielproduktion als auch überhaupt im Programm von Primeurs auffällig viele Stücke aus Québec oder den anderen frankophonen Regionen Kanadas auf. Autor*innen wie Sarah Berthiaume, Rébecca Déraspe oder Evelyne de La Chenelière gehören ja auch zu den Künstler*innen, die in Deutschland tatsächlich gespielt werden, viel mehr als die meisten französischen Autor*innen. Ist das eine Theaterliteratur, die dem Radio und vielleicht auch dem deutschen Theaterverständnis stärker entgegenkommt?

Mein Eindruck ist: Stücke aus Québec sind häufig originell, aber gleichzeitig sehr klar in ihrer Struktur und in ihrem Aufbau. Sie haben oft präzise gezeichnete Figuren, die menschlich, aber auch humorvoll sind, ohne platt zu sein. Ich glaube, dass man der Québecer Dramatik anmerkt, dass Québec ein Sprachraum ist, der vom anglophonen Nordamerika mit seiner prägenden Film-Kultur umgeben ist. Für mich ist es faszinierend, dass eine relativ kleine Sprach- und Kulturgemeinschaft so enorm kreativ und produktiv ist. Denn was die Québecer*innen an Romanen, an Musik, an Lyrik, an Theater, an Tanz hervorbringen, das ist absolut bemerkenswert.

Aber entscheidend für die Textauswahl bei der Produktion ist für mich nicht zuletzt, dass die Stücke relevante Themen bearbeiten, die an die Lebenswirklichkeit der Menschen hierzulande anknüpfen. Diese Übertragbarkeit bieten Quebecer Texte in einer großen Vielfalt. Ob es nun um Trauer und Verlust geht wie in «Hafen» von Mishka Lavigne, um die Überforderung von Müttern wie in «Die Liste» von Jennifer Tremblay, um die Schwierigkeiten von Jugendlichen wie bei David Paquet, um Ausgrenzung und Einsamkeit wie bei Sébastien David – um nur einige zu nennen. Es gibt viele Themen, die uns hier ganz genauso betreffen und die dort auf eine Weise erzählt werden, die fremd und vertraut zugleich ist.

 

Verleihung des Prix de l’Académie de Berlin an die Vertreter/Partner des Festival Primeurs am 06.12.2023 v.l.n.r. Anne-Sophie Donnarieix (Institut d’Études Françaises in Saarbrücken), Bettina Schuster-Gäb (Saarländisches Staatstheater), Anette Kührmeyer (Saarländischer Rundfunk), Grégory Cauvin (Le Carreau – Scène Nationale de Forbach et de l’Est mosellan) (Foto: Elke Jung-Wolff)

 

Ihr habt jetzt 17 Jahre lang Primeurs gemacht und seid gerade zu Recht dafür ausgezeichnet worden. Wie wird sich Primeurs denn in Zukunft weiterentwickeln?

In den letzten Jahren haben wir versucht, zweisprachiger zu werden, das heißt, über Live-Übersetzungen und Übertitelung auch das französischsprachige Publikum stärker einzubinden und gleichzeitig die Originaltexte ins Bild zu bringen. In dieser Richtung werden wir voraussichtlich noch weiterarbeiten.

Entstanden ist dieses Festival ursprünglich als Publikumsfestival. Aber in den letzten Jahren ist viel passiert, um auch Fachleute ins Boot zu holen, das werden wir vielleicht noch vertiefen. Wir sind von einem Publikumspreis – den es immer noch gibt – zu einem Primeurs-Autorenpreis gekommen, und zu einem Übersetzerpreis, beide werden von einer Fachjury vergeben. Auch dahinter steht das Ziel, dass die Texte weitergegeben werden, dass sie eine Zukunft auf der Bühne haben oder im Radio/Internet gesendet werden. Apropos Bühne: Das Festival als mehrtätige Veranstaltung gibt es seit 2022 nur alle zwei Jahre – dafür nimmt das SST aber ein Stück aus dem Festival in seinen Spielplan des Folgejahres auf und es gibt kleinere Veranstaltungen und Hörspielsendungen übers Jahr verteilt.

Rückblickend war jede Festival-Ausgabe immer ein bisschen anders als die davor, und ich glaube, so wird es auch bleiben. Also wer weiß, was das nächste Festival an Überraschungen bringt? Ich bin selbst gespannt darauf.

 

(Ausschnitt aus der SR2-Hörspielproduktion «Feuersturm» von David Paquet,Regie: Anouschka Trocker)

Schauspieler Gabor Biedermann in der Live-Hörspielfassung von David Paquets «Feuersturm» (Foto: SR/Oliver Dietze)

 

Ich als Übersetzer hatte das Glück, über die Jahre hinweg mit dir zusammenarbeiten zu dürfen und durch dein aufmerksames Lektorat eine Menge zu lernen. Dabei habe ich nicht nur festgestellt, dass Übersetzungen für den Rundfunk wegen der großzügigen Tantiemenregelung für Übersetzer*innen einträglicher sind als Theaterproduktionen, sondern auch großen Respekt vor einer Kunstform bekommen, mit der ich mich zuvor seit meiner Kindheit nicht mehr beschäftigt hatte. Deutschland ist das Land, in dem weltweit die meisten Hörspiele produziert werden. Gleichzeitig ist aber genau diese Sonderstellung des Hörspiels durch eine ARD-interne Reform in Gefahr. Wie siehst Du persönlich die Zukunft der Kunstform Hörspiel?

Für die Kunstform Hörspiel an sich sehe ich keine Gefahr, und auch die ARD bekennt sich klar zum Hörspiel. Mein Eindruck ist, dass Hörspiel immer sein Publikum gefunden hat und dass dieses Publikum in den letzten Jahrzehnten wieder enorm gewachsen ist – und zwar generationenübergreifend. Absolut wichtig waren hier zuerst die Hörbücher – in den Anfangsjahren waren viele Hörspielproduktionen der ARD darunter – dann das Internet. Beides bietet die Möglichkeit, Hörspiele jederzeit hören zu können, wann und wo man will, unabhängig vom Radio. Und die Menschen wollen Hörspiele hören, das belegen die hervorragenden Abrufzahlen in der ARD Audiothek.

Noch mehr Hörer*innen fürs Hörspiel zu gewinnen, auch solche, die bisher noch keine Berührung damit hatten, ist auch ein wichtiges Ziel der von dir angesprochenen ARD-internen Reform, nämlich der ARD-Gemeinschaftsredaktion Hörspiel, die ihre Arbeit Anfang 2024 aufgenommen hat. Das deutschsprachige Hörspiel zeichnet sich zurzeit durch eine große inhaltliche und formale Vielfalt aus, insgesamt 9 Sendeanstalten der ARD plus Deutschlandfunk Kultur produzieren Hörspiele, dadurch gibt es ebenso unterschiedliche wie anregende dramaturgische Handschriften, die eben auch viele unterschiedlich interessierte Hörerinnen und Hörer erreichen.

Nirgendwo anders als in Deutschland gibt es mehr Autorinnen und Autoren, die fürs Hörspiel schreiben und konzipieren und es damit auch lebendig erhalten, die das aber nur auf Dauer tun können, wenn die finanziellen und inhaltlichen Rahmenbedingungen stimmen. Hier sind inzwischen Verhandlungen mit den Bühnenverlegern zu einem Abschluss gekommen, von dem auch freie Autor*innen profitieren werden, der sie alle deutlich besserstellt. Gleichzeitig müssen die Redaktionen immer mehr Zeit (und damit auch Geld) aufwenden, damit ihre Produktionen auch wirklich die potentiellen Hörerinnen und Hörer erreichen – das Internet kann sehr unübersichtlich sein – da hilft es, wenn alle ARD-Hörspielredaktionen ein gemeinsames Distributionskonzept haben.

Die Neigung bestimmter Teile der Politik, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr Geld zu bewilligen, und sei es nur, um allgemeine Kostensteigerungen aufzufangen, ist aber zunehmend begrenzt. Mit den vorhandenen Mitteln will die ARD Gemeinschaftsredaktion Hörspiel ein breites Hörspiel-Angebot leicht zugänglich zur Verfügung stellen – damit möglichst viele Menschen erfahren, wie schön es sein kann, sich beim Hören zu entspannen, eigene Bilder im Kopf zu entwickeln, sich zum Nachdenken und Träumen anregen zu lassen.

 


Das Festival Primeurs findet vom 20. bis 23. 11. 2024 in Saarbrücken und Forbach statt. Weitere Informationen hier.


 

SR kultur Hörspielchefin und «Primeurs»-Mitkuratorin Anette Kührmeyer (Foto: SR)

Anette Kührmeyer, Studium der Germanistik/Romanistik, beim Saarländischen Rundfunk seit 1997 als Hörspieldramaturgin mit dem Schwerpunkt Frankreich/Frankophonie tätig, seit 2004 Leiterin der Programmgruppe Künstlerisches Wort bei SR kultur.

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