SPUREN (6): Ein Gespräch mit dem Dramatiker Hakim Bah «Über das Absurde zu lachen ist eine Möglichkeit, am Leben zu bleiben.»
Im Rahmen des Festival afriCOLOGNE wurde im vergangenen Mai die Theateranthologie SPUREN vorgestellt. Erschienen im Verlag Theater der Zeit, versammelt sie neun Stücke von Autor*innen aus Benin, Burkina Faso, DR Kongo, Guinea, Republik Kongo, Senegal, Uganda sowie der afrikanischen Diaspora. Die ausgewählten Texte erzählen von gesellschaftlichem Wandel, Widerstand, Identität und Erinnerung – mal poetisch verdichtet, mal direkt und konfrontativ. Teil der Auswahl ist auch der Text «Traque» (übersetzt von Claudius Lünstedt unter dem Titel «Treibjagd») von dem in Guinea geborenen Dramatiker und Regisseur Hakim Bah. In einem E-Mail-Austausch mit Frank Weigand sprach der Theatermacher über das Genre des «Theaterwesterns», das Offenlegen wirtschaftlicher Unterdrückungsmechanismen, die Bedeutung von Humor und sein Verhältnis zum Übersetzt-Werden.
Frank Weigand: Der Untertitel von «Traque» weist darauf hin, dass das Stück als «Nord-Süd-Western» zu verstehen ist. Wie ist das gemeint und wie ist der Text entstanden?
Hakim Bah: Das Stück war eine Auftragsarbeit für Cédric Brossard, den Regisseur der französischen Theatercompagnie ACETE: Es ging darum, einen Western über eine berühmte Persönlichkeit aus dem Bereich der Industrie zu schreiben. In meinem Fall war das der französische Unternehmer Martin Bouygues. Ich habe mich gefragt, wie die Codes des Westerns mit dem Theater in Dialog treten könnten. Als ich bei meinen Recherchen auf die Eroberungsvorhaben der Großkonzerne stieß und auf die Cowboy-Sprache, die sie verwenden, um Märkte und Territorien zu gewinnen, sah ich eine offensichtliche Parallele. Das Stück zeigt die Spannungsverhältnisse, die sich aus der von Norden nach Süden vollzogenen Eroberung ergeben, vor dem Hintergrund finanzieller Interessen, Unterdrückungsmechanismen und familiärer Rivalitäten.
Besonders spannend an dem Text ist seine Perspektive: Während viele europäische Autor*innen über die Realitäten afrikanischer Länder schreiben, kehrst du die Perspektive um und schreibst über die Familiendynastien, die hinter den postkolonialen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und den afrikanischen Ländern stehen. Ist das für dich eine politische Stellungnahme?
Ich habe es zunächst nicht als politische Stellungnahme verstanden, sondern eher als eine Möglichkeit, auf einer privaten, familiären Ebene über wirtschaftliche Zielsetzungen zu sprechen. Es geht mir darum, zu zeigen, wie das Bedürfnis nach Eroberung die Privatsphäre durchdringt und sich bis in den Bereich der Politik fortsetzt. Hinter Investitionsprojekten oder Diskursen über «Hilfe» für den Süden ist stets ein Mechanismus der Eroberung wirksam. Das Stück versucht, diesen Mechanismus aufzudecken.
Du lebst selbst seit mehreren Jahren in Frankreich, arbeitest aber weiterhin auf dem afrikanischen Kontinent. Beeinflusst dieses «Dazwischen-Sein» deine Arbeit als Dramatiker?
Ja, natürlich. Ich bin in Guinea geboren und aufgewachsen und lebe heute in Frankreich. Mein Schreiben ist zwangsläufig von dieser doppelten Kultur geprägt. In meinen Texten versuche ich, die Frage der Identität von einem klar definierten Territorium abzulösen, sie als eine Bewegung zu betrachten, die sich im Laufe unterschiedlicher Reisen formt. Meine Geschichten kommen gleichzeitig von hier und von dort, sie tragen diese Mischung in sich, dieses ständige Hin und Her zwischen zwei Ufern.
In vielen deiner Texte geht extreme Gewalt mit einem schwarzen, von Ironie geprägtem Humor einher. Ist Humor ein Mittel, um mit der Absurdität der aktuellen Realität umzugehen?
Der Mensch ist immer in der Lage, gleichzeitig zu lachen und zu weinen. In meinen Texten versuche ich, dieser Komplexität Rechnung zu tragen. Humor ermöglicht es, dem Absurden ins Auge zu sehen, eine Distanz zu schaffen. Er ist eine Möglichkeit, das Grauen zu ertragen, aber auch die Ironie bestimmter Situationen hervorzuheben. Über das Absurde zu lachen ist eine Möglichkeit, am Leben zu bleiben.
Dein Text wurde, ebenso wie schon «Auf dem Rasen», von dem deutschen Dramatiker Claudius Lünstedt übersetzt, dessen knappe, reduzierte und sehr stark geformte Sprache eine gewisse Verwandtschaft mit deinem Schreibstil aufweist. Was ist das für eine Erfahrung, übersetzt zu werden?
Für mich ist Übersetzen vor allem eine Frage des Vertrauens. Ich spreche kein Deutsch, daher kann ich die subtilen Verschiebungen von einer Sprache zur anderen nicht einschätzen. Aber ich habe sehr schöne Erinnerungen an die öffentliche Lesung von «Auf dem Rasen» auf Französisch und Deutsch: Ich hatte das Gefühl einer Kontinuität, einer Treue zum Rhythmus und zur Musik des Textes. Claudius Lünstedt hat es verstanden, diese Energie einzufangen, und das hat mir Vertrauen gegeben.
«Treibjagd» wurde in Claudius› Lünstedt Übersetzung in der Anthologie «Spuren» im Verlag Theater der Zeit veröffentlicht. Hier zur Buchbestellung.
Die Aufführungsrechte an dem Text werden von Henschel Schauspiel vertreten.
Hakim Bah, 1987 in Mamou (Guinea) geboren, ist Lyriker, Dramatiker, Autor und Regisseur. Nach einer Ingenieursausbildung absolviert er an der Universität Paris-Ouest Nanterre ein Masterstudium für Regie und Dramaturgie. Seine Texte wurden bislang in Guinea, Burkina Faso, Frankreich und Belgien aufgeführt und szenisch gelesen. 2022 erlebte sein Text «Auf dem Rasen» am Theater Oldenburg seine deutschsprachige Erstaufführung. Hakim Bahs Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen (u.a. Prix des Journées de Lyon des Auteurs de Théâtre, Prix d’écriture Théâtrale de la ville de Guérande) und Stipendien (Institut Français, Beaumarchais, Centre National du Livre, Centre National du Théâtre) ausgezeichnet.
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