Dennoch haben wir Blessuren davongetragen:
Ein Essay über den Versuch des verantwortungsvollen Übersetzens postkolonialer Theatertexte
von Can Cihanbeyli
In diesem Essay möchte ich meine persönlichen Erfahrungen und Gedanken zum verantwortungsvollen Übersetzen postkolonialer Theatertexte teilen. Erfahrungsgrundlage hierzu bildet das von Frank Weigand geleitete Übersetzungsseminar Kollektiv und Postkolonial – sprachübergreifendes Theaterübersetzen als dialogische Praxis. Im Kollektiv aus elf Studierenden der Universität Mannheim sollten Auszüge fünf verschiedener Theatertexte, die in der Originalsprache entweder auf Französisch oder Englisch verfasst sind, in die deutsche Sprache überführt werden. Der gemeinsame Nenner der Texte aus Tunesien, dem Libanon, Kamerun, den USA und Uganda ist, dass die durch sie vermittelten Geschichten stets die Kolonialgeschichte der jeweiligen Länder mitreflektieren.
Die fünf ausgewählten Stücke verhandeln das Thema Kolonialismus auf verschiedenste Weise. Auf zwei dieser Texte möchte ich kurz eingehen: Während in «We are Proud to Present […]»¹ (Jackie Sibblies Drury, USA) eine Gruppe Schauspieler*innen versucht, eine angemessene Sprache zu finden, um die deutschen Kolonialverbrechen an den Nama und Herero darzustellen, erzählt das Stück «Tais-toi et creuse» (Hala Moughanie, Libanon) davon, wie im Chaos des Libanesischen Bürgerkriegs eine Familie der Willkür zweier Uniformierter ausgesetzt ist.
In beiden genannten Texten wird Sprache zum zentralen Aushandlungsort des Stücks. In «We Are Proud to Present…» verstrickt sich die Gruppe, die doch eigentlich zum Ziel hat, eine ethisch vertretbare Sprache zu finden, um die Kolonialverbrechen an den Namibischen Bevölkerungsgruppen durch die Deutschen zu veranschaulichen, entweder im Sprachregister der political correctness oder in der Formensprache westlicher Geschichtsschreibung, die bis heute selbst imperialistisch geprägt ist. Das Unterfangen, eine eigene authentische Sprache zu finden, die den Nama und Herero gerecht wird, läuft ins Leere. Und dennoch blitzt das durch die Behelfssprache Verfehlte, das Unsagbare immer wieder hervor. Das Ausmaß des Leids und der Ungerechtigkeit wird gerade dadurch sichtbar, dass auch nach umfassender Suche keine Worte gefunden werden können.
In «Tais-toi et creuse» bedeutet Sprache Heil und Unheil zugleich. Denn wenn die libanesische Familie geschickt versucht, immer wieder durch das Plaudern mit den Uniformierten die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, berufen sich die Uniformierten mittels amtssprachlicher Phrasen auf ihren Machtanspruch. Wie ein Damoklesschwert zittert die Sprache im gewählten Auszug zwischen Menschlichkeit, Humor, Absurdität und brutaler Willkür. Sprache wird hier zum Besänftigungsmittel und Machtinstrument zugleich.
Wie sich für mich persönlich gezeigt hat, können gerade Theatertexte, die Sprache als kontaminiert von struktureller Macht und politischer Agenda verstehen, nicht leichtfertig übersetzt werden. Schwankt doch jede sprachliche Exponierung des jeweiligen Konflikts zwischen Sichtbarmachung und Emanzipation. Auf diesem schmalen Grad zu wandern liegt im Verantwortungsbereich der Übersetzer:innen. Denn nur wenn ein Gefühl dafür entwickelt werden kann, dass das von den Autor:innen angelegte spannungsvolle Sprachspiel zwischen Macht und Ohnmacht essenzieller Teil ist, um die Betroffenheit durch die kolonial geprägte Geschichte darzustellen, können wir verantwortungsvoll mit den Texten umgehen. Anders gesagt, wenn dem Akt des Übersetzens das Moment der Deutungshoheit über den Text eingelagert ist, bedarf es der Bewusstheit über diesen eigenen Machtraum.
Im Nachhinein, so möchte ich behaupten, ist uns der verantwortungsvolle Umgang mit den Texten größtenteils gut gelungen. Jedoch erinnere ich mich auch an eine Stelle unserer Übersetzungsarbeit, die mich sehr beschäftigt hat, weil es schier unmöglich war, ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass wir Studierende nicht über die nötige Professionalität, respektive Erfahrung mit Theaterübersetzungen verfügen oder ob die politische Dimension des Textes über uns eingebrochen ist. Denn auf der Suche nach dem passenden Wort haben wir uns stellenweise in interpretatorischen Fragen verloren. Wir haben danach gefragt, was, wie, an welcher Stelle oder in welchem Kontext gesagt werden darf oder kann – und das auch ganz unabhängig davon, was das Stück vorschreibt.
Wie die Figuren in «We Are Proud to Present…» war unser Kollektiv auf der Suche nach der richtigen sprachlichen Ausdrucksform. Auch wir haben uns in Gedanken darüber verstrickt, wie die in den Originaltexten angelegte Sprache am besten in den deutschen Sprach- und Kulturraum überführt werden kann, ohne dabei in den Verdacht zu geraten, ein diskriminierendes Bild von bestimmten Bevölkerungsgruppen zu zeichnen. Denn mit dem Umzug in einen anderen Sprachraum, wird der Text auch in einen anderen politischen Raum getragen. Der in Deutschland aktuell hitzig geführte Diskurs um diskriminierungssensibles Sprechen ist deshalb in unsere Arbeit miteingeflossen. Doch wie ich persönlich finde, haben wir darüber den intendierten Wirkungsgehalt des Ursprungstextes ein wenig aus den Augen verloren.
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