Erfahrungsberichte zu einem Gastseminar an der Uni Mannheim Kollektiv und postkolonial Teil II

Zoom im Seminar mit dem ungandischen Autor George Seremba (Foto: Frank Weigand)

Viele Köche verderben den Brei?

von Paula Riese

Theaterstücke übersetzen als kollektive Praxis. Das war das, was mich gereizt hat, das Seminar «Kollektiv und Postkolonial» bei Frank Weigand zu belegen. Einmal praxisnah arbeiten, ohne jede Woche verpflichtend Theorietexte zu lesen, klang verlockend. Meine Erwartungen an das Seminar waren, dass wir (natürlich) Theatertexte übersetzen würden, aber vor allem auch, dass wir über verschiedene Themen diskutieren und miteinander ins Gespräch kommen würden.

Diesbezüglich wurde ich nicht enttäuscht. Gegenstand des Seminars waren Szenen aus insgesamt fünf Stücken, die sich in irgendeiner Weise mit Postkolonialismus befassen. Spannend war, dass wir als erste Übung allein eine kurze Szene übersetzen sollten, um ein Gefühl fürs Übersetzen zu bekommen. Unsere Übersetzungen für diese Szene wurden am Ende für die Lesung als Collage zusammengefügt, um alle unsere Stimmen zu hören. Vor allem bei einigen englischen Wörtern wie zum Beispiel «tribe» diskutierten wir, wie wir diesen Begriff übersetzen können, ohne auf koloniales Vokabular wie «Stamm» zurückzugreifen. Da wir mit «Bevölkerungsgruppen» nicht ganz zufrieden waren, passte es gut, dass verschiedene Versionen unserer Einzelübersetzungen am Ende zusammengefügt wurden. Dies verstärkte nochmal den Eindruck: Wir dürfen nicht unbedarft das erste Wort verwenden, welches uns als direkte Übersetzung in den Sinn kommt, sondern müssen sensibel sein. So viel zum Einzelübersetzen. Aber das sollte nicht der Sinn unseres Seminars sein.

Schnell bildeten sich unter den elf Teilnehmer*innen in der zweiten Sitzung Übersetzungsgruppen heraus. Jede Woche sollte ein Ausschnitt pro Gruppe übersetzt werden. Meine Gruppe traf sich oft abends zu kollektiven Übersetzungssitzungen in den Gruppenräumen der Bibliothek und übersetzte tatsächlich überwiegend dort gemeinsam. Manchmal war es etwas schwierig, weil man sich an einer bestimmten Formulierung aufhängt und jede von uns eine andere Meinung hatte. Dann haben wir meist versucht, die Variante zu nehmen, die nah an der eigentlichen Textbedeutung war. Alles in allem waren diese Gruppensitzungen jede Woche produktiv und spaßig. Manchmal diskutierten wir über bestimmte Formulierungen hinterher im Seminar. Mitunter brauchten wir sehr lange, um uns zu einigen, was mir öfter gezeigt hat, dass es Spaß macht, in einer Gruppe zu übersetzen, diese Gruppe aber nicht zu groß sein sollte, damit man auch noch vorankommt. Deshalb war das für mich im Seminar manchmal schwierig, weil elf Meinungen miteinander diskutierten und natürlich niemand benachteiligt werden sollte. Solche Diskussionen konnten dann auch mal etwas zäh werden. Schlussendlich fand sich aber immer ein Kompromiss, mit dem alle leben konnten.

Leseprobe mit Regisseurin Leyla-Claire Rabih (Foto: Frank Weigand)

Mein persönliches Highlight des Kurses war das Probewochenende mit den Schauspieler*innen und der Regisseurin Leyla Rabih für die Lesung unserer Übersetzungen am Sonntag. In intensiven drei Tagen wurden alle Texte geübt und wir konnten unser Feedback oder Änderungsvorschläge einbringen. Gerade diese Verbindung von unseren Übersetzungen und der Anwendung im Theater war sehr spannend. Man hat gemerkt, dass beim Lesen (oder fast schon Spielen) einige Formulierungen leicht verändert besser wirken und außerdem wurden einige kürzere Textstellen rausgestrichen. Es wurde uns auch bewusst, dass man als Übersetzer*in von Theaterstücken nicht damit rechnen kann, dass die eigene Übersetzung vollständig im fertigen Stück übernommen wird. Bis zu 20 Prozent können weggestrichen werden oder verändert werden. Darüber hinaus wäre das Stück aber zu sehr verändert und man würde es nicht als die eigene Übersetzung akzeptieren. Solche Fälle gibt es leider auch ab und zu an Theatern.

Die finale Collage der Szenen zeigte einen Überblick über verschiedene Ereignisse postkolonialer jüngerer Vergangenheit. Als erste und letzte Szenen nahmen wir Szenen aus dem Stück «We are proud to present (…)». Dadurch ergab sich eine inhaltliche Klammer. Die letzten Worte unserer Theaterkollage: «Nunja wir müssen vorsichtig sein. – Richtig» fassen den Grundtenor des Seminars gut zusammen. Es ist wichtig, sich mit dieser Vergangenheit und diesen Stoffen auseinanderzusetzen, dabei muss man aber vorsichtig sein. Vokabular vermeiden, welches ganz klar Vokabular der weißen Kolonialisten war, und dennoch versuchen, nah am Text zu bleiben. Das ist nicht ganz einfach.

Mich hat eine Aussage von unserer Regisseurin zum Thema: «Müssen wir manchmal doch auf der Bühne kritisches Vokabular benutzen, damit die Schauspieler*innen die Figur wirklich verkörpern oder sollen wir immer so übersetzen, damit niemand sich diskriminiert fühlt?» sehr zum Nachdenken angeregt. Sie ist der Meinung, dass es wichtig ist, dass die Schauspieler*innen die Figur spielen und nicht unsere aufgeklärte sensible Sicht auf die Figur spielen. Ich finde es schwierig, denn ich verstehe beide Seiten. Theater (und somit auch unsere Übersetzungen) sollen durchaus auf kritische Themen wie die Kolonialzeit aufmerksam machen und das wird durch bestimmtes Vokabular intensiviert. Gleichzeitig muss erkennbar sein, dass wir uns mit diesen Themen kritisch auseinandersetzen und nicht jedes Wort unbedarft übersetzen, ohne den historischen Kontext zu betrachten. Ich denke uns ist ein guter Kompromiss gelungen und ich bin froh, Teil dieses gemeinschaftlichen Prozesses gewesen zu sein.

Paula Riese (Foto: privat)

Paula Riese ist 22 Jahre alt und kommt gebürtig aus dem Schwabenland. Zum Studium zog sie nach Mannheim und studierte «Germanistik: Sprache, Literatur, Medien» an der Universität Mannheim. Aktuell ist sie im ersten Semester des Joint-degree Masters «Intercultural German Studies» an der Universität Mannheim und bereitet sich auf ihr Auslandsjahr in Kanada vor. Das Seminar war ihr erster Berührungspunkt mit der Übersetzungstätigkeit.

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Raus aus der Komfort-Zone

von Nathalie Kircher

«Darf man das überhaupt sagen?» Ich glaube, noch nie habe ich mir diese Frage so oft in so kurzer Zeit gestellt wie in unserem Theaterübersetzungs-Seminar dieses Semester. Gerade im universitären Kontext (und gerade unter uns Geisteswissenschaftler*innen) ist es für uns eigentlich selbstverständlich, dass alle in der Lage sind, sich – egal auf welchen Diskurs bezogen – politisch absolut korrekt auszudrücken. Mit der Debatte rund um Kunstfreiheit haben wir uns in unseren wissenschaftlichen Arbeiten meistens wenig auseinanderzusetzen. Umso spannender also, sich (zumindest mal für ein paar Wochen) ein bisschen aus dem theoriebezogenen Uni-Alltag auszuklinken und dafür in eine ganz andere, sehr viel praxisorientiertere, Arbeit hineinzublicken! Diese setzte sich für uns aus der Übersetzung einzelner Szenen aus insgesamt fünf Theatertexten (englisch- und französischsprachig) zusammen, die sich alle – mehr oder weniger direkt – mit postkolonialen Thematiken beschäftigen.

Dass sich Theaterübersetzung und Prosaübersetzung nahezu wie Tag und Nacht voneinander unterscheiden, und, dass ich als ehemalige Germanistik-Studentin auch mal meinen «Zwang», mich schriftlich immer grammatikalisch und stilistisch korrekt auszudrücken, ablegen muss; darauf war ich zum Glück schon vorbereitet, da ich im vergangenen Semester ebenfalls am Theaterübersetzungs-Seminar teilgenommen hatte. Nun bringt das allerdings herzlich wenig, wenn die Thematik plötzlich eine ganz andere ist: Quasi vom einen gesellschaftspolitischen Problem – nämlich Genderrollen und den damit einhergehenden Problematiken – zum anderen – nämlich Rassismus. Deshalb kann ich sagen, dass die Stücke in diesem Seminar für mich nicht weniger herausfordernd waren als «Miranda and Dave begin again» im letzten Semester.

Schon bei der Besprechung der ersten Zeilen des ersten Textauszuges (Jackie Sibblies Drury: «We Are Proud to Present a Presentation About the Herero of Namibia, Formerly Known as Southwest Africa, From the German Sudwestafrika, Between the Yers 1884-1915») musste ich feststellen,  dass  beispielsweise  der  Begriff «Stamm» (englisch: tribe) trotz seiner problematischen – eigentlich rassistischen – Bedeutung vielleicht sogar (je nach Interpretation des Theatertextes) der passendste für eine Übersetzung sein könnte. Wie gesagt: Könnte. Wie bei so vielen anderen mehrdeutigen Begriffen hatten wir auch hierfür natürlich zahlreiche Alternativen wie «Volksgruppen», «Bevölkerungsgruppen» oder einfach nur «Volk» zur Auswahl. Für mich war es deshalb die perfekte Lösung, dass bei der Lesung immer mehrere Übersetzungen vorgetragen wurden, wodurch auch der Übersetzungsprozess an sich sichtbar gemacht werden konnte; so wie unsere – manchmal sehr hitzigen – Diskussionen, die wir über einige Ausdrücke und Sätze geführt haben.

Generalprobe mit Samantha Fowler, Mounir Saidi, Nicko Haber und Vanessa Silva Bauer (Foto: Frank Weigand)

Apropos hitzige Diskussion: Ich glaube, am meisten haben wir im Plenum über der Figur der Saïda im Stück «La Danse des affranchies» von Latifa Djerbi gegrübelt. Sie spricht im Originaltext mit einem Akzent, der nicht nur rein sprachlich, sondern auch moralisch für uns Übersetzer*innen eine ziemliche Herausforderung darstellte; und zu allem Übel drückt sie sich auch noch selbst der Figur des Schwarzen Arztes Dr. Samb gegenüber ziemlich rassistisch aus.

Hätte ich mich dieser gefühlten Mammutaufgabe als Amateur-Übersetzerin alleine stellen müssen, wäre ich wahrscheinlich ratlos gewesen; aber Dank der gemeinsamen Diskussion im Plenum haben wir – wie ich finde – mit der Idee, Saïda in einem sehr einfachen, aber akzentfreien, Deutsch sprechen zu lassen, einen ziemlich guten Mittelweg gefunden; ebenso wie mit der Beibehaltung ihrer Kraftausdrücke, allerdings in der Originalsprache.

Außerdem war es für mich neu, in die Welt der Kunst aus Ländern einzutauchen, mit denen ich bisher recht wenig in Berührung gekommen bin, wie beispielsweise Namibia oder Libanon. Da die Texte relativ realitätsnahe Begebenheiten behandeln, konnte ich so zumindest einen kleinen Einblick erhalten, wie sich das Leben dort gestalten könnte. Eine sehr große Hilfe bei dieser Vorstellung waren natürlich auch die Zoom-Meetings mit einigen der Autor*innen, die uns neben den Fragen zur Textübersetzung auch Fragen zur dortigen Gesellschaft beantworten konnten. Vor allem das Gespräch mit George Seremba (Autor von «Come Good Rain») hat mir – auch durch das Vorlesen seines autobiografischen Textes – noch einmal ganz neue Blickwinkel auf das Stück eröffnet.

Der spannendste Punkt des Seminars war aber erst erreicht, als wir die erste Sitzung im Theater hatten. Plötzlich die Schauspieler*innen zu sehen und die Texte von ihnen gelesen zu hören, hat auch zu den Texten, die für mich bisher nicht so greifbar waren, endlich richtige Bilder und Assoziationen in meinem Kopf erzeugt. Besonders hat mich dabei fasziniert, welche Dynamiken manche Texte (gerade «We are Proud to Present (…)» und «La Danse des affranchies») entwickeln, wenn sie im richtigen Tempo und den richtigen Emotionen gespielt werden. Dabei sind mir (wenn auch zugegeben, vielleicht etwas spät) manche lustige oder teilweise auch besonders befremdliche Momente einiger Stücke (beispielsweise bei «Tais-toi et creuse») sehr viel klarer geworden als auf dem Papier.

Viele Übersetzungsfragen, über die wir uns in der Kleingruppe stundenlang den Kopf zerbrochen hatten, haben sich in der Arbeit mit den Schauspieler*innen – meistens durch deren intuitive Entscheidungen – einfach in Luft aufgelöst. Noch stärker und beeindruckender sind die Dialoge geworden, als Leyla-Claire Rabih mit ihren Regie-Kenntnissen mitgearbeitet hat und wir uns langsam in Richtung einer richtigen Inszenierung bewegt haben. Der wirkliche Höhepunkt war dann natürlich, das fertige Produkt wirklich auf der Bühne zu sehen.

Insgesamt habe ich in Bezug auf die gesamte Thematik des Seminars gelernt, dass ich man vermutlich einfach akzeptieren muss, dass es wohl für viele Übersetzungs-Hürden einfach (vielleicht noch) keine ultimative Allzwecklösung gibt. Manche Dinge müssen im Theater wahrscheinlich auch einfach grenzwertig sein, um überhaupt genug Gehör zu finden und den gewünschten Effekt zu erreichen. Der Grat zwischen der Reproduktion politisch unkorrekter Ausdrücke oder Klischees und der reinen Darstellung oder sogar Aufdeckung dieser ist dabei sehr schmal. Gerade zum Abwägen war deshalb der kollektive Charakter des Seminars für mich absolut richtig und wichtig. Ich denke, dass wir für die meisten dieser Hürden gute Lösungen gefunden haben und die Stücke trotzdem, obwohl wir sie in die deutsche Sprache transferiert haben, ihre Wirkung entfalten konnten und wir ihren gleichzeitig komödiantischen, aber auch gesellschaftskritischen Charakter gut in Szene setzen konnten.

Nathalie Kircher (Foto: privat)

Nathalie Kircher lebt in Mannheim und hat dort auch schon ihren Bachelor in «Sprache, Literatur und Medien» gemacht. Jetzt besucht sie den Masterstudiengang «Literatur, Medien und Kultur der Moderne» und arbeitet nebenbei für Fernsehen und Radio.

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Dennoch haben wir Blessuren davongetragen:
Ein Essay über den Versuch des verantwortungsvollen Übersetzens postkolonialer Theatertexte

von Can Cihanbeyli

In diesem Essay möchte ich meine persönlichen Erfahrungen und Gedanken zum verantwortungsvollen Übersetzen postkolonialer Theatertexte teilen. Erfahrungsgrundlage hierzu bildet das von Frank Weigand geleitete Übersetzungsseminar Kollektiv und Postkolonial – sprachübergreifendes Theaterübersetzen als dialogische Praxis. Im Kollektiv aus elf Studierenden der Universität Mannheim sollten Auszüge fünf verschiedener Theatertexte, die in der Originalsprache entweder auf Französisch oder Englisch verfasst sind, in die deutsche Sprache überführt werden. Der gemeinsame Nenner der Texte aus Tunesien, dem Libanon, Kamerun, den USA und Uganda ist, dass die durch sie vermittelten Geschichten stets die Kolonialgeschichte der jeweiligen Länder mitreflektieren.

Die fünf ausgewählten Stücke verhandeln das Thema Kolonialismus auf verschiedenste Weise. Auf zwei dieser Texte möchte ich kurz eingehen: Während in «We are Proud to Present […]»¹ (Jackie Sibblies Drury, USA) eine Gruppe Schauspieler*innen versucht, eine angemessene Sprache zu finden, um die deutschen Kolonialverbrechen an den Nama und Herero darzustellen, erzählt das Stück «Tais-toi et creuse» (Hala Moughanie, Libanon) davon, wie im Chaos des Libanesischen Bürgerkriegs eine Familie der Willkür zweier Uniformierter ausgesetzt ist.

In beiden genannten Texten wird Sprache zum zentralen Aushandlungsort des Stücks. In «We Are Proud to Present…» verstrickt sich die Gruppe, die doch eigentlich zum Ziel hat, eine ethisch vertretbare Sprache zu finden, um die Kolonialverbrechen an den Namibischen Bevölkerungsgruppen durch die Deutschen zu veranschaulichen, entweder im Sprachregister der political correctness oder in der Formensprache westlicher Geschichtsschreibung, die bis heute selbst imperialistisch geprägt ist. Das Unterfangen, eine eigene authentische Sprache zu finden, die den Nama und Herero gerecht wird, läuft ins Leere. Und dennoch blitzt das durch die Behelfssprache Verfehlte, das Unsagbare immer wieder hervor. Das Ausmaß des Leids und der Ungerechtigkeit wird gerade dadurch sichtbar, dass auch nach umfassender Suche keine Worte gefunden werden können.

In «Tais-toi et creuse» bedeutet Sprache Heil und Unheil zugleich. Denn wenn die libanesische Familie geschickt versucht, immer wieder durch das Plaudern mit den Uniformierten die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, berufen sich die Uniformierten mittels amtssprachlicher Phrasen auf ihren Machtanspruch. Wie ein Damoklesschwert zittert die Sprache im gewählten Auszug zwischen Menschlichkeit, Humor, Absurdität und brutaler Willkür. Sprache wird hier zum Besänftigungsmittel und Machtinstrument zugleich.

Wie sich für mich persönlich gezeigt hat, können gerade Theatertexte, die Sprache als kontaminiert von struktureller Macht und politischer Agenda verstehen, nicht leichtfertig übersetzt werden. Schwankt doch jede sprachliche Exponierung des jeweiligen Konflikts zwischen Sichtbarmachung und Emanzipation. Auf diesem schmalen Grad zu wandern liegt im Verantwortungsbereich der Übersetzer:innen. Denn nur wenn ein Gefühl dafür entwickelt werden kann, dass das von den Autor:innen angelegte spannungsvolle Sprachspiel zwischen Macht und Ohnmacht essenzieller Teil ist, um die Betroffenheit durch die kolonial geprägte Geschichte darzustellen, können wir verantwortungsvoll mit den Texten umgehen. Anders gesagt, wenn dem Akt des Übersetzens das Moment der Deutungshoheit über den Text eingelagert ist, bedarf es der Bewusstheit über diesen eigenen Machtraum.

Im Nachhinein, so möchte ich behaupten, ist uns der verantwortungsvolle Umgang mit den Texten größtenteils gut gelungen. Jedoch erinnere ich mich auch an eine Stelle unserer Übersetzungsarbeit, die mich sehr beschäftigt hat, weil es schier unmöglich war, ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass wir Studierende nicht über die nötige Professionalität, respektive Erfahrung mit Theaterübersetzungen verfügen oder ob die politische Dimension des Textes über uns eingebrochen ist. Denn auf der Suche nach dem passenden Wort haben wir uns stellenweise in interpretatorischen Fragen verloren. Wir haben danach gefragt, was, wie, an welcher Stelle oder in welchem Kontext gesagt werden darf oder kann – und das auch ganz unabhängig davon, was das Stück vorschreibt.

Wie die Figuren in «We Are Proud to Present…» war unser Kollektiv auf der Suche nach der richtigen sprachlichen Ausdrucksform. Auch wir haben uns in Gedanken darüber verstrickt, wie die in den Originaltexten angelegte Sprache am besten in den deutschen Sprach- und Kulturraum überführt werden kann, ohne dabei in den Verdacht zu geraten, ein diskriminierendes Bild von bestimmten Bevölkerungsgruppen zu zeichnen. Denn mit dem Umzug in einen anderen Sprachraum, wird der Text auch in einen anderen politischen Raum getragen. Der in Deutschland aktuell hitzig geführte Diskurs um diskriminierungssensibles Sprechen ist deshalb in unsere Arbeit miteingeflossen. Doch wie ich persönlich finde, haben wir darüber den intendierten Wirkungsgehalt des Ursprungstextes ein wenig aus den Augen verloren.

Gespräch mit Teilnehmer*innen, Schauspieler*innen und Publikum nach der Lesung im Theaterhaus G7 (Foto: Elfi-Joana Porth)

Um die eben genannte Problematik zu veranschaulichen, möchte ich kurz auf unsere Arbeit an «La Danse des affranchies» (Latifa Djerbi, Schweiz/Tunesien) eingehen: Das Stück spielt in einem französischen Krankenhaus, wo die ursprünglich aus Tunesien stammende Saïda um ihren fast toten Mann trauert. Dr. Samb, ein Schwarzer Arzt, versucht ihr eine Einverständniserklärung abzuringen, den Körper ihres Mannes als Organspender nutzbar machen zu dürfen.

Während Saïdas Sprechen im französischen Originaltext durch einen markanten tunesischen Akzent gekennzeichnet ist, haben wir uns dafür entschieden, diesen Akzent im Deutschen nicht aufzunehmen. Wir wussten einfach nicht, wie sich ein Deutsch anhört, das durch einen tunesischen Akzent gebrochen ist. Jedoch haben wir auch darüber nachgedacht, den Akzent einfach nachzustellen, ihn sozusagen behelfsmäßig zu fingieren. Doch diese Möglichkeit ist uns in der Gruppe unangenehm aufgestoßen. Wir wollten keinen irgendwie zusammengemischten Fantasie-Akzent basteln. Ein solcher fingierter Akzent wäre letztlich nicht mehr als das Produkt stereotypisierender Vereinfachungen, die wir selbst zu verantworten hätten und damit das genaue Gegenteil eines diskriminierungssensiblen Schaffensprozesses.

Schließlich haben wir uns dafür entschieden, den Satzbau von Saïdas Sprechanteil sehr einfach zu halten, um zu markieren, dass sie nicht über die Sprachkompetenz von Muttersprachler*innen verfügt. Mit dieser Entscheidung haben wir jedoch so sehr in den Text eingegriffen, dass die Drastik der Szene unterlaufen wurde. Der tunesische Akzent der Mutter ist eigentlich essenzieller Teil der Szene. Denn nur wenn der Zuschauer klar versteht, dass hier eine Frau, die offensichtlich selbst einer diskriminierten Minderheit angehört, gegenüber einer anderen Minderheit, Menschen mit Schwarzer Hautfarbe, rassistisch agiert, funktioniert die Szene, so wie von der Autorin beabsichtigt. Nur so wird ersichtlich, dass auch Opfer zu Tätern werden können, dass wir uns alle ständig gegenseitig verletzen, wenn wir es doch besser wissen sollten, dass Rassismus allgegenwärtig ist.

Meinem ganz persönlichen Empfinden nach, sind wir der Aussagekraft dieser Szene nicht gerecht geworden. Auch wenn der Textausschnitt bei der abschließenden Lesung mit professionellen Schauspieler:innen noch funktioniert hat, haben wir der Szene die Schärfe genommen und damit dem Originaltext beschnitten. Wir Übersetzer*innen und unsere Arbeit haben durch diesen Eingriff Blessuren davongetragen: der Originaltext, weil dessen authentischer Wirkungsgehalt reduziert wurde; der von uns übersetzte Text ins Deutsche, weil der Zündstoff der Szene weitgehend verspielt wurde; wir Übersetzer*innen selbst, weil wir trotz Deutungshoheit über den Text ohnmächtig vor diesem standen.

Auch wenn ich an dieser Stelle nicht verbergen kann, dass eine kleine Unzufriedenheit über unserer Arbeit in mir rumort, bezieht sich diese doch nur auf die eben genannte Stelle. Viel positiver gestaltet sich mir doch die persönliche Erkenntnis, dass der Wille zum verantwortungsvollen Übersetzen wichtig ist. Denn auch wenn es nicht immer zu hundert Prozent gelingen mag, allem gerecht zu werden, empfinde ich den dadurch angestoßenen Reflektionsprozess als persönlichen Gewinn. In diesem Sinne sind meine Blessuren auch Erinnerungsmale an diese besondere Erfahrung.

¹Der angegebene Titel wurde aus ästhetischen Gründen gekürzt. Der vollständige Titel lautet: «We Are Proud to Present a Presentation About the Herero of Namibia, Formerly Known as Southwest Africa, From the German Sudwestafrika, Between the Years 1884-1915».

Can Cihanbeyli (Foto: privat)

Can Cihanbeyli ist gebürtige Mannheimerin. In ihrer Heimatstadt studiert sie Literatur, Medien und Kultur der Moderne im Master.

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