Besonders gefallen hat mir, dass wir den beschriebenen Übersetzungsprozess bei der Lesung in Jackie Sibblies Drury Stück künstlerisch darstellten, indem wir unterschiedliche Versionen der Übersetzungen nacheinander vorlasen. Dies verdeutlichte die Komplexität der Theaterüberset- zung und die zahlreichen Möglichkeiten, einen Satz oder gar ein einzelnes Wort zu übersetzen.
«In charge of all the tribes» klang in der Lesung wie folgt: (a) «Das Sagen über alle Stämme» (b) «Die Kontrolle über alle Stämme» (c) «Die Verantwortung für alle Stämme» (c) «Die Macht über alle Volksgruppen». Jede einzelne Übersetzung entfaltet dabei eine andere Wirkung. Während «Verantwortung» mit positiver Moral, Pflichtbewusstsein und Fürsorge assoziiert wird, wirkt «Macht» und «Kontrolle» sehr autoritär und gewaltsam. Auch die Unterscheidung zwischen «Stamm» und «Volksgruppe» macht einen bedeutenden Unterschied in der Darstellung der indigenen Bevölkerungsgruppe Namibias.
Eine gute Theaterübersetzung geht über wörtliches Übersetzen hinaus. Zunächst muss verstanden werden, welche Aussagen in dem Text mitschwingen. Der Unterton der Dialoge muss herausgearbeitet werden, damit dieser auch ins Deutsche transportiert werden kann. Dafür sprachen wir vor dem Übersetzen oft mit den jeweiligen Autor*innen, die uns sehr hilfreiche Informationen zur Entstehung ihrer Werke gaben und uns eine Interpretationsrichtung vorstellten. Dabei blieb mir die Zoom-Sitzung mit George Seremba, der sein Werk an persönliche Kindheitserinnerungen ge-knüpft hat und auf emotionale Weise ein Teil daraus vorlas, stark in Erinnerung.
Ein besonderes Augenmerk möchte ich nun auf das Werk «La Danse des Affranchies» von Latifa Djerbi legen. Dieses Stück erzählt die Geschichte einer Gastarbeiterfamilie aus Tunesien in Frankreich, wobei die Figur der Mutter im französischen Original einen starken, tunesischen Akzent besitzt. Dies stellte uns beim Übersetzen vor eine entscheidende Herausforderung. Lässt man den Akzent gänzlich weg? Versucht man einen tunesischen Akzent im Deutschen zu imitieren? Verwendet man einen anderen Dialekt? Mit einem deutschen Dialekt, wie beispielsweise Schwäbisch oder Sächsisch, hätten wir das Stück in einen spezifischen, geographischen Kontext verortet, was wir vermeiden wollten. Einen tunesischen Akzent im Deutschen nachzuahmen, stellte uns vor die Frage, ob wir als «Nicht-Arabisch²-Sprecher*innen» überhaupt berechtigt sind, dies künstlich zu imitieren. Da für den Verlauf der Handlung die sprachliche Barriere relevant war, ließ sich dies auch nicht ohne Weiteres ignorieren. Wir entschieden uns schließlich dafür, dass die Mutter in vereinfachter Sprache sprechen sollte. Mit einer simplen Syntax und einfachen Wörtern gelang es uns auf subtile Weise, den gewünschten Effekt zu erzielen, obwohl es dennoch von der Wirkung im französischen Original leicht abwich.
Ein weiteres Merkmal dieses Textes war die Verwendung arabischer Beleidigungen, die im französischen Original übernommen wurden. Wir entschieden uns einstimmig dafür, diese ebenfalls nicht zu übersetzen, um den Migrationshintergrund der Mutter zu unterstreichen. So ließen wir beispielsweise den Ausdruck khalouch, den die Mutter zu einem Arzt sagt, unübersetzt stehen.³ Dies führte uns zu einem weiteren Problem, da durch die Verwendung dieses Begriffs die Rassismus-Problematik innerhalb Afrikas dargelegt wird. Die tunesische Mutter grenzt sich hier in einem rassistischen Diskurs von den Menschen des «Schwarzen Kontinentes» ab, auch bekannt als Schwarzafrika oder Subsahara-Afrika. Um dies in unsere Übersetzung mitaufzunehmen, entschieden wir uns, in der jeweiligen Szenenanweisung die Hautfarbe des Arztes zu erwähnen. Dabei diskutierten wir viel über die Frage, ob es rassistisch sei, die schwarze Hautfarbe der Figur in einem Theater in Deutschland im Jahr 2022 hervorzuheben. Wir debattierten darüber, ob es nicht sinnvoll wäre, diese Rassismus-Problematik explizit zu erklären, entschieden uns schließlich aber dagegen, um den Redefluss der Figuren nicht zu unterbrechen. Hier gilt der von Frank Weigand oft erwähnte Spruch «Production kills process».
Oftmals gehen viele spannende Diskussionselemente im Sinne eines flüssigen Redeflusses unter. Dies löste auch bei der Aufführung gemischte Gefühle in mir aus. Einerseits Frust, da sich die zahlreichen Diskussionen über einzelne Wörter und Sätze auf der Bühne in Luft aufzulösen schienen. Anderseits überwog aber der Stolz, da sich die Kollektivübersetzung, an der wir wochenlang gearbeitet hatten, so flüssig und stimmig anhörte. Dennoch fand ich es wichtig, dass im Nachgang eine offene Gesprächsrunde zwischen den Schauspieler*innen, uns Übersetzer:innen und dem Publikum stattfand, in der auf bestimmte Szenen noch einmal genauer geschaut werden konnte und ein paar unserer Fragestellungen beim Übersetzen zur Sprache kamen.
Einige Fragen blieben auch in der Diskussionsrunde offen wie beispielsweise die Frage nach dem Umgang mit dem tunesischen Akzent in «La danse des Affranchies». Wahrscheinlich ist es auch gut so, dass sich nicht alles eindeutig klären ließ. Davon lebt das Theater: Austauschen, ausprobieren, aufführen. Die vielen konstruktiven Diskussionen und insbesondere die drei intensiven Probetage im Theater sowie die finale Lesung werde ich nicht so schnell vergessen!
¹Die anderen vier Stücke: Hala Moughanie: Tais-toi et creuse, George Seremba: Come Good Rain, Latifa Djerbi: La Danse des Affranchies, Wakeu Fogaing: Le Retour.
²Gemeint ist hier das tunesische Arabisch.
³Im Originaltext wurde dies mit «Négro. Terme plutôt péjoratif pour parler d’un homme à peau noire» übersetzt, was ein abwertender (diskriminierender, Anm. d. Red.) Begriff für einen Mann Schwarzer Hautfarbe ist.
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