Erfahrungsberichte zu einem Gastseminar an der Uni Mannheim Kollektiv und postkolonial Teil III

Gruppenbild mit Teilnehmer*innen, Schauspieler*innen und Regisseurin Leyla-Claire Rabih nach der Szenischen Lesung (Foto: Frank Weigand)

Elf neue Gesichter. Fünf unbekannte Theaterstücke. Ein großes Projekt.

von Daniela Hess

So begann Anfang September 2022 in einem Zoom-Raum das Kick-Off zum Seminar «Kollektiv und Postkolonial – sprachübergreifendes Theaterübersetzen als dialogische Praxis» der Universität Mannheim unter der Leitung des Theaterübersetzers Frank Weigand. Das Ziel: Aus fünf verschiedenen Theaterauszügen eine deutsche Übersetzung schaffen, die in Mannheims Theaterhaus G7 in Form einer Lesung vorgetragen wird. Für mich klang das nach einem anspruchsvollen und mutigen Vorhaben, insbesondere durch die verschiedenen Sprachen und Kontexte, in die wir uns jedes Mal aufs Neue hineinversetzen wür- den. Dadurch, dass ich keine Erfahrung in diesem Bereich mitbrachte, ging ich das Seminar mit einer Mischung aus Vorfreude aber auch Respekt an.

Das Übersetzen der einzelnen Auszüge erfolgte in Kleingruppen von fünf bis sechs Personen. Jede*r übersetzte zunächst individuell die jeweilige Textstelle, um sie dann mit den Gruppenmitgliedern zu besprechen. Dabei war es allen möglich, ihre Vorschläge einzubringen und darüber zu diskutieren. Das Ergebnis war eine Kollektivübersetzung. Doch die vermeintlich fertige Lösung bestand oft darin, verschiedene Möglichkeiten mit einem Schrägstrich voneinander getrennt anzuführen. In Wirklichkeit diente dies nur als veränderbare Arbeitsgrundlage. So erlernten wir im Seminar beispielsweise die Relevanz des Zusammenspiels von Sprache, Aussprache, Betonung einzelner Wörter und (Klang-)Farbe. Erst durch das laute Vorlesen der Übersetzungsgrundlage erkannte man, welche Versionen sich besser für bestimmte Dialoge eigneten.

Die ausgewählten Theaterauszüge, an denen wir uns erprobten, stammen hauptsächlich aus ehemaligen französischen und britischen Kolonien: Kamerun, Tunesien, Libanon und Uganda. Diese Auszüge verdeutlichen auf unterschiedliche Weise die Auswirkungen und Spuren kolonialer Herrschaft. Dabei grenzt sich das Stück «We Are Proud to Present a Presentation About the Herero of Namibia, Formerly Known as Southwest Africa, From the German Sudwestafrika, Between the Years 1884-1915» stark von den anderen vier Stücken ab.¹ Die US-amerikanische Autorin Jackie Sibblies Drury lässt dort eine Theatergruppe die Grausamkeiten der Deutschen in der Kolonialgeschichte Namibias explizit schildern, wobei viele ethische Fragestellungen aufkommen: Wer ist berechtigt die Geschichte der Herero und Nama zu erzählen? Darf eine weiße Person eine schwarze Person auf der Theaterbühne darstellen? Wie muss die Kolonialgeschichte Namibias erzählt werden? Mit diesen Fragen im Hinterkopf starteten wir unser Übersetzungsprojekt.

Generalprobe mit Samantha Fowler, Bernadette Evangelina Schlottbohm und Mounir Saidi (Foto: Frank Weigand)

Besonders gefallen hat mir, dass wir den beschriebenen Übersetzungsprozess bei der Lesung in Jackie Sibblies Drury Stück künstlerisch darstellten, indem wir unterschiedliche Versionen der Übersetzungen nacheinander vorlasen. Dies verdeutlichte die Komplexität der Theaterüberset- zung und die zahlreichen Möglichkeiten, einen Satz oder gar ein einzelnes Wort zu übersetzen.

«In charge of all the tribes» klang in der Lesung wie folgt: (a) «Das Sagen über alle Stämme» (b) «Die Kontrolle über alle Stämme» (c) «Die Verantwortung für alle Stämme» (c) «Die Macht über alle Volksgruppen». Jede einzelne Übersetzung entfaltet dabei eine andere Wirkung. Während «Verantwortung» mit positiver Moral, Pflichtbewusstsein und Fürsorge assoziiert wird, wirkt «Macht» und «Kontrolle» sehr autoritär und gewaltsam. Auch die Unterscheidung zwischen «Stamm» und «Volksgruppe» macht einen bedeutenden Unterschied in der Darstellung der indigenen Bevölkerungsgruppe Namibias.

Eine gute Theaterübersetzung geht über wörtliches Übersetzen hinaus. Zunächst muss verstanden werden, welche Aussagen in dem Text mitschwingen. Der Unterton der Dialoge muss herausgearbeitet werden, damit dieser auch ins Deutsche transportiert werden kann. Dafür sprachen wir vor dem Übersetzen oft mit den jeweiligen Autor*innen, die uns sehr hilfreiche Informationen zur Entstehung ihrer Werke gaben und uns eine Interpretationsrichtung vorstellten. Dabei blieb mir die Zoom-Sitzung mit George Seremba, der sein Werk an persönliche Kindheitserinnerungen ge-knüpft hat und auf emotionale Weise ein Teil daraus vorlas, stark in Erinnerung.

Ein besonderes Augenmerk möchte ich nun auf das Werk «La Danse des Affranchies» von Latifa Djerbi legen. Dieses Stück erzählt die Geschichte einer Gastarbeiterfamilie aus Tunesien in Frankreich, wobei die Figur der Mutter im französischen Original einen starken, tunesischen Akzent besitzt. Dies stellte uns beim Übersetzen vor eine entscheidende Herausforderung. Lässt man den Akzent gänzlich weg? Versucht man einen tunesischen Akzent im Deutschen zu imitieren? Verwendet man einen anderen Dialekt? Mit einem deutschen Dialekt, wie beispielsweise Schwäbisch oder Sächsisch, hätten wir das Stück in einen spezifischen, geographischen Kontext verortet, was wir vermeiden wollten. Einen tunesischen Akzent im Deutschen nachzuahmen, stellte uns vor die Frage, ob wir als «Nicht-Arabisch²-Sprecher*innen» überhaupt berechtigt sind, dies künstlich zu imitieren. Da für den Verlauf der Handlung die sprachliche Barriere relevant war, ließ sich dies auch nicht ohne Weiteres ignorieren. Wir entschieden uns schließlich dafür, dass die Mutter in vereinfachter Sprache sprechen sollte. Mit einer simplen Syntax und einfachen Wörtern gelang es uns auf subtile Weise, den gewünschten Effekt zu erzielen, obwohl es dennoch von der Wirkung im französischen Original leicht abwich.

Ein weiteres Merkmal dieses Textes war die Verwendung arabischer Beleidigungen, die im französischen Original übernommen wurden. Wir entschieden uns einstimmig dafür, diese ebenfalls nicht zu übersetzen, um den Migrationshintergrund der Mutter zu unterstreichen. So ließen wir beispielsweise den Ausdruck khalouch, den die Mutter zu einem Arzt sagt, unübersetzt stehen.³ Dies führte uns zu einem weiteren Problem, da durch die Verwendung dieses Begriffs die Rassismus-Problematik innerhalb Afrikas dargelegt wird. Die tunesische Mutter grenzt sich hier in einem rassistischen Diskurs von den Menschen des «Schwarzen Kontinentes» ab, auch bekannt als Schwarzafrika oder Subsahara-Afrika. Um dies in unsere Übersetzung mitaufzunehmen, entschieden wir uns, in der jeweiligen Szenenanweisung die Hautfarbe des Arztes zu erwähnen. Dabei diskutierten wir viel über die Frage, ob es rassistisch sei, die schwarze Hautfarbe der Figur in einem Theater in Deutschland im Jahr 2022 hervorzuheben. Wir debattierten darüber, ob es nicht sinnvoll wäre, diese Rassismus-Problematik explizit zu erklären, entschieden uns schließlich aber dagegen, um den Redefluss der Figuren nicht zu unterbrechen. Hier gilt der von Frank Weigand oft erwähnte Spruch «Production kills process».

Oftmals gehen viele spannende Diskussionselemente im Sinne eines flüssigen Redeflusses unter. Dies löste auch bei der Aufführung gemischte Gefühle in mir aus. Einerseits Frust, da sich die zahlreichen Diskussionen über einzelne Wörter und Sätze auf der Bühne in Luft aufzulösen schienen. Anderseits überwog aber der Stolz, da sich die Kollektivübersetzung, an der wir wochenlang gearbeitet hatten, so flüssig und stimmig anhörte. Dennoch fand ich es wichtig, dass im Nachgang eine offene Gesprächsrunde zwischen den Schauspieler*innen, uns Übersetzer:innen und dem Publikum stattfand, in der auf bestimmte Szenen noch einmal genauer geschaut werden konnte und ein paar unserer Fragestellungen beim Übersetzen zur Sprache kamen.

Einige Fragen blieben auch in der Diskussionsrunde offen wie beispielsweise die Frage nach dem Umgang mit dem tunesischen Akzent in «La danse des Affranchies». Wahrscheinlich ist es auch gut so, dass sich nicht alles eindeutig klären ließ. Davon lebt das Theater: Austauschen, ausprobieren, aufführen. Die vielen konstruktiven Diskussionen und insbesondere die drei intensiven Probetage im Theater sowie die finale Lesung werde ich nicht so schnell vergessen!

¹Die anderen vier Stücke: Hala Moughanie: Tais-toi et creuse, George Seremba: Come Good Rain, Latifa Djerbi: La Danse des Affranchies, Wakeu Fogaing: Le Retour.
²Gemeint ist hier das tunesische Arabisch.
³Im Originaltext wurde dies mit «Négro. Terme plutôt péjoratif pour parler d’un homme à peau noire» übersetzt, was ein abwertender (diskriminierender, Anm. d. Red.) Begriff für einen Mann Schwarzer Hautfarbe ist.

Daniela Hess (Foto: privat)

Daniela Hess studiert an der Universität Mannheim den Masterstudiengang Kultur und Wirtschaft. Neben dem Studium arbeitet die gebürtige Frankfurterin im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und schätzt dabei den Austausch im interkulturellen Kontext.

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Die vielen Perspektiven kollektiver Theaterübersetzung

von Rebekka Langhans

Mit den beiden Projekten «(Not?) Proud to Present» und «Miranda and Dave goes Mannheim» aus dem letzten Semester konnte ich unerwartet zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen ma- chen. «(Not?) Proud to Present» erwies sich durch die Form der Collage als multiperspekti-visch. Beide Übersetzungsprojekte verbindet die Kollektivität des Übersetzungsprozesses. Sie verursacht perspektivische Schwierigkeiten, die ich bei «(Not?) Proud to Present» verstärkt wahrgenommen habe.

Nicht nur die Kollektivität des Übersetzens bringt eine multiperspektivische Auseinanderset-zung mit den Stücken mit sich – auch die Stücke selbst bergen verschiedene Perspektiven. Es zieht sich zwar ein stofflicher roter Faden durch die Auswahl, aber die Stücke gleichen einan-der nicht. Das ist in den verschiedenen Erfahrungen der Autor*innen, der Figuren und den historischen und politischen Hintergründen der Schauplätze begründet. Schon im Übersetzungsprozess wurde deutlich, dass all dies nicht einheitlich zusammengeführt werden kann. Weder den Stücken noch dem, was den Übersetzer*innen wichtig war, konnte man so gerecht werden. So ist ein Mosaik aus verschiedenen Geschichten, Erfahrungen und auch Meinungen entstanden.

In den collagierten Stücken treffen Geschichten aus Namibia, Tunesien oder Uganda aufeinander; Geschichten von einer Gastarbeiterfamilie in Frankreich und von einem alten Mann, der sich an seine von politischer Unsicherheit geprägte Jugend erinnert; Geschichten von Armut, Verlust und Krieg. Was den Stücken gemein ist, ist der postkoloniale Kontext. Deshalb stellt die Übersetzung für eine Gruppe Studierender einer deutschen Universität eine Herausforderung dar. Wie lässt sich aus deutscher Perspektive mit einem Text umgehen, der von deutscher Kolonialherrschaft in Namibia erzählt?

Ein bis zum Ende hin ungelöstes Problem ergab sich zum Beispiel durch das Wort tribe, das man intuitiv mit Stamm übersetzt. Doch welche Konnotation birgt dieses Wort, das von deutschen Kolonist*innen verwendet wurde und sollten wir diese reproduzieren? Oder würde man eine von der Autorin von «We are proud to present» bewusst gewählte Drastik verfälschen, wenn man tribes mit indigene Völker übersetzte? In der Übersetzungsgruppe gab es zu dieser Frage unterschiedliche Meinungen. Möglichst korrekte Übersetzung stand politischer Korrektheit gegenüber. Das Risiko, Inhalt zu verfälschen wurde mit der Sorge abgewägt, man könne jemanden verletzen.

Studierende im Zuschauerraum bei der Generalprobe (Foto: Frank Weigand)

Vor ein ähnliches Problem hat uns Latifa Djerbis «La Danse des Affranchies» gestellt. Die Autorin verwendet das arabische Wort Khalouch, das mit dem N-Wort übersetzt werden kann. Es war schnell klar, dass das rassistische N-Wort nicht in unserer Übersetzung vorkommen durfte. Doch wie mit der Textstelle umgegangen werden sollte, löste erneut lange Überlegungen und Diskussionen aus. Die Lösung – das Wort aus dem Originaltext unübersetzt zu verwenden – erscheint etwas vereinfacht, doch sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass es in seiner Konnotation nicht dem deutschen N-Wort entspricht.

Als besonders schwierig hat sich die Übersetzung der Figur der Saïda aus «La Danse des Affranchies» erwiesen. Im Originaltext hat sie einen starken tunesichen Akzent, wenn sie Französisch spricht. Innerhalb der Übersetzungsgruppe wurde entschieden, dass dieser nicht ins Deutsche übertragen werden durfte. Grund dafür war unter anderem, das keine*r der Teilnehmenden die entsprechende Sprachkompetenz hat. Ohne Sprachkenntnisse einen Akzent zu «erfinden» wäre uns falsch vorgekommen. Saïdas Repliken wurden ohne Akzent übersetzt, stattdessen haben wir versucht, ihr eine vereinfachte Syntax zu verleihen. Unsere Entscheidung wurde im Nachhinein von einigen der Zuschauer*innen kritisiert.

Darf im Theater alles gesagt und getan werden? Schließlich wollen wir mit diesen Stücken bestimmte Lebenswelten möglichst unverfälscht zeigen, und teilweise auch auf Probleme hinweisen oder Missstände kritisieren. Möglicherweise hätten wir uns auch für eine andere Lösung entschieden, wenn eine*r der Schauspieler*innen die notwendigen Sprachkenntnisse und damit die Legitimation, einen Akzent zu spielen, gehabt hätte. Diese Gedanken lassen sich auch auf alle anderen oben erwähnten Überlegungen übertragen: Darf Theater also tribe mit Stamm übersetzen? Aber wenn Theater alles sagen darf, muss es dann auch alles sagen?

Mit derart komplexen Fragestellungen mussten wir uns im Projekt «Miranda & Dave goes Mannheim» nicht befassen. Das übersetzte Stück «Miranda and Dave Begin Again» von Rihannon Collett beschreibt Konflikte, die aus zwischenmenschlichen Beziehungen entstehen. Im Vordergrund stehen dabei die Kritik an dem gesellschaftlichen Konstrukt der Jungfräulichkeit und Fragen der weiblichen Sexualität. Anders als die Stücke des aktuellen Überset- zungsprojekts sind diese Themen sehr universell und in verschiedene Kontexte übertragbar. Das Stück spielt zwar in Kanada und es bestehen kulturelle Unterschiede – auch weibliche Sexualität betreffend – zwischen Nordamerika und Deutschland. Trotzdem haben wir uns damals entschieden, das Stück nach Mannheim zu holen. Denn auch in Europa, Deutschland und Mannheim haben Fehlgeburten, sexuelle Übergriffe auf Minderjährige und toxische Männlichkeit Aktualität.

Liest man das Stück als ein politisches und ordnet es in die feministische Sphäre ein, erklärt sich, warum es leichter war, Entscheidungen im Übersetzungsprozess zu treffen. Es herrscht Konsens darüber, dass über diese Themen dringend gesprochen werden muss und auch das Vokabular ist weniger problematisch als im postkolonialen Kontext. Es wurde beispielsweise entschieden, das Wort Jungfernhäutchen stark ironisch abzuwerten. Zwar gab es auch zur Frage «Hymen oder Jungfernhäutchen?» unterschiedliche Meinungen, aber es wurde eine Lösung gefunden, ohne die Gefahr, Rassismen zu reproduzieren.Auch die Konstellation der Übersetzungsgruppe spielt eine Rolle: Es waren vornehmlich cis Frauen beteiligt, die sich mit den Themen identifizieren können und sich als Teil der Ingroup betrachten, zu der die weiblichen Figuren gehörten. Damit ist die Sorge geringer, jemanden mit den Texten zu verletzen.

Für die Problematiken in «(Not?) Proud to Present» waren nicht immer Kompromisse möglich. Volksgruppen, Stämme oder indigene Völker? Unsere Lösung war es letztlich, keine Lösung anzubieten. In einer Collage aus den einzelnen Übersetzungen aller Beteiligten wurden alle Fragen, Probleme, Meinungen und Meinungsverschiedenheiten, mit denen «We are proud to present» uns konfrontiert hat, offen an das Publikum weitergegeben. Die Zuschauer*innen wurden in den Diskurs einbezogen, den wir in der Gruppe begonnen haben.

Rebekka Langhans (Foto: privat)

Rebekka Langhans (1993) studiert an der Universität Mannheim Literatur, Medien und Kultur der Moderne im Master. Für ihren Bachelor hat es sie vor vier Jahren nach Mannheim gezogen, wo sie neben dem Studium als Grafikdesignern arbeitet.

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Die Krise der Übersetzenden

von Angelina Stückler

Wie schon der Kurstitel «Kollektiv & Postkolonial. Sprachübergreifendes Theaterübersetzen als dialogische Praxis» vermuten lässt, gestaltete sich dieses Seminar als unübliche universitäre Veranstaltung. Als Gruppen erarbeiteten wir gemeinsam Texte von Theaterstücken, die postkolonialen Bezug aufweisen und durften schließlich sogar bei dessen Inszenierung mitwirken. Eine praxisorientierte Veranstaltung, die den Teilnehmenden nicht nur die Arbeit eines Übersetzenden näherbrachte, sondern eben auch die Hindernisse und modernen Problemstellungen aufzeigte.

Besonders diese sollen als Gegenstand dieses Essays behandelt werden:
Wie geht man mit problematischen Begriffen in Theaterstücken um? Übersetzt man wortwörtlich und eng am Text oder erlaubt man sich die Freiheit einer kritischen Lesart und Neuinterpretation, um diskriminierende oder unangemessene Stellen zu ändern? Läuft dies nicht dem eigentlichen Sinn einer Übersetzung zuwider, da es den intendierten Text abändert?

In ihrer Forschungsarbeit zu Translationen stellten Hervey et al. 1995¹ ein Spektrum vor, das angibt, ob die Übersetzung eher auf die Ausgangssprache (Original) oder die Zielsprache ausgerichtet ist. Das bedeutet, dass die Übersetzenden sich entweder stark an dem Wortlaut des Originaltextes orientieren und eine möglichst wörtliche Wiedergabe des Inhalts produzieren möchten oder eben eine freie, idiomatische Übersetzung, die sich stärker auf den eigentlichen Sinn konzentriert und die Übersetzung in der Zielsprache möglichst natürlich klingen lässt. Wir entschieden uns für eine eher idiomatische Übersetzung und passten den Text dabei auch vor allem den Klängen und der Sprachmelodie des Originals an.

Doch auch viele textinhärente und von den Textschaffenden intendierte Bedeutungen machten uns Probleme. Im Sinne eines politisch korrekten und inklusiven Sprachgebrauchs wird es für den Beruf der Übersetzenden immer relevanter, stetig und vorsichtig abzuwägen, welche Herangehensweise in Bezug auf kritische Begriffe für einen Text gewählt wird. So merkten auch wir als Seminarteilnehmende relativ schnell, dass für unsere Übersetzungsarbeit die deutsche Geschichte und deren Prägung auf bestimmte Kolonialisierungsbegriffe immens wichtig ist. Wir scheiterten daran, einen äquivalenten und nicht kolonialistisch-diskriminierenden Begriff für das englische Wort tribe zu finden. Stamm, Sippschaft, oder doch lieber Völkergruppe? Wirklich einigen konnten wir uns nicht, behielten also erstmal alle unterschiedlichen Versionen bei, um sie später mit den Schauspieler*innen auszuprobieren und die Sprachmelodie und den Tonfall des restlichen Stückes beizubehalten.

So wurde die Idee geboren, die Übersetzungsalternativen einfach nacheinander in das Stück zu integrieren, um dadurch eine Intensivierung von kritischen Szenen und Begriffen zu erreichen. Bei dem Stück «We are proud to present» wiesen wir den Schauspieler*innen demnach keine Rollen zu, sondern ließen sie nacheinander Zeile für Zeile lesen. Durch das Beibehalten aller Alternativübersetzungen ergab sich so eine Stichomythie: schnell, melodisch und vor allem einprägsam.

Die Schauspieler*innen Nicko Haber und Bernadette Evangelina Schlottbohm in George Serembas «Come Good Rain» (Foto: Frank Weigand)

Ein weiterer Punkt, der uns Schwierigkeiten bereitete, war der tunesische Akzent der Mutter im französischen Stück «La Danse des Affranchies». Wie übersetzt man einen Akzent angemessen? Oder lässt man es am besten einfach sein? Wäre es anmaßend, den Akzent in einen Dialekt oder gar Soziolekt zu verwandeln? Keiner dieser Vorschläge erschien uns passend, da es entweder die Hintergrundgeschichte zur Emigration der Mutter für die Zuschauer*innen unkenntlich macht oder die Rolle der Mutter eben so weit degradiert, dass sie nicht mehr als vollwertiger Charakter ernst genommen werden kann. Wir priorisierten hier eine nicht-diskriminierende Darstellung der Mutter, sodass die kollektive Wahl letztendlich auf einfache Satzkonstruktionen im Rahmen ihrer Ausdrucksweise fiel. Sie wird dadurch von anderen Charakteren differenziert und verdeutlicht ihre fehlenden (Landes-)Sprachkenntnisse, gleichzeitig erklären wir als Übersetzende damit aber die eigentliche Herkunft und Hintergrundgeschichte der Figur als irrelevant für das Publikum.

Also gilt es für die Übersetzenden auch hier wieder eine nicht unbedeutende Wahl zu treffen: Sich entweder nahe am Text zu bewegen und Einflüsse durch eine weitschweifende Interpretation des Übersetzenden zu vermeiden, dadurch aber auf Gefahr zu laufen, auf das «woke» Publikum als diskriminierend zu wirken. Oder eben dem eigenen moralischen Wertegerüst und den gesellschaftlichen Konventionen folgend den zu übersetzenden Theatertext anzupassen, zu entschärfen, ihn damit aber gleichzeitig seiner Wirkung zu berauben.

Alles in allem ist zu sagen, dass wir uns als Kollektiv eher für die eigene, sensible Lesart und Political Correctness entschieden, sofern dies eben möglich war ohne dem Stück den gesamten Charme/Sinn zu stehlen. Sowohl in den zweiwöchentlichen Gruppenhausaufgaben als auch in den wöchentlichen Seminarstunden konnten wir uns als Gruppe (größtenteils) einig werden. Denn auch wenn wir uns teilweise an sehr kleinen Satzgebilden oder Begriffen aufhängten, so konnte durch die richtige Argumentation immer ein allgemeiner Konsens gefunden werden.

Die Inszenierung der fünf kollektiv übersetzten Textstücke fand unter dem Titel «(NOT?) Proud to Present» im Theaterhaus G7 als szenische Lesung statt. Fünf Schauspieler*innen halfen uns, zuerst in der Probe und dann in der Lesung selbst, die Texte miteinander zu verbinden und ihnen einen Sinn zu geben. Dabei wurde bei jedem Text dessen eigener originaler Sprachstil und die Sprechmelodie beibehalten. Die Themen der jeweiligen Texte drehten sich dabei immer um den Aspekt der Postkolonialität: Die Figuren erzählen oder zeigen auf, wie es ist vertrieben, ohne Heimat oder Zuflucht zu sein und von den (ehemaligen) Kolonialmächten unterdrückt worden zu sein. Durch die Aufarbeitung und Anpassung an unsere festgelegten Übersetzungskonventionen konnten wir diese komplexen und großen Themen für das Publikum aufbereiten.

Alles in Allem war dieses Seminar eine Bereicherung für mich, da ich wichtige Erfahrungen sammeln durfte, was die kollektive Arbeit an Texten angeht, aber auch die Hürden und Bedenken von Übersetzenden in der heutigen Zeit.

 

¹ Hervey, S., Higgins, I., & Loughridge, Michael. (1995). Thinking German Translation: A Course in Translation Method: German to English (Second). Routledge.

Angelina Stückler (Foto: privat)

Angelina Stückler wurde 1998 in Mannheim geboren und hat dort ihre komplette schulische Ausbildung absolviert. In ihrem Bachelorstudium «Germanistik: Sprache, Literatur und Medien» entwickelte sie eine Leidenschaft für das Theater. Seit 2019 ist sie im Bewegungschor des Nationaltheaters Mannheim und spielte bereits in der der Uraufführung der französischen Oper «Hippolyte et Aricie» 2021 mit. Seit September 2020 ist Angelina an der Universität Mannheim und der University of Waterloo im Masterstudium «Intercultural German Studies» eingeschrieben, mit dem sie bereits ein Jahr in Kanada leben und studieren durfte.

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