Hier ein Beispiel von einer Tanzproduktion des Staatsballetts Oldenburg, an der ich als Choreograf mitarbeiten durfte. In Kooperation mit Antoine Jully, dem Leiter der BallettCompagnie Oldenburg, choreografierten wir zu zweit einen Ballettabend zur Musik von Joseph Haydn mit dem Titel «Die sieben letzten Worte». Das Stück beschreibt den Leidensweg Jesu in sieben Teilen. Das Konzept bestand darin, zu den sieben Teilen je eine Choreografie zu kreieren, die den Inhalt im Tanz widerspiegelt. Bei der Anfrage an mich war von Anfang an klar, dass keine kritische Auseinandersetzung mit dem Inhalt, der Institution Ballett oder der heutigen Gesellschaft stattfinden würde. Ich habe angenommen.
Als Choreograf ist es für mich immer eine großartige Möglichkeit, mit professionellen Kompanien zu arbeiten. Ich war mir von Anfang bewusst, dass ich mich einzig und allein auf Bewegungen zu einer feststehenden Musik konzentrieren würde. Ich habe die Arbeit genossen. Mit fitten Tänzer*innen die Leidenschaft für Tanz zu teilen und in wunderschönen Räumen proben zu können, war ein Privileg. Dieses Privileg habe ich teuer bezahlt, wie mir spätestens am Premierenabend klar wurde. Ein konservatives Publikum mit einem gefühlten Durchschnittsalter von 55 füllte das Theater. Sie bekamen das, was sie sehen wollten. Einen Ballettabend, der die Vergangenheit romantisierte. Das Staatstheater wird von uns allen bezahlt. Die Ausschlüsse in Bezug auf Publikum und auf Inhalte waren himmelschreiend. Scheinbar war ich einer der wenigen, der diesen Schrei gehört hat. Ein Mitglied der Compagnie war von Abschiebung bedroht. Obwohl der Tänzer seit Jahren in Deutschland arbeitete, war er jedes Jahr wieder auf die Verlängerung seines Vertrags angewiesen, um ein Bleiberecht zu bekommen. Deportationen finden in Deutschland regelmäßig statt. Darüber, wer deportiert wird, entscheidet der Kontostand der jeweiligen Person. Wäre das nicht etwas, worüber Jesus gesprochen hätte?
«Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.»
«Die Letzten werden die Ersten sein.»
Machterhaltende Kunst vereinnahmt Machtkritik und macht daraus Unterhaltung. Und ich war ein Teil davon.
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