SPUREN (1): Der Theatermacher Dieudonné Niangouna im Gespräch über sein Stück «De ce coté» «Man schenkt sich selbst den Anderen»

Dieudonné Niangouna als Dido in der Inszenierung seines Textes «De ce côté» («Diesseits») (Foto: Sean Hart)

Im Juni erscheint im Verlag Theater der Zeit die Anthologie SPUREN. Sie versammelt neun Theaterstücke von Autor*innen aus Benin, Burkina Faso, DR Kongo, Guinea, Republik Kongo, Senegal, Uganda sowie der afrikanischen Diaspora. Die ausgewählten Texte erzählen von gesellschaftlichem Wandel, Widerstand, Identität und Erinnerung – mal poetisch verdichtet, mal direkt und konfrontativ. Präsentiert wird dabei auch «De ce côté» von dem Regisseur, Schauspieler und Dramatiker Dieudonné Niangouna (ins Deutsche übersetzt unter dem Titel «Diesseits» von Isolde Schmitt), das im Juni außerdem als Gastspiel beim Kölner Festival afriCOLOGNE zu sehen ist. Mit Frank Weigand sprach der Totaltheatermacher über die autobiografischen Anteile des Textes, seine künstlerischen Einflüsse und die oft leichtfertigen Urteile über seine Arbeit.

 

 

Frank Weigand: De ce côté ist ein Stück über Exil. Wie ist dieser Text entstanden?

Dieudonné Niangouna: De ce côté ist kein Stück über Exil. Der Monolog De ce côté handelt von den Leiden und Irrwegen der Hauptfigur Dido in Zusammenhang mit dessen politischem Theater. Im Alter von neun Jahren verliert Dido seine beiden Eltern. Seine Lösung:  Er schlägt den Weg des engagierten Theaters ein, «mit respektlosen Worten», in einem Land mit einem Regime, das dieses Theater nicht will.

Die Folge: Die Machthaber verüben einen heimlichen Bombenanschlag auf sein Theater und schieben ihm die Schuld in die Schuhe. Dido muss fliehen und erleidet überall, wo er hinkommt, dasselbe Schicksal, da er auf seiner Flucht weiterhin Theater spielt. Da er in seinem Heimatland, das er verlassen hat, beschuldigt wird, einen Anschlag auf sein eigenes Theater verübt zu haben, quält ihn zusätzlich der Anblick der Menschen, die in diesem Theater gestorben sind. Das Trauma verfolgt ihn überall, auch dort, wo seine Flucht schließlich endet, im Exil, in einem westlichen Land.

Seine Probleme haben mit seinem Trauma zu tun, das mit seinem Schuldgefühl zu tun hat, das wiederum mit seiner Arbeit als politisch engagierter Theatermacher zu tun hat. Sie haben nichts mit dem Exil zu tun, denn die gleichen Probleme hatte er schon in seinem Heimatland und auf den Straßen Afrikas, wo auch immer er hinging. Aber die Menschen, die angeblich zu derselben Schwarzen, afrikanischen Community gehören wie er, wollen das im Exil nicht hören. Und noch weniger können sie ertragen, in welcher Ästhetik er diese Probleme auf die Bühne bringt.

Sie lehnen seine universelle Vision von Theater ab, sein Theater, das weder nationalistisch noch patriotisch ist, ein Theater, das nicht dazu da ist, eine Flagge oder eine Kultur oder einen Kontinent oder eine «Rasse» zu propagieren. Ein Theater, das nicht versucht, zu gefallen oder sich durch Exotismus oder Abkapselung in der Behauptung einer Identität zu suhlen.

Daher wird sein Theater nicht von denen unterstützt, die eigentlich zu seiner Community gehören sollten, da sie nicht das gleiche Problem, nicht die gleiche Wahrnehmung oder das gleiche Engagement haben. Dido erkennt, dass es überall, wo er hingeht, das Gleiche sein wird, solange er die Art von Theater macht, die er macht. Er hat verloren. Er gibt das Theater auf und zieht sich in seine Bar zurück.

Der Text ist aus der Kälte der Welt und ihrer Gefühllosigkeit in einem Augenblick meines Lebens entstanden, der einem langen, endlosen Winter ähnelte. Ich war damals Mitte Vierzig. Seit fast zehn Jahren durfte ich nicht mehr nach Kongo-Brazzaville einreisen. Fast zehn Jahre lang hatte ich also meine erste und meine dritte Tochter nicht mehr gesehen, die in Kongo-Brazzaville geblieben waren, und das Festival Mantsina-sur-Scène nicht mehr erlebt, ein internationales Festival für Theater und zeitgenössische Dramatik, das ich zusammen mit Abdon Fortuné Koumbha, Felhyt Kimbirima, Arthur Vé Batoumeni und Ludovic Louppé ins Leben gerufen hatte und seit 2003 leitete.

In denselben Zeitraum fiel der Lockdown in Frankreich. Der Schmerz darüber hatte mich veranlasst, darüber nachzudenken, wie zerbrechlich und verletzlich das Theatermachen ist, trotz der Bemühungen und guten Absichten von Künstlern, Orten, Festivals und Institutionen. Ich musste die Zeit des Lockdowns nutzen, um in mich zu gehen und den Weg zu verstehen, den mein Theater von Kongo-Brazzaville über all die anderen Orte, an denen ich sonst noch gewesen bin, bis nach Frankreich zurückgelegt hatte. Und es waren schlechte Zeiten für das Theater: Das Aufkommen der politischen Extreme mähte spezifische poetische Kunstansätze nieder, die sich auf eine einzigartige und sehr spezielle Geschichte bezogen und Ästhetiken verwendeten, die nicht Teil des Mainstreams waren (was sogar zur Kürzung der Subventionen für meine Kompanie führte).

Entweder zwang man mich, an Orten zu sprechen, an denen ich nicht sprechen wollte, weil es nicht die richtigen Orte waren, weil die Fragen Fangfragen waren, weil diejenigen, die sie mir stellten, schlicht und einfach einen Schwarzen Afrikaner brauchten, noch dazu einen aus Subsahara-Afrika, und keinen Künstler, um meine Sprache und mein Denken in eine Schublade zu stecken, mit der Absicht, meine künstlerische und theatralische Kultur schematisch auf die Tatsache zu reduzieren, dass ich ein N*** war.

Sie beschuldigten mich, ich würde mich beschweren, nachdem ich alle möglichen Vorteile genossen hätte, und entwerteten meine Äußerungen, mit denen ich versuchte, mich zu verteidigen und zu sagen, was es zu verteidigen, zu sagen und vor allem zu tun gab. Oder man sagte Dinge über mich, die ich nicht gesagt hatte, weil es vielen Menschen offensichtlich erschien, dass ich als Schwarzer Afrikaner aus der Subsahara, als Immigrant in Frankreich und als Künstler, der aufgrund seiner Hautfarbe einer Minderheit angehörte, nur «das» sagen konnte. Aus all diesen Gründen habe ich mich mit Mitte Vierzig und auf die Fünfzig zugehend entschlossen, De ce côté zu schreiben.

 

Dieudonné Niangouna als Dido in der Inszenierung seines Textes «De ce côté» («Diesseits») (Foto: Sean Hart)

Wie in all deinen Texten finden sich auch hier die unterschiedlichsten theatralischen und literarischen Einflüsse – europäische, afrikanische, literarische, popkulturelle – nebeneinander. Wie schaffst du es, aus all dem deinen eigenen Text zu entwickeln?

Die verschiedenen Einflüsse, die man in meinem Schreiben findet, sind Äußerungen meiner Seele, meiner Identität. Nicht nur als Identität einer intellektuellen Kultur und einer Theaterkultur, sondern vor allem als Lebensidentität. Ich wurde am 13. Februar 1976 in Brazzaville geboren, um 17.45 Uhr, zu der Zeit, wenn die Sonne im Kongo untergeht. Ich bin eine Frucht der Abenddämmerung. Zwischen dem Ende des Tages und dem Ruf der Nacht. Es ist mir wichtig, das zu betonen, denn mein Empfinden und meine Poesie sind zutiefst vom Animismus geprägt. Die Zeit, der Klang, die Nuancen und ihre Variationen sind sowohl in meinem Schreiben als auch in meinen Inszenierungen auf plastische Weise präsent.

Ich wurde also in einer zeitgenössischen Periode der Geschichte von Kongo-Brazzaville geboren. Als Sohn einer Lehrerin, einer Gymnasiallehrerin für Geschichte und Geografie, einer glühenden, praktizierenden Katholikin, einer duldsamen und äußerst zärtlichen Frau: Ngongo Marie. Und eines Vaters, der Universitätsprofessor und der bedeutendste Grammatiker von Kongo-Brazzaville war, ein Purist der Sprache Molières, Atheist, streng, witzig, zornig und gewalttätig zugleich, ein Liebhaber von Literatur, Autorenfilmen und Weltmusik: Auguste Niangouna. Meine Großmutter war Hexe, Schamanin, Heilerin, Geschichtenerzählerin, Nsakou-Priesterin (die Spiritualität des Volkes der Bakongo), witzig, hart und streitlustig: Bakouka Louise.

Ich begegnete der Weltliteratur, dem Weltkino und der Weltmusik zu Hause bei meinem Vater, der katholischen Religion zu Hause bei meiner Mutter, der Tradition und dem rituellen Theater der Bakongo (dem Heilungstheater Kinguinzila, den Ritualen der Lemba und den Initiationsmärchen) bei meiner Großmutter während der Ferien in ihrem Dorf Massembo Loubaki. Ich bin mit all diesen Einflüssen gleichzeitig aufgewachsen.

Parallel brachte man uns in der Schule die Geschichte Frankreichs, den Städtebau im Fernen Osten der Sowjetunion (das Regime des Landes war 32 Jahre lang kommunistisch) und die gesamte Allgemeinbildung bei: das alte Ägypten, das antike Griechenland. Und auf dem Literatur-Lehrplan standen: ein kongolesischer Autor (Henri Lopez mit seinem Erzählband Triballiques), drei afrikanische Autoren (Sembène Ousmane mit Les bouts de bois de Dieu, Amadou Hampaté Bâ mit L’Étrange Destin de Wangrin und Seydou Badian mit Sous l’Orage), sowie unzählige französische Autoren. Zu Hause sprachen wir Französisch und Lari, auf der Straße Französisch, Lingala, Munu Kutuba, Lari, Bikongo … In Mode war damals gerade die Rumba und Einflüsse aus aller Welt in Musik und Film. Das ist die Realität, die ich erlebt habe und die meine Identität mehr geprägt hat als Vorlieben und ästhetischer Geschmack.

Als ich Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre in Brazzaville, wo ich damals lebte, zum Theater kam, war der Schock daher sehr heftig für mich, als ich das sogenannte «afrikanische Theater aus Kongo-Brazzaville» entdeckte. Damals fragte ich mich: «Wie können wir bloß ein Theater haben, dessen literarischer und künstlerischer Ausdruck so begrenzt ist, wenn wir doch in Wirklichkeit eine zeitgenössische Kultur sind, an der alle möglichen Einflüsse ziehen und zerren, die von allen Strömungen umspült und durchdrungen wird, von jahrtausendealten Traditionen bis hin zu modernen und zeitgenössischen Importen? Aber was sehen wir auf diesen afrikanischen Bühnen?»

Diese erste Frage, die sich aus jener ersten Feststellung ergab, hatte meinen Geist geformt und mich veranlasst, ein Theater des Hier und Jetzt zu behaupten, zu machen, zu zeigen und zu spielen. Natürlich gab es Vorläufer, die sich die gleiche Frage gestellt hatten und mit ihrem Talent eigene Antworten gegeben hatten, die mich enorm beeinflusst haben. Ich denke da vor allem an das Theater von Sony Labou Tansi und seiner Truppe Le Rocado Zulu Théâtre, an Emmanuel Dongala und das Théâtre de l’Éclaire, an Matondo Kubu Turé und seine Truppe Le Théâtre Ngunga.

Und so entstehen meine Texte aus dem, was ich bin, als Palimpsest ästhetischer Kulturen und als persönliche Stimme der Person, die ich bin, und durch das, was ich erlebe.

Dieudonné Niangouna als Dido in der Inszenierung seines Textes «De ce côté» («Diesseits») (Foto: Sean Hart)

Du lebst seit mehreren Jahren in Frankreich, arbeitest aber weiterhin auf dem afrikanischen Kontinent. Wie beeinflusst dieses «Dazwischen» deine Arbeit als Dramatiker? 

Ich liebe es, mich zwischen den Polen zu bewegen. Und ich glaube fest daran, dass man ein Theater nicht ohne den Einfluss anderer Theater entwickeln kann. Jede künstlerische Geste, auch die des Theaters, stirbt, wenn sie sich nur als Ferment einer bestimmten Kultur versteht und sich den anderen gegenüber verschließt. Man kann ihre Vormachtstellung preisen, so viel man will, sie endet als einsame Übung.

Die Stärke und das Überleben des Theaters haben schon immer darin bestanden, gleichzeitig aus sich selbst und aus den anderen zu schöpfen. Nicht um zu kopieren, sondern um die eigene menschliche Existenz, das eigene Menschsein durch seine Kunst zu transzendieren. Eine Epoche, ein Raum, der glaubt, sich durch seine Kunst entwickeln zu können, ohne einen Blick auf die anderen, die nahen oder fernen Nachbarn zu werfen, ist schlicht und einfach dabei, vom hohen Ross seines Stolzes und seiner selbstgefälligen Nabelschau herab Selbstmord zu begehen.

Deshalb habe ich einen Fuß auf beiden Seiten des Mittelmeers und bringe den Menschen, denen ich als Künstler oder Schüler in meinen Theater- und Regieworkshops begegne, diese Übung der Klarheit bei. Die Frage ist nicht, wie man beides zusammenbringt. Intelligenz bedeutet für mich, von Anfang an zu verstehen, dass das Hier und das Dort Teil desselben künstlerischen Ansatzes sind, zu erkennen, dass das Hier und das Dort denselben Weg des künstlerischen Schaffens vorzeichnen. Und indem ich sie in meinem künstlerischen Schaffen heraufbeschwöre, sie miteinander in Einklang bringe, gelingt es mir, die festgedrehten Schrauben des Scheinwerfers ein wenig zu lockern. Ich kann keinen Theatertext erschaffen, wenn ich niemandem begegne, mich nicht austausche, nicht teile.

In einer Welt, die sich durch die Errichtung von Mauern, das Aufkommen von Extremen, den Rückzug auf Identitäten, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, die Vorherrschaft des Stammesdenkens und die damit verbundenen Bürgerkriege, wenn nicht gar Völkermorde, Religionskriege bis zur Unkenntlichkeit abgeschottet hat, in Verbindung mit den drakonischen Maßnahmen zur Verschärfung der Grenzkontrollen, die das Mittelmeer in einen der größten Friedhöfe dieses Jahrhunderts verwandelt haben, und den Budgetkürzungen bei den Kultur- und Kunstprogrammen, ist es nur menschlich, Literatur und Kultur als Tätigkeiten eines Fährmanns oder Schleusers zu begreifen und zu begleiten.

Dieudonné Niangouna performt seinen Text «Les Inepties Volantes» (Foto: Christophe Raynaud de Lage)

De ce côté ist ein melancholisches Stück, das von Selbstironie geprägt, aber oft traurig ist. Es stammt aus dem Jahr 2021. Bist du seitdem optimistischer oder pessimistischer geworden?

Nein, De ce côté ist nicht von Selbstironie geprägt. Selbstironie bedeutet, sich über sich selbst lustig zu machen. Ich mache mich nicht über mich selbst lustig. Ich erzähle, was ich erlebt habe. Wenn jemand dabei das Gefühl hat, ich mache mich über mich selbst lustig, dann ist das seine Sache, er hat das Recht dazu. Aber sein Gefühl ist nicht die Definition dessen, wie das Stück geschrieben wurde. Es ist die Definition seines eigenen Gefühls, wenn er mein Stück liest. Es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen dem, was man fühlt, und dem, was ist. Und beide haben das Recht zu existieren, wie das Objektive und das Subjektive. Das ist ein Gebot, das jeder Äußerung einer künstlerischen Geste innewohnt. Aber keiner der beiden Faktoren ersetzt den anderen.

Wenn die Hochbahn spät in der Nacht an meinem Fenster im Pariser Viertel Jaurès vorbeifährt, tut mir ihr Lärm manchmal so weh, dass ich die Kanonen des Krieges von 1997 in Brazzaville oder von 1998 in den Wäldern von Kongo-Brazzaville wieder spüre. Dieses Gefühl hängt mit meiner «traumatischen» Lebenserfahrung zusammen. Aber die Pariser Metro ist kein Krieg. Ganz und gar nicht. Das ist der Unterschied.

In De ce côté gibt es keine Selbstironie. Ich habe erzählt, was ich erlebt habe. Und wenn für jemanden die erlebte Realität eines Anderen Selbstironie ist, weil er selbst nicht die gleiche Geschichte erlebt hat, dann ist es seine eigene Realität, die er so sieht. Aber De ce côté ist mein Leben. Und wenn jemand mein Leben als Selbstironie empfindet, ist das sein Problem, nicht die Definition meines Lebens, das in einem theatralischen Kapitel erzählt wird, das sich auf die Kämpfe und Krisen bezieht, die ich erlebt und durchgestanden habe.

Es ist wie 2009, als ich mein Stück Les Inepties Volantes beim Festival d’Avignon aufgeführt habe und viele Journalisten und Theaterkritiker, selbst diejenigen, die das Stück mochten, in ihren Rezensionen nicht umhin kamen zu sagen: «Es ist gut, aber trotzdem gibt es einen poetischen Überschwang im Text, und durch die Dramatisierung des Krieges werden die Massaker verspottet. Versündigt sich Dieudonné Niangouna nicht aus purer Spottlust?» Dabei hatte keiner dieser Kritiker einen Bürgerkrieg im Kongo erlebt, und daher wusste keiner, dass dies die Realität ist, ohne jede Form von Übertreibung. Denn in den Kongokriegen vergewaltigt ein Bataillon von fünfzig Milizionären ein zwölfjähriges Mädchen eine Woche lang, sie gehen weg, sie kommen wieder, und wenn sie müde sind, stecken sie Nadeln, Spritzen, Messer in ihre Geschlechtsorgane. Diejenigen, die Hände abschneiden, fragen dich zuerst: «Langer Ärmel oder kurzer Ärmel?» Wenn du sagst, langer Ärmel, schneiden sie dir den Arm an der Schulter ab, wenn du sagst, kurzer Ärmel, schneiden sie dir den Arm am Ellbogen ab und stopfen ihn dir lachend in den Mund.

Ich habe so etwas nicht getan. Ich habe die Massaker, die sie angerichtet haben, aufgeschrieben und beschrieben. Und als ich das in meinen Theaterstücken über die Kongokriege erzählt habe, haben mir Journalisten und Theaterkritiker in Europa Übertreibung vorgeworfen und ein übertriebenes Bedürfnis, mit der Tragödie Effekte zu erzielen. Sie wollen gar nicht wissen, wie es war, sondern fangen sofort an, dir dieses oder jenes vorzuwerfen. Ist das nicht Negationismus, das Leugnen einer Realität, ohne auch nur zu versuchen, herauszufinden, ob sie vielleicht existiert? Lange Zeit hat man Sony Labou Tansi vorgeworfen, in seinen Romanen und Theaterstücken zu übertreiben. Aber wir, die wir damals im Kongo lebten, konnten keine einzige Stelle finden, an der Sony Labou Tansi in seinem Schreiben übertrieben hätte, denn das, was wir erlebten, war schlimmer als alles, was er in seinen Büchern erzählte.

Ich glaube, dass sich die Einstellung unbedingt weiterentwickeln muss, wie man über Realitäten liest, die man inhaltlich, faktisch und formal nicht unbedingt kennt, und wie man unterschiedliche Formen der Darstellung von unterschiedlichen Orten der Welt liest. Ich bete dafür, dass das irgendwann einmal der Fall sein wird.

Und die Frage, ob ich seit 2021 optimistischer oder pessimistischer geworden bin, habe ich, glaube ich, bereits in meiner Antwort auf die erste Frage beantwortet: De ce côté ist das, was mir passiert ist. Das ist es, was ich erzählt habe, und nicht ein Blick auf die französische Theaterszene in Bezug auf Exilanten, und auch keine Doktorarbeit darüber, wie ein aus Afrika immigriertes Theater in Europa aussieht.

Dass diese Theater-Lebensgeschichte traurig oder melancholisch ist, ist die Realität dieses Weges des engagierten Theaters, wie ich ihn selbst erlebt habe. Ich will die Leute weder zum Weinen bringen noch sie beeindrucken. Ich werde also nicht anfangen, im Nachhinein das Gegenteil von diesem Stück zu sagen; ich werde nicht sagen, dass sich das, was ich erlebt habe, geändert hat, nur weil ich heute Nachmittag mit ein paar Freunden auf der Place Clichy ein Bier getrunken und bis in die frühen Morgenstunden Spaß gehabt habe, nur weil wir jetzt das Jahr 2025 schreiben. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ein Theaterstück hat sein eigenes Universum, seinen eigenen Rhythmus, seinen eigenen Geist. Es gehört zu dem, was es erzählt.

Der kongolesische Romanautor und Dramatiker Sony Labou Tansi (Foto: Ulf Andersen)

Als Künstler, der auf verschiedenen Kontinenten arbeitet, bist du an unterschiedliche Kontexte und unterschiedliche Arten der Rezeption deiner Arbeit gewöhnt. Welche Einstellung hast du zur Übersetzung? Betrachtest du sie als Bereicherung oder als gefährlichen Kontrollverlust?

Meine Großmutter, die Geschichtenerzählerin, hat immer zu mir gesagt: «Man spielt für die Anderen. Man schenkt sich selbst den Anderen.» Alles ist da. Die anderen sind da. Ich bin da. Ich spiele, also gebe ich den Anderen etwas. Durch diese Geste sind wir während einer Aufführung zusammen, aber jeder an seinem Platz. Als Künstler bin ich nicht da, um über die Zuschauer zu urteilen. Ich bin nur da, um bei ihnen zu sein, so lange, bis ich ihnen einen Teil von mir geschenkt habe, aufrichtig, von Herzen, durch ein Wort, durch eine Aufführung. Wer auch immer sie sind, ich urteile nicht über sie. Ich spiele für sie. Was sie daraus machen, aus dieser Aufführung, aus diesem Text, das ist ihre individuelle Entscheidung.

Genauso wie die Art und Weise, wie sie dieses Geschenk annehmen, ihre individuelle Entscheidung ist. Es geht um die Sensibilität jedes Einzelnen. Und darum, wie jeder Einzelne seine Sensibilität auf ein Werk anwendet und daraus zieht, was er herausziehen kann, oder eben auch nicht. Das ist Teil des freien Willens des Zuschauers und des Weges, den das Werk in jedem Zuschauer einschlägt oder auch nicht einschlägt, aus allen möglichen Gründen, auf die der Künstler keinen Einfluss hat.

So wie der Künstler, der auftritt, oder der Schriftsteller, der schreibt, ist auch die Übersetzung ein Geschenk. Es liegt an den Lesern und Zuschauern zu entscheiden, was sie daraus machen. Ich glaube, dass das Übersetzen ein Geschenk ist, ein Teilen, wie jedes Schreiben. Und da jede schauspielerische Geste die Übersetzung eines Gefühls, einer Emotion oder einer Form von Intelligenz ist, gilt das auch für die Übersetzung. Sonst würden wir nicht schreiben, sonst würden wir nicht spielen.

Egal, ob man schreibt oder spielt, man übersetzt immer. Und auch wenn man mich in eine andere Sprache übersetzt, ist es immer die Kontinuität derselben Absicht, derselben Poetik, desselben Gedankens, desselben Gefühls, derselben Emotion, in ihrer Aufrichtigkeit und einer Intelligenz, die Wege findet, andere Menschen als mich zu erreichen.

Dieser Weg wird sich unaufhörlich fortsetzen, solange weiterhin Worte geschrieben werden, die sich von einer Intention in einen künstlerischen Akt verwandeln und von einer Sprache in eine andere Sprache übertragen werden. Ein Weg für alle Arten des Schreibens und alle in Sprache formulierten Künste, bekannte und unbekannte, große und kleine. Man weiß nie, wann die Geste endet oder wie lange sie sich fortsetzt.

 


«De ce côté» / «Diesseits» von und mit Dieudonné Niangouna

Im Rahmen des Festivals afriCOLOGNE

am 14. und 15. Juni in der Alten Feuerwache Köln

Tickets und Informationen hier.

 

Buchvorstellung SPUREN

am 16. Juni im Orangerie Theater, Köln

Tickets und Informationen hier.

 


 

Der Dramatiker, Regisseur und Schauspieler Dieudonné Niangouna (Foto: privat)

Dieudonné Niangouna, geboren 1976 in Brazzaville in der Republik Kongo, ist Autor, Schauspieler und Regisseur. 1997 gründete er die Compagnie Les Bruits de la Rue in Pointe-Noire, wo er während des Zweiten Kongokrieges Zuflucht suchte. 2003 gründete er das Festival Mantsina-sur-Scène in Brazzaville, das er bis 2016 künstlerisch leitete. 2007 und 2009 gastierte er beim Festival d’Avignon und war dort 2013 Associated Artist mit seiner Inszenierung Shéda. Seine Produktionen Le Socle des Vertiges, Le Kung Fu, Nkenguégi, Antoine m’a vendu son destin/Sony chez les chiens, De ce côté, Portrait désir zeigte er u.a. beim africologneFESTIVAL, dem Festival Theaterformen in Hannover, am Mousonturm in Frankfurt aber v.a. auch in Frankreich, in anderen Teilen Europas, in afrikanischen Ländern und Lateinamerika. 2018 schrieb und inszenierte er für das Berliner Ensemble das Stück Fantôme. 2021 erhielt er für sein dramatisches Gesamtwerk den Prix du Jeune Théâtre Béatrix Dussane-André Roussin der Académie Française. Zudem wurde sein Roman La mise en papa (L’œil d’or, 2023) mit dem Grand Prix Afrique Avant-Garde 2023 ausgezeichnet.

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