SPUREN (3): Die burkinische Schauspielerin und Autorin Lionelle Edoxi Gnoula über ihr Stück «Legs» Die Flucht des Präsidenten

Lionelle Edoxi Gnoula in «Legs – la suite» (Foto: Michel Boermans)

Im Rahmen des Festival afriCOLOGNE wird nächste Woche die Theateranthologie SPUREN vorgestellt. Erschienen im Verlag Theater der Zeit, versammelt sie neun Theaterstücke von Autor*innen aus Benin, Burkina Faso, DR Kongo, Guinea, Republik Kongo, Senegal, Uganda sowie der afrikanischen Diaspora. Die ausgewählten Texte erzählen von gesellschaftlichem Wandel, Widerstand, Identität und Erinnerung – mal poetisch verdichtet, mal direkt und konfrontativ. Teil der Auswahl ist auch «Legs» von der burkinischen Schauspielerin und Autorin Lionelle Edoxi Gnoula (übersetzt von Flora Udochi Egbonu unter dem Titel «Vermächtnis»). In einem E-Mail-Austausch mit Frank Weigand sprach die Theatermacherin über die Entstehung des Textes, Parallelen zwischen Diktatoren und verantwortungslosen Vätern und die Zusammenarbeit mit ihrer Übersetzerin.

 

 

 

Frank Weigand: «Vermächtnis» ist ein autobiografischer Monolog. Was hat Sie dazu veranlasst, dieses Stück zu schreiben?

Lionelle Edoxi Gnoula: «Vermächtnis» ist ein autobiografischer Text, in dem es um meine persönliche Geschichte geht, um Familienbande und die Abwesenheit des Vaters, in der auch die Flucht des Diktators widerhallt. Der Wunsch, über mein Leben zu schreiben, kam bei mir im Jahr 2010 auf, als meine Schauspielkarriere gerade in vollem Gange war. Je mehr die Jahre vergingen, desto schwerer fiel es mir, das alles für mich zu behalten. Gleichzeitig fühlte ich mich nicht legitim genug, um ein Publikum zu versammeln und über mich selbst zu sprechen.

Dann traf ich 2014 im Rahmen des Laboratoire Elan des Festivals Les Récreatrales, wo ich an einem Schreibworkshop teilnahm, den belgischen Regisseur und Theaterpädagogen Philippe Laurent, der sich besonders mit der Frage der Identität beschäftigt. Zunächst war ich gar nicht Teil seines Workshops, aber ich lud mich selbst für die verbleibenden vier Tage seines Kurses ein, und diese Erfahrung hat mir dabei geholfen, die Schlüssel zu finden, um die lange verschlossenen Türen meiner Geschichte zu öffnen.

Und wenige Wochen nach dieser Begegnung mit Philippe Laurent brach in Burkina Faso der Volksaufstand aus, der schließlich zur Flucht des diktatorisch regierenden Präsidenten Blaise Compaoré führte.  Ich war bei diesem für unser Land historischen Ereignis nicht physisch anwesend, da ich gerade auf einer Theatertournee in der Schweiz war. Aus einem Gefühl tiefgreifender Befreiung heraus nahm ich meinen Computer und begann mit den ersten Entwürfen für «Vermächtnis».

Lionelle Edoxi Gnoula in «Legs» (Foto: d.r.)

In «Vermächtnis» verweben sich ein persönliches Schicksal und die politischen Ereignisse in Burkina Faso zu einem Aufruf zur Veränderung. Handelt es sich für Sie um ein politisch engagiertes Stück?

Wie ich schon gesagt habe, war nicht nur die Begegnung mit Philippe Laurent und seiner besonderen autobiografischen Recherchemethode wichtig, um ausgehend von meiner persönlichen Geschichte und meinem Umfeld schließlich die große Weltgeschichte, einschließlich der Politik meines Landes zu beleuchten.

Die Flucht des Präsidenten vor einer jungen Generation, die auf sich selbst gestellt war und Antworten von ihm erwartete, wirkte auf mich wie eine Flucht vor der Verantwortung, ähnlich der meines verantwortungslosen Erzeugers, der sich nie um mich gekümmert hat. Während des Schreibprozesses drängte sich mir die Politik so stark auf, dass ich eine Fortsetzung geschrieben habe, die «Vermächtnis, Fortsetzung» heißt. Ja, «Vermächtnis» ist auch ein politisch engagiertes Stück.

Lionelle Edoxi Gnoula in «Legs – la suite» (Foto: Michel Boermans)

Die meisten afrikanischen Dramatiker*innen, die es schaffen, in Europa bekannt zu werden, sind letztendlich Männer. Warum ist das so? Ändert sich das gerade?

Die Bevormundung durch Männer hat in allen Berufsgruppen Auswirkungen auf die berufliche Entwicklung von Frauen. Frauen müssen sehr hart arbeiten, um anerkannt zu werden. Das ist eine Tatsache. Aber ich glaube, dass sich durch das Engagement und die harte Arbeit afrikanischer Autorinnen gerade etwas Entscheidendes ändert.

 

«Vermächtnis» ist ein autobiografisches Stück, aber auch ein sehr kraftvolles dramatisches Material. Können Sie sich vorstellen, dass eine andere Schauspielerin auf der Bühne in Ihre Rolle schlüpft?

Ja, eine andere Schauspielerin kann durchaus diese Rolle übernehmen und dieses Stück spielen, denn die Grundfrage bleibt universell: die Suche nach einer Identität, einer familiären und einer politischen Identität. Ich würde mich übrigens sehr freuen, zu sehen, wie eine andere Künstlerin mich interpretiert.

Lionelle Edoxi Gnoula in «Legs – la suite» (Foto: Michel Boermans)

«Vermächtnis» erscheint erstmals in deutscher Sprache in der Anthologie «Spuren». Wie haben Sie den Übersetzungsprozess erlebt und wie war die Zusammenarbeit mit Ihrer Übersetzerin Flora Egbonu?

Als Kerstin Ortmeier (die künstlerische Leiterin des Festivals afriCOLOGNE und eine der Mitherausgeber*innen der Anthologie) mit dem Vorschlag einer Übersetzung und der Veröffentlichung von «Vermächtnis» in der Anthologie «SPUREN» an mich herantrat, war ich sehr gerührt. Ich dachte an meine Zeit in Köln zurück, die 2010 mit der ersten Ausgabe des Festivals afriCOLOGNE begonnen hatte, bei dem ich dann in drei Ausgaben in mehreren Stücken mitgewirkt habe.

Dass das Buch, das meine Lebensgeschichte enthält, nun von einem deutschen Publikum gelesen wird, macht mich sehr stolz. Ich wurde sofort mit Flora Egbonu in Kontakt gebracht, mit der ich viel Spaß am Telefon hatte, als wir über bestimmte Begriffe und sprachliche Wendungen diskutierten. Sie war großartig, weil sie sich sehr bemüht hat, mir und meinem Schreibstil so nahe wie möglich zu kommen. Wir haben viel gemeinsam gelacht und es gab auch einige bewegende Momente, und ich war überrascht, als ich herausfand, dass auch sie sich gerade mit ihrer Identität auseinandersetzt. Es war eine schöne Begegnung und ich hoffe, dass wir uns auch einmal persönlich treffen. Ich möchte mich ganz herzlich für ihre Arbeit bedanken.


Buchvorstellung SPUREN

am 16. Juni im Orangerie Theater, Köln

Tickets und Informationen hier.


 

Die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Lionelle Edoxi Gnoula (Foto: privat)

Lionelle Edoxi Gnoula (Burkina Faso) ist Künstlerin, Theater-, Film- und Fernseh- Schauspielerin, Autorin und Regisseurin. Sie begann ihre Theaterausbildung im Jahr 2001 mit der Truppe Éclat de Sosaf. 2009 machte sie sich mit ihrer eigenen Kompanie Désir Collectif unabhängig. 2014 gründete sie in der ländlichen Gemeinde Saaba Burkina Faso einen Kulturraum namens Pantaabo Cultural Center. Edoxi ist Autorin von sieben Theaterstücken, von denen zwei veröffentlicht wurden. Ihre autobiographische Show Legs «suite» erhielt 2019 in Belgien den Maeterlinck-Kritiker:innen-Preis für die beste One-Woman-Show. Von 2020 bis 2024 führte sie Regie bei Le Musée de Medea Kali von Laurent Gaudé, bei dem Märchen J’ai une idée‘, bei Piment Doux, einer humorvollen Show von Cécile Djunga und ihrem eigenen Stück Les retrouvailles. Seit 2017 arbeitet und tourt sie sowohl in Afrika als auch in Europa.

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