Ein Interview mit Andreas Jandl „Wenn Texte sich über Sprachgrenzen hinwegbewegen, können sie das auch über Identitätsgrenzen.“

Frank Weigand: Lieber Andreas, du arbeitest seit dem Jahr 2000 als Übersetzer. Wie bist du zu diesem Beruf gekommen?

Andreas Jandl: Ich habe Theaterwissenschaften studiert und nebenher Anglistik und Romanistik und wollte irgendetwas mit Theater machen, in einen Bereich, der für mich passt. Selber spielen wollte ich nie, Regie hat mir Angst gemacht, da blieb nach dem Ausschlussverfahren immer weniger übrig. Ich suchte was im Hintergrund und trotzdem mittendrin im Stück. Das Übersetzen hatte für mich genau die richtige Entfernung zur Bühne.

 

Woher kam dann die Begeisterung für diese Tätigkeit?

Die Idee zur ersten eigenen Übersetzung kam mir tatsächlich durch «Kunst» von Yasmina Réza, in der Eugen Helmlé-Übersetzung. Das Stück hat mich so angetriggert, dass ich gesagt hab, ich mache mal eine Übung für mich selbst, ich besorge mir das Buch im Original auf Französisch und übersetze es einfach nochmal und schaue, ob das klappt. Das war damals in der Zeit, als ich Assistent der Festivalleitung bei den Bayerischen Theatertagen in Würzburg war. Abends, wenn es im Festivalbüro ruhig wurde, habe ich mich hingesetzt und zum Vergnügen noch ein paar Seiten übersetzt.

 

Und wie wurde das heimliche Hobby dann konkreter?

Nach einem Praktikum in Montréal habe ich nach zwei Jahren Theaterwissenschaft in Berlin an der UQAM (Université du Québec à Montréal) weiterstudiert, doch dort war es keine Theaterwissenschaft im hiesigen Sinne. Ich kam in einen kombinierten Studiengang (Theorie und Praxis).  Für ein Seminar habe ich eine Inszenierung gesehen, bei der ich sofort wusste: Den Text möchte ich übersetzen und in Deutschland anbieten. Das Stück war «The Baroness and the Pig» von Michael Mackenzie, einem US-Amerikaner, der in Montréal lebt. Ich hatte die französische Übersetzung gesehen «La baronne et la truie». Das Stück hatte es mir echt angetan. Also habe ich herumtelefoniert und gefragt, wie so etwas überhaupt geht. Ich kam über die Agentur mit dem Autor in Kontakt, und der hat dann gesagt, wenn du es nach Deutschland bringen willst, dann rede erst mal mit dem Verlag, mit dem wir im Gespräch sind. Der Verlag war der S. Fischer Theaterverlag, und die haben meine Übersetzung tatsächlich ins Programm aufgenommen, mit dem Titel «Die Baronin und die Sau». So bekam ich meinen ersten Vertrag. Da war ich noch Student, das war im Jahr 2000. Parallel dazu habe ich mich um eine Stelle in mehreren Dramaturgie-Abteilungen beworben, aber das war nicht so einfach. Eine reguläre Stelle an einem Haus oder bei einem Festival zu kriegen, das ging nicht so aus dem Stand. Also habe ich, als ich aus Kanada zurück war, Arbeitssuche betrieben und nebenher übersetzt. «Die Baronin und die Sau» wurde tatsächlich mehrfach inszeniert. Was auch klappte, war ein Praktikum im Québec-Büro bei Marie Räkel. Die «Antenne» in Berlin war damals gerade frisch eröffnet und ich wurde der erste Praktikant. Dort habe ich dann mitbekommen, wer im deutschsprachigen Raum alles an québecer Stücken interessiert sein könnte, wie Anette Kührmeyer vom Saarländischen Rundfunk. Der konnte ich praktischerweise meine Übersetzungen von québecer Stücken anbieten, die ich aus Montréal mitgebracht hatte. Anette Kührmeyer hat dann tatsächlich «Les quatre morts de Marie» («Und viermal stirbt Marie») von Carole Fréchette eingekauft und als Hörspiel produzieren lassen. Damals kam die Berufsoption «Übersetzer» langsam ins Spiel, obwohl ich nicht sofort davon leben konnte.

 

Und dann hast du eine Reihe mit szenischen Lesungen von Theatertexten am Maxim Gorki Theater organisiert…

Die Reihe hieß drame!, und ich habe sie zusammen mit Johannes von Westphalen gemacht. Johannes hatte bereits eine ähnliche Reihe an einem kleinen off-Theater organisiert und suchte einen Mitstreiter.  Gemeinsam bewarben wir uns mit unserem Konzept bei den größeren Berliner Häusern. Das Gorki, unser Traumkandidat, sagte schließlich zu. Jeden Monat präsentierten wir ein neues frankophones Stück in deutscher Übersetzung als szenische Lesung im Gorki Studio. Die Eintrittsgelder für den Abend gingen zwar an uns, aber davon mussten wir natürlich die Schauspieler bezahlen, unser kleines Büro finanzieren, unsere Flyer drucken lassen und so weiter. Wir beide konnten davon nicht leben, sahen es aber als gute Investition, als «Lehrjahre». Uns war klar, dass wir das nicht lange so machen konnten. Natürlich haben wir nach Finanzierungsmodellen gesucht, haben uns um Subventionen beworben, aber es gab keine Aussicht, drame! auf feste Beine zu stellen. Doch die Erfahrung war toll, an ein Haus angedockt so eine Reihe machen zu können.

 

Danach bist du aber in ein anderes Genre abgedriftet?

Ich hatte irgendwann den großen Wunsch, auch mal einen Roman in der Hand zu halten. Und zwar bin ich 2003, noch als absoluter Anfänger, in die Werkstatt von Thomas Brovot gekommen, die Berliner Übersetzerwerkstatt. Da habe ich gesehen, was die anderen so machten. Und die haben alle Bücher gemacht. Das wollte ich auch und bin dann zum ersten Mal zur Frankfurter Buchmesse gefahren. Zufällig war es das erste Jahr, in dem es dort ein Übersetzerzentrum gab, und bei der Gelegenheit bin ich gleich in den VdÜ (Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke, Anm. d. Red.) eingetreten. Durch etwas Glück hatte ich bald Kontakte zu Belletristik-Verlagen. Sobald ich Arbeit in der Prosa hatte, ruhte das Theater erst mal. Ab und zu habe ich ein Hörspiel für den Saarländischen Rundfunk übersetzt oder mal etwas für das Québec-Büro, aber ich hatte tatsächlich gar nicht mehr die Luft und die Kapazität, mich noch um neue Theateraufträge zu kümmern. Deshalb bin ich umso froher, wenn ich immer mal wieder Theater übersetzen kann.

Cover der deutschen Übersetzung von David Diops «Frère d’âme»

 

Wo liegt für dich der Unterschied zwischen Prosa- und Theaterübersetzung?

Ein Stück, das man selbst übersetzt hat, später auf der Bühne zu sehen, ist eine hilfreiche Erfahrung bei der Frage. Da zu sitzen und den Text als Inszenierung zu erleben ist zum einen eine kleine Zeitreise, weil ich dann oft noch genau die Situation sehe, in der ich die und die Passage übersetzt habe, und zum anderen kann man sehr direkt und gnadenlos prüfen, was sprachlich funktioniert und was nicht. Insgesamt ist die Art, für die Bühne zu übersetzen schon nochmal freier. Wenn man jetzt einen Stilisten aus der Prosa wie Gaëtan Soucy übersetzt, wie ich das zusammen mit Frank Sievers gemacht habe, respektiert man jedes Komma. Beim Dialogübersetzen sollte man die Syntaktik der Ausgangssprache abschütteln, sich frei machen, Platz fürs Spiel lassen. Doch eine Formel, die den Unterschied erklären könnte, kenne ich leider nicht. Und kategorische Unterschiede zwischen dem Prosa- und dem Dramenübersetzen gibt es glaube ich auch nicht. Dazu ist allein schon die Bandbreite der Theatertexte zu groß, als dass man etwas verallgemeinern könnte.

 

Was macht dir persönlich mehr Spaß?

Beim Theaterübersetzen beschleunigt sich bei mir der Puls. Und wenn ich dann vielleicht noch eine Aufführung davon zu sehen bekomme und erleben kann, wie das Stück beim Publikum ankommt, dann sind das mit die allerschönsten Übersetzungserfahrungen.

 

Einer Deiner erfolgreichsten Autoren ist David Diop, also ein Franko-Senegalese, der aus einem post-kolonialen Kontext heraus schreibt. Seit der Diskussion um die Übersetzung von Amanda Gormans Gedichten ist es durchaus angebracht, sich auch als Übersetzer:innen Fragen nach Macht, Repräsentation und Legitimität zu stellen. Stellst du sie dir?

Als ich die erste Übersetzung von David Diop angefangen habe, da war die Debatte noch nicht aktuell. Damals hat der Verlag einfach geguckt, mit wem er zusammenarbeiten möchte. Damals hat man die Frage nach der Legitimität noch nicht so gestellt. Aber es stimmt, die Fragen zu Macht, systemischer Gewalt und Repräsentation müssen wir uns stellen. Ich hatte damals einige inhaltliche Fragen, die ich mit dem Autor besprechen konnte, und so haben wir uns ein bisschen kennengelernt. Später, als die Diskussion losging, hatte ich das Gefühl von absoluter Rückendeckung durch den Autor. Ohne die wäre es natürlich schwer geworden. Vor der «Gorman-Debatte» habe ich die Position vertreten, dass wir beim Übersetzen jede Stimme übersetzen können, die uns liegt und die uns anspricht. Dass genau darin die große Freiheit von Theater und Literatur liegt. Egal, wer du bist, heute tauchst du beim Übersetzen in eine ganz andere Welt ein, schlüpfst in eine ganz andere Rolle. Ich habe beispielsweise Scholastique Mukasonga übersetzt, eine Autorin aus Ruanda, deren Biographie mit meiner eigenen sehr wenig gemein hat. Und doch konnte ich mit ihrem Text viel anfangen, mit ihrem Blick, ihrer Geschichte.

David Diop und Andreas Jandl (Foto:privat)

 

Die berechtigte Frage ist allerdings auch: Hätte es vielleicht eine andere Person gegeben, die den Text aufgrund eigener Erfahrungen anders gelesen und dann auch anders übersetzt hätte?

Ja, die hätte es wahrscheinlich gegeben. Aber ich weiß auch, dass ich damals hauptsächlich mit syntaktischen Fragen gekämpft habe, nicht mit inhaltlichen. Ist die Identität dabei ein entscheidender Faktor? Heute würde der Verlag für Scholastique Mukasonga wahrscheinlich nach einer Schwarzen Übersetzerin gesucht haben. Welche Auswirkungen das auf den Text gehabt hätte, ist tatsächlich sehr interessant. Dem würde ich mich gerne stellen. Wir übersetzen wirklich in einem besonderen Spannungsfeld. Auf der einen Seite sollte die Person, die übersetzt, die Textwelt möglichst gut kennen. Auf der anderen Seite gibt es die Kunst und den Genuss der Mimesis, eine allgemein menschliche Fähigkeit. Sich in andere Realitäten hineinversetzen als unsere eigene, das können wir. Natürlich nicht ohne Recherche. Als Mann muss ich natürlich nachfragen, ob Menstruationsschmerzen eher «stechen» oder eher «ziehen», sollte als weiße Person auch nachfragen, wie ich mit dem «Erröten» der Schwarzen Protagonistin umgehen soll, aber das kann ich doch tun! Alles andere frage ich ja auch nach. Ich glaube, wenn Texte sich über Sprachgrenzen hinwegbewegen, können sie das auch über Identitätsgrenzen. Immer vorausgesetzt, wir machen beim Übersetzen ernst, sind so aufmerksam wie möglich und recherchieren und fragen im vollen Rahmen unserer Möglichkeiten.

 

Diese Frage sollte man nicht unbedingt nur den Übersetzer:innen stellen. Es gibt Strukturen. Die meisten Lektorinnen und Lektoren in den Verlagen, also Leute, die Entscheidungen treffen und Programme machen, sind halt Leute aus einem relativ homogenen weißen Milieu. Diese Entscheidungsstrukturen muss man ändern. Und das wurde erstaunlicherweise sehr wenig thematisiert in dieser Amanda Gorman-Diskussion, weil sofort die Verantwortung auf unseren Berufszweig ausgelagert wurde.

Anonymisierte Probeübersetzungen sind vielleicht der Ausweg, dass allein der übersetzte Text entscheidet, wer was übersetzt. Formell gesehen ist die Übersetzungsbranche sehr offen. Wir müssen keine Zeugnisse vorweisen, müssen eigentlich nichts mitbringen. Es reicht, wenn uns eine Person zutraut, dass wir den Text adäquat ins Deutsche bringen, schon geht’s los. Tatsächlich gibt es in der Übersetzung nur wenig sichtbare Diversität. Doch bin ich, was die weitere Entwicklung der Branche angeht, ziemlich zuversichtlich. Ich vermute, dank der Gorman-Debatte wird es schon sehr bald mehr Diversität in der Übersetzungsbranche geben. Allerdings müssen sich alle Interessierten im Klaren sein, dass durchschnittlich mit Literaturübersetzen kaum mehr als 18.000 Euro brutto im Jahr zu verdienen sind. Und bisher gibt es nur wenige Entwicklungsmöglichkeiten nach oben. Was das Materielle angeht, ist der Beruf echt nicht privilegiert.

Cover der deutschen Übersetzung von Scholastique Mukasongas «Notre-Dame du Nil»

 

Parallel zu Deiner übersetzerischen Arbeit bist Du seit Jahren sehr engagiert in der Verbandsarbeit (im VdÜ). Ist das für Dich ein notwendiger Ausgleich zur Einsamkeit am Schreibtisch oder hat das auch eine politische Dimension?

Gleich bei meinem Eintritt in den VdÜ, vor 20 Jahren, wurde ich so sympathisch aufgenommen, dass es mir leichtfiel, bei Workshops mitzumachen, Fortbildungsangebote zu nutzen. Und natürlich an den Jahrestagungen in Wolfenbüttel teilzunehmen. So kam ich in Netzwerke rein, die mir teilweise auch Aufträge gebracht haben. Solche Workshops sind einfach ein guter Schaukasten, durch den die Leute sehen, wer man ist und wie man so arbeitet. Und natürlich leben solche Verbände davon, dass alle mal ein bisschen mitarbeiten. Ich habe beispielsweise sechs Jahre lang im Vorbereitungsteam der Jahrestagung gearbeitet. Und jetzt bin ich, seit 2021, zweiter Delegierter des VdÜ beim Dachverband der europäischen Übersetzerverbände, beim CEATL. Da gibt es einmal im Jahr ein Treffen mit Leuten aus allen europäischen Ländern. Wir beschäftigen uns mit politischen Fragen, die uns alle betreffen und damit, wie weit sich einzelne nationale Verbände zum Beispiel bei der Sichtbarkeit und beim Urheberrecht unterstützen können. Es ist sehr gut, zu wissen, was die anderen so bewegt, und best practices auszutauschen.

 

Du gibst ja auch schon lange Workshops und unterrichtest. Du warst im Wintersemester 2021/22 Gastdozent an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und bereitest für das nächste Sommersemester eine Gastdozentur an der Humboldt-Universität  Berlin vor. Das ist ein Thema, das mich total interessiert: die Vermittlung. Was machen wir eigentlich, wenn wir Übersetzen unterrichten? Wie kann man das weitergeben? Und was kann man eigentlich weitergeben?

Meinen ersten Workshop habe ich 2003 besucht, geleitet von Josef Winiger. Darin ging es um Übersetzungen aus dem Französischen ins Deutsche und umgekehrt, also eine zweisprachige Werkstatt. Das Format hat Josef damals entwickelt und im Europäischen Übersetzer:innen-Kollegium in Straelen angeboten. Er hat – eigentlich aus Zufall – das bilinguale Format als die effizienteste Form für Praxistransfer entdeckt. Denn es geht nicht um die Vermittlung von Wissen, ich würde sagen eher von Praxis. Heute ist das Format unter dem Namen «Vice-Versa»-Werkstätten fest etabliert. Was ich damals von der Praxis mitbekommen habe, hätte ich mir wahrscheinlich nicht mit Büchern anlesen können. Das zusammen am Text Basteln war unheimlich hilfreich für mich, und ich erinnere mich noch an sehr viel, vor allem aus den frühen Seminaren, auch wenn es schon 20 Jahre her ist. Wenn ich jetzt in meinen eigenen Seminaren versuche, ein paar grundsätzliche Dinge zum Übersetzen und zur deutschen Grammatik in der Praxis zu vermitteln, wird das hoffentlich in ähnlicher Weise bei anderen hängenbleiben und hilfreich sein. Ich glaube, zusammen übersetzen ist die beste Art zum Weitergeben. Von was genau? Schwer zu sagen. Handwerkszeug, Haltung, die Bestätigung: Ja, genau so, trau dich!

Andreas Jandl beim Übersetzerslam mit dem Kollegen Peter Torberg (Foto: Ebba D. Drolshagen)

 

Was wirst du in Berlin anders machen?

In Düsseldorf war ich bei Studierenden aus dem Bereich Literarisches Übersetzen. Also spezialisierte Leute, die alle in den nächsten zwei Jahren auf den Übersetzungsmarkt kommen werden und die ganz viele praktische Fragen hatten. An der Humboldt Uni werde ich in die Romanistik und die Afrikawissenschaften kommen. Ich werde ein literaturwissenschaftlich orientiertes Seminar anbieten, kein Ausbildungsseminar, wenn auch Übersetzungsübungen dabei sein werden. Übersetzen im Kontext der post-kolonialen Debatten ist das Thema: Worauf muss ich achten, wenn ich etwa Texte aus afrikanischen Literaturen übersetze oder Texte von Vertreter:innen marginalisierter Gruppen? Ich möchte mich in die aktuelle Diskussion einarbeiten. Und die intensivste Art, tiefer in ein Thema einzusteigen, ist vielleicht so ein Seminar. Ich plane mit den Studiernden, die Angemessenheit von Übersetzungen aus verschiedenen Jahrzehnten zu überprüfen. Jeweils im damaligen Kontext. Und dann zu gucken, wie ist heute einerseits der offizielle Diskurs und wie sähe andererseits eine adäquate Übersetzung aus.

 

Neben Talent und Technik sind Glück und ein kleines bisschen strategisches Denken notwendig, wenn man das Übersetzen zum Beruf machen will. Was würdest Du denn Berufsanfänger:innen raten?

Der Einstieg in den Beruf geht meistens graduell. Man lernt Leute kennen und bildet langsam Netzwerke. Es gibt keine festen Stellen, die man einmal bekommt und dann verlässlich hat, sondern eben nur Verträge für einzelne Projekte. Und wenn die einen Monat dauern, wie bei einem Theaterstück, ist danach erst mal wieder Schluss. Man sollte also ein zweites Standbein haben. Am besten eins, das vom Umfang her variabel ist, so dass einem der Brotjob nicht in die Quere kommt, wenn es mal einen größeren Auftrag gibt. Außerdem, ja: auf vielen Hochzeiten tanzen, viele verschiedene Wege probieren und alle Treffen wahrnehmen, die sich in der Buchbranche oder im Theaterbereich ergeben. Also auf Theaterfestivals gehen, auf Premierenfeiern, dahin, wo man eben Leute kennenlernt.

 

Einer der besten Einstiege in das professionelle Übersetzen ist ja das Goldschmidt-Programm für junge Literaturübersetzer:innen, bei dem Du in diesem Frühjahr Mentor warst. Würdest du das empfehlen?

Natürlich ist das Goldschmidt-Programm ein großartiger Einstieg. Allerdings eher in die Welt der Prosaverlage als in den Theaterbereich, obwohl das Programm an sich für Dramenübersetzungen sehr offen ist. Abgesehen davon kann man natürlich auch ohne eine solche Hilfe, die eben nur in den Sprachkombinationen Französisch-Deutsch angeboten wird, gut zum Übersetzen kommen. Es gibt vom VdÜ ein großes niederschwelliges Angebot. Man kann beispielsweise zur Jahrestagung nach Wolfenbüttel fahren, auch wenn man noch überhaupt keine Verträge hatte und noch nicht Mitglied ist. Es gibt beim VdÜ den Kandidat:innenstatus, der nicht besonders teuer ist. In Berlin gibt es außerdem Angebote wie die monatlichen Stammtische, für einzelne Sprachen, aber auch sprachübergreifend: Da sitzen dann Kolleg:innen zusammen an einem Tisch, beraten sich, geben Tipps und tüfteln an ihren Texten. Da kann man erst mal ausprobieren, ob einem das Übersetzen liegt. Vielleicht ist es ja nur eine schöne Vorstellung und man sollte eigentlich etwas ganz anderes machen. Also: ausprobieren!

Vielen Dank für das Gespräch, Andreas.

Andreas Jandl (Foto: privat)

 

Andreas Jandl übersetzt seit 2000 aus dem Französischen und Englischen, vor allem Belletristik und Dramatik. Zu seinen Übersetzungen zählen u.a. Werke von Daniel Danis, Nicolas Dickner, David Diop, Elisa Shua Dusapin, Mike Kenny, Jennifer Tremblay und Gaétan Soucy. Für seine Arbeit wurde er mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis (zusammen mit Frank Sievers) und dem Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis ausgezeichnet.

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