André Hansens Übersetzungsjournal zu Mohamed Kacimis «Congo Jazz Band» Sitcom des Genozids
Im September 2021 wurde im Rahmen des Kölner Festivals «africologne» Hassane Kouyatés Inszenierung des Textes «Congo Jazz Band» von Mohammed Kacimi gezeigt. André Hansen hatte damals das Stück, das in satirisch-musikalischer Weise auf die grausame Kolonisierung des Kongo zurückblickt und dabei die Rollen der weißen Ausbeuter*innen von Schwarzen Schauspieler*innen spielen lässt, für die Erstellung der Übertitel übersetzt. Einen Monat später dachte er in einem Übersetzerjournal über die Herausforderungen des Textes und seiner Perspektiven nach – und auch über den streckenweise homophoben Humor, der ihm bei der Arbeit Unbehagen verursacht hatte. Da viele der behandelten Fragestellungen heute aktueller denn je sind, freuen wir uns, dass André Hansen einer späten Veröffentlichung zugestimmt hat.
von André Hansen
Es ist ein Donnerstag im Oktober. Es stürmt. Ein Übersetzer steht vor der Aufgabe, den Entstehungsprozess seiner deutschen Fassung von Mohamed Kacimis Theaterstück Congo Jazz Band zu beschreiben. Er hat sie bereits vor einigen Monaten fertiggestellt. Es wurden Übertitel erstellt, das Stück mit der dazugehörigen musikalischen Performance auf dem Africologne-Festival aufgeführt.
Es heißt, man soll erst auf die Urheber zu sprechen kommen. Familiengeschichte des Übersetzers: Er ist Abkömmling von pommerschen Schuhmachern, die zwischen 1660 und 1900 ein ganzes Dorf mit Schuhwerk versorgt haben: Stoffe bearbeiten, an die Fußform des Kunden anpassen, damit dieser gar nicht merkt, dass er Schuhe trägt. Ist es nicht dieses Barfußgefühl, das auch der Übersetzer produzieren will? Es ist bestimmt komplizierter, denn der Schuhmacher wird die Schuhträgerin, wenn er sein Produkt verkaufen will, nicht auf die Fremdheit seines Ausgangsmaterials hinweisen wollen. In beiden Fällen gilt: Das Publikum soll sich keine Blasen laufen.
Der zurechtzuschusternde Stoff stammt von Mohamed Kacimi, Schriftsteller aus einem algerischen Intellektuellenhaushalt, der vor langer Zeit seinerseits übersetzt hat und vor noch längerer Zeit nach Paris gezogen ist.
Genug Biografie.
Ein Übersetzer liest im Oktober eine Übersetzung, die schon in der Welt ist. Er macht sich Gedanken, was sich der Übersetzer, der er war, gedacht haben mag. Dabei kommt es ihm so vor, als müsste er die Maske des früheren Übersetzers aufsetzen und unter ihr Gedanken äußern, als stammten sie aus dem Frühling. Seine eigene Stimme wird aber zu hören sein.
Schwarze Haut, weiße Masken
In Grimms Wörterbuch heißt es im Eintrag «Person» zur ursprünglichen Bedeutung der Persona: «die den ganzen kopf des schauspielers bedeckende maske mit trichterförmiger mundöffnung zum verstärken der stimme». Hergeleitet aus «per» und «sonare» durchtönt die Stimme der Schauspielerin etwas irgendwie Fremdes. Schon wieder eine Metapher für das Übersetzen.
Die Persona beschreibt aber auch die Kolonisierten: «Jedes kolonisierte Volk – das heißt jedes Volk, in dem ein Minderwertigkeitskomplex entstanden ist, weil die lokale kulturelle Eigenart zu Grabe getragen wurde – situiert sich im Hinblick auf die Sprache der zivilisatorischen Nation, das heißt der Kultur der Metropole. Der Kolonisierte wird seinem Busch desto schneller entrinnen, je besser er sich die kulturellen Werte der Metropole aneignet. Er wird desto weißer sein, je stärker er seine Schwarzheit, seinen Busch verleugnet.»[1]
Eine Person zu sein, ist das für Kolonisierte eine Verleugnung? In Kacimis Stück scheint vor dem mörderischen Hintergrund der kongolesischen Geschichte das Spielerische hinzuzukommen. Dazu gehört auch, dass Schwarze Schauspieler*innen weiße Rollen verkörpern und sich als «wir, die Weißen» bezeichnen. Das wirkt nicht mehr nur wie eine der von Fanon beschriebenen Pathologien, wie ein Minderwertigkeitskomplex, sondern man lacht über die Parodie. Eine solche Persona, die unsichtbare Maske der Schauspielenden, steht nicht mehr für die Entfremdung der Kolonisierten, sondern man ist sich dessen bewusst, dass man nicht weiß ist. So hat es etwas vom Nachahmen eines Lehrers auf dem Schulhof. Das Hierarchiegefälle ist entscheidend, damit der Witz funktioniert und sein befreiendes Potenzial entfaltet.
Der Erzähler Marcel stellt die Figuren des Königs und der Königin vor. Wenn er auf die Unterschiede zwischen den historischen Figuren und den Schauspieler*innen hinweist, wird bewusst die ethnische Komponente außen vor gelassen. Darin liegt der Witz: Der schwarze Schauspieler hat nicht den langen weißen Bart des Königs. Die Schwarze Schauspielerin ist nicht so dick wie die Königin.
Sprachlich zeigt sich eine gewisse Respektlosigkeit, die das Königspaar der Lächerlichkeit preisgibt. Durch die Umgangssprache («Dort ist perfekt», schreibt der Übersetzer) wird die Formalität («Durchlaucht») gebrochen. Die Ehrerbietungen sind fast schon Beleidigungen.
Die Farbe Schwarz wird genannt: «Die Königin trägt immer Schwarz.» Warum wählt der Übersetzer diese Formulierung? Warum macht er nicht auf den Matrjoschka-Witz aufmerksam? «Die Königin ist stets in Schwarz gekleidet.» Eine Schwarze, die eine Weiße spielt, die in Schwarz gekleidet ist. Da meinte einer aber, entscheidend sei hier die Bedeutung der Trauer um den verstorbenen Sohn. Dass Schwarz mit Trauer assoziiert wird, soll an dieser Stelle aufstoßen.
Die Übersetzung will wohl auch die aktiven, selbstständigen Eigenschaften dieser Figur hervorheben. Die Königin ist nicht einfach nur gekleidet, sondern sie trägt selbst, sie wählt sich die Sachen aus. Ist das eine zulässige Interpretation? Darf der Übersetzer sie dem Publikum aufzwingen? Jedenfalls passt es zum Kontrast, der zwischen der Königin und dem König gezeichnet wird.
Mein Butterbrot!
Das Ensemble stellt sich die Aufgabe, einem nichtkongolesischen Publikum die Geschichte des Kongo nahezubringen. Es handelt sich um Dokumentartheater, vielleicht einer der Gründe, warum ein Prosaübersetzer sich dieser Aufgabe gewachsen sieht, sich jedenfalls darauf einlässt. Zunächst wird die Geschichte der Kolonisation erzählt. Schauplatz ist fast durchweg Brüssel. Es wird also eine europäische Perspektive eingenommen.
In der Anfangsszene sitzt das belgische Königspaar, Leopold II. und Erzherzogin Marie Henriette Anne von Habsburg-Lothringen, am Frühstückstisch. Der König schlingt Butterbrote in sich hinein.
In diesem Dialog redet das Ehepaar, das sich verachtet, aneinander vorbei. Zwei Willensbekundungen treffen aufeinander und prallen aneinander ab. Der König ist in seiner Obsession. Er wiederholt immer die gleichen Sätze. Es verlangt ihn nach einer Kolonie. Die Königin dagegen ist bescheidener und würde sich mit Tee und Butterbrot zum Frühstück zufrieden geben. Sie stört mit ihren Bedürfnissen den König in seinem Monolog.
Warum Butterbrote? Hier hat sich einer für Rhythmus und Klang entschieden. Die Alliteration in einem Wort, die Doppelung von B und T, das kurze U, das lange O – an ein anderes Wort konnte einer hier gar nicht denken. Es hätte natürlich Stulle geben können oder von einer Schnitte die Rede sein können. Das hätte eine Absurdität geschaffen, die dem Text einen anderen Geschmack verliehen hätte. Stulle ist auch die Bezeichnung für einen einfältigen Menschen, Schnitte kann ein neckender Kosename sein. Beides ließe sich wohl rechtfertigen. Aber einer hat sich für das Butterbrot entschieden, weil für den Witz in dieser Szene die Situation zuständig ist. Ein besonders aus dem Rahmen fallendes Wort würde ablenken.
Warum Madame? Den offiziellen Titel der Königin (Sa Majesté) respektiert der König nicht und nennt sie Madame. Diese Respektlosigkeit, die fast auf eine Aberkennung royaler Rechte hinausläuft, kommt auf Deutsch nicht so ganz rüber. Aber was wäre die Alternative? Meine liebe Frau? Frau von Habsburg? Das wäre zu förmlich. Einfach nur: Frau? «Sie sind schon recht dicklich, Frau.» «Sie haben zugelegt, Frau.» Vielleicht. Doch obwohl Madame im Französischen anders wirkt als im Deutschen meinte einer wohl, dass das Entscheidende geschieht: eine Herabwürdigung.
Der König stellt in dieser Passage sein Ego stärker zur Schau als im Französischen. Seine Sätze beginnen fast immer mit «Ich», während die Königin sich mit «Kann ich» etwas zurücknimmt. Im Französischen wird dieses Motiv sprachlich nicht in den Vordergrund gestellt. «Il me faut» klingt fast wie ein neutrales Bedürfnis, nicht wie ein «Ich brauche». Aber gleichzeitig ist genau diese Ich-Aussage gemeint. Es bietet auch dramaturgisch keinen Vorteil, die Figur erst später als den Egomanen zu charakterisieren, der sie ist.
Leopold kann an nichts anderes denken als an die Kolonie, die er haben will. Und seine Minderwertigkeitskomplexe sind sicherlich genital zu verstehen:
Der Bourbone ohne Kolonialreich hält dem Längenvergleich mit den Franzosen nicht stand. Das wurmt ihn. Und natürlich geht hier kein «liliputanerhaft», hier hat der Übersetzer sich für ein langgezogenes «mickrig» entschieden, um gerade durch die Erweiterung auf drei Silben die Winzigkeit zu betonen. Ein Leopold II. zugeschriebenes Zitat geht noch weiter: «Petit pays, petites gens, petit esprit.» Der kleine Geist wird in dem Stück ausgespart, damit man sich denken kann, was sonst noch klein sein könnte beim König. Diese Anspielung geht in der Übersetzung verloren wie ein belgischer Witz, der schließlich auch kein Ostfriesenwitz sein kann. Und verharmlost der Verweis auf ein kleines Glied nicht ohnehin die belgischen Gräueltaten, indem sie allzu einfach auf eine Ursache zurückgeführt werden? Diese Frage wird ähnlich noch an anderer Stelle auftauchen.
Der König bestellt Sir Henry Morton Stanley zu sich, der zuvor in England abgeblitzt war. Stanley hat den Kongo durchreist und sucht nach finanzieller Unterstützung für weitere Expeditionen. Leopold verlangt von ihm, dass er den Kongo in seinen Privatbesitz überführt. Obwohl er zunächst die arabisch organisierte Sklaverei für verabscheuenswürdig erklärt, lässt er sich zur Gründung der Polizei in seiner Privatkolonie auf die Rekrutierung von Sklaven ein. Hier werden die Grausamkeiten konkret.
Reinheit und Genozid
Das Stück lässt keinen Zweifel daran, dass sich Leopold schon zu Beginn vor menschlichen Kontakten fürchtet. Er hat Angst vor Mikroben, heißt es. Deshalb lässt er sich die Times zum Frühstück bügeln und verlangt, dass seine Gesprächspartner Abstand halten und sich die Hände waschen.
Einerseits wirkt das in Coronazeiten sehr vertraut, andererseits liest sich die Angst vor der Infektion aber zugleich als eine Angst vor dem Verlust der Reinheit, die kulturell, religiös und rassistisch zu verstehen ist. Ausbuchstabiert wird das etwa in der Aussage des Königs, der Islam sei «eine richtige Pandemie».
Als Verteidiger des Christen- und Weißtums lässt sich auch die Sklaverei rechtfertigen. Stanley errichtet dem König eine Kolonie. Er ist gewalttätig, schlägt die Arbeiter mit einer Nashornlederpeitsche vor einer Fernsehreporterin, die stellvertretend für das heutige Publikum kaum fassen kann, was sie sieht.
Kacimi verwendet anachronistische Technologien, um zwischen den Zeiten zu springen. Der Live-Report aus Léopoldville macht darauf aufmerksam, dass eine heutige Haltung zu historischen Ereignissen auch durch unsere medialen Gewohnheiten geprägt ist. Damit rechtfertigt sich auch das Stück selbst, denn die Geschichte des Kongo könnte alternativ auch durch die Lektüre von Büchern erfahren werden. Der Medienwechsel soll hier vermutlich eine Lebendigkeit erzeugen, eine Unmittelbarkeit durch die leibliche Kopräsenz von Schauspielenden und Publikum.
Die Fernsehschalten in den kolonisierten Kongo schaffen auch eine Verbindung zu Personen, denen die eigene Sprechfähigkeit abgesprochen wird. Sie erhalten durch den Autor eine Stimme. Nur so kommen im Gespräch mit der Reporterin kongolesische Frauen als Zeitzeuginnen zu Wort, die sich darüber beklagen, dass ihren Männern die Hände abgeschlagen werden, weil sie die Quote des zu erntenden Kautschuks nicht einhalten.
Meist verlangen kleine Wörter beim Übersetzen die größte Aufmerksamkeit. «Soigner» ist eines dieser Wörter. Pflegen, behandeln, heilen, versorgen. Vermutlich ist Stanleys Spruch angesichts des auf dem Boden liegenden Schwarzen («Vous allez voir, comment je vais le soigner.») als ein ironisches Pflegen zu verstehen. «Sie werden schon sehen, und wie ich ihn heilen werde.» Aber eher im Sinne von: «Ich werde ihm die Faulheit schon austreiben». Also so etwas wie: «Sie werden sehen, ich treibe ihm das schon noch aus.» Dann fehlt allerdings die Überleitung zum Wie, zum Foltermittel. Das Komma im Ausgangstext ist vor diesem Hintergrund vermutlich zu ignorieren. Der Übersetzer hat sich schließlich für das «Kümmern» entschieden. Darin steckt die ironische Sorge, aber auch das zwiespältige «Behandeln».
Durch das Fremdmachen der Schwarzen bleiben auch keine Flecke auf dem reinen Gewissen der Völkermörder. Der König redet sich mit Verweis auf ähnliche Verbrechen anderer Kolonialstaaten heraus, die sich angeblich am kleinen Belgien vergreifen, um sich selbst reinzuwaschen.
Dass einer als Übersetzer das N-Wort nicht ausgeschrieben hat, obwohl es in einem rassistischen Kontext erforderlich ist, ist womöglich einer Vorsicht geschuldet. Es handelt sich im Französischen nicht um den Nègre der Négritude, der eine positive Bezugnahme auf das Wort anklingen lässt, das es im Deutschen so wahrscheinlich nicht gibt. In einer Aufführung müsste das Wort ausgesprochen werden und es ist wohl etwas lächerlich, ein Wort zu kodifizieren, das weiterhin kenntlich bleibt. Einer tröstet sich damit, dass die Ebene des Vokabulars in dieser Szene zweitrangig ist. Die menschenfeindliche Haltung des Königs kommt dadurch zum Ausdruck, dass er sich immer noch als rein empfindet. Das Christentum versagt, insofern es seine Aufgabe sein könnte, ihm für den Massenmord ein Schuldgefühl zu vermitteln.
Andere Perversionen
Das Stück gleicht trotz der Beschreibungen von Versklavung, Folter und Massenmord an manchen Stellen einer Situationskomödie. Die Eingangsszene ist dafür besonders bezeichnend. Doch gerade seine schwächeren Passagen könnten auch einer schablonenhaften Neunziger-Jahre-Sitcom entnommen sein, in denen Minderheiten regelmäßig einem konservierten Lachen ausgesetzt werden.
Morton Stanley war (wohl) ein Homosexueller. Was macht der Text damit?
Einerseits gibt es Andeutungen, dass Stanleys Sexualität eine von Gewalt geprägte wäre. Er sagt, er habe «den Kongo von hinten genommen». Dass dies keine einvernehmliche Handlung war, ist angesichts der Begleitumstände klar. Eine Sexualisierung der Kolonisation hat sicher auch mit der Penetrationsangst des heterosexuellen Manns zu tun. Jedenfalls wird sie ausgenutzt, um den Horror zu banalisieren. Das ist ärgerlich. Nicht Stanleys sexuelle Vorliebe ist kriminell, sondern die unter seiner Aufsicht erfolgte Unterjochung eines Landes.
Andererseits vergreift er sich an afrikanischen Knaben:
Welche Wirkung hat so etwas? Der Massenmörder und Folterer war außerdem pädophil? Wobei man es mit Nuancen wie Ephebophilie nicht so genau nimmt? Es bleibt beim Schulhofspruch, der sich gegen alle richtet, die keine heterosexuelle Ehe anstreben: Der steht auf kleine Jungs. Soll das etwas erklären? Relativieren?
Es ist ein wenig so, als wäre das Stück in seiner Referenzierung von queerem Begehren bei Frantz Fanons Verständnis von Homosexualität aus dem Jahr 1952 verhaftet geblieben: «Erwähnen wir kurz, daß wir auf Martinique keine manifeste Päderastie feststellen konnten. Das rührt daher, daß es auf den Antillen keinen Ödipuskomplex gibt. Wir kennen ja das Schema der Homosexualität. […] In Europa dagegen haben wir einige Kameraden getroffen, die Päderasten geworden sind, stets passive. Doch hier handelt es sich nicht um neurotische Homosexualität; für sie war das ein Hilfsmittel wie für andere die Zuhälterei.»[2]
People of Color wären demnach nicht von Natur aus homosexuell, sondern könnten höchstens verführt oder von den ökonomischen Verhältnissen gezwungen werden. Vor dem Hintergrund ist es in Kacimis Text natürlich einfach, das Homosexuelle als das Andere darzustellen, über das man sich so lustig machen kann wie über den Kolonisator, den Weißen. Homosexualität erhält hier eine (weiße) Farbe.
Der König, krimineller und unmoralischer Europäer, unterstreicht seine Kriminalität und Unmoral, indem er die Homosexualität seines Gesprächspartners verharmlost. Er nennt ihn einen «Schlawiner». Es geht Leopold um seine Kolonie im Kongo und um sein Renommee. Dafür hebt er alle (natürlichen? instinktiven?) Abneigungen auf: gegen Sklaverei und Homosexualität.
Besonders merkwürdig ist in dieser Hinsicht die Begegnung mit Stanley nach dessen Rückkehr aus dem Kongo. Wie sehr der König durch seine Machtgier «der Natur» zuwiderhandelt, lässt sich daran erkennen, dass Stanley infolge einer Malariainfektion unter Gastritis leidet und der König sich trotzdem lange mit ihm bespricht.
Der Übersetzer stand in dieser Szene an mehreren Stellen vor der Entscheidung, das Flirten der beiden Männer, die sich gerade den Kongo einverleibt haben, offensichtlich zu machen oder etwas subtiler zu gestalten. «Je vous aime beaucoup» – das kann eine Liebes- oder eine Sympathiebekundung sein. «Ich liebe Sie (so) sehr» oder «Ich mag Sie», «Sie gefallen mir». Der Übersetzer hat sich für das neutralere «mögen» entschieden, zumal der Fortgang der Szene eindeutig ist. Warum fragt der König nach dem Parfüm? Warum bietet er das Du an?
Ein zweideutiges Begehren äußert sich in dem «Ich will» des Königs. Darin steckt zum einen sexuelle Erregung, aber auch der Wunsch des Kolonisators, immer noch mehr Territorien unter seine Herrschaft zu bringen. Doch das wird erst später aufgeklärt. Zunächst will der König ein «plaisir», eine Lust, eine Befriedigung? Auch hier meint der Übersetzer, dass es beim Gefallen bleiben muss. Die immense Lust, die der König einfordert, ist aber unterschwellig auch die anale Penetration, ein Gefallen, den Stanley leisten soll.
Stanley wehrt diesen mit Verweis auf seine Gastritis ab. So entsteht ein Bild von Analverkehr mit Durchfall, das darauf aus ist, Ekel zu erzeugen. In der Sitcom würde jetzt eine aufgezeichnete Empörung einsetzen.
Bei «j’en peux plus» steht der König kurz vor dem Höhepunkt, in der Übersetzung ist das nur ein «ich kann nicht mehr». Die Erregung kommt auf Deutsch auch erst beim Gedanken an den Nil zur Sprache. Sicherlich ist Stanley hier auch als Ersatz für die Gattin zu verstehen, die dem König zwar einen Sohn geboren hat, der allerdings früh verstorben ist. Stanley gebiert ihm als Sohnersatz den Kongo. Deshalb: «Du hast mir den Kongo geschenkt», nicht gegeben oder verschafft. Nun ja.
Dahinter verbirgt sich der Impuls der ehemals Kolonisierten, sich über die Verantwortlichen für das generationenübergreifende, nachhaltige Leid lustig zu machen. Dafür nutzt man die in (unseren) homophoben Gesellschaften verbreitete Auffassung, gleichgeschlechtliche Beziehungen und «unmännliches» Verhalten seien lächerlich. Hier gibt es kein wirkliches Hierarchiegefälle mehr, wie es für die früheren Szenen kennzeichnend war. Das Stereotyp vom monströsen Homosexuellen, dessen Blutgier nicht durch weiblichen Einfluss gemildert wird, wird ohne wirklichen Gewinn wiederholt.
Die Szene wirkt auch nicht erhellend in Bezug auf die Psychologie des Völkermörders: Erklären sich die enormen Unmenschlichkeiten, die Stanley auf seinen Expeditionen verübt hat, durch seine Sexualität? Neigen der impotente König und der homosexuelle Entdecker gerade wegen ihrer Impotenz oder Homosexualität zur Grausamkeit? Wie soll daraus ein Schuh werden?
Lumumba
Das Stück ist zweigeteilt. Nach dem Tod Leopolds II. endet es nicht. Die Dokumentation muss ihren Gegenstand auserzählen. In einer Art Nachspielzeit sprechen die Schauspielenden eine Captatio Benevolentiae aus, damit das Publikum nicht heimgeht: «Ich warne euch, das wird vielleicht langweilig», sagt da ein Schauspieler. Und dann werden tatsächlich erst einmal Statistiken zur Ökonomie Belgisch-Kongos referiert, bis schließlich Patrice Lumumba auftritt und die Geschichte bis zur Unabhängigkeit und der Ermordung des Premierministers erzählt werden kann.
Lumumba sagt seine Biografie auf. Er wollte «weißer als die Weißen» sein. In Belgien erfährt er, dass der Weiße nicht zwangsläufig ein bessergestellter Mensch sein muss. Im Bordell kann er sogar mit weißen Prostituierten schlafen. Nach der Unabhängigkeit wird er ermordet. Es stellt sich heraus, dass der Kolonialismus nicht geendet, sondern nur seine Form gewandelt hat.
Bei der Lektüre des Stücks bleibt unklar, wie das andächtige Zuhören auf der Bühne umgesetzt werden kann, ohne dass es monoton wird. Hier rächt es sich ein wenig, dass ein Übersetzer das Stück nicht in Gänze auf der Bühne sehen konnte. Es kann aber darauf vertraut werden, dass dieser Bruch zum Ende hin als ein bittersüßer Moment der Befreiung inszeniert wird, der unter Einsatz von Musik seine kathartische Wirkung nicht verfehlt.
***
Es ist ein Freitag im November. Die Sonne strahlt noch einmal kurz durch den durchwachsenen Himmel. Ein Übersetzer hat die Übersetzung des Stücks Congo Jazz Band durchgelesen. Die Prämisse, Schwarze Schauspieler*innen auf die Bühne zu bringen, um Szenen aus der Geschichte des Kongos und Belgiens zu zeigen, ist effektvoll. Im weiteren Verlauf und insbesondere gegen Ende verändert sich die Erzählform immer mehr ins Monologische. Am Schluss verschwindet selbst der letzte Augenzeuge und es wird ein Brief verlesen. Je näher man der Gegenwart kommt, umso weniger nah sind die Charaktere.
[1] Frantz Fanon, Schwarze Haut, weiße Masken, aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, Frankfurt am Main 1985, S. 15.
[2] Fanon, Schwarze Haut, weiße Masken, S. 182 (Fußnote 45).
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André Hansen, Jahrgang 1985, studierte Romanistik und Komparatistik in Mainz, Dijon und Bologna. Er übersetzt hauptsächlich Belletristik und Sachbücher, etwa von Nicolas Mathieu, Mahir Guven, Charlotte Casiraghi und Thomas Piketty. 2020 wurde er mit dem Förderpreis des Straelener Übersetzerpreises der Kunststiftung NRW ausgezeichnet.
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