
SPUREN (4): Ein Gespräch mit der Dramatikerin Penda Diouf über ihr Stück «Pisten …» «Ich träume von einem Theater, das inklusiver ist»

Im Rahmen des Festival afriCOLOGNE wird diese Woche die Theateranthologie SPUREN vorgestellt. Erschienen im Verlag Theater der Zeit, versammelt sie neun Theaterstücke von Autor*innen aus Benin, Burkina Faso, DR Kongo, Guinea, Republik Kongo, Senegal, Uganda sowie der afrikanischen Diaspora. Die ausgewählten Texte erzählen von gesellschaftlichem Wandel, Widerstand, Identität und Erinnerung – mal poetisch verdichtet, mal direkt und konfrontativ. Teil der Auswahl ist auch das Stück «Pisten …» von der französisch-senegalesischen Dramatikerin Penda Diouf (übersetzt von Annette Bühler-Dietrich). In einem E-Mail-Austausch mit Frank Weigand sprach die Theatermacherin über die Entstehung des Textes, systemische Gewalt und ihren Traum von einem inklusiveren Theater.
Frank Weigand: «Pistes…» ist ein Text, der eine individuelle, autobiografische Geschichte mit einem Ereignis der großen «Weltgeschichte» verbindet. Wie kamen diese beiden Geschichten (die Erfahrung einer jungen Frau aus der afrikanischen Diaspora in einer französischen Provinzstadt) und der Genozid der Deutschen an den Nama und den Herero im heutigen Namibia zusammen?
Penda Diouf: «Pistes…» war ursprünglich ein Schreibauftrag der Sacd, der Gesellschaft für Dramatiker und Komponisten, die ein Format namens «Les intrépides» («Die Unerschrockenen») ins Leben gerufen hatte, um Autorinnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Dabei sollten mehrere etwa zehnminütige, von Autorinnen zu einem bestimmten Thema verfasste Texte vorgetragen werden. Ich nahm in dem Jahr teil, als das Thema «Mut» lautete. Da ich zu dieser Zeit (das war 2018) noch nie auf einer Bühne gestanden hatte, zog ich es vor, einen Monolog in der Ich-Form zu schreiben. Dabei stellte ich mir die Frage nach dem Mut. Hatte ich mich jemals mutig gefühlt? Und da fiel mir ein Satz ein, den ich einige Jahre zuvor auf meiner Reise durch Namibia gehört hatte: «You are a brave woman».
So ist der Text entstanden. Ich wollte von meiner Reise nach Namibia erzählen, die ich nach einer langen Depression unternommen hatte, die Geschichte Namibias erzählen, die damals nur wenige Menschen kannten. Und schließlich wollte ich über alltägliche Situationen in meiner frühen Kindheit und meinem Leben als junge Erwachsene sprechen, die mit systemischem Rassismus zu tun hatten. Ich habe keine persönliche Verbindung zu Namibia. Aber dieser Text hat es mir ermöglicht, eine Erfahrung des Schwarzen Körpers zu zeigen und zu demonstrieren, wie die Situationen von Rassismus und Diskriminierung, die ich in meiner Kindheit erlebt habe, in einer größeren Geschichte verankert und verwurzelt sind, die mit der Gewalt und der Kolonisierung zusammenhängt. Im Fall von Namibia hat die Kolonisierung zu einem Genozid geführt.

Letztendlich ist es die Geschichte des kolonisierten Schwarzen Körpers, die meine persönliche Erfahrung in einer kleinen Provinzstadt im Frankreich der 90er Jahre mit den Ereignissen in Namibia verbindet, mit der beispiellosen Brutalität zu Beginn des Jahrhunderts unter einer anderen Kolonialherrschaft.
Da ich keine Namibierin bin, schien es mir wichtig, mich in dem Text zu verorten. Und darauf zu achten, dass die erwähnten Fakten stimmen. Also habe ich Interviews geführt, im Internet und in Bibliotheken recherchiert. Schließlich habe ich mich auf meine Eindrücke von der Reise gestützt, als ich das Land zum ersten Mal für anderthalb Monate besucht hatte. Eine namibische Frau, vom Volk der Herero, war bei einer der Aufführungen in Dijon im Publikum und hat sich am Ende bei mir bedankt. Das hat mich sehr berührt, denn ich wollte auf keinen Fall, dass die von diesem Genozid betroffenen Menschen oder ihre Nachkommen sich durch meine Art, das Thema zu behandeln, belastet oder unwohl fühlen. Mein Ziel war es, in gewisser Weise Gerechtigkeit zu schaffen, diese Geschichte zu Gehör zu bringen und die Menschen zu würdigen, die gekämpft haben.

«Pistes…» wurde in Deutschland von einer afro-deutschen Schauspielerin performt, die ihre eigenen Erfahrungen in das Stück einfließen ließ. Wie war Ihre Reaktion darauf, dass sich jemand Ihr Stück in einem anderen Kontext aneignete?
Ich bin sehr glücklich, dass das Stück reisen und in verschiedenen Sprachen aufgeführt werden kann. Im Februar 2025 wurde es auch in Quebec inszeniert. In der nächsten Spielzeit wird es in Brasilien uraufgeführt. Ich bin sehr gerührt und fühle mich geehrt, dass der Text so zirkuliert. Das ist ein Beweis für die Ähnlichkeiten, die Gemeinsamkeit in Bezug auf die Erfahrung, als Schwarzes junges Mädchen in einer Welt zu leben, in der man sich in der Minderheit befindet und unsichtbar ist.
Ich spreche nicht nur von persönlichen Gefühlen oder Erlebnissen. Wenn der Text in anderen Ländern nachgespielt wird, dann deshalb, weil die Gewalt, von der ich Zeugnis ablege, systemisch ist. Ich habe mich daher sehr gefreut, dass die Schauspielerin den Text durch persönliche Erfahrungen aus ihrem Leben oder ihrem Lebensumfeld noch stärker in ihrer Realität verankern konnte. Ein Theatertext ist zwangsläufig ein unvollständiger Text. Sobald er verkörpert wird, lebt er anders, und ich finde es schön, wenn eine Darstellerin ihre eigenen Erfahrungen einbringt, als Echo oder im Dialog. Das ist eine Möglichkeit, ihm noch mehr Kraft zu verleihen.

Sie sind als Tochter eines senegalesischen Vaters und einer ivorischen Mutter in Frankreich aufgewachsen und haben vor einigen Jahren zusätzlich zur französischen Staatsbürgerschaft die senegalesische Staatsbürgerschaft angenommen. Ist das eine Art Rückkehr, eine «Rückkehr in die Heimat», oder eher der feste Wille, eine Position «zwischen den Kontinenten» einzunehmen?
Ich habe mich 2015 entschieden, die senegalesische Staatsbürgerschaft anzunehmen, als die linke Regierung von François Hollande den Begriff «Staatsbürgerschaftsentzug» verwendete, der bis dahin nur unter Rechtextremen gebräuchlich war. Das empfand ich als einen Schlag ins Gesicht. Die Regierung des Landes, in dem ich immer gelebt hatte, entschied damit, dass es echte Franzosen gab (die es seit mehreren Generationen waren) und andere, die man anderen Gesetzen unterwerfen konnte und deren Staatsbürgerschaft in Frage gestellt werden konnte. In diesem Moment beschloss ich, die doppelte Staatsbürgerschaft anzunehmen.
Übrigens lebe ich zwar immer noch in Frankreich, arbeite aber zunehmend im Senegal. Ich finde es wichtig, die neue Generation von Autor*innen dabei zu begleiten, ihre eigene Geschichte zu erzählen, sei es an nationalen Theaterschulen in Frankreich, wo ich regelmäßig unterrichte, oder in meinem Herkunftsland.

Sie schreiben hauptsächlich für ein europäisches Publikum und entwerfen in all Ihren Texten Figuren of colour. Sehen Sie sich als engagierte Künstlerin?
Ich schreibe für das Publikum, das ins Theater kommt. Und das ist tatsächlich weiß, in einem bestimmten Alter, und entstammt einer bestimmten sozialen Schicht. Ich frage mich oft, warum die Aufführungsorte sowohl auf der Bühne als auch im Publikum so homogen bleiben. Das Publikum, das mir ähnelt und ins Theater geht, ist nach wie vor eine kleine Minderheit.
Ich frage mich regelmäßig, ob nicht andere Theaterformen möglich wären und versuche zunehmend, an anderen Orten und auf andere Art und Weise künstlerisch zu arbeiten. Ich träume von einem Theater, das inklusiver ist und die heutige Gesellschaft besser repräsentiert. Ich habe angefangen, für Straßentheater zu schreiben, Lesungen an Gymnasien zu veranstalten, Texte zu veröffentlichen, damit sie auf andere Weise zugänglich sind. Musikalische Lesungen zu veranstalten, um ein anderes Publikum zu erreichen, das nicht unbedingt ins Theater geht. Alles, was dazu beiträgt, die Grenze zwischen drinnen und draußen durchlässiger zu machen, interessiert mich.
Die öffentlichen Theater, die durch die Steuergelder aller finanziert werden, müssen Orte der Gastfreundschaft sein, an denen sich alle wohlfühlen, egal ob sie die Codes kennen oder nicht. Außerdem muss das Theater unbedingt andere Erzählungen integrieren und anderen Stimmen Gehör verschaffen. Und wenn es ein Akt des Engagements ist, sich auf der Theaterbühne rassifizierte Figuren vorzustellen, dann ja, dann bin ich eine engagierte Autorin. Ich engagiere mich sowohl für mehr Vielfalt an den Aufführungsorten als auch ganz allgemein für mehr soziale Gerechtigkeit.

Ihre Texte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Hatten oder haben Sie Kontakt zu den Übersetzenden? Ihre Texte stellen Menschen in den Mittelpunkt, die Opfer von Rassismus sind. Ist es Ihnen wichtig, dass die Übersetzenden diese Erfahrung teilen (z. B. weil sie selbst Teil marginalisierter Gemeinschaften sind)?
Für den senegalesischen Philosophen Souleymane Bachir Diagne ist «Übersetzung ein Akt der Gastfreundschaft» (Noch einmal dieser Begriff.). Es bedeutet, «in der eigenen Sprache aufzunehmen, was in einer anderen Sprache gedacht und geschaffen wurde». Es ist daher eine wunderbare Erfahrung, mit einer Übersetzerin oder einem Übersetzer zusammenarbeiten zu können. Das war bei «Pistes…» und bei anderen Texten der Fall.
Da die Welt nun einmal so ist, wie sie ist, ist es mir wichtig, dass die Möglichkeit besteht, dass die Texte von Übersetzenden übersetzt werden, die minorisierten Gruppen angehören. Nicht nur, weil sie das Thema aus eigener Erfahrung kennen, sondern auch, weil Diskriminierung alle Bereiche betrifft, auch die Übersetzung. Es ist also manchmal eine Gelegenheit, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die sich in einer prekäreren Situation befinden, jedoch ohne automatische Zuweisungen oder Verpflichtungen. Jede*r muss sich frei fühlen. Die Ethik steht an erster Stelle. Wenn die übersetzende Person Fragen stellt und mit der Autorin/dem Autor zusammenarbeitet, bestehen die besten Chancen, dass am Ende beide mit der Übersetzung zufrieden sind.

Penda Diouf (Frankreich, Senegal) ist Dramatikerin und Librettistin. Ihre Stücke wurden ins Deutsche, Englische, Armenische, Tschechische, Italienische und Finnische übersetzt. Sie erhielt in Frankreich und Deutschland zahlreiche Auszeichnungen (u.a. Prix SACD Nouveau Talent Théâtre 2023) und hatte Gastspiele u.a. am Royal Court Theatrein London, in der Villa Albertine in New York und am Nationaltheater Straßburg. Penda arbeitet eng mit den Centres Dramatiques Nationaux von Valence, Lille, La Réunion sowie mit der Agora, Scène nationale d’Evry zusammen. Sie ist Mitbegründerin des Labels Jeunes textes en liberté. Ihr Stück Die große Bärin erschien 2021 in der Anthologie Afropäerinnen (Neofelis Verlag). «Pistes…» in der Inszenierung von Aristide Tarnagda tourte 2020/21 in Deutschland und Frankreich, u.a. beim Festival d’Automne. Die deutsche Übersetzung wurde 2022 am Theater Münster uraufgeführt und die Hörspielfassung 2023 als Hörspiel des Jahres ausgezeichnet.
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