Erfahrungsberichte zu einem Gastseminar an der Uni Mannheim Kollektiv und postkolonial

Abendzettel für die Lesung am Theaterhaus G7 (Foto: Frank Weigand)

Meine Stimme im Übersetzungskollektiv

von Elfi-Joana Porth

«Ich stelle mir nur die Frage nach der Sinnhaftigkeit im Deutschen.»¹, antwortet die Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Latifa Djerbi auf die Frage der Übersetzerin ihres Stücks «La danse des affranchies» Ela zum Winkel, wie es für sie ist, in andere Sprachen übersetzt zu werden. Für mich ist ihre Antwort bzw. vielmehr ihr Zweifel auch Ausdruck der zentralen Frage, die uns bzw. mich beim Übersetzen begleitet hat.

In diesem Bericht möchte ich die Erfahrungen, die ich im Masterseminar «KOLLEKTIV UND POSTKOLONIAL – sprachübergreifendes Theaterübersetzen als dialogische Praxis» im Herbst-Wintersemester 2022/23 an der Universität Mannheim machen konnte, reflektieren. Dabei thematisiere ich auch Herausforderungen und Probleme, die beim kollektiven Versuch, die Textauszüge zu übersetzen, aufkamen.

Mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit in der Zielsprache spricht Latifa Djerbi die Verantwortung von Übersetzerinnen und Übersetzern an und bringt die Herausforderung auf den Punkt: Wie können Inhalt sowie gleichzeitig Klang, Ton und Stimmung des Originalstücks am besten wiedergegeben werden? Ohne das Werk einerseits zu verfremden, es aber andererseits in den Zielkontext zu übertragen und seine Sinnhaftigkeit auch dort zu gewährleisten. Wie lassen sich idealerweise jegliche Konnotationen und Assoziationen mitübertragen, obwohl es sich um (völlig) unterschiedliche Kultur- und Sprachräume handelt? Adäquate Lösung dafür zu finden, gleicht sozusagen einem Rätsel, das keine Muster- bzw. keine alleingültige Antwort vorgibt, aber eine verantwortungsvolle Herangehensweise voraussetzt – auch oder vielleicht gerade als Laien.

Hier erweist sich der kollektive Übersetzungsversuch, d.h. im Austausch und beim gemeinsamen Abwägen, als dankbar, da unsere verschiedenen Vorschläge in Beziehung zum Original und zueinander gesetzt werden konnten. Im engen Austausch miteinander sowie mit Frank Weigand, unserem Dozenten, haben wir unsere individuellen Übersetzungsvorschläge als vielstimmige Alternativen zusammengetragen. Diese konnten wir mal produktiv miteinander verflechten oder einzelne auch verwerfen. Oftmals fand ich es aber auch verblüffend, wie viel Konsens bzw. wie viele Übereinstimmungen es bei einzelnen Zeilen oder Sätzen gab. Um die Balance zwischen Textnähe/-wirkung sowie Flüssigkeit und Angemessenheit in der Zielsprache zu finden, haben wir vielfältige Möglichkeiten und Vorschläge aus der Gruppe bzw. unseren Kleingruppen gehört und diskutiert.

Dieser Austausch hat parallel eine Reflexion meines eigenen Sprachgefühls und Sprachgebrauchs angestoßen. Mir sind neue Sprechweisen, Redewendungen und Interpretationen begegnet. Diese Konfrontation mit anderen Auffassungen oder Verständnissen war manchmal zunächst irritierend, in der Rückschau in den meisten Fällen aber bereichernd, weil sie mir neue Zugänge zu und Perspektiven auf einen Auszug, einen Redebeitrag, einen Satz, ja manchmal nur auf ein Wort ermöglicht hat. Auf jeden Fall wurde mir verdeutlicht, wie unerlässlich es ist, genau zu lesen, auf Zwischentöne zu hören und im Idealfall über eine Szene, einen Textauszug hinaus zu recherchieren, um die jeweilige Situation richtig einzuschätzen. Eine Voraussetzung, um sie dann auch entsprechend wiedergeben bzw. übertragen zu können.

Unsere eigenen Übersetzungen wurden zunächst in Kleingruppen und mitunter im Plenum zur Diskussion gestellt, um schließlich bei einer Lesung im Mannheimer Theaterhaus G7 in Zusammenarbeit mit der Regisseurin Leyla-Claire Rabih und fünf Schauspieler*innen in einem größeren Rahmen präsentiert und diskutiert zu werden.²
Somit war für unsere Übersetzungsarbeit neben einer zielsprachenorientierten Übertragung auch die Funktion, der angedachte Zweck relevant, weil für die Darbietung auf der Bühne Rhythmus und Klang noch zentraler sind als beispielsweise in einer Buchpublikation o. Ä. Generell ist für Theatertexte im Unterschied zu Prosa herauszustellen, dass es sich um gesprochene Sprache, also um unmittelbarere Dialoge oder Unterhaltungen handelt, für die äquivalente Formulierungen in der Zielsprache und ihrem entsprechenden Kulturraum gefunden werden müssen.

Leseprobe mit den Schauspieler*innen (v.l.n.r.) Samantha Fowler, Bernadette Evangelina Schlottbohm, Mounir Saidi, Nicko Haber und Vanessa Silva Bauer (Foto: Frank Weigand)

Das Übersetzen oder vielleicht eher Übertragen von Theatertexten mit kolonialem Hintergrund ist eine sensible Aufgabe, die stets Fragen zum Kontext aufwirft. Umgehen mussten wir im Kurs mit dem Fakt, in welcher Realität, welchem Kontext wir uns für diese Aufgabe befinden: in Mannheim – «in einer von Vielfalt geprägten Gesellschaft»³ (wie es in der «Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt» heißt). Nicht außer Acht zu lassen ist hier die Tatsache, dass wir uns auch an der Universität, genauer in einem literaturwissenschaftlichen Masterseminar befinden, was auch nochmals gewisse kontextuelle Eckpfeiler vorgibt.

Das ist also der vorgegebene Rahmen, in dem wir kollektiv mit den von Krieg, Gewalt und Grenzen geprägten Auszügen aus Theaterauszügen arbeiten. Ist es überhaupt angemessen und vertretbar, unter diesen Voraussetzungen Texte von Dramatikerinnen und Dramatikern mit transkulturellen Biografien bzw. postkolonialem Hintergrund zu bearbeiten? Eine Frage, die mich initial und über das gesamte Seminar hinweg umgetrieben hat. (Kleiner Spoiler: Da ich sehr dankbar für die praxisnahen und bereichernden Einblicke, Erfahrungen sowie den vielstimmigen Austausch bin, würde ich diese Frage abschließend mit «ja» beantworten.)

Wie stehen aber professionelle Übersetzer*innen dazu, wie die Autor*innen selbst? Dank Videoschalten, die in das Seminar integriert wurden, hatten wir Gelegenheit, die Positionen einiger Vertreter*innen zu hören und miteinander ins Gespräch zu kommen. Diese Begegnungen erachte ich als wertvoll (auch wenn ich den Austausch ehrlich gesagt intensiver hätte nutzen können). Eine einzigartige Bereicherung war die Darbietung von George Seremba, der uns seinen autobiografischen Text sehr emotional und eindrücklich nähergebracht hat. Daraufhin hatte ich ihn und seine Performance bei jeder Zeile aus «Come good rain» vor Augen, was die Arbeit mit seinem Text sehr anschaulich und tiefgründig gestaltet hat.

Wie in den verschiedenen Gesprächen deutlich wurde, gibt es innerhalb des Feldes unterschiedliche Auffassungen zum Umgang mit Übersetzungen in eine andere Zielsprache und ich denke, es ist wichtig, die unterschiedlichen Standpunkte ernst zu nehmen, um eine eigene Position/Haltung zu etablieren. Es war für unser Kollektiv also unerlässlich, folgendes Dilemma in die Diskussion und unsere Arbeit aufzunehmen: Überwiegt als Rechtfertigung das Argument, ihre Stimme ins Deutsche zu übertragen und so dazu beitragen zu wollen, dass ihre Texte Aufmerksamkeit erhalten, oder schränkt eine andere Sozialisierung uns ein, ihre Ideen und Perspektiven wiederzugeben? Der Standpunkt mag unterschiedlich sein, die Thematisierung macht aber klar, dass es idealerweise einer vertrauensvolle Beziehung zwischen Urheber*in und Übersetzungskollektiv bedarf. An dieser Stelle ist also das uns entgegengebrachte Vertrauen, die Auszüge übersetzen zu dürfen, zu unterstreichen.

In unserer Runde war Raum dafür, unsere Rolle als Übersetzer*innen zu hinterfragen und zu definieren. Allerdings war diese Frage stetig im Fluss und konnte nicht abschließend beantwortet werden. Außerdem gab es Gelegenheiten, Grenz- und Problemfälle zu besprechen, was die Auseinandersetzung und «Bewältigung» vielstimmig gestaltet hat. Das Hinterfragen der Rollen und Positionen beschäftigt mich weiterhin – auch mit Blick auf aktuelle Debatten rund um Sensibilisierung im Sprachgebrauch. Hier frage ich mich auch, ob es mit Blick auf das Thema nicht auch unangebracht sein kann, meine eigene Situation so wichtig zu nehmen. Schließlich hätte ich – als blonde europäische Studentin – (in den meisten Fällen) eine Stimme.

Das Beispiel «Yes a German genocide. A rehearsal Holocaust.»⁴ verdeutlicht eindrücklich, dass die Annäherung an und die Übertragung der Originale sensibel und reflektiert erfolgen muss. Wie problematisch Holocaust-Vergleiche in Deutschland sind, hat im August 2022 die «unsägliche» und «inakzeptable»⁵ Aussage des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas gezeigt. Die Wiedergabe des Wortes, das nun mal im Originaltext vorkommt, musste hinterfragt bzw. geprüft werden. Übersetzung bedeutet also immer auch Transformieren und Umformen des Texts – ihn, den Sachverhalt und den Kontext in unserem Fall deutsch zu machen oder deutsch zu gestalten, was Fragen nach den Limits aufwirft.

In der Gruppe, unserem Übersetzer*innenkollektiv darüber zu sprechen – zunächst in der Kleingruppe und dann in größerer Runde im Plenum – war in diesem Fall hilfreich. Wir konnten unsere Wahrnehmungen und Argumente austauschen und somit eine reflektierte Entscheidung treffen. Dabei stand nicht die Bewertung von «richtigem» entgegen «falschem» Vorgehen bzw. einer «richtigen» versus einer «falschen» Umsetzung im Zentrum der Abwägung, sondern vielmehr die Entscheidung für eine Version, für eine Form, auf die wir uns einigen konnten, weil sie uns angemessen erscheint. Die Thematisierung bzw. mitunter Problematisierung an sich ist Ausdruck eines sensiblen, reflektierten und bedachten Vorgehens mit dem Ziel, den Spagat zwischen Nähe zum Original und Wirkung im Zielkontext bestmöglich zu vollführen.

Ein weiterer Zweifelsfall, der vielfach zu intensivem Austausch geführt hat, war der Umgang mit einem tunesischen Akzent im französischen Original von «La Danse des affranchies«. Der Wunsch, die Wirkung in der Zielsprache beizubehalten, war in diesem Fall herausfordernd, da es kein Äquivalent gibt. Wir haben uns durch gemeinsames Abwägen und Ausprobieren dem Kompromiss bzw. der Umsetzung angenähert, um eine gute, nicht-stigmatisierende Lösung zu finden. Dabei zu beachten ist, dass es zwar unsere Bearbeitung des Texts ist, die wir vertreten können müssen, wir aber nicht die Urheber*innen des Stoffs sind. Dies betont wiederum unsere vermittelnde Rolle beim Übersetzen. Es handelt sich nicht originär um unseren eigenen Text, sondern um eine möglichst stimmige Übertragung des französischen Originals – und eben dessen (intentionalen) Eigenschaften.

Zur Organisation des Seminars möchte ich herausstellen, dass die Aufteilung in kleinere Gruppen aus meiner Perspektive sehr sinnvoll war – nicht nur, um den Workload möglichst ausgewogen zu gestalten. Sondern auch, weil ich persönlich mich unwohl fühle, mich in größeren Gruppen ausgiebig zu beteiligen. Es kostet mich meist viel Überwindung, aktiv im Plenum mitzudiskutieren, deswegen habe ich persönlich die Gelegenheiten sehr geschätzt, mich in den kleineren Diskussions- und Teamrunden niedrigschwelliger mit meinen Vorschlägen einzubringen. Ich möchte an dieser Stelle also darauf aufmerksam machen, dass nicht nur die Sprachsysteme, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben, einzigartig sind, sondern auch das Kollektiv aus verschiedenen Individuen ergo verschiedenen Persönlichkeiten besteht. Jede*r war hier wertvoll, um mit seinem*ihrem Erfahrungsschatz zum Entstehen und (Um-)Formulieren, kurz zum Gelingen des Projekts, beizutragen. Die Struktur des Seminars sowie die sehr praxisorientierte Art unserer Zusammenarbeit fand ich angenehm, vor allem, weil sie – insbesondere in unserer kleineren Gruppe – sehr wertschätzend war.

Viele der offenen Themen und Fragestellungen im Zuge unseres Seminars – etwa eine potenzielle Arroganz oder der Umgang mit Adaptionen – wurden dann auch in der offenen Diskussion nach der Lesung im Theaterhaus G7 angesprochen. Es war interessant, Stimmen, Argumente und Meinungen ‚von außen‘ zu hören. Diese Anregungen aus dem Publikum haben das Panorama nochmals erweitert. Generell war die Vorbereitung sowie der Veranstaltungsabend begleitet von der Aufregung, wie die Collage auf das Publikum wirken würde. Natürlich war es nicht unsere Kompilation, aber einen gewissen Beitrag zum Gelingen der Veranstaltung geleistet zu haben – als Teil des Übersetzungskollektivs, hat mich stolz gemacht. Meiner persönlichen Einschätzung nach war dieses Gemeinschaftsprojekt sehr bereichernd und ich würde auch sagen, dass es erfolgreich war, weshalb ich allen Beteiligten herzlich danken möchte. Fazit: very proud to have been part of the cooperation!

¹ Latifa Djerbi im Gespräch mit Ela zum Winkel. Link zum Interview vom 09.09.2022. Zuletzt abgerufen am 26.10.2022
² Link zur Veranstaltung. Zuletzt abgerufen am 26.10.2022
³ Jackie Sibblies Drury: «We Are Proud to Present a Presentation About the Herero of Namibia, Formerly Known as South West Africa, From the German Sudwestafrika, Between the Years 1884-1915», Scene: Process.
⁴ Beide Adjektive wurden in folgendem Tweet von Bundeskanzler Olaf Scholz als Reaktion auf die Aussage von Mahmoud Abbas, Präsident des Staates Palästina, genannt: «Ich bin zutiefst empört über die unsäglichen Aussagen des palästinensischen Präsidenten Mahmoud #Abbas. Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel. Ich verurteile jeden Versuch, die Verbrechen des Holocaust zu leugnen.» (Account @Bundeskanzler, Link zum Tweet. Zuletzt abgerufen am 26.10.2022
⁵ . Link zur Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt. Zuletzt abgerufen am 26.10.2022

Elfi-Joana Porth (Foto: privat)

Elfi-Joana Porth studiert seit Herbst 2022 den Master «Literatur, Medien und Kultur der Moderne» in Mannheim.

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Wie wir miteinander reden, macht uns zu dem, wer wir sind

von Katharina Schirp

Die Art, wie Menschen miteinander reden, lässt die Dialogpartner*innen zu einer Einheit verschmelzen oder auseinander driften, kann Streit schlichten, oder einen Krieg anstiften. Sprache gestaltet unsere Wirklichkeit.

Die Menschen in den ehemals kolonisierten Ländern litten und leiden immer noch unter den Zuschreibungen, die ihnen ihre Kolonisatoren von außen aufoktroyierten. Ihre eigene Kultur wurde nicht als gleichwertig anerkannt. Eine eigene Identität ausbilden, die nicht durch Vorurteile geprägt ist, ist für diese Menschen immer noch schwer.

Theaterübersetzung kann als kulturelle Institution in der Semiosphäre unserer globalen Gesellschaft dazu dienen, einen Austausch in Gang zu bringen und zwischen den Traumata der Menschen der ehemals kolonisierten Länder und der Lebenswirklichkeit in Europa beziehungsweise in Deutschland zu vermitteln. Dabei ist nun unsere Geschichte als ehemalige Kolonisator*innen zu beachten, die unser kollektives Gedächtnis und die gesellschaftliche Identität prägt und nicht vergessen werden darf. Menschen aus Deutschland und Europa haben Menschen aus anderen Teilen der Erde Wunden zugefügt, die nicht heilbar sind. Die Deutschen sind jene, die immer die Macht an sich gerissen haben und sich über andere Menschen stellten. Die Aufgabe unserer Generation ist nun, diese Machtstellung zu reflektieren und deren Gerechtigkeit zu hinterfragen. So müssen wir heutzutage auf der Ebene von Sprache, genau wie im Falle von «Gender», besonders sensibel mit postkolonialen Themen umgehen.

Im postkolonialen Stück der Schwarzen US-amerkanischen Autorin Jackie Sibblies Durie «We Are Proud to Present a Presentation About the Herero Of Namibia, Formerly Known as Southwest Africa, From the German Südwestafrika, Between the Years 1884-1915» wird das Verbrechen der Deutschen an den Nama und den Herero in Namibia zusammengefasst. Es stellte sich uns Studierenden unter anderem die Frage, inwiefern Begriffe wie «tribe» überhaupt wörtlich als «Stamm» übersetzt werden dürfen, wenn die Kolonisatoren die Nama und die Herero auf diese Weise als inferior semantisierten.

Zusammen mit unserem Dozenten, dem Theater-Übersetzer Frank Weigand und der französischen Übersetzerin und Regisseurin Leyla-Claire Rabih entschieden wir uns für eine Übersicht mehrerer Übersetzungsvorschläge des Übersetzer*innen-Kollektivs, um das Thema des problematischen Übersetzungsprozesses auf der Metaebene der Inszenierung für das Publikum anzuzeigen. Durch die Variation der Übersetzung mit dem Begriff der «Völkergruppe» wird die Bedeutungsgebung in einen gesellschaftlichen Diskurs überführt, durch den die Herero sprachlich wieder als Eigenheit legitimiert werden können, anstatt als Fremdheit den Europäern gegenüberzustehen.

So ist zu sagen, dass eine Übersetzung in Auseinandersetzung mit dem postkolonialen Diskurs in einem Kollektiv durchaus sinnvoll sein kann, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Dabei geht es auch und im Besonderen um den Austausch mit den Akteur*innen, die mit ihrer Performance sowie mit ihrem Körper auf der Bühne stehen und mit gesellschaftlichen, sozialen, ethnischen oder genderspezifischen Zuschreibungen ein Konstrukt darstellen, das zunächst fremdbestimmt ist. Die Sprache hat die Möglichkeit, unsere gesellschaftlich geprägten Voreingenommenheiten aufzusprengen.

Textarbeit im Foyer des Theaterhaus G7 (Foto: Frank Weigand)

Wenn nun der performative Akt der Sprache des Schauspielers*der Schauspielerin glückt, kann sie sich über zugeschriebene Identitätsgrenzen hinwegsetzen, wie auch Übersetzer Andreas Jandl in einem Interview auf PLATEFORME findet. Er spricht von der «künstlerischen Kraft der Mimesis», die uns das Leid, aber auch andere Gefühle und Seelenzustände anderer Menschen durch Kunst erfahren lässt. Er betont jedoch: «Immer vorausgesetzt, wir machen beim Übersetzen ernst, sind so aufmerksam wie möglich und recherchieren und fragen im vollen Rahmen unserer Möglichkeit.»

Durch die Übersetzung im Kollektiv kann dem Dialog zwischen dramatischem Text und Publikum – vermittelt durch die Schauspieler*innen – Vorschub geleistet werden. Wenn Menschen aus verschiedenen sozialen und geographischen Räumen, mit unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Ausgrenzungsstrukturen aufgrund von Hautfarbe, Sprache, Gender oder einer Behinderung über diese Themen sprechen, wird der dramatische Text in eine kollektive Identität überführt, die auf der Bühne versprachlicht wird und über den/die einzelne/n Schauspieler*innen hinausreicht. Dabei kann das Kollektiv, je mehr Perspektiven es mit einbezieht, das Machtgefälle umso stärker relativieren.

Die Frage, wer nun das Verbrechen an den Herero auf der Bühne verkörpern und versprachlichen darf, hängt vom Grad der Reflexionsfähigkeit ab, mit der sich Übersetzer*innen und Schauspieler*innen des Themas annehmen. Nach der Aufführung der dramatischen Lesung unserer postkolonialen Collage «(Not?) proud  to  present»  ging  es  innerhalb  des  Gesprächs  zwischen  Übersetzer*innen, Schauspieler*innen und Publikum unter anderem um die Frage, warum wir in unserer Übersetzung von Auszügen aus dem französischen Stück von Latifa Djerbi «La Danse des affranchies», den starken tunesischen Akzent der Mutter nicht mit übersetzt haben.

Einige Stimmen verurteilten unser Vorgehen als Verfälschung der Intention der Autorin. Wir haben uns dagegen entschieden, da sich keine/r der Übersetzer:innen dazu legitimiert fühlte, einen tunesisch-arabischen Akzent im Deutschen zu generieren. Jeglicher Versuch käme unserer Meinung nicht an eine wirkliche Sprache heran, an eine Geschichte, die authentisch wirkt. Wir ließen die Rolle der Mutter einfache Sätze sprechen, um ein Sprachdefizit anzudeuten, ihren Ausdruck aber nicht durch einen aufgesetzten Akzent zu verfälschen. Die tunesisch-arabischen Schimpfwörter haben wir dagegen übernommen, um das Bedeutungssystem der Sprache, den Tonfall und ihre Performance zur Geltung zu bringen. Auch war die Schauspielerin Bernadette Evangelina Schlottbohm sehr darauf bedacht, das arabische Wort authentisch auszusprechen und tauschte sich dafür mit dem Kurdisch und Arabisch sprechenden Schauspieler Mounir Saidi aus.

So bezeichnet die Mutter den Schwarzen Arzt im Krankenhaus von Angers als «Khalouch», als es um die Frage nach der Verwendung der Organe ihres sterbenden Mannes geht. Auch hier traten bei der Übersetzungen Schwierigkeiten auf. Erstens: Verstehen die Zuschauer*innen, dass es sich um ein rassistisches Schimpfwort handelt? Und zweitens: Sollte ein rassistisches Schimpfwort für People of Color überhaupt in einem postkolonialen Theaterstück enthalten sein? Da wir selbst anfingen, darüber zu diskutieren und mit unseren Argumenten nie an ein Ende kamen, stellten wir fest, dass genau solche «Übersetzungsproblematiken» an das Publikum, an die Gesellschaft zurückgeführt werden sollten. Ein Canceln jeglicher problematischer Ausdrücke, würde diese Bedeutungen im Alltag der Menschen, die damit beleidigt werden, nicht verschwinden lassen.

Meiner Meinung nach kann das Aufzeigen der Macht von Wörtern mehr zur Reflexion und Weiterentwicklung der Gesellschaft beitragen. Es geht einzig um den Kontext, in dem dieses Wort verwendet wird und an diesem kann jede*r aktiv mitarbeiten und sich seiner*ihrer Worte gewahr werden.

Denn wie wir miteinander reden, macht uns zu dem, wer wir sind.

Katharina Sophie Schirp (Foto: privat)

Katharina Sophie Schirp: Geboren am 21.11.1994 in Würselen. Absolviert den Master «Literatur, Medien und Kultur der Moderne» (3.FS) an der Universität Mannheim und engagiert sich kreativ unter anderem innerhalb des Kultur-AStAs, schreibt selbst Texte, zeichnet und veröffentlicht eigene Musik.

 

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Einen Akzent oder ein Zeichen setzen?

von Adama Mamadou Diène

Im Rahmen der Veranstaltung und darüber hinaus, hat mich besonders eine Frage nachhaltig bewegt: Ist es vertretbar, sich über die Entscheidung einer Autorin oder eines Autors in der eigenen Übersetzung bewusst hinwegzusetzen und stattdessen eine veränderte Version des Textes anzubieten, die einem aus Gründen, die im Folgenden näher zu erläutern sind, weniger problematisch erscheint?

Ziel dieses Essays ist es, den Textausschnitt «L’homme au grand Coeur» aus «La Danse des affranchies» von Latifa Djerbi und die während der Übersetzung geschehene Auslassung des Akzents sowie der sprachlichen Fehler von Saïda zu reflektieren, um damit einen tieferen Einblick in den Denkprozess und die Entscheidungsfindung zu erlauben.

Arndt (2021: 121) trifft den Punkt auf prägnante Art und Weise, indem sie festhält, dass «im Zusammenhang von Eroberung und Machtausübung […] Sprache seit jeher zur abwertenden Fixierung und Markierung von als anders konstruierten Menschen – sowohl nach außen als auch nach innen» diente. Sprache ist dabei nie gänzlich wertfrei und spätestens seit dem Linguistic Turn wird in Teilen die Ansicht vertreten, dass Sprache nicht als transparentes Medium zur Beschreibung der Wirklichkeit genutzt werden kann, sondern inhärent von Bedeutung, Machtverhältnissen und latenten Zuschreibungen gekennzeichnet ist. Sprache bildet Realität nicht wahrheitsgetreu ab, vielmehr erschafft Sprache ihrerseits Wirklichkeit und damit auch Relationen von Macht, wie auch Michel Foucault feststellt. Dabei ist selbst Wahrheit nach Foucault keine Abbildung von Realität, sondern ein Effekt diskursiver Konstruktionen, der sich seinerseits in Sprache manifestiert. Als kulturell formierte, historisch wandelbare Rede- und Wissensordnungen prägen Diskurse unser Sprechen und Denken und damit unsere gesamte Welt- und Selbstwahrnehmung.

Djerbis Entscheidung, die Einwanderin Saïda mit einem starken tunesischen Akzent und fehlerbehaftetem Französisch sprechen zu lassen, hat weitreichende Folgen für die zu übersetzende Szene: Der Arzt Dr. Samb ist Schwarz und spricht fehlerfreies Französisch, weshalb man annehmen könnte, dass er Saïda sozio-ökonomisch überlegen ist. Seine Hautfarbe bietet in diesem Zusammenhang jedoch eine Angriffsfläche. Zudem bittet er Saïda, das Herz ihres im Sterben liegenden Mannes für eine Transplantation freizugeben. Die von Saïda mutmaßlich empfundene Mischung aus Wut und Ohnmacht in dieser Situation wird durch die sprachliche Barriere noch weiter verschärft, weil sie unter Schock steht und nicht eindeutig ist, ob sie alles versteht und infolgedessen, ob sie überhaupt in der Lage ist, eine mündige Entscheidung zu treffen. Es geht aber auch um das Machtgefälle zwischen Dr. Samb und Saïda, denn obwohl beide vermutlich afrikanische Wurzeln haben, wird allein durch Sprache ausgedrückt, wer wem überlegen zu sein scheint. Der Akzent trägt in Kombination mit der grammatikalisch und lexisch falschen Nutzung der Sprache entsprechend viel zur Bedeutung der Szene und der Charakterisierung der Figuren bei, was die Entscheidung, ihn wegzulassen, umso schwieriger gemacht hat.

Samantha Fowler und Vanessa Silva Bauer bei der Probe einer Szene aus «La Danse des Affranchies» (Foto: Frank Weigand)

In Ermangelung von Kenntnissen darüber, wie ein tunesisch-französischer Akzent im französischen Kulturraum markiert ist und ebenso wenig Wissen darüber, welche Unterschiede sich zwischen einem tunesisch-französischen zu einem tunesisch- deutschen Akzent ergeben, welche Diskurse rein durch die phonetische Auffälligkeit behandelt und welche Stereotype eröffnet werden, hielten wir es als Gruppe für sehr problematisch, den Akzent, der neben der sozio-ökonomischen Ebene auch noch die komplexe Verflechtung von kulturellen Beziehungen zwischen Nordafrika, genauer Tunesien, und anderen Ländern des afrikanischen Kontinents aufgreift, zu übernehmen.

Tunesien ist als ehemalig französisch besetztes Land, das sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts aktiv gegen die Besatzung wehrte, auch unmittelbar mit der französischen Identität verknüpft. Dieses koloniale Erbe und die damit einhergehenden Verflechtungen werden und wurden allesamt auch über Sprache diskursiv verhandelt und prägen dadurch Saïdas Akzent und inkorrekten Gebrauch des Französischen auf eine Weise, die nun ins Deutsche übertragen werden sollte.

Es wäre aus meiner Sicht enorm schwierig, wenn nicht gar unmöglich gewesen, dem Anspruch dieses Nexus an interdiskursiven und hochgradig sensiblen Themen gerecht zu werden. Zudem waren wir uns unsicher darüber, wie genau wir einen Akzent übersetzen würden, weil uns nicht die nötige Expertise in Form von Personen mit tunesisch-deutschem Akzent zur Verfügung standen. Als in Deutschland geborener Sohn eines senegalesischen Vaters und einer deutschen Mutter, war es in meinen Augen auch nicht möglich, meine persönlichen Biases vollständig abzulegen oder selbst durch ein kritisches Hinterfragen selbiger, eine objektive Sicht auf den Übersetzungsprozess der spezifischen Szene zu entwickeln.

Ich wollte keinesfalls, dass ein Übertragen des Akzents und der sprachlichen Fehler ins Deutsche in eine vaudevillesquen Karikatur münden würde, wie sie im Amerika des 19. und 20. Jahrhunderts oftmals stark kolonialistische Attitüden annahm und Aspekte Schwarzer Identitäten rassistisch, spöttisch und respektlos für ein überwiegend weißes Publikum zur Schau stellte. Die Figur der Mutter sollte im Zuge der Übersetzung nicht zu einer unfreiwilligen Quelle von Komik werden, nur weil sie der Sprache nicht vollends mächtig ist.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass eine Übersetzung immer auch eine Transformation ist. Implizite und explizite Werte, Haltungen und kulturelle Artefakte werden über Sprachgrenzen hinweg transportiert und machen damit neben Einstellungen aus der zu übersetzenden Sprache auch immer Einstellungen der Übersetzenden sichtbar. Nach einer umfangreichen Diskussion als Gruppe entschlossen wir uns letztlich dafür, sowohl Akzent als auch die sprachlichen Fehler in der Übersetzung nicht zu berücksichtigen und stattdessen im Rahmen der Erprobung des Stücks lieber einen paratextuellen Hinweis zu geben – wohlwissend, der Szene so eine wichtige Bedeutungsebene zu nehmen. Literarische Texte, wie «La Danse des affranchies» sind in das Gefüge kultureller Diskurse eingebunden und bilden keine geschlossenen autonomen Größen, sondern lediglich Kreuzungspunkte im Netz von Diskursen. Es handelt sich entsprechend nicht um die ontologische Herstellung von Fakten und Sinn, sondern das kollektive Aushandeln von Wirklichkeit und dem Versuch einer Annäherung an einen hochkomplexen Zusammenhang. Diese dialogische Annäherung hat für uns bedeutet, keinen Akzent, dafür aber ein Zeichen zu setzen.

Literatur:
Arndt, Susanne (2021): Sprache, Kolonialismus und rassistische Wissensformationen. In: Wie Rassismus aus Wörtern spricht – (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache – Ein kritisches Nachschlagewerk. Hrsg. von ders. und Nadja Ofauatey-Alazard. Münster: Unrast Verlag, S. 121–125.

Adama Mamadou Diène (Foto: privat)

Adama Mamadou Diène studiert im Master Kultur und Wirtschaft an der Universität Mannheim. Seine Bachelorarbeit hat er zum Thema der Verbreitung von aktueller Desinformation in sozialen Medien geschrieben und auch sonst ist er stark daran interessiert, welche realitären Folgen der Gebrauch spezifischer Sprache in der Entstehung und Weiterentwicklung von Diskursen hat.

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