Das Übersetzen oder vielleicht eher Übertragen von Theatertexten mit kolonialem Hintergrund ist eine sensible Aufgabe, die stets Fragen zum Kontext aufwirft. Umgehen mussten wir im Kurs mit dem Fakt, in welcher Realität, welchem Kontext wir uns für diese Aufgabe befinden: in Mannheim – «in einer von Vielfalt geprägten Gesellschaft»³ (wie es in der «Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt» heißt). Nicht außer Acht zu lassen ist hier die Tatsache, dass wir uns auch an der Universität, genauer in einem literaturwissenschaftlichen Masterseminar befinden, was auch nochmals gewisse kontextuelle Eckpfeiler vorgibt.
Das ist also der vorgegebene Rahmen, in dem wir kollektiv mit den von Krieg, Gewalt und Grenzen geprägten Auszügen aus Theaterauszügen arbeiten. Ist es überhaupt angemessen und vertretbar, unter diesen Voraussetzungen Texte von Dramatikerinnen und Dramatikern mit transkulturellen Biografien bzw. postkolonialem Hintergrund zu bearbeiten? Eine Frage, die mich initial und über das gesamte Seminar hinweg umgetrieben hat. (Kleiner Spoiler: Da ich sehr dankbar für die praxisnahen und bereichernden Einblicke, Erfahrungen sowie den vielstimmigen Austausch bin, würde ich diese Frage abschließend mit «ja» beantworten.)
Wie stehen aber professionelle Übersetzer*innen dazu, wie die Autor*innen selbst? Dank Videoschalten, die in das Seminar integriert wurden, hatten wir Gelegenheit, die Positionen einiger Vertreter*innen zu hören und miteinander ins Gespräch zu kommen. Diese Begegnungen erachte ich als wertvoll (auch wenn ich den Austausch ehrlich gesagt intensiver hätte nutzen können). Eine einzigartige Bereicherung war die Darbietung von George Seremba, der uns seinen autobiografischen Text sehr emotional und eindrücklich nähergebracht hat. Daraufhin hatte ich ihn und seine Performance bei jeder Zeile aus «Come good rain» vor Augen, was die Arbeit mit seinem Text sehr anschaulich und tiefgründig gestaltet hat.
Wie in den verschiedenen Gesprächen deutlich wurde, gibt es innerhalb des Feldes unterschiedliche Auffassungen zum Umgang mit Übersetzungen in eine andere Zielsprache und ich denke, es ist wichtig, die unterschiedlichen Standpunkte ernst zu nehmen, um eine eigene Position/Haltung zu etablieren. Es war für unser Kollektiv also unerlässlich, folgendes Dilemma in die Diskussion und unsere Arbeit aufzunehmen: Überwiegt als Rechtfertigung das Argument, ihre Stimme ins Deutsche zu übertragen und so dazu beitragen zu wollen, dass ihre Texte Aufmerksamkeit erhalten, oder schränkt eine andere Sozialisierung uns ein, ihre Ideen und Perspektiven wiederzugeben? Der Standpunkt mag unterschiedlich sein, die Thematisierung macht aber klar, dass es idealerweise einer vertrauensvolle Beziehung zwischen Urheber*in und Übersetzungskollektiv bedarf. An dieser Stelle ist also das uns entgegengebrachte Vertrauen, die Auszüge übersetzen zu dürfen, zu unterstreichen.
In unserer Runde war Raum dafür, unsere Rolle als Übersetzer*innen zu hinterfragen und zu definieren. Allerdings war diese Frage stetig im Fluss und konnte nicht abschließend beantwortet werden. Außerdem gab es Gelegenheiten, Grenz- und Problemfälle zu besprechen, was die Auseinandersetzung und «Bewältigung» vielstimmig gestaltet hat. Das Hinterfragen der Rollen und Positionen beschäftigt mich weiterhin – auch mit Blick auf aktuelle Debatten rund um Sensibilisierung im Sprachgebrauch. Hier frage ich mich auch, ob es mit Blick auf das Thema nicht auch unangebracht sein kann, meine eigene Situation so wichtig zu nehmen. Schließlich hätte ich – als blonde europäische Studentin – (in den meisten Fällen) eine Stimme.
Das Beispiel «Yes a German genocide. A rehearsal Holocaust.»⁴ verdeutlicht eindrücklich, dass die Annäherung an und die Übertragung der Originale sensibel und reflektiert erfolgen muss. Wie problematisch Holocaust-Vergleiche in Deutschland sind, hat im August 2022 die «unsägliche» und «inakzeptable»⁵ Aussage des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas gezeigt. Die Wiedergabe des Wortes, das nun mal im Originaltext vorkommt, musste hinterfragt bzw. geprüft werden. Übersetzung bedeutet also immer auch Transformieren und Umformen des Texts – ihn, den Sachverhalt und den Kontext in unserem Fall deutsch zu machen oder deutsch zu gestalten, was Fragen nach den Limits aufwirft.
In der Gruppe, unserem Übersetzer*innenkollektiv darüber zu sprechen – zunächst in der Kleingruppe und dann in größerer Runde im Plenum – war in diesem Fall hilfreich. Wir konnten unsere Wahrnehmungen und Argumente austauschen und somit eine reflektierte Entscheidung treffen. Dabei stand nicht die Bewertung von «richtigem» entgegen «falschem» Vorgehen bzw. einer «richtigen» versus einer «falschen» Umsetzung im Zentrum der Abwägung, sondern vielmehr die Entscheidung für eine Version, für eine Form, auf die wir uns einigen konnten, weil sie uns angemessen erscheint. Die Thematisierung bzw. mitunter Problematisierung an sich ist Ausdruck eines sensiblen, reflektierten und bedachten Vorgehens mit dem Ziel, den Spagat zwischen Nähe zum Original und Wirkung im Zielkontext bestmöglich zu vollführen.
Ein weiterer Zweifelsfall, der vielfach zu intensivem Austausch geführt hat, war der Umgang mit einem tunesischen Akzent im französischen Original von «La Danse des affranchies«. Der Wunsch, die Wirkung in der Zielsprache beizubehalten, war in diesem Fall herausfordernd, da es kein Äquivalent gibt. Wir haben uns durch gemeinsames Abwägen und Ausprobieren dem Kompromiss bzw. der Umsetzung angenähert, um eine gute, nicht-stigmatisierende Lösung zu finden. Dabei zu beachten ist, dass es zwar unsere Bearbeitung des Texts ist, die wir vertreten können müssen, wir aber nicht die Urheber*innen des Stoffs sind. Dies betont wiederum unsere vermittelnde Rolle beim Übersetzen. Es handelt sich nicht originär um unseren eigenen Text, sondern um eine möglichst stimmige Übertragung des französischen Originals – und eben dessen (intentionalen) Eigenschaften.
Zur Organisation des Seminars möchte ich herausstellen, dass die Aufteilung in kleinere Gruppen aus meiner Perspektive sehr sinnvoll war – nicht nur, um den Workload möglichst ausgewogen zu gestalten. Sondern auch, weil ich persönlich mich unwohl fühle, mich in größeren Gruppen ausgiebig zu beteiligen. Es kostet mich meist viel Überwindung, aktiv im Plenum mitzudiskutieren, deswegen habe ich persönlich die Gelegenheiten sehr geschätzt, mich in den kleineren Diskussions- und Teamrunden niedrigschwelliger mit meinen Vorschlägen einzubringen. Ich möchte an dieser Stelle also darauf aufmerksam machen, dass nicht nur die Sprachsysteme, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben, einzigartig sind, sondern auch das Kollektiv aus verschiedenen Individuen ergo verschiedenen Persönlichkeiten besteht. Jede*r war hier wertvoll, um mit seinem*ihrem Erfahrungsschatz zum Entstehen und (Um-)Formulieren, kurz zum Gelingen des Projekts, beizutragen. Die Struktur des Seminars sowie die sehr praxisorientierte Art unserer Zusammenarbeit fand ich angenehm, vor allem, weil sie – insbesondere in unserer kleineren Gruppe – sehr wertschätzend war.
Viele der offenen Themen und Fragestellungen im Zuge unseres Seminars – etwa eine potenzielle Arroganz oder der Umgang mit Adaptionen – wurden dann auch in der offenen Diskussion nach der Lesung im Theaterhaus G7 angesprochen. Es war interessant, Stimmen, Argumente und Meinungen ‚von außen‘ zu hören. Diese Anregungen aus dem Publikum haben das Panorama nochmals erweitert. Generell war die Vorbereitung sowie der Veranstaltungsabend begleitet von der Aufregung, wie die Collage auf das Publikum wirken würde. Natürlich war es nicht unsere Kompilation, aber einen gewissen Beitrag zum Gelingen der Veranstaltung geleistet zu haben – als Teil des Übersetzungskollektivs, hat mich stolz gemacht. Meiner persönlichen Einschätzung nach war dieses Gemeinschaftsprojekt sehr bereichernd und ich würde auch sagen, dass es erfolgreich war, weshalb ich allen Beteiligten herzlich danken möchte. Fazit: very proud to have been part of the cooperation!
¹ Latifa Djerbi im Gespräch mit Ela zum Winkel. Link zum Interview vom 09.09.2022. Zuletzt abgerufen am 26.10.2022
² Link zur Veranstaltung. Zuletzt abgerufen am 26.10.2022
³ Jackie Sibblies Drury: «We Are Proud to Present a Presentation About the Herero of Namibia, Formerly Known as South West Africa, From the German Sudwestafrika, Between the Years 1884-1915», Scene: Process.
⁴ Beide Adjektive wurden in folgendem Tweet von Bundeskanzler Olaf Scholz als Reaktion auf die Aussage von Mahmoud Abbas, Präsident des Staates Palästina, genannt: «Ich bin zutiefst empört über die unsäglichen Aussagen des palästinensischen Präsidenten Mahmoud #Abbas. Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel. Ich verurteile jeden Versuch, die Verbrechen des Holocaust zu leugnen.» (Account @Bundeskanzler, Link zum Tweet. Zuletzt abgerufen am 26.10.2022
⁵ . Link zur Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt. Zuletzt abgerufen am 26.10.2022
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