Klaus Gronau über seine Karriere als Übersetzer französischer Gegenwartsdramatik Produktive Kreuzworträtsel

Theaterbegeistert war ich schon als Oberschüler: in den 1960er-Jahren in Bremen, der Zeit von Kurt Hübner und Peter Zadek. Und in der Oberstufe hatte ich bei Herrn Matz, einem großartigen Lehrer, Französischunterricht. Der mich dann motiviert hat, ab 1966 in Münster neben Germanistik auch Romanistik, sprich: Französisch, zu studieren. Übersetzungsübungen habe ich gehasst, die hielten sich für mich immer zu sehr bei Einzelproblemen in den Texten auf. Methoden oder Techniken der Übersetzung kamen nicht zur Sprache.

Nach dem Staatsexamen habe ich, wieder in Bremen, in Romanistik und Germanistik promoviert und dann 1976-81 an der Freien Universität Berlin als Assistent im Fach «Neuere französische Literatur» unterrichtet. In diese Zeit fiel mein erster Besuch beim Theaterfestival in Avignon. Und während meiner Tätigkeit als DAAD-Lektor an der Université de Reims (1982-87) bin ich regelmäßig jedes Jahr dorthin gefahren. Neben den großen Inszenierungen im Festival «In» und «Off» habe ich mich von Anfang an auch speziell für die Veranstaltungen zur Vorstellung neuer Autor:innen interessiert, z. B. in der Chartreuse in Villeneuve und vor allem bei den Lesungen von Lucien und Micheline Attouns «Théâtre Ouvert». Bei einer solchen Gelegenheit habe ich den Text «Croisades» von Michel Azama gehört, den ich dann als ersten übersetzte. Mein Vertrag in Reims stand kurz vor dem Ende, ein neuer war zunächst nicht in Sicht und ich dachte, die Theaterübersetzung könnte vielleicht eine neue Berufsperspektive werden. Es kam aber anders.

Beim Stückemarkt des französischsprachigen Theaterfestival Perspectives in Saarbrücken traf ich einen Regisseur, der im Auftrag des Mainzer Theaters für das Jahr 1989, anlässlich des 200. Jahrestags der Französischen Revolution, das  Theaterfestival Contact organisieren sollte. Über die Mitarbeit bei den Vorbereitungen bekam ich einen Vertrag als Dramaturg und Festivalorganisator. Und da der Zufall wollte, dass eine für die folgende Saison am Mainzer Theater geplante Uraufführung ausfiel, konnte ich meine frische Übersetzung «Kreuzzüge» als Ersatz vorschlagen.

So viel Glück habe ich als Theaterübersetzer aber nur selten wieder gehabt: Von meinen im Lauf der Jahre ca. 25 Übersetzungen hat es nur etwa ein Drittel auf die Bühne geschafft, einige weitere immerhin noch in eine Lesung oder einen Stückemarkt. Aber da ich als Dramaturg in Mainz und später in Erfurt ja stets meinen Lebensunterhalt verdienen konnte, konnte ich es mir leisten, das Übersetzen als Hobby zu betreiben. Mit nicht nachlassender Leidenschaft: Das Knobeln an bestimmten Textstellen (das mich in den universitären Übungen so genervt hatte) machte mir nun den meisten Spaß – eine Art Kreuzworträtsel-Spiel mit produktivem Ergebnis. Besonderen Spaß hat oft auch die Zusammenarbeit mit den Autor:innen gemacht: An schwierigen Stellen die genau beabsichtigte Bedeutung erfragen, Vorschläge für die deutsche Fassung machen, deren unterschiedliche Bedeutungsnuancen erklären und schließlich gemeinsam die zu bevorzugende Lösung vereinbaren.

Zuweilen war diese Zusammenarbeit nicht in einer direkten Begegnung möglich. Für die Übersetzung des kanadischen Stücks «Aux hommes de bonne volonté» von Jean-François Caron habe ich zunächst eine freundliche Mitarbeiterin des kanadischen Kulturinstituts in Paris getroffen, die mir Vokabeln erklärte, die ich in keinem Lexikon hatte finden können. Bevor ich dann mit dem Autor korrespondierte, um weitere Probleme zu lösen. Vor allem das der Hauptfigur des Stücks, für die Caron eine Art Kunstsprache mit sehr eigenwilliger Orthografie erfunden hat, die der (damaligen) québecer Jugendsprache nachgebildet war. Das im Deutschen wiederzugeben, war eine Aufgabe für sich – als ich dem Theaterverleger, der die Übersetzung beauftragt hatte, meine Version vorlegte, verlangte der sofort eine zusätzliche «hochsprachliche» Fassung, weil – wie er wohl zu Recht annahm – kein Dramaturg oder Regisseur den Text «so» lesen würde. Wir einigten uns darauf, meine Fassung (die deutlich norddeutsch und berlinerisch gefärbt war) als Vorschlag anzubieten, der gegebenenfalls an das «Patois» der Region des jeweiligen Theaters anzupassen wäre.

Den Entschluss, Stücke von Copi zu übersetzen, habe ich gefasst, als ich nach einer Lesung im Dezember 1987 die beiden bei Bourgois erschienen Bände seines «Théâtre» gekauft, darin gelesen hatte und begeistert war – bis dahin hatte ich den Autor nur von seinen Comics in Libération gekannt. Da Copi jedoch gerade verstorben war, war eine Zusammenarbeit mit ihm natürlich ausgeschlossen. Die französische Autorenvereinigung SACD vermittelte mir einen Kontakt zu seiner Mutter, damit ich bei ihr um die Rechte für die Übersetzung anfragen könnte. Señora Damonte empfing mich sehr freundlich an einem Vormittag in der Wohnung des Autors in Montmartre mit einem «petit Whisky» zur Begrüßung, und wir sprachen über ihren berühmten Sohn und dessen Stücke. Da sie leider kein Deutsch sprach, konnte sie mir bei meinen Fragen zu den Texten jedoch nicht weiterhelfen. Sie übergab dann meine Übersetzungen an einen ihrer Bekannten, der Deutsch verstand. Gemeinsam konnten wir bei einem weiteren Besuch Lösungen für meine Probleme finden.

Zu Beginn meiner Tätigkeit als Theaterübersetzer lebte ich noch in Frankreich und hatte das Problem, dass mir die Sprache der zu übertragenden Texte «zu nah» war, dass ich z.B. versucht war, den Satzbau des Originals direkt in meinen Text zu übernehmen. Wobei natürlich zum Teil Sätze herauskamen, die kein:e deutsche:r Muttersprachler:in je so sagen würde. Das führte dann bei den Proben etwa zu «Kreuzzüge» oder zu Copis «Loretta Strong greift nach den Sternen» dazu, dass bestimmte Passagen im Gespräch mit den Schauspieler:innen oder auch der Regie «sprechbarer» gemacht werden mussten.

Als ich, nach sieben Jahren in Reims und Paris, nach Mainz und später nach Erfurt ging, verloren meine Kontakte zum französischen Theater und seinen lebenden Autor:innen zwangsläufig an Unmittelbarkeit und Intensität. Aber Sabine Bossan und Sandrine Grataloup, die freundlichen Mitarbeiterinnen der SACD, die sich damals emsig um die Förderung der französischsprachigen Gegenwartsdramatik im Ausland bemühten, versorgten mich weiterhin mit Informationen über neue Texte und aktuelle Inszenierungen. Sodass ich ohne allzu große Mühe weitere Übersetzungsprojekte finden und in Angriff nehmen konnte.

Bei der SACD fand ich auch Unterstützung für mein Vorhaben, Emmanuel Darleys «Le Mardi à Monoprix» zu übersetzen. Ein Stipendium, verknüpft mit der Verpflichtung, die endgültige Fassung meines Textes gemeinsam mit dem Autor und einem Übersetzerkollegen zu erarbeiten. Diese Kooperation verschaffte mir eine neue, überaus anregende und angenehme Erfahrung. Nachdem ich lange vergeblich darüber gegrübelt hatte, wie ich den Namen des Kaufhauses im Titel angemessen übertragen sollte, da es eine Ladenkette mit einem vergleichbaren Warensortiment (das ja im Text durchaus thematisiert wird) in Deutschland im Grunde nicht gab, überraschte mich Kollege Laurent Mühleisen mit dem kühnen und pragmatischen Vorschlag, einfach «Dienstags bei Karstadt» als Titel anzusetzen. Den freilich der Theaterverlag, der den Text in sein Programm aufnahm, in «Dienstags bei Kaufland» änderte.

Mit dem Ende meines Arbeitsvertrags am Theater Erfurt 2002 sah ich mich gezwungen, mein 30 Jahre zurückliegendes (und zum Glück nicht verfallenes) Staatsexamen aus den Aktenordnern zu kramen und mich um eine Referendarstelle an einem Frankfurter Gymnasium zu bewerben. Das war der Beginn einer mehrjährigen Arbeit als Lehrer in den Fächern Französisch, Deutsch, Darstellendes Spiel und Ethik. Und zugleich der Beginn des Endes meiner Tätigkeit als Übersetzer französischer Gegenwartsdramatik. Da ich mir neben der Arbeitsbelastung in jenem Beruf diesen Luxus, mein geliebtes, aber doch recht zeitaufwändiges Hobby, leider nicht mehr leisten konnte. Pandemie und Lockdowns taten dann noch das Übrige.

Klaus Gronau (Foto: privat)

Klaus Gronau wurde 1946 in Bremen geboren. Nach einem Studium der Romanistik und Germanistik und einem Aufenthalt als DAAD-Lektor in Reims arbeitete er seit 1989 als Dramaturg der Theater Mainz, Bruchsal und Erfurt und übersetzte parallel dazu zahlreiche zeitgenössische französische und französischsprachige Dramatiker:innen wie Olivier Py, Noëlle Renaude und Copi. Nach dem Ende seiner Anstellung als Chefdramaturg in Erfurt ging er 2002 in den Schuldienst nach Frankfurt. Im PLATEFORME-Archiv befinden sich 25 seiner Dramenübersetzungen.

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